Pneuma

[123] Pneuma (pneuma): Hauch, ätherisches Feuer, Lebensgeist. Daß der Organismus Luft aufnimmt, wird von HIPPOKRATES an zu physiologischen Theorien verwertet. Nach ARISTOTELES ist im Blute eine luftartige Substanz (anathymiasis), in den Arterien ein pneuma als Träger von Empfindungs- und Bewegungsimpulsen. Das Pneuma im Organismus wird durch die Adern verbreitet und bewirkt den Pulsschlag und das Atmen. Pneuma nennen die Stoiker die Gott-Natur ihrer kraftstofflichen, alles durchdringenden Wesenheit wegen. Das Pneuma ist ein Sich-selbst-bewegendes: einai to on pneuma kinoun heauto pros heauto kai ex hautou, ê pneuma heauto kinoun prosô kai opisô. pneuma de eilêptai dia to legesthai auto aera einai kinoumenon (Stob. Ecl. I 17, 374). Es ist pyr technikon, pneuma noeron kai pyrôdes ohne feste Gestalt, das sich in alles, was es will, verwandeln kann (l. c. I 2, 66. Diog. L. VII, 156. Plut., Epit. I, 6, Dox 292 a). Unsere Seele (s. d.) ist ein Ausfluß des Pneuma, to symphyes hêmin pneuma (Diog. L. VII, 156). Das pneuma pôs. echon ist »die eigentümliche Strömung der sich selbst und darum auch den Menschen bewegenden Seelenkraft« (STEIN, Ps. d. Stoa I, 122). Als Lebenskraft faßt das Pneuma GALEN auf, der ein pneuma psychikon (im Gehirn und in den Nerven), pneuma zôtikon (im Herzen), pneuma physikon (in der Leber) unterscheidet (vgl. Verworn, Allg. Physiol. S.. 11). – Das »Buch der Weisheit« bestimmt die Weisheit (s. d.) Gottes als weltverbreiteten Geist (pneuma), pneuma kyriou, hagion pneuma (vgl. ÜBERWEG-HEINZE, Gr. d. Gesch. d. Philos. I9, 354). Als Lebenskraft und Organ der Empfindung faßt das Pneuma PHILO (IV, 304) auf, der es auch mit dem hebräischen »ruach« (Geist) identificiert. Im Neuen Testament wird das pneuma zum geistigen Wesen. Das »Pneumatische« steht über dem »Psychischen« (1. Kor. 15, 35 f.). Pneuma hagion ist der Heilige Geist. Die Patristiker sprechen von einem pneumatischen Leib (s. Ätherleib). Pneumatiker heißen bei VALENTINUS und ORIGENES die vom Geiste des wahren, christlichen Glauben Erfüllten im Unterschiede von den heidnischen Hylikern und den Psychikern. CLEMENS ALEXANDRINUS unterscheidet im Menschen das pneuma sarkikon von der Vernunft (Strom. VI, 6, 52. VII, 12, 79). Der[123] Pneuma-Begriff hat auch in der Psychologie des Tatian (Or. ad Gr. 4) seine Stelle. IRENAEUS unterscheidet pnoê zôês und pneuma zôopoioun, das Ewige im Menschen (SIEBECK, G. d. Ps. I 2, 363). Nach TERTULLIAN ist die Seele (s. d.) ein pneuma, weil sie als Hauch (flatus) atmet (De an. 10 f., 18). Nach HILARIUS liegt das Pneuma der vegetativen, empfindenden, fühlenden Seelentätigkeit zugrunde (De trin. X, 14). In der Theorie der »Lebensgeister« (s. d.) und des »spiritus corporeus« im Mittelalter (»pneuma oder spiritus corporalis«: HUGO VON ST. VICTOR, De an. II, 9) (und noch später) lebt der Pneuma-Begriff weiter.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 123-124.
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