Ägypten. Das Reich von Meroë

[150] Ägypten ist wie die letzte, so auch die am schwersten zu behauptende der persischen Eroberungen gewesen239. Durch umfassende Vorsichtsmaßregeln haben die Perser ihre Herrschaft zu sichern gesucht. Die Wüstenstraße durch Syrien wurde mit Wasser versorgt (o. S. 137), in der Zitadelle von Memphis und in den Festungen Daphne und Elephantine, ursprünglich wohl auch in Marea an der libyschen Grenze, lagen starke persische Besatzungen240. Der Statthalter wurde besonders argwöhnisch überwacht; als der noch von Kambyses eingesetzte Satrap Aryandes in den Verdacht geriet, sich unabhängig machen zu wollen – die Tradition erzählt, er habe sich dadurch verraten, daß er besonders feines Silber ausprägte –, ließ Darius ihn beseitigen241. Aus der Provinz zogen die Perser 700 Talente (4921000 Mark), dazu die Summen, die der Fischfang im Mörissee abwarf242; außerdem hatte [150] das Land die Verpflegung der Besatzung zu liefern. Die Regierung hat die Pflicht, die gemeinnützigen Anlagen instand zu halten, nicht vernachlässigt, so den Damm oberhalb Memphis, der die Stadt gegen Überschwemmungen sicherte243. In wie großartiger Weise sie die aus Ägyptens Weltstellung erwachsenden Aufgaben löste, haben wir schon gesehen: der Kanal vom Nil nach Suez, die direkte Schiffahrtsverbindung vom Niltal und vom Mittelländischen Meer nach Saba, Persien und Indien ist Darius' Werk. Überhaupt ist die kommerzielle Bedeutung Ägyptens noch immer gewachsen; das Land war voll von phönikischen und griechischen Kaufleuten244 und Reisenden, die lästigen Beschränkungen, welche Amasis ihnen hatte auferlegen müssen, waren weggefallen. Darauf beruht es, daß die Bedeutung von Naukratis abnimmt: ganz Ägypten stand jetzt den Fremden offen.

Die Grenzlande im Westen waren der Satrapie einverleibt: die für den Wüstenhandel wichtigen Oasen Hibis (El Charge) und die Dattelpalmenoase (Siwa, Ammonium) mit ihren Amontempeln und Orakeln, die kriegerischen libyschen Stämme und die Griechen von Kyrene. Als um 510 Pheretime, die Mutter des in Barka erschlagenen Königs Arkesilaos III. von Kyrene (Bd. III2 S. 626f., sich um Rache an den Satrapen Aryandes wandte, entsandte dieser eine Flotte und ein starkes Heer, das Barka eroberte und schwer strafte – ein Teil der Einwohner wurde fortgeschleppt und in Baktrien angesiedelt245. Offenbar ergriff man die Gelegenheit gern, die Macht des Reichs in diesen abgelegenen Gebieten zu zeigen. Bis nach Euhesperides an der Syrte sind die Perser vorgedrungen. Damals wird wohl auch Arkesilaos' Sohn, Battos IV., in Kyrene eingesetzt sein, wenngleich die Stadt der Gefahr einer Besetzung durch die Perser durch einen Zufall entging.

Die Südgrenze gegen Äthiopien war durch Kambyses' Expedition (Bd. III2 S. 191f. gesichert, wenn auch sein Versuch, [151] durch die Wüste in den Sudan vorzudringen, gescheitert war. Aber das nubische Vorland ist damals den Persern untertan geworden; alle zwei Jahre lieferte es dem König zwei Maß Gold, 200 Blöcke Ebenholz, 20 große Elephantenzähne und 5 Negerkinder246. An eine Erneuerung der Angriffe gegen das untere Niltal haben die Könige von Kusch nicht wieder denken können247. Der Schwerpunkt ihres Reichs verschiebt sich von der heiligen Hauptstadt Napata (jetzt Meraui) in dem engen Niltal unterhalb des vierten Katarakts nach Meroë (Berua) im Sudan (jetzt Begerawie unterhalb von Schendi), von dessen Größe und Reichtum man sich in der Mittelmeerwelt bald Wunderdinge erzählte. Von hier aus haben die Könige der Perserzeit, Pianchi IV. Arur, Horsiatef, Nastosenen, zahlreiche Feldzüge gegen die Negerstämme des Sudans unternommen, von denen ihre Inschriften berichten248. Aloa am Blauen Nil, das heutige Sennaar, und Qens, das heutige Nubien, sind die beiden Hauptlande des Reiches Kusch oder Äthiopien. Es war ein seltsames Gebilde. Dem Anschein nach war es ein hochkultivierter Staat, der sich als echten Erben des Pharaonenreichs betrachtete; in ihren Inschriften führen die Könige dieselbe Titulatur wie die Herrscher Ägyptens, sie nennen sich Söhne des Rê', Herrn der beiden Lande, Lieblinge der großen Götter Ägyptens, sie tragen einen Thronnamen, sie bauen Tempel und Pyramiden und schmücken dieselben mit den Formeln des Totenbuchs. Aber unter dieser Hülle verbirgt sich überall der echt afrikanische Charakter; »die Krone des Negerlandes« nennt Horsiatef die Krone, die Amon ihm verleiht. So artet denn auch die Priesterherrschaft und die Pflege der Orthodoxie in eine groteske Farce aus. In allen Dingen, über Krieg und Frieden, über Streitigkeiten, [152] über die Thronfolge entscheidet das Orakel des Gottes Amon vom heiligen Berge (Gebel Barkal bei Napata): er sucht aus den Prinzen den geeigneten Herrscher aus, er sendet dem König auch den Befehl, sich den Tod zu geben, wenn er den Priestern nicht mehr gefällt, und dieser Befehl wird unweigerlich befolgt. Bei den Streitigkeiten um die richtige Lehre kommt es zu Exkommunikationen und blutigen religiösen Kämpfen, die sich mit politischen Kämpfen verbinden249. Das Herrscherhaus, welches zur Zeit der 26. Dynastie regierte und wohl auf Taharqa und Tanuatamon (Bd. III2 S. 76ff. 81ff. zurückging, scheint in diesen Kämpfen erlegen zu sein; auf den Urkunden sind die Namen der ihm angehörenden Herrscher sorgfältig getilgt.

Durch Tradition und Kultur nahm Ägypten dieselbe Stellung ein wie Babylon, und so sind auch seine Schicksale in der Perserzeit denen Babyloniens gleichartig gewesen. Zwar hat Kambyses die Tempel geplündert, die Götter verhöhnt, den Apis verwundet, aber offiziell ist er in Ägypten als legitimer Nachfolger der Pharaonen aufgetreten, wie in Babylon als der Nebukadnezars. Er und seine Nachfolger führen die alte Königstitulatur und einen Thronnamen; Kambyses hat der Neith von Sais und ihrer Priesterschaft seine Verehrung bezeugt, die Wiederherstellung ihrer Feste und die Reinigung ihres Heiligtums von fremdem Greuel befohlen, die Oberpriester der Tempel ernannt. Noch ganz anders kam Darius der Priesterschaft entgegen. Er beschied den Oberpriester von Sais, Uzahor, zu sich nach Susa ('Elam) und entsandte ihn mit umfassenden Aufträgen zur Wiederherstellung des verfallenen Hierogrammatenkollegiums, des »Hauses des Lebens«, für das er zahlreiche Kinder erziehen ließ250. Auch er selbst ist nach Ägypten gekommen; der priesterlichen Tradition gilt er als ein weiser und gerechter Fürst251, als der letzte der großen Gesetzgeber des Reichs. Gleich nach der Übernahme der Regierung, im Jahre 519, ließ er durch den Satrapen »die Weisen aus den Kriegern, Priestern und [153] Schriftkundigen Ägyptens« zu einer großen Versammlung berufen, »um das frühere Recht Ägyptens bis zum Jahre des Pharao Amasis (526) aufzuzeichnen«. Die Kommission hat bis zum Jahre 503 an dem Rechtsbuch gearbeitet, das in aramäischer (syrischer) und demotischer Schrift aufgezeichnet wurde. Ohne Zweifel sind zahlreiche neue Verfügungen des Darius hinzugekommen252. Vermutlich hat er der Priesterschaft ihre Privilegien und die Steuerfreiheit ihres Grundbesitzes bestätigt, während diese der Kriegerkaste genommen sein wird253. Darius hat in Memphis und Edfu an den Tempeln gebaut und in Hibis in der großen Oase den Amontempel begonnen. In der Verwaltung des Landes werden neben den Persern zahlreiche Eingeborene verwendet, Mannschaften aus der Kriegerkaste kämpfen auf dem starken Schiffskontingent, welches Ägypten jetzt zur Reichsflotte zu stellen hat. Die Fremdherrschaft konnte dauernd begründet scheinen. Ist doch sogar die Erzählung aufgebracht und verbreitet worden, Kambyses sei eigentlich der Sohn des Kyros von einer Tochter des Apriës, also der legitime Pharao im Gegensatz zu dem Usurpator Amasis254. Auf religiösem Gebiete hatte die Priesterschaft freie Hand; der Kultus all der lokalen Gottheiten, namentlich des Delta, prangte in vollem Glanze. Immer zahlreicher wurden die Scharen, die zu den heiligen Tieren wallfahrteten, vor allem zum Apisstier von Memphis, daneben zum Mnevisstier von Heliopolis und zum heiligen Ziegenbock von Mendes. Alle alten Riten wurden beobachtet, von der Berührung mit allem Unreinen, dem Zusammenspeisen mit Fremden255, dem Benutzen fremder Werkzeuge, mit denen möglicherweise eine Kuh geschlachtet sein konnte – der größte Frevel in den Augen des Ägypters –, hielt man sich peinlich fern, Aberglaube und magische Spekulationen standen in voller Blüte. So fühlte sich die Priesterschaft unter der neuen Ordnung ganz wohl. So vollständig freilich [154] wie in Meroë oder in dem Bilde, das man sich von den alten Zeiten machte, war das Ideal nicht erfüllt; aber auch die Herrschaft der 26. Dynastie war nicht viel besser als eine Fremdherrschaft gewesen. Nicht wenige scheinen dauernd auf seiten der Perser geblieben zu sein256.

Aber es kam anders. Gerade das Entgegenkommen und die Nachsicht der Regierung gab den Extremen freie Hand, die auf eine Restauration der alten Herrlichkeit hofften. Den Ausschlag hat gegeben, daß die libysche Bevölkerung, welche im westlichen Delta saß, den Verlust ihrer dominierenden Stellung unter der 26. Dynastie nicht verschmerzen konnte und in ihrer für ein von Osten kommendes Heer schwer angreifbaren, durch Nilarme und Sümpfe geschützten Lage immer aufs neue die Lockung zum Abfall empfand. Darius hat das Scheitern seiner ägyptischen Politik selbst noch erlebt; die Schlacht bei Marathon, die erste Niederlage, welche die Perser erlitten, und die Anbahnung des großen Konflikts mit Griechenland gaben das Signal zum Aufstand (486)257. [155] Ganz Ägypten gewann die Freiheit und konnte sie dank dem Thronwechsel im Reich etwa zwei Jahre lang genießen. Aber als die persischen Rüstungen vollendet waren, hat Xerxes im Jahr 484, wie es scheint ohne schwere Kämpfe, das Nilland wieder unterworfen, um dieselbe Zeit, wo Megabyzos die letzte Empörung Babylons bezwang. Xerxes setzte seinen Bruder Achämenes zum Satrapen ein und »machte Ägypten viel geknechteter, als es unter Darius gewesen war« (Herod. VII 7). Mit der Rücksicht auf die nationalen Empfindungen war es vorbei, hier wie in Babylon. Keiner der späteren Perserkönige hat an einem Tempel des Niltals gebaut; nur in der großen Oase ist der Amonstempel unter Darius II. vollendet worden. Die Ägypter haben wohl gemurrt, aber schwerlich hätten sie es vermocht, sich aus eigener Kraft noch einmal zu erheben. Den libyschen Häuptlingen im Delta dagegen hat die Verschiebung der Verhältnisse am Mittelmeer es ermöglicht, die Rebellion noch mehrmals zu wiederholen, ja schließlich zwei Generationen lang ein selbständiges Pharaonenreich wiederherzustellen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 150-157.
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