Badereisen

[414] Badereisen. Beim Beginn der schönen Sommermonate füllen sich die Badeorte aller Länder mit Fremden aus allen Weltgegenden. Die Einen kommen, um an der heilsamen Quelle Genesung oder Linderung zu finden, die Andern zur Erholung und Zerstreuung, weil in dieser Jahreszeit die Residenzstädte gewöhnlich leerer werden und die Geselligkeit, die besonders im traulichen Winter gedeiht, pausirt. So erscheinen im Bade: die Modedame, die es zu wenig vornehm hält, ganz gesund zu sein, und weil es[414] Mode ist, in's Bad zu reisen und Brunnen zu trinken; der reiche Müßiggänger, der Zerstreuung und Wechsel der Bekanntschaften sucht, der Spieler, der Abenteurer und endlich der Leidende, der fürchtend und hoffend der Göttin naht. Der Aufenthalt in den Bädern hat eben durch diese Mischung der Stände, Nationen, Charaktere und durch den Umstand, daß in der Regel nur Wohlhabende und Gebildete dieselben zu besuchen im Stande sind, etwas ungemein Reizendes, zumal da sie größtentheils in schönen Gegenden liegen und überaus viele Veranlassung zu Zerstreuungen, Excursionen etc. gewähren, und deßhalb sind sie des Sommers der Sammelplatz der vornehmeren kranken und nicht kranken Welt geworden. – Für wirkliche Kranke ist eine Badereise von der größten Wichtigkeit. Man wählt die schönen Sommermonate zum Aufenthalte in den Bädern, wenn nicht zu kühle Witterung eintritt, sonst ist das Ende des Frühjahrs oder ein schöner Herbstanfang manchmal günstiger. Badeorte, die wegen örtlicher Verhältnisse sehr warm sind, wie Wiesbaden, oder wo warme Quellen getrunken werden, können bei kühler Witterung, – kalt gelegene Gebirgsbäder, wie Gastein, die Schweizerbäder und auch Pyrmont, oder wo kalte Quellen getrunken werden, müssen nur bei sehr schöner Witterung besucht werden. Man muß sorgfältig und nach dem Rathe eines Arztes das zu brauchende Bad wählen, der diese Orte nicht bloß aus Büchern kennt. Besonders gilt dieß von den heilkräftigsten, aber eben deßwegen oft höchst verderblich wirkenden Quellen, und Mancher legte den Grund zu schlimmern Leiden oder holte sich den Tod daselbst. Vor Allem aber muß man den Gebrauch der Quellen zum Trinken nicht übertreiben, um den Körper nicht zu schwächen. An den Quellen steigt man oft zu sehr mit der Becherzahl, um eine Besserung zu erzwingen, wodurch aber Verschlimmerung nothwendiger Weise herbeigeführt wird. Damen haben eine besondere Rücksicht zu nehmen, daß das Maß in keiner Weise überschritten werde, da ihre Constitution namentlich nicht zu allen Zeiten den Gebrauch[415] des Bades oder Brunnens gestattet. Vielen Kranken ist aber die Zerstreuung der Reise das dienlichste Mittel. Diese brauchen also nur wenig an der Quelle, mehr aber bei zerstreuenden Ausflügen zu verweilen. Sorgen und Arbeit lasse man zu Hause, im Bade soll der Mensch nur Egoist sein und sich pflegen und aufheitern.

D.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 414-416.
Lizenz:
Faksimiles:
414 | 415 | 416
Kategorien: