Verhältnisse auf Sizilien. Beginn der Feindseligkeiten

[219] Auf Sizilien war man auf den kommenden Krieg in keiner Weise vorbereitet. Wenn die Städte sich rechtzeitig zu gemeinsamer Abwehr verbanden, so konnten sie Schiffe genug aufbringen, um den Athenern womöglich gleich bei der Überfahrt von Korkyra aus den Weg zu verlegen – denn an eine Fahrt quer durch das offene Meer dachte man damals noch nicht. Dann war es der durch die Transportschiffe und die starke Belastung behinderten attischen Flotte kaum möglich, eine Seeschlacht zu wagen; selbst aber wenn die Kriegsschiffe sich frei machten und die Sikelioten zurückdrängten, kam die Expedition doch bei dem Mangel jedes Stützpunktes und der ablehnenden Haltung Tarents und der übrigen Griechenstädte Unteritaliens sofort in eine sehr schwierige Lage und konnte Sizilien überhaupt nicht oder nur in sehr geschwächtem Zustande erreichen. – Wollte man sich aber zu so kühnem Vorgehen nicht entschließen, so mußte man wenigstens das Kriegsmaterial rechtzeitig instand setzen, eine Konföderation der Städte Siziliens und Unteritaliens organisieren und vor allem Sparta und Korinth um Unterstützung angehen und zur Erneuerung des Krieges in Griechenland antreiben. Auch von Karthago mochte man Hilfe und vor allem Subsidien zu er langen versuchen; war es doch durch das athenische Unternehmen in letzter Linie nicht minder bedroht als die Griechen Siziliens. Indessen nichts von dem allem geschah, so sehr in Syrakus Hermokrates (s.S. 115), der bedeutendste Staatsmann unter den Konservativen, darauf drängte. Die Demokraten, geführt von Athenagoras, erklärten die Behauptung, daß Athen[219] einen großen Angriff auf Syrakus und die ganze Insel plane, für ein durchsichtiges Manöver der Oligarchen und der durch ihr Alter von der Bekleidung der Ämter ausgeschlossenen vornehmen Jugend (Bd. IV 1, 607). Syrakus könne gar nichts Erwünschteres begegnen, als wenn die Athener wirklich nach Sizilien kämen, da sie dann der sicheren Vernichtung nicht entgehen würden; eben deshalb aber sei es unsinnig, ihnen etwas Derartiges zuzutrauen und den von Hermokrates und seinen Genossen verbreiteten Gerüchten Glauben zu schenken. Vielmehr beabsichtigten diese nur, die Stadt aufzuregen und unter dem Kriegslärm sich gesetzwidrig in die Ämter zu bringen und die Verfassung umzustürzen; man müsse also doppelt gegen sie auf der Hut sein. Auf alle Fälle genügten die vorhandenen Machtmittel und Behörden vollständig, um Syrakus zu schirmen, was immer Athen unternehmen würde198. Die amtierenden Strategen erklärten, sie würden sorgfältige Erkundigungen einziehen und dafür sorgen, daß Syrakus nicht unvorbereitet überfallen werde; aber getan wurde nichts, und so ließ Syrakus es geschehen, daß die feindliche Macht die Insel ungehindert erreichen und den Krieg eröffnen konnte, wann und wo es ihr beliebte.

Der Widerstand war nicht organisiert, aber willkommen waren die Athener nirgends. Man wagte nicht, sie zu bekämpfen, aber [220] noch weniger wollte man sie unterstützen und so bei der Knechtung des Westens mithelfen. Die Städte Unteritaliens sperrten ihnen Tore und Markt, Tarent und Lokri duldeten nicht einmal, daß sie an ihren Küsten ankerten und Wasser einnahmen. Auch Rhegion, der alte Bundesgenosse, verhielt sich ablehnend; es gestattete, daß die Athener auf seinem Gebiet lagerten und eröffnete ihnen einen Markt vor den Toren, erklärte aber, in seiner Politik werde es sich von den übrigen Italioten nicht trennen. Auf Sizilien war die Stimmung nicht anders. In Syrakus hatte man sich endlich von dem Ernst der Situation überzeugt; man begann schleunigst das Gebiet in Verteidigungszustand zu setzen, die Garnisonen bei den Sikelern zu verstärken, Fußvolk und Reiterei auszurüsten. Währenddessen setzten die attischen Feldherren den Operationsplan fest. Es hatte sich inzwischen ergeben, daß in Segesta wenig zu holen sei, weder an Geld noch an Truppen. Um so mehr mahnte Nikias, sich auf größere Unternehmungen nicht einzulassen, sondern streng inner halb der offiziellen Instruktion zu bleiben; man solle Segesta die verheißene Hilfe leisten und Selinus durch Gewalt oder Verhandlungen zum Frieden zwingen, im übrigen aber über eine Schaustellung der attischen Macht nicht hinausgehen. Biete sich eine Gelegenheit, ohne ernstlichen Kampf den Leontinern zu helfen, so möge man sie ergreifen, auch Bündnisse abschließen, wenn eine der Städte dazu bereit sei; aber einen größeren Krieg solle man vermeiden und nicht die Mittel Athens und schließlich seine Existenz aufs Spiel setzen. Im Gegensatz dazu forderten die beiden anderen energische Kriegführung, vor allem gegen den tatsächlichen Hauptgegner Syrakus. Lamachos wollte die Stadt sofort angreifen und eine Schlacht erzwingen, so lange sie noch ungerüstet und überrascht sei; das seit Gelons Zeit in Trümmern liegende Megara, nördlich von Syrakus, biete den geeignetsten Stützpunkt für die Operationen. Wenn man so vorgehe, würden die übrigen Städte eingeschüchtert entweder neutral bleiben oder sich Athen anschließen. Alkibiades dagegen hielt es für das Richtigste, zunächst unter den Griechen und den Sikelern Bundesgenossen zu werben und dann mit verstärkter Macht und nach Sicherung der Zufuhr gegen Syrakus und weiter gegen Selinus vorzugehen. Seine Ansicht drang [221] durch. Aber nur Naxos schloß sich sofort an Athen an. Dagegen die Hoffnung, Messana zu gewinnen, das Laches 426 vorübergehend zum Anschluß an Athen gebracht hatte (s.S. 80), und so wie im vorigen Kriege an der Meerenge einen festen Stützpunkt zu erhalten, erfüllte sich nicht; ebenso wies Kamarina, obwohl Syrakus feindlich gesinnt, die Athener ab. Auch in Katana dominierten zunächst die Parteigänger von Syrakus; bei weiteren Verhandlungen aber gelang es den athenischen Truppen, in die Stadt einzudringen, und darauf trat sie zu Athen über, während die Gegner entwichen. Damit hatte man endlich auf der Insel festen Fuß gefaßt; das ganze Schiffslager wurde von Rhegion nach Katana übergeführt. Schon vorher hatte man eine Rekognoszierungsfahrt nach Syrakus unternommen und durch Heroldsruf die Leontiner in der Stadt aufgefordert, zu Athen überzutreten, ohne daß die syrakusanische Flotte den Feinden entgegenzutreten wagte. Bald darauf begannen die Feindseligkeiten mit einem Scharmützel zwischen einem zum Plündern gelandeten Trupp Athener und der syrakusanischen Reiterei.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 4/2, S. 219-222.
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