Sechstes Kapitel.

Die Ansiedlung der Germanen

unter den Römern.

[335] Ist der Eintritt ganzer geschlossener Völkerschaften in den römischen Dienst das entscheidende Moment, durch das der Untergang der alten Welt und die schließliche Bildung neuer, eigentümlicher Staatswesen, der romanisch-germanischen, bestimmt wurde, so ist doch auch dafür kein bestimmter Anfang anzugeben. Die Römer schlössen von je mit barbarischen Völkern an ihrer Grenze Bundesverträge, wonach diese zugleich sich selbst und das römische Reich an dieser Stelle gegen feindliche Angriffe zu verteidigen hatten. Von den Verträgen mit Völkern auf der ererbten Scholle ist der nächste Schritt die Ansiedlung eines solchen Volkes auf einem Grenzstrich, darauf die Hereinziehung weiter in das Innere, Überweisung einer Landschaft, endlich Ansiedlung inmitten der Römer.

Als den Beginn der Völkerwanderung in diesem Sinne hat man von je die Aufnahme der Westgoten ins römische Reich angesehen, als diese, gedrängt von den Hunnen, an der Donau erschienen, als Föderaten ins Reich eintraten, dann aber in der Schlacht von Adrianopel das römische Heer und den römischen Kaiser selbst besiegten. Etwas schlechthin neues liegt in alledem nicht, weder in der Aufnahme, noch in dem Konflikt, noch in dem Siege der Goten. Dennoch liegt hier der Einschnitt. Die analogen Vorgänge, die voraufgehen, haben doch keine unmittelbare, sich stets fortsetzende Nachwirkung; Rückschläge haben ihren Einfluß wieder aufgehoben, es sind nur Vorläufer.

Von der Niederlage bei Adrianopel aber hat sich das römische Reich nie wieder erholt. Obgleich Theodosius die äußere Autorität[335] des Kaisertums noch einmal wiederherstellte und das Reich noch generationenlang bestanden hat, so ist die germanische Bewegung, die mit der Gründung der selbständigen germanischen Reiche auf römischem Boden endet, doch von jetzt an im Fluß und wohl aufgehalten, aber nicht mehr zurückgedrängt worden.

Der Konflikt mit den Westgoten entstand über die Verpflegung. Ob die römischen Beamten, denen die ungenügenden Lieferungen vorgeworfen werden, wirklich so schuldig gewesen sind, haben wir dahingestellt sein lassen, denn selbst für die umsichtigsten und sorgsamsten Beamten mußte es eine ungeheuer schwierige Aufgabe sein, für ein ganzes Volk mit Weibern, Kindern und Sklaven eine geregelte Verpflegung zu liefern, und die Goten waren in ihren Ansprüchen schwerlich sehr bescheiden.

Wie Theodosius, als Nachfolger des bei Adrianopel gefallenen Kaiser Valens, sich endlich mit den Goten auseinandergesetzt hat, ist aus den Quellen nicht deutlich zu erkennen. Er soll Siege über sie erfochten haben, aber sehr bedeutend können sie nicht gewesen sein. Die Goten blieben innerhalb der Grenzen des römischen Reiches und traten wieder in kaiserlichen Dienst. Gewisse Landstriche, aus denen die Bewohner schon durch die vorhergehenden Raubzüge vertrieben waren oder jetzt auf Anweisung ihrer Obrigkeit weichen mußten, wurden ihnen angewiesen. Wir müssen uns wohl vorstellen, daß die Goten hier, inmitten der römischen Umgebung, nach der Väter Weise in leicht gezimmerten Gaudörfern, soweit sie nicht in ihren Wagen blieben oder römische Bauernhäuser benützten, mit geringem Ackerbau wesentlich von ihren Heerden, unterstützt durch römische Getreidelieferungen, gelebt haben. Die Zahl war ja nicht so sehr groß; dauernd, auf einem Fleck, war sie schwer zu versorgen, aber in eine Anzahl kleinerer Gruppen zerlegt, war es nicht unlösbar, sie unterzubringen und auch die Verpflegungszuschüsse zu liefern.

Trotzdem dauerte es natürlich nicht lange, bis der Fremdkörper im Leibe des römischen Reiches sich wieder geltend machte. Neue Streitigkeiten brachen aus: wie wäre es denkbar gewesen, daß diese germanischen Krieger, die es für ehrenvoller hielten, durch Blut als durch Arbeit zu erwerben, die Herrlichkeiten der Welt[336] rings um sich unberührt gelassen hätten, nach denen sie doch bloß die Hand auszustrecken hatten?

Unter Alarich zogen die Westgoten nach Italien und brandschatzten Rom; von Italien unter Ataulf nach Gallien. Als sie hier ankamen, hatten Vandalen, Alanen, Sueven das wehrlose Land bereits durchzogen und sich in Spanien niedergelassen.

Über die Art, wie im Laufe des fünften Jahrhunderts die germanischen Herrschaften in den bisherigen römischen Provinzen errichtet wurden, sind wir am besten unterrichtet bei den Burgundern, wo uns neben den Notizen der Chroniken die Bestimmungen eines Gesetzbuches, der lex Gundobada, erhalten sind.

Nachdem die Burgunder, aus dem östlichen Deutschland stammend, sich zuerst auf dem linken Rheinufer in der Gegend von Worms niedergelassen hatten, wo sie unter dem König Gunther ihre sagenberühmte Niederlage durch die Hunnen erlitten, wies ihnen Aëtius einige Jahre später (443) Sitze in Sapaudien, d.i. Savoyen, an. »Sapaudia Burgundionum reliquiis datur cum indigenis dividenda«, sagt der Chronist, Prosper Tiro.

Vierzehn Jahre später (456 oder 457) berichtet ein anderer, dieser Gegend kundiger Chronist, Marius von Avenches, »eo anno Burgundiones partem Galliae occupaverunt, terrasque cum Gallicis senatoribus diviserunt«, und noch ein anderer, späterer Chronist, Fredegar, weiß zu erzählen, daß die Burgunder auf die Einladung der Römer selbst gekommen seien, welche auf diese Weise ihrer Steuerlast hätten ledig werden wollen.

Beide Male, sowohl bei der ersten Ansiedlung in Savoyen, wie abermals bei der Erweiterung ihres Gebietes über Lyon und über die Rhone hinaus, sind die Burgunder hiernach nicht als Eroberer gekommen, sondern im Einvernehmen mit den Römern angesiedelt worden. Ganz dasselbe wird uns um dieselbe Zeit von Alanen berichtet215, und ebenso waren schon im Jahre 419 die Westgoten an der Garonne angesiedelt worden.[337]

Die direkte Bestimmung, wie die Ansiedlung stattfinden sollte, ist uns nicht aufbewahrt, aber sie knüpfte an an die überlieferten Formen der römischen Einquartierung, hieß wie diese »hospitalitas«, und König Gundobad (473-516) sagt in seinem Gesetzbuch (Tit. 54): »Zu der Zeit, da unser Volk von den Unfreien ein Drittel und vom Acker zwei Drittel erhielt, wurde von uns vorgeschrieben, daß, wer Acker und Unfreie von uns oder unseren Vorfahren erhalten habe, weder ein Drittel Unfreie noch zwei Drittel Acker von dem Ort, wo ihm Quartier angewiesen war, sondern dürfe.« Diese Vorschrift sei von manchem mißachtet worden; deshalb werde hiermit befohlen, daß das unrechtmäßig den Quartierwirten entzogene Land zurückgegeben werde, damit die bisher mißachteten Römer Sicherheit genössen.

Ganz ähnlich finden wir in dem Gesetzbuch der Westgoten eine Bestimmung, daß eine einmal durchgeführte Teilung zwischen einem Goten und einem Römer nachträglich nicht mehr geändert werden solle; weder solle der Römer die beiden Drittel des Goten, noch der Gote das Drittel des Römers beanspruchen.

Endlich hören wir, daß Odoaker den letzten römischen Kaiser absetzte, weil die Germanen ein Drittel des Landes forderten und die Römer das nicht bewilligen wollten. Burgunder und Westgoten haben zwei Drittel genommen: die Leute Odoakers scheinen also noch bescheiden genug gewesen zu sein, indem sie nur ein Drittel verlangten.

Dies ist der wesentliche Inhalt der historischen Überlieferung, aus der wir uns ein Bild zu machen haben, auf welche Art sich die Einlagerung und Festsetzung der Germanen unter den Römern vollzogen hat, durch welche die ganze nachfolgende Geschichte bestimmt wird.

Für die Agrarverfassung im römischen Kaiserreich kommen wesentlich drei Besitzgruppen in Betracht: kleine Bauern, die wesentlich durch ihre und der Familie eigene Arbeit, vielleicht durch einen Sklaven oder Sklavin unterstützt, das Feld bestellten; mittlere Besitzer, die nicht mehr selbst Hand anlegen, sondern mit Sklaven wirtschaften, aber durch tägliche eigene Anordnung und Beaufsichtigung arbeiten und in Anspruch genommen sind oder, sofern sie in der Stadt wohnen, die Wirtschaftsführung einem Verwalter[338] übertragen; endlich große Besitzer, die vielleicht ein Gut auch nach Art des zweiten Typus bewirtschaften oder auch Verwalter bewirtschaften lassen, in der Hauptsache aber ihren Besitz an Kolonen verteilt haben, an die Scholle gefesselte Halbfreie, Hörige, die als Kleinbauern wirtschaften, einen Teil ihres Ertrages an den Herrn abliefern und nach Bedürfnis auch im Frondienst für ihn arbeiten. Von diesen drei Typen existiert der erste wohl nur noch sehr sporadisch; die meisten ehemals freien Besitzer waren in den Stand der Kolonen übergegangen, wodurch sie zwar die volle Freiheit verloren, dafür aber an dem kapitalkräftigen Herrn einen starken wirtschaftlichen Rückhalt und einen Patron im Rechtsschutz gewannen. Auch der zweite Typus des mit Sklaven wirtschaftenden größeren Betriebes war, wenn auch noch hier und da vorhanden, jedenfalls, abgesehen von Ackerbürgern in den Städten, selten. Bei weitem die größte Masse des Grundes und Bodens gehörte den Großbesitzern mit Kolonenbetrieb.216

Es ist klar, daß die einzige Besitzform, die sich zur Teilung mit den Burgundern eignete, die dritte ist. Der Kolon konnte nicht teilen, denn dann hätte er überhaupt kein wirtschaftsfähiges Besitztum behalten, und ebensowenig wird ein Burgunder geneigt gewesen sein, sich mit einem Stückchen Land zufrieden zu geben, das noch nicht einmal ein ganzes Kolonen gut war, wenigstens in dem Sinne, daß er nun auf dieser Scholle hätte Bauer werden sollen. Er war ja gerade ins Land gerufen, um nicht Bauer, sondern Krieger zu sein und das Land zu schützen. Noch siebzig Jahre später bezeichnete der Burgunderkönig Sigismund selber in einem Brief an den Kaiser Anastasius sein Volk als kaiserliche Soldaten (milites). Der Ackerbau, den die Germanen bisher getrieben hatten, war sehr gering gewesen, und die Männer hatten wenig dabei getan; sie hatten hauptsächlich von ihren Heerden und von der Jagd gelebt. Deshalb waren sie in jedem Augenblick bereit gewesen, in Masse ins Feld zu rücken. Als Bauern hätten sie das nicht mehr gekonnt; der Bauer kann in manchen Zeiten gar nicht und sonst immer nur auf kurze Zeit abkommen, wenn seine Wirtschaft gedeihen soll. Die Burgunder aber waren viel[339] zu wenige, als daß sie, nur mit den gerade Entbehrlichen ausrückend, noch etwas hätten leisten können; wenn es ins Feld ging, mußten sie möglichst alle kommen.

Sie waren aber auch viel zu wenige, um das große Land, was sie zwar nicht sofort 443, aber doch im Laufe der nächsten Generation okkupierten, in der Weise zu füllen, daß auf jeden oder auf einem sehr großen Teil der bisherigen Bauernhöfe jetzt neben dem römischen ein burgundischer Bauer gesessen hätte. JAHN in seiner Geschichte der Burgunder (I, S. 389) berechnet auf Grund der früher für glaubwürdig gehaltenen fabelhaften Zahlen, daß sie im Jahre 433 93900 Mann (281700 Seelen) stark ins Land gerückt seien; dadurch, daß wir mit unserer Schätzung auf 3000 bis 5000 Männer zurückgegangen sind, ist auch für die Ansiedlung eine ganz andere Vorbedingung geschaffen.

In Betracht kommt endlich noch, daß die Burgunder ihr Land erst in verschiedenen Etappen okkupiert haben. Ganz ebenso die Westgoten, die ursprünglich an der Garonne angesiedelt waren und dann allmählich alles Land bis an die Loire und an die Rhone, auch im Süden noch über die Rhone hinaus bis an die Alpen, und endlich den größten Teil von Spanien eingenommen haben. Es ist unmöglich anzunehmen, daß Leute, die sich einen Bauernhof hatten zuteilen lassen und sich auf ihm häuslich eingerichtet, binnen einigen Jahren in Masse wieder abgezogen sein sollen, um irgend wo anders abermals ein solches Teilgütchen in Empfang zu nehmen. Umgekehrt erklärten sich die Ostgoten in ihrem Kriege mit Justinian einmal bereit, ganz Italien abzutreten und sich mit dem Lande nördlich des Po zu begnügen217: Zeugnis genug, daß sie, obgleich schon 50 Jahre im Lande, sich nicht als Bauern niedergelassen und festgesetzt hatten.

Bezug sich die Teilung also etwa auf mittlere Güter, die mit Hilfe einer Anzahl von Sklaven bestellt wurden? Auch das ist kaum vorstellbar. Die mittleren Besitzer waren in der Hauptsache die Stadtbürger. Nach der bestehenden Verwaltungs- und Steuerordnung lastete auf diesen eine Haftpflicht, die sofort aufgelöst worden wäre, wenn man ihnen ihren Grundbesitz[340] genommen hätte.218 Aber nicht nur vom Gesichtspunkte des Römers, auch vom Gesichtspunkt des Germanen ist die Vorstellung, daß solche Mittelgüter aufgeteilt worden seien, kaum durchführbar.

Der Burgunder, der solchen Besitz übernehmen sollte, wäre in große Verlegenheit gekommen. Ihn selbst zu bewirtschaften, fehlten ihm alle Kenntnisse wie Eigenschaften; weder den täglichen Betrieb zu dirigieren, noch die kaufmännische Verwertung, am allerwenigsten die Buchführung war seine Sache. Er hätte sich einen Verwalter anstellen müssen; aber schon einen solchen Verwalter zu kontrollieren, ging über seine Fähigkeiten und Neigungen. Schon bei der nötigen Neuorganisation des Zweidrittelgutes wäre der neue Herr unzweifelhaft gescheitert. Die einzig mögliche Form der Verwertung eines größeren Gutes durch einen Barbaren war die Aufteilung in Kolonatsstellen, eine Wirtschaftsform, wie sie, nach Tacitus' Bericht, von je schon in der Heimat bei ihnen üblich gewesen war. Kolonatswirtschaft paßt aber nicht für einen kleinen Mittelbetrieb. Auch der Gemeinfreie in Urgermanien hatte gewiß selten einen Kolonen, denn das bedeutete ja, daß er dem Knecht die Begründung einer Familie erlaubte, die in Notjahren hätte mit durchgefüttert werden müssen, und Notjahre waren jetzt nicht selten; eine Großwirtschaft verfügt über so viel Vorräte, daß sie darin anders rechnen darf. Drei ober vier Kolonen sind auch wieder nicht imstande, eine Herrenfamilie zu ernähren. Die Zahl muß viel größer sein. Eine Mittelwirtschaft wird also betrieben, indem man die Unfreien nicht als Kolonen, sondern als Gesinde einstellt. Kolonenwirtschaft ist von vornherein Großbetrieb.

Für die Teilung mit den Germanen ergeben sich hiernach als allein geeignet die Großgüter mit Kolonen.

Wir haben oben den Titel aus dem burgundischen Gesetzbuch angeführt, wonach die Römer zwei Drittel des Landes und ein Drittel der Unfreien abtreten sollten; in dem Fortgang der Stelle ist weiter gesagt, daß von dem Hof, den Gärten (Weinbergen),[341] Wälern und Rodungen jedem Partner die Hälfte gehöre. Dieser dreifach verschiedene Maßstab für die Teilung, 2/3, 1/2, 1/3, muß seine Ursache gehabt haben und bedarf der Erklärung.219 Sie dürfte etwa folgendermaßen lauten:

Die zwei Drittel seines Ackers, die der römische Besitzer abtritt, sind hauptsächlich Kolonenland. Das Drittel, das er behält, ist zum Teil Kolonenland, hauptsächlich aber der selbstbewirtschaftete Acker, und dazu behält er von Wald, Garten und Weinbergen die Hälfte. Um diesen Teil weiter bewirtschaften zu können, muß er von seinen Unfreien zwei Drittel behalten, denn die Unfreien sind ja nicht bloß die Landarbeiter, sondern es gehören dazu auch die Hausdienerschaft und allerlei Handwerker, die nicht verringert werden können oder nicht verringert zu werden brauchen, weil das Ackerland zum großen Teil abgetrennt ist.

Was tat nun der Burgunder mit den Zweidritteln des Ackers, aber nur einem Drittel der Sklaven? Man dürfte ganz wohl annehmen, daß er so viel Sklaven selber mitbrachte, um ein etwaiges Manko in der für die Landwirtschaft nötigen Zahl zu denken, es ist aber auch noch ein ganz anderer Zusammenhang möglich.

Wir haben gesehen, daß nach Voraussetzungen und Zweck der Landteilung sich schlechterdings nur der Großbesitz dafür eignete.

Es ist ganz unmöglich, daß die sämtlichen Burgunder mit je einem römischen Großgrundbesitzer geteilt hätten; so wenige sie waren, waren sie dazu doch zu zahlreich, besonders bei der ersten Ansiedlung in Sepaudia.

Die Germanen, mit denen die Römer haben teilen müssen, waren also nur die Vornehmen und die Anführer. Die Stelle jenes Chronisten, die Burgunder hätten mit den »Senatoren«, d.h. nach damaligem Sprachgebrauch, mit der Aristokratie, den Großgrundbesitzern, geteilt, ist ganz wörtlich zu verstehen.

Hier haben wir nun den Stoff für die Ausfüllung der merkwürdigen Diskrepanz, daß die Römer zwei Drittel des Ackers, aber[342] nur ein Drittel der Unfreien abtreten sollten: es war eine Anzahl Kolonenhöfe dabei, die unbesetzt übergeben wurden. In diese Bauernhöfe zogen die burgundischen Gemeinfreien ein.

Für den gemeinen Germanen eignete sich der Ansiedlungs- und Teilungsmodus, der uns in den Quellen überliefert ist, auf keine Weise: ein kleines Gut konnte ihm nicht genügen, einem größeren war er nicht gewachsen. Er war ja ein wirtschaftlich noch ganz unerzogener, unentwickelter Mensch. Der Übergang aus dem halten Kommunismus der Geschlechtsverfassung, in der er bisher gelebt hatte, in die Individualwirtschaft konnte sich nur ganz allmählich vollziehen, und um so langsamer, als ja zunächst jeder Impuls dazu fehlte. Die alles beherrschende Vorstellung konnte keine anderes ein, als das Kriegertum, in dem man lebte, nicht baldmöglichst abzustreifen, sondern es zu erhalten.

Es kam darauf an, das germanische Wesen in das römische Kulturleben einzupassen. Die wilden Krieger in ihrer bisherigen Art mitten unter den Römern fortleben zu lassen, war unmöglich, was wir aber jetzt aus den Quellen herausgelesen haben, gibt ein anschauliches und greifbares Bild des neuen Zustandes. Die römischen Grundherren, die bisher durch ungeheure Naturalleistungen und Steuern die barbarischen Söldner erhalten hatten und doch, wenn Streit ausbrach, gewärtig sein mußten, auf das schonungsloseste von ihnen ausgeplündert zu werden, lösten einen Teil dieser Last durch Landabtretung ab.

Die Germanen verteilten sich in mäßig starken Gruppen auf die großen Grundherrschaften; der Anführer ergriff Besitz von der Hälfte des Hauses, des Hofes, des Gartens, der Weinberge, des Waldes und von zwei Dritteln des Ackers mit den darauf befindlichen Kolonenhöfen. In die leeren Höfe oder solche, die zu diesem Zweck geleert wurden, setzte er seine Geschlechtsgenossen oder seine Untergebenen mit ihren Familien, die den Hof bewirtschafteten, so gut sie es verstanden und so weit ihr Fleiß sie dazu trieb. Als ihren Hauptberuf aber sahen sie nach wie vor den kriegerischen an, und von ihm erhofften sie zumeist, daß er sie auch nähren werde. Gab es in einem Jahre keinen Kriegszug, so mußte man durchkommen mit den Erträgnissen des Hofes oder Ersparnissen.[343] Gab es aber Krieg, so gab der Kriegsherr zwar keinen baren Sold, aber er gab Verpflegung und versprach Beute.

Zum Kriegertum gehört nicht bloß die persönliche Tapferkeit und Waffenfertigkeit, sondern auch die Fähigkeit, auf Befehl ausrücken zu können. Zum Ausrücken, falls es nicht bloß in der unmittelbarsten Nachbarschaft ist, gehört eine Ausrüstung, die der einzelne sich nicht beschaffen kann. Er gebraucht viel mehr Proviant, als er zu tragen vermag; er gebraucht Reservewaffen; er bedarf der Vorsorge für den Fall der Krankheit und Verwundung. Der einzelne ist nicht imstande, die Wagen und das Zugvieh zu stellen, das hierdurch nötig gemacht wird. Auch ein Mann, den man schon zu den mittleren Besitzern rechnen müßte, vermag das nicht. Dazu bedarf es einer dauernden, mit Mitteln versehenen Organisation, wie sie ehedem die Geschlechterverfassung gewährt hatte.

Wenn die Cherusker und ihre Bundesgenossen einst wochen- oder monatelang das Kastell Aliso belagert hatten, so müssen die Detachements der einzelnen Gaue dort von ihren Geschlechtsgenossen mit Zufuhr versehen und verpflegt worden sein, denn schon ein Kriegszug von fünf bis sechs Märschen und ebensoviel Wochen macht sehr große Zurüstungen nötig. Auch auf den Wanderzügen war diese Organisation noch tätig.

Es läßt sich aus den Quellen so ziemlich entnehmen, wie die Germanen nunmehr nach ihrer Ansiedlung diesem Bedürfnis gerecht wurden.

Wir beobachten, daß der den Vornehmen zugewiesene Grundbesitz nicht so einfach zu ganz freiem Eigentum überwiesen war. Das »Los« wird zwar vererbt, darf aber doch nicht beliebig veräußert oder verteilt werden und verbleibt, so lange solcher vorhanden ist, dem Mannesstamme unter Ausschluß der Töchter. Die Idee eines Gesamteigentums der Familie scheint in einigen Ausdrücken des burgundischen Gesetzbuches durchzublicken.220 Der Einzelne soll sein Los nicht willkürlich verkaufen, es sei denn, daß er noch anderen Grundbesitz habe. Wem der König ein Gut verleiht, ist verpflichtet, dafür mit Treue und Hingebung zu dienen (Tit. I, § 4).[344]

Hieraus möchte ich entnehmen, daß die neugeschaffenen germanischen Großgrundbesitzer gewisse Pflichten der Unterstützung gegenüber ihren auf den Bauernhöfen angesiedelten Volksgenossen hatten. In dem burgundischen Gesetzbuch oder sonstwo finden wir freilich keinerlei dahinzielende Vorschrift, aber sie war vielleicht auf der einen Seite überflüssig, wie auf der anderen schwer juristisch zu formulieren. Wo der Begriff des alten Geschlechts noch lebte, wenn auch noch so abgeschwächt, da war auch ein traditioneller patriarchal-kommunistischer Geist noch lebendig. Jede der auf einer römischen Grundherrschaft angesiedelten Gruppen hatte noch etwas von der Art eines alten Geschlechts, und wurde sie zum Kriege aufgeboten, so bedurfte es nach germanischen Begriffen keiner besonderen Vorschrift, daß der Anführer, dem ein großer Teil des Gutes und seiner Unfreien zu unmittelbarer Verfügung zugewiesen war, aus diesen Mitteln die Mobilmachung zu bestreiten hatte. Eine Rechtsform gab es hierfür nicht.

Wie weit und wie lange dieses Moment tatsächlich wirksam gewesen ist, vermögen wir nicht zu sagen. Völlig ableugnen dürfen wir es gewiß nicht. Daneben aber bestand nun die öffentliche Verwaltung, die die Germanen bald den Römern ganz aus der Hand nahmen. Der germanische König setzte über jede Landschaft einen Grafen mit seinen Beamten, die durch Naturallieferungen der romanischen Einwohnerschaft das Heer verpflegten. Bei den West- und Ostgoten sehen wir, wie die römische Steuerverfassung noch aufrecht erhalten, den Bürgern aber erlaubt wird, statt des baren Geldes mit Lieferungen ihrer Pflicht zu genügen. Im westgotischen Gesetz finden wir Vorschriften über Lieferungen von Getreide, über Magazine und Strafandrohungen für ungetreue Verwalter.221 Auch bei den Ostgoten finden wir oft die Magazine erwähnt.222

Mit unserer Auffassung vereinigt sich nun sehr gut die allmähliche Ausdehnung des Gebietes bei den Burgundern wie bei den Westgoten. Der gemeine Mann sah sich auf seinem Hof gar nicht als festangesiedelt an, sondern saß darauf so locker, wie vorher am Rhein oder fern im östlichen Germanien. Er hatte[345] nichts dagegen, in eine andere Gegend überzusiedeln, sobald der König und die Anführer es verlangten. Wer dabei gewann, war der König, der seine Macht und seine Einkünfte steigerte, und diejenigen, die als jüngere Söhne aus den schon angesetzten vornehmen Familien oder vermöge der Gunst des Königs nun auch in eine Großbesitzerstellung einrückten. Zuletzt mag das Burgunderreich 2000 bis 2500 Quadratmeilen umfaßt haben, eingeteilt in etwa 30 Grafschaften oder Gaue. Auf jede solche Grafschaft kamen also im Durchschnitt nicht mehr als etwa 200 Krieger.223

Von diesen aber war ein großer Teil nicht mehr im Status eines gemeinfreien Geschlechtsgenossen, sondern stand in Dienst eines der neuen Edelherren oder eines königlichen Grafen. Der gewaltige Besitz, den die Germanen bei ihrer Ansiedlung erwarben, war zum allergrößten Teil einer ganz kleinen Klasse zugute gekommen. Man möchte fragen, weshalb die Gemeinfreien sich das gefallen ließen. Aber man konnte nicht die ganze Masse der Krieger plötzlich alle zu großen Herren machen, und sehr viele nahmen mittelbar an diesen Gütern teil, indem sie in den Dienst der neuen Grundherren traten und dabei doch ihre Kriegereigenschaft wahrten. Dann eben Krieger waren es, die jene in ihrem Dienst haben wollten. Der Begriff und Zusammenhalt des alten Geschlechts zerbröckelte dabei.

In der Vorstellung, wie man sie bisher wohl gehabt hat, daß volle zwei Drittel des ganzen Landes den Römern genommen worden seien, um darauf Germanen anzusiedeln, lag eine Eigentumsrevolution, wie sie die Geschichte sonst nicht aufweisen dürfte, davon sind wir zurückgekommen.

An die Stelle einer ungeheuerlichen Umwälzung aller Besitzverhältnisse ist ein den Bedingungen der Naturalwirtschaft angepaßter neuer Modus der Heeresverwaltung getreten. Wir brauchen nicht einmal anzunehmen, daß selbst da, wo tatsächlich die Landabtretung stattfand, die einzelnen, willkürlich herausgegriffen, ihren Besitz hätten opfern müssen. Der Grundsatz, »zwei Drittel des[346] Ackers, die Hälfte der Höfe, ein Drittel der Hörigen«, galt nicht für den Gesamtbesitz des Römers, der ja sehr verschieden und durch viele Gaue verstreut sein konnte, sondern jedesmal nur für das Gut oder Dorf, das zur Ansiedlung bestimmt wurde.224

Bei der Landteilung, wie wir sie uns jetzt vorstellen, kann sehr wohl die Rücksicht genommen sein, daß man nur die Güter sehr reicher Besitzer auswählte und die Last einigermaßen gleichmäßig verteilte, so daß die Einbuße leicht ertragen wurde.

Ein mittlerer Eigentümer, dem zwei Drittel seines Landes konfisziert werden, ist nicht nur um so viel ärmer, sondern er ist ruiniert; sein ganzer sozialer Status ist verändert. Ein Großbesitzer, dem von zwei Landgütern eins zu zwei Dritteln genommen wird, bleibt sozial, was er war.

Als nach der Beendigung des Bürgerkrieges Octavian seine Veteranen in Italien ansiedelte, wußte er sich nicht anders zu helfen, als daß er massenhaft die bürgerlichen Bewohner aus ganzen Gegenden gewaltsam austrieb und das konfiszierte Land an seine Soldaten verteilte. Die Landteilung der barbarischen Burgunder und Goten wird bei weitem nicht so schmerzlich eingegriffen haben.

Es sind uns Aussprüche von römischen Schriftstellern erhalten, wonach sich die Römer unter der Herrschaft der Barbaren besser befanden als vorher, weil unter der römischen Herrschaft der Steuerdruck unerträglich geworden war. Wenn dies Stimmungsbild auf Wahrheit beruht, so wäre es sohl so zu erklären, daß nicht nur die direkte Landabtretung nicht sehr umfangreich war, sondern auch die Steuern jetzt ganz in Naturalleistungen bestanden, die in der unmittelbaren Nähe prästiert werden konnten. Naturallieferung in weite Fernen erhöht die Last so sehr, daß sie[347] zuletzt unmöglich wird. Bar Geld aber an ihrer Statt war bei dem ungenügenden Vorrat an Edelmetall schwer zu beschaffen. War man nun überdies durch die friedliche Abkunft mit den eingelagerten Barbaren gegen ihre und ihrer Landsleute Plünderungszüge gesichert, so war in der Tat der Zustand gebessert.

Ein drastisches Bild, wie die römischen Aristokraten empfanden über ihre germanischen »Gastfreunde«, die »hospites«, die als Dauereinquartierung jetzt auf ihren Gütern neben ihnen saßen, gewährt uns ein Gedicht, das zur Zeit König Gundobads der Bischof und Poet Sidonius Apollinaris einem seiner Freunde sandte, um sich zu entschuldigen, daß er ihm kein eigentliches Hochzeitscarmen gemacht habe. Es lautet übersetzt: »Wie soll ich, wenn auch sonst wohlbefähigt, zum Liebesfest dichten, während ich unter den Haufen der Langhaarigen sitze, germanische Worte mit anhören und mit ernsthafter Miene die Lieder loben muß, die der gefräßige Burgunder singt, der sich das Gelock mit ranziger Butter gesalbt hat? Brauche ich zu sagen, was meinem Gedicht die Kehle zuschnürt? Flüchtend vor der Barbarenleier mag Thalia, seit sie die siebenfüßigen Herren um sich sieht, vom Sechsfüßer (Hexameter) nichts mehr wissen. Glücklich darf man deine Augen und Ohren, glücklich deine Nase preisen, der nicht schon am frühen Morgen zehn Apparate (Kochtöpfe oder Gurgeln?) ihren Knoblauch- und Zwiebeldurft zurülpsen. Über dich fallen nicht schon vor Tagesanbruch wie über einen alten Onkel oder den Gatten einer Kinderfrau eine Anzahl Giganten her, wie sie kaum die Küche des Alcinous durchfüttern könnte. Aber schon schweigt die Muse und zügelt ihre paar Scherzverse, damit man es nicht etwa gar eine Satire nenne.«

Mag der wohlerzogene Römer spotten, wir freuen uns doch der siebenfüßigen Recken, die beim Gelage ihre Lieder singen, und würden gern auf alle Verskünfte des Sidonius Apollinaris verzichten, wenn der Dichter sich herabgelassen hätte, ein einziges von jenen germanischen Liedern aufzuzeichnen, über die er höhnt, oder auch nur eine von den Erzählungen seiner Gäste über den Tod ihres Königs Gunther oder über ihre Teilnahme an der großen Schlacht auf den catalaunischen Feldern gegen Attila.

Wir haben bisher hauptsächlich nur die Landteilung und[348] Ansiedlung der Burgunder und Westgoten ins Auge gefaßt. Es ist damit noch nicht gesagt, daß es bei den anderen germanischen Völkern ebenso zugegangen sei.

Von den Vandalen nimmt man bisher an, daß sie ganz anders verfahren seien. Sie stellten sich von vornherein staatsrechtlich anders zu den Römern. Während die burgundischen Könige sich ihr Land von Aëtius anweisen ließen und sich bis zuletzt als Soldaten des Kaisers, noch nach dem Untergang des weströmischen Kaisertums, des Kaisers in Konstantinopel betrachteten oder wenigstens bezeichneten, und auch die Westgoten ihr Reich lange als einen Teil des römischen Auffaßten, nahm Geiserich Afrika mit Gewalt und ließ es sich bald zu voller Souveränität abtreten. Dann verteilte er sein Volk nicht über das ganze Land, sondern hielt es in dem seiner Hauptstadt Karthago nächstgelegenen Gebiet, der Zeugitana, zusammen, indem er, nach der Schilderung unserer Quellen Procop und Viktor Vitensis, die Römer dort vollständig austrieb. Überlegt man es aber recht, so ist es doch wenigstens nicht ausgeschlossen, daß das Verfahren der Vandalen dem der anderen germanischen Völker sehr ähnlich war. Ihr Gebiet war viel größer, als selbst das der Westgoten; ihre Zahl wohl eher geringer, mehr als 8 bis 12000 Krieger werden sie schwerlich gezählt haben. Daß sie sich also nicht über das ganze nordafrikanische Küstenland ausbreiteten, ist nur natürlich. Das fruchtbare Tunis reichte aus, sie zu ernähren, und sie waren für kriegerische Zwecke besser zur Hand, wenn sie sich dort beisammen niederließen; den Beamten, die der König zur Verwaltung der einzelnen ferneren Landschaften einsetzte, werden nur ganz kleine Exekutionskommandos beigegeben sein. Die Frage ist, ob nun wirklich die Zeugitana vollständig unter die Eroberer verlost oder ob doch auch hier eine Teilung stattgefunden hat, so daß die Römer mit einem gewissen Besitztum ansässig blieben. Die Aussage unserer beiden Quellenschriftsteller ist darüber wenig maßgebend; denn sie sind bei den Vandalen sehr feindlich gesinnt und bestreben sich, ihre Grausamkeit und Härte mit den schwärzesten Farben zu schildern. Ausgeschlossen ist es aber auch nicht, daß sie recht haben.

Bei der Landverteilung, die Odoaker in Italien vornahm[349] und in die nachher die Ostgoten eintraten, scheint es besonders auffallend, daß die Römer hier nur ein Drittel abzugeben hatten, während die Westgoten und Burgunder zwei Drittel genommen haben. Bei der Auslegung aber, die wir dieser Vorschrift jetzt gegeben haben, verliert der Unterschied seine Bedeutung: die Größe des Eingriffs hängt ja nicht sowohl von dem Segment ab, das von dem einzelnen Gute abgeschnitten, sondern von der Gesamtfläche, die in Anspruch genommen wird. Wurde in Italien von dem einzelnen Gut weniger genommen, so wissen wir nicht, ob nicht um so viel mehr Güter für die Teilung designiert worden sind.

Wichtiger als der verschiedene Teilungsquotient scheint daher der andere Unterschied, daß die Ostgoten, wie die Quellen dartun, Grundsteuer bezahlen mußten. Die Burgunder und Westgoten225 taten das nicht, da ja die Landzuweisung sozusagen ihre Besoldung war. Theoderich aber gab dafür seinen Kriegern auch noch eine Barlöhnung, zwar keinen regelmäßigen Sold, aber ein Jahrgeschenk, und er betonte einmal ausdrücklich, daß es der Steuereingang sei, den er nicht etwa wie ein Geizhals für sich nehme, sondern seinen Volksgenossen zukommen lasse.

Über das Verfahren der Langobarden in Italien fehlt es uns an einer zuverlässigen gleichzeitigen Nachricht. Nach der späten Überlieferung, die uns Paulus Diaconus aufbewahrt hat, scheint es, als ob sie die römische Aristokratie einfach vertrieben und ausgerottet und sich an ihre Stelle gesetzt haben.

Die germanischen Völkerschaften auf dem romanischen Boden sind ursprünglich nichts als Heere. Ihre erste Ansiedlung wird betrachtet wie eine Art Einquartierung. Die Heerführer, die germanischen Könige, nehmen dann auch die bürgerliche Verwaltung in die Hand; sie regieren das Land durch die Grafen, die sie einsetzen, an Stelle der ehemaligen römischen Beamten; die Landabtretung ist nicht das eigentlich Fundamentale und Maßgebende, sie ist eine teilweise Ablösung der Steuer-, Lieferungs- und Einquartierungslast. Das Maßgebende und Entscheidende ist, daß vermöge und durch Vermittlung des germanischen Kriegs- und[350] Heerwesens das gesamte germanische Staatswesen mit allen seinen Rechts- und Sozialbegriffen allmählich an Stelle des römischen gesetzt oder ihm eingeimpft wird.

Eine Entwicklungsreihe der neueren Epoche der Geschichte mag eine Parallele zu dieser germanisch-romanischen Staatsbildung liefern, ich meine die Verwaltungsorganisation des preußischen Staates. Wie die Burgunder und Goten ursprünglich nichts sind, als das Heer, das um der Beschaffung seiner Bedürfnisse willen auch die bürgerliche Verwaltung und einen Teil des Besitzes in die Hand nimmt, so sind es die ursprünglichen Verpflegungsbehörden der Armee, aus denen die preußische Verwaltung hervorgegangen ist. An die Stelle der römischen Staats- und Kommunalbeamten trat der von seinem König eingesetzte germanische Graf für einen Bezirk, der etwa dem einer alten germanischen Völkerschaft entspricht. Aus den Marsch-, Einquartierungs- und Verpflegungskommissaren der brandenburgischen Armee in und nach dem dreißigjährigen Kriege wurden die Landräte, die Kriegskammern, das Generaldirektorium; aus der Eintreibung der Lieferungen, Leistungen und Steuern für die Erhaltung der Armee erwuchs ein System der fürsorgenden Verwaltung für das ganze Land, aus der brandenburgisch-preußischen Armee der preußische Staat.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 335-351.
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