Das Perserreich. Niederwerfung der Aufstände. Die Tyrannen. Klearchos von Heraklea

[472] Der große Satrapenaufstand, dessen Anfänge im J. 366 wir kennengelernt haben (o. S. 441ff.), hatte sich in den nächsten Jahren zu gewaltigen Dimensionen entwickelt875. Die Intervention Athens und Spartas hatte Ariobarzanes Luft gemacht; Autophradates wagte keinen ernsthaften Kampf mehr. Der Satrap von Armenien, Orontas, des Königs Schwiegersohn (vgl. o. S. 307), trat den Aufständischen bei, Datames konnte eine Zeitlang über den Euphrat vordringen. Die phönikischen Städte, vor allem Sidon, erhoben sich, ebenso die Kiliker; die Pisider und Lykier traten mit den Rebellen in Verbindung. König Tachos von Ägypten gab Geld und Schiffe; große Scharen griechischer Söldner wurden angeworben; Maussollos machte aus seinen Sympathien kein Hehl, selbst Autophradates, der sich in Lydien völlig isoliert sah, ist eine Zeitlang dem Bunde beigetreten: es konnte scheinen, daß die westliche Hälfte des Reichs sich in eine Anzahl selbständiger Fürstentümer auflösen werde. Aber eben darin lag die Schwäche der Erhebung: jeder der Satrapen wollte für sich möglichst viel gewinnen und war bereit, sich wieder mit dem König zu vertragen und die Genossen zu verraten, wenn dieser ihm Belohnungen in Aussicht stellte; und daher mißtraute jeder dem anderen. Die königliche Regierung machte sich diese Tendenzen zunutze. Orontas876, der das Landheer führen sollte und den Krieg in Syrien [473] organisierte, ließ sich durch das Versprechen einer Küstensatrapie in Kleinasien gewinnen, ging zum König über und lieferte ihm aus, was von Rebellen in seinen Händen war; nicht anders verfuhr Rheomithres877, der von Tachos Geld und Schiffe erhalten und sich damit in Leukä an der Hermosmündung (o. S. 309) festgesetzt hatte (um 362 v. Chr.). Damit war dem Aufstand die Kraft genommen: Autophradates trat wieder zum König zurück und nahm in Troas den Rebellen Artabazos gefangen (um 363), der durch seine Schwäger, die Rhodier Mentor und Memnon, ein Söldnerheer angeworben hatte. Diese Truppen übernahm der Kondottiere Charidemos (o. S. 465), besetzte Skepsis und Kebren im Skamandertal und eroberte Ilion. Aber Autophradates entließ Artabazos, nachdem dieser versprochen hatte, für die Sache des Königs zu kämpfen; dafür wurde ihm der Hauptteil der Provinz des Ariobarzanes zugesagt878, während Orontas Mysien (d.i. Teuthranien) [474] mit Pergamon und den äolischen Küstenstädten erhielt. Charidemos mußte im J. 360 das Idagebiet räumen und in die Dienste des Thrakerkönigs zurückkehren (o. S. 465. 472). Ariobarzanes wurde durch den eigenen Sohn Mithridates verraten und gefangen ausgeliefert; er hat am Kreuze geendet879. Schließlich gelang es dem Mithridates, gleichfalls durch Verrat, auch des Datames Herr zu werden; er stellte sich, als sei er vom König abgefallen, und stieß den Rebellen bei einer Zusammenkunft, zu der dieser sich trotz alles Mißtrauens hatte bewegen lassen, mit einem im Boden versteckten Schwert nieder880. So war, als zu Ende des J. 359 Artaxerxes II. starb und sein energischer Sohn Ochos unter dem Namen Artaxerxes III. den Thron bestieg, die Autorität des Reichs fast überall wiederhergestellt; nur Ägypten (vgl. o. S. 459) hatte man auch diesmal nicht wieder unterwerfen können.

Die Griechenstädte des Perserreichs sind durch diese Wirren auf das mannigfachste in Mitleidenschaft gezogen. Vielerorts erheben sich ehrgeizige Parteihäupter oder Söldnerführer, um sich mit Hilfe der persischen Machthaber oder im Kampfe gegen sie eine Tyrannis zu gründen. So in Lampsakos Philiskos881, Ariobarzanes' Günstling (o. S. 442. 445), in Abydos Iphiades882, der sich als Mittelsmann im Kampfe zwischen Oligarchie und Demos der Gewalt bemächtigte. Beide haben Athen nach Kräften Abbruch getan. Philiskos wurde ermordet, ebenso später ein anderer Tyrann Astyanax. Auch Charidemos hat in Troas eine Herrschaft zu begründen gesucht (o. S. 474). Erfolgreicher war in der Äolerstadt Atarneus Eubulos, der auch Assos am Ida gewann. Am mächtigsten aber wurde Klearchos in Heraklea am Pontos. Diese Stadt, wohlhabend und Herrin eines großen Gebiets, dessen Bauern, die [475] eingeborenen Mariandyner, den Städtern als Leibeigene dienten, Mutterstadt von Kallatis in der Dobrudscha und Chersonesos (Sewastopol) auf der Krim883, hätte sich eines ruhigen Daseins erfreuen können, zumal sie der Persermacht seit dem Verfall des Reichs kaum erreichbar war, wäre nicht auch hier der Hader zwischen Oligarchen und Demos, zwischen arm und reich ausgebrochen, der sich zunächst um die Besetzung von Rat und Gericht drehte. Die inneren Wirren benutzte im J. 364 Mithridates, wahrscheinlich der Sohn des Ariobarzanes, um die Stadt anzugreifen. Die Regierung wandte sich um Hilfe erst an Timotheos, dann an Epaminondas, der gerade in Byzanz war (o. S. 449); keiner von beiden hatte die Macht, ihr zu helfen. So blieb ihr nichts übrig, als sich einem ehrgeizigen Exulanten in die Arme zu werfen, dem Klearchos, der in der Nähe ein Söldnerheer gesammelt hatte, wie es scheint, im Dienst des Mithridates. Klearchos war ein hochgebildeter Mann; er hatte in Athen studiert, Isokrates' Lehrkursus vier Jahre lang durchgemacht, auch Plato gehört884; sein Ziel war die Gewinnung der Macht in der Heimat. In allem hatte er sich Dionysios zum Vorbild genommen. Jetzt schloß er ein heimliches Abkommen mit Mithridates; dann führte er seine Söldnerscharen in die Stadt, überfiel nach kurzer Zeit den Adelsrat, ließ die Gefangenen hinrichten, das Vermögen der Gegner einziehen, ihre Sklaven in die Bürgerschaft aufnehmen; als Haupt der Demokratie, im Kampf gegen die herrschende Faktion, die ihn gerufen hatte, begründete er die Monarchie und inaugurierte sie wie Dionys mit einer sozialen Revolution. Nach außen hat er sich tüchtig bewährt; er schlug die Exulanten zurück, nahm Mithridates gefangen und erpreßte von ihm ein großes Lösegeld. Die Nachbarstädte Tieon und Kieros und ein Teil der paphlagonischen Küste erkannten seine Herrschaft an. Im Inneren zeigte er sich mißtrauisch und grausam und dabei eitel und prachtliebend; nur in glänzender [476] Gewandung trat er auf, ja er verlangte göttliche Ehren, wie Lysander als Herrscher von Hellas. Doch hat er die geistigen Interessen nicht vernachlässigt: er ist der erste Herrscher, von dem wir wissen, daß er eine Bibliothek gegründet hat. Nach zwölfjähriger Regierung (363-352) erlag er einer Verschwörung, an deren Spitze sein Verwandter Chion stand, ein Schüler Platos: auch hier waren es, wie auf Sizilien, die idealen, von der Akademie gepflegten Gedanken, die sich gegen die brutale Gewalt erhoben und zur Verwirklichung ihrer Pläne vor dem Mord nicht zurückschreckten. – Die Verschworenen haben den Tyrannen getötet, aber die Tyrannis nicht beseitigen können: sie selbst wurden von den Leibwächtern niedergehauen, die Herrschaft behauptete Klearchs Bruder Satyros für seinen Neffen Timotheos885.

Wenn so das Perserreich nicht minder ein Bild der Zersetzung bietet wie Griechenland und mehr und mehr in ein lockeres Bündel einzelner Gebiete zu zerfallen droht, von denen jedes seinen eigenen Weg geht, so unterscheidet es sich von der Griechenwelt dadurch, daß die schon aus den Fugen weichende Einheit doch immer wieder hergestellt wird, vor allem weil es den Machthabern an dem rechten Willen fehlt, sie zu sprengen. Die Satrapen wollen sich schützen gegen die Launen des Hofs und möglichste Selbständigkeit gewinnen; aber sie empfinden, daß sie ohne den Rückhalt am Reich auf die Dauer nicht bestehen können. Artaxerxes III. hat es an energischen Zugreifen nicht fehlen lassen. Wie er am Hof alle seine Verwandten umbringen ließ, um seinen Thron zu festigen, so ist er gegen die Rebellen mit blutiger Strenge vorgegangen. Den Machthabern in Kleinasien sandte er im J. 356 den Befehl, ihre Söldnerheere zu entlassen886. Die meisten wagten nicht, dem Befehl zu trotzen; Artabazos aber, jetzt Satrap von Phrygien, und Orontes [477] in Teuthranien nahmen aufs neue ihre Zuflucht zur Empörung (u. S. 481). – Gesicherter war die Stellung des Maussollos887 in Karien; er hatte sich bei keiner Rebellion ernstlich kompromittiert, wohl aber die Herrschaft über seine Satrapie immer mehr gefestigt, so daß dieselbe sich zu einem einheitlichen Reich zu entwickeln im Begriff war. Dabei hat der König ihn unbehelligt gelassen; er konnte stets weiter um sich greifen. Längst hatte er das Streben, auch in den Besitz der vorliegenden Inseln zu gelangen. Er knüpfte mit den aristokratischen Parteien Beziehungen an; es war auf seinen Anlaß und im Vertrauen auf den Rückhalt, den er gewährte, daß Rhodos, Kos und Chios im J. 357 den Athenern aufsagten.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 472-478.
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