Vorwort

[5] Der erste Teil meiner Geschichte des Altertums, den ich zu Anfang des Jahres 1909 in neuer Gestaltung vorgelegt habe, führt die Entwicklung aller geschichtlich bekannten Völker und Kulturen des Kulturkreises der Mittelmeervölker bis ins sechzehnte vorchristliche Jahrhundert hinab. Von da an werden die Beziehungen der einzelnen Gebiete so intensiv und mannigfach, daß eine einheitliche Darstellung der bis dahin in gesonderten Betten, wenn auch nie ohne gegenseitige Beeinflussung, verlaufenden Einzelentwicklungen geboten wird. Zugleich ist durch diese Gliederung des Stoffs der Vorteil erreicht, daß alle die zahlreichen Probleme, welche an die geschichtlichen Anfänge der Einzelvölker anknüpfen, und vor allem die mit ihnen verbundenen ethnographischen und kulturellen Fragen in diesem Bande besprochen sind und die weitere Darstellung nicht mehr belasten werden. Außerdem aber war es so möglich, die Einzelentwicklungen unter den zusammenfassenden Gesichtspunkt der Entwicklung menschlicher Kultur und geschichtlichen Lebens überhaupt zu rücken, ein Problem, auf das ich im Schlußabschnitt nochmals zurückgekehrt bin und das diesen Teil mit dem vorausgeschickten ersten Halbband, der die allgemeinen Fragen theoretisch analysiert, zu einer engeren Einheit zusammenfaßt.

[5] Auf die zahlreichen Einzeluntersuchungen, welche die Aufgabe erforderte, habe ich schon im Vorwort zum ersten Halbband hingewiesen. Ohne das reiche Material, welches mir die Schätze und die Bibliotheken der königlichen Museen zur Verfügung stellten, hätte ich diesen Band nicht schreiben können. Zu besonderem Danke bin ich für die Mithilfe bei der zweiten Auflage den Herren H. RANKE, A. UNGNAD und vor allem dem im Jahre 1911 so früh einer vielverheißenden, ständig vorwärts schreitenden wissenschaftlichen Wirksamkeit entrissenen L. MESSERSCHMIDT verpflichtet, die mich bei der Korrektur der beiden ersten Bücher durch zahlreiche Einzelbemerkungen unterstützt haben. Bei dem Abschnitt über die aegaeisch-kretische Kultur haben mir in gleicher Weise die Herren F. NOACK und R. ZAHN, für die Abschnitte über die Indogermanen und Arier mein lieber Kollege W. SCHULZE geholfen. Mit G. STEINDORFF habe ich nicht nur die Probleme der Transkription der aegyptischen Namen eingehend verhandelt, sondern er hat mir auch sonst zu dem ersten Buch zahlreiche wertvolle Bemerkungen gegeben. Ganz besonderen Dank aber schulde ich auch diesmal wieder HEINRICH SCHÄFER, mit dem ich alle Hauptprobleme, welche die beiden ersten Bücher behandeln, eingehend durchgesprochen habe und der mir sein reiches und sicheres Wissen auf allen Gebieten der orientalischen Altertumskunde jederzeit zur Verfügung gestellt hat. –

Diese Sätze habe ich aus dem Vorwort zur zweiten Auflage (4. November 1908) übernommen.

Rascher als sich erwarten ließ, ist inzwischen die starke Auflage vergriffen worden. Ich bin in diesen Jahren nicht im Stande gewesen, wie ich gehofft hatte, die Fortsetzung meines Werks zu fördern, da meine Arbeitskraft zunächst [6] durch meine Tätigkeit als Austauschprofessor in Amerika (Winter 1909 auf 1910), dann durch die Dekanatsgeschäfte vollständig in Anspruch genommen und dadurch so erschöpft war, daß eine längere Ausspannung unumgänglich wurde. Erst im letzten Herbst wurde es mir möglich, zu meinem Werk zurückzukehren. Da habe ich zunächst den vorliegenden Band aufs neue durchgearbeitet, um nunmehr, wie ich hoffe, ohne neue Störung die weitere Fortsetzung in Angriff nehmen zu können.

Bei der neuen Auflage habe ich versucht, alles inzwischen neu erschlossene Material zu sammeln und zu verwerten und im übrigen alle wichtigen Fragen noch einmal durchzudenken und nachzuprüfen. Dadurch sind zahlreiche Änderungen und Erweiterungen nötig geworden; und so ist das erste Buch (Aegypten) um 24, das zweite Buch (Babylonien und die Semiten) um 51, das dritte Buch (Die Völker des Ostens und Nordens) um 16 Seiten gegen die vorige Auflage gewachsen. Doch war es möglich, mit kleinen Verschiebungen und durch Einschiebung einzelner Zusatzparagraphen1 die alte Verteilung des Stoffs und die Paragraphenverteilung in allem wesentlichen festzuhalten.

In Aegypten ist der Zuwachs an wirklich neuem Material in den letzten vier Jahren nicht allzugroß gewesen; abgesehen von der genaueren Erforschung Nubiens und seiner alten Nekropolen (§ 165 a) haben nur noch die Dekrete von Koptos eine wesentliche Erweiterung unserer Kenntnisse gebracht (§ 268 a), bei denen ich lebhaft bedaure, die meine Angaben mehrfach berichtigenden Arbeiten von GARDINER,[7] PSBA. 34, 258ff., MORET, J. As., Juillet-Août 1912 und SETHE, Gött. Gel. Anz. 1912, 705ff. nicht mehr haben benutzen zu können. Um so reicher ist das neue Material für Babylonien, vor allem die neue Königsliste SCHEILS (§ 329 a) und die von diesem und mit unermüdlichem Eifer von THUREAU-DANGIN in jedem Heft der Revue d'Assyriologie publizierten neuen Einzelfunde. Außerdem hat KUGLER ein astronomisches Datum ermittelt (§ 328), welches die Chronologie der älteren Zeit, bis auf den Beginn der Kossaeerzeit, auf eine neue Grundlage stellt. So mußten hier der dritte und vierte und ein großer Teil des fünften Abschnitts von Grund aus umgearbeitet wer den, ja den Abschnitt über das Reich von Akkad habe ich auf Grund des von POEBEL mitgeteilten Materials (§ 397 a) während des Drucks noch einmal umgestalten müssen. Außerdem hielt ich es für geboten, die Geschichte von Elam, so lückenhaft und unzusammenhängend sie ist, eingehender zu berücksichtigen als ich es früher getan hatte. Völlig zusammenhangslos sind in allem wesentlichen auch noch immer die Nachrichten über die ältere Geschichte Assyriens bis in die Mitte des zweiten Jahrtausends; jeder neue Fund stellt uns vor neue Rätsel, so vor allem das jetzt für die Tontafeln aus der kappadokischen Kolonie der Assyrer gefundene Datum (§ 435)2. So wird man es begreifen, daß ich mich hier in der neuen Auflage viel reservierter gehalten habe als in der vorigen: der Versuch, die isolierten Notizen zu einem Gesamtbilde [8] zu vereinigen, hat sich als voreilig erwiesen. Das gilt überhaupt von der gesamten Geschichte der mesopotamischen Welt und der angrenzenden Gebiete in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends; wir dürfen aber erwarten, hier in den nächsten Jahren noch ganz neue Aufschlüsse zu erhalten. Um so erfreulicher ist es, zu verfolgen, wie sich die Geschichte Babyloniens im dritten Jahrtausend immer mehr zusammenschließt und immer reicheres Leben gewinnt; wir dürfen mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß die Funde sich hier ständig weiter mehren und die noch vorhandenen Lücken sich dadurch füllen werden.

Meine Erwartung allerdings, daß ich an dieser Stelle bereits wichtige Nachträge auf Grund der von der Deutschen Orientgesellschaft während der letzten Monate unternommenen Versuchsgrabung in Warka würde geben können, hat sich nicht erfüllt. In diametralem Gegensatz zu den Intentionen seiner Auftraggeber hat sich der Leiter der Ausgrabungen mit kaum begreiflicher Hartnäckigkeit in die Aufdeckung von Bauten der seleukidischen und parthischen Zeit verbissen und alles andere darüber vernachlässigt. Es ist mit Bestimmtheit zu erwarten, daß nachdem diese Episode vorüber ist, die Raubgrabungen, die uns in letzter Zeit schon so viele wertvolle Dokumente aus Warka gebracht haben, von neuem beginnen und zahlreiche weitere Monumente aus der Zeit des Reichs von Sumer und Akkad und der vorhergehenden Dynastien von Uruk ans Licht fördern werden, die aufzusuchen der deutsche Ausgräber verschmäht hat.

Im dritten Buch erforderten die Abschnitte über Kreta eine eingreifende Umgestaltung; hier hatte ich, durch die unglückliche EVANSSCHE Terminologie verführt, in der vorigen Auflage das Middle Minoan III ganz falsch aufgefaßt. Dabei [9] hat mir HUGO PRINZ mehrfach geholfen; vor allem aber danke ich ihm für eine Reihe sehr wertvoller und fördernder Bemerkungen über die Denkmäler der Chetiter.

Bei der Durchsicht des Abschnitts über die Kulturanfänge in Europa und des Schlußkapitels habe ich mich der Beihilfe HUBERT SCHMIDTS erfreuen können; zu § 600 hat mir F. v. LUSCHAN sehr dankenswerte Berichtigungen gegeben. Zu den Abschnitten über die Indogermanen und Arier dagegen war, abgesehen von LÜDERS' richtiger Erklärung des Varuna (§ 586), wenig Neues hinzuzufügen.


Berlin-Lichterfelde, den 12. Juni 1913.


Eduard Meyer.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. V5-XI11.
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