Städte und Bevölkerung Palaestinas und Syriens

[83] Die Zustände der syrischen Landschaften lassen sich aus den Feldzugsberichten der Ägypter, vor allem denen Thutmosis' III., und aus dem reichen in den Urkunden von Amarna [83] erhaltenen Material135 einigermaßen erkennen, so vieles auch im einzelnen unsicher und lückenhaft bleibt.

Für die Entstehung größerer Staaten ist das langgestreckte und zerklüftete, im Osten und Süden von der Wüste umschlossene Land ganz ungeeignet; so lange es sich selbst überlassen bleibt, wird es immer in zahlreiche Kleinstaaten zerfallen, wird aber darum nur umso leichter fremden Eroberern zur Beute. So hat, soweit hinauf wir die Geschichte verfolgen können, in den Norden jede größere Macht eingegriffen, die in Babylonien entstanden ist, während der Süden und die Libanonküste dem Machtbereich Ägyptens angehören. Daneben wird das Land immer von neuem von Süden und Osten her durch die semitischen Nomaden, vom Norden aus durch die Völkerschaften des kleinasiatisch-armenischen Hochlandes überschwemmt. So sind die syrischen Lande zur Hyksoszeit ein Bestandteil ihres Großreichs gewesen. Aber mit der Erhebung der Könige von Theben und dem Fall von Auaris ist dieses Reich zusammengebrochen, und in der Folgezeit ist Palaestina und Syrien wieder in eine Anzahl kleiner Fürstentümer aufgelöst. In den in diesen regierenden Dynastengeschlechtern mit charrischen (mitani-) und arischen, und daneben mit semitischen Namen und in dem Kriegeradel der Marjanna werden wir die Nachkommen der Volkselemente erkennen dürfen, aus denen Heer und Beamtenschaft der Hyksoskönige hervorgegangen ist. Vermutlich hat Syrien im Innern unter ihrer Herrschaft nicht viel anders ausgesehn als dann im 15. und 14. Jahrhundert136; aber das Oberkönigtum ist jetzt weggefallen, eine Zusammenfassung der Einzeldistrikte [84] zu einem wenn auch noch so locker gefügten Reich besteht nicht mehr137.

Diese Dynasten haben ihren Sitz in befestigten Städten, zu denen ein Landgebiet von wenigen Quadratmeilen mit offenen Dörfern und Gehöften gehört138. Neben dem Fürsten wird wohl immer ein Rat der Ältesten gestanden haben, der auch die Gerichtsbarkeit übte. Diese Städte liegen meist auf einem langgestreckten Hügel, an dem ein in die Festung einbezogener oder unmittelbar vor dem Tor liegender Quell entspringt. [85] Umschlossen ist sie von einem doppelten Mauerring, der durch viereckige Türme verstärkten Hauptmauer und einer etwa halb so hohen Vormauer. Beide sind aus Lehmziegeln erbaut und mit Zinnen und vorspringenden Balkons gekrönt; der Zwischenraum ist durch Holzbalken überdeckt, unter denen Kasematten liegen; so können die Verteidiger gleichzeitig von diesem Wallgang und von der hoch darüber aufragenden Hauptmauer und ihren Türmen auskämpfen. Die von großen Steinplatten eingefaßten Tore gehn durch beide Mauern hindurch139. Die gleiche Anlage zeigt sowohl die Befestigung der chetitischen Hauptstadt Boghazkiöi – nur sind hier die Dimensionen weit größer und der Unterbau von mächtigen Steinen viel gewaltiger, und die Tore sind von mächtigen Torgebäuden flankiert, die beide Mauern durchbrechen und verbinden140 – als auch die Darstellung einer offenbar in Asien zu suchenden Bergfeste auf dem Bruchstück einer silbernen Vase aus dem vierten Schachtgrab in Mykene141, die von nackten Schleuderern und Schützen [86] sowie von Kriegern mit Lanzen und großen Mänteln verteidigt wird. Somit scheint diese Gestalt des Festungsbaus über ganz Vorderasien verbreitet gewesen zu sein142; auch für Auaris werden wir die gleiche Anlage annehmen dürfen.

Aus den Amarnabriefen kennen wir mehr als sechzig solcher Stadtfürstentümer143. Thutmosis III. gibt eine Liste von 118 Ortschaften144, die sich unter Führung des Fürsten von Qadeš gegen ihn verbündet hatten und die er auf seinem ersten Feldzug bei Megiddo besiegt hat. Er bezeichnet sie als Landschaften (Bezirke) von Oberrezenu; sie umfassen den Hauptteil Palaestinas westlich vom Jordantal und im Nordosten darüber hinaus bis nach Damaskus. Ob alle hier genannten Örtlichkeiten, darunter solche mit Namen wie 'Ain »Quelle« (no. 86. 95), B'er und B'erot »Brunnen« (19. 50. 109), Har »Berg« (77), Har-el »Gottesberg« (81), 'Amq »Tal« (107) wirklich eigene Fürstentümer gebildet haben, wird man bezweifeln dürfen; von einer großen Zahl wird es jedoch durch die Amarnabriefe bestätigt. Daß in diesem Gebiet kana-'anaeisch' (d.i. hebraeisch) gesprochen wurde, lehren wie die Ortsnamen so zahlreiche Glossen in den Amarnatafeln145. Die [87] Bewohner und danach auch das Land nennen die Ägypter Choriter (geschrieben Charu); nach Angabe eines Papyrus146 reicht »das Land Chor von Sile (der ägyptischen Grenzfeste) bis Ubi (der Landschaft von Damaskus)«, umfaßt also die Sinaiwüste und Palaestina. Die Choriter sind, wie schon erwähnt (o. S. 6, 3), nach Ausweis ihrer Stammnamen deutlich eine Gruppe von Wüstenstämmen, die sich über das Kulturland ausgebreitet haben; einzelne choritische Stämme haben sich auch später noch zwischen den Edomitern in der Wüste erhalten (Gen. 36), in Resten sogar bis in die nachexilische Zeit147. Daß sie einstmals weithin in Palaestina gesessen haben, vor allem am Westabhang des Gebirges Juda und in Sichem, läßt auch die israelitische Überlieferung noch erkennen, eben so, daß bei ihnen ein Sonnenkult weit verbreitet war148. Die Amarnabriefe erwähnen diesen Namen nicht, sondern verwenden ständig den Namen Kana'an und Kana'anaeer149, dehnen ihn aber gelegentlich auch auf ganz Syrien aus150. Kana'an ist der einheimische Landesname, der, wie bei den Israeliten, so auch bei den Phoenikern immer gebräuchlich geblieben ist151. Die ägyptischen Inschriften der achtzehnten [88] Dynastie verwenden ihn noch nicht, in der Folgezeit dagegen ist er ganz geläufig, und zwar immer mit dem Artikel, »das Kana'an«152.

Auf die Besiedlung und die politischen Zustände Palaestinas gestattet das von Thutmosis III. aufgestellte Verzeichnis der von Ägypten abgefallenen und nach der Schlacht bei Megiddo wieder unterworfenen Ortschaften von Oberrezenu einige Rückschlüsse153, die durch die Angaben der Amarnabriefe [89] ergänzt werden. Dicht besiedelt ist die fruchtbare Küstenebene von Gaza an bis zum Karmel hin, nebst dem Hügellande am Fuß des hochaufragenden Felsengebirges des inneren Palaestina154. Nicht minder dicht besiedelt ist am Nordabhang des Karmel das Qišontal und die Ebene Jezre'-el bis zur Senke nach dem Jordan mit der wichtigen Festung Betše'an155, und weiter das in zahlreiche Kuppen aufgelöste [90] Bergland Galilaeas bis zu den Quellflüssen des Jordan und dem Übergang in die Biqa', Coelesyrien156, nebst der Küstenebene mit 'Akko und dem »heiligen Vorgebirge« (Rošqados)157, das wohl mit der »Tyriertreppe« Râs ennâqûra identisch sein wird und die Nordgrenze des Aufstandsgebiets bezeichnet.

An die Ortschaften am See Gennezaret158 schließt sich weiter östlich das Kulturland zwischen dem Hermon und dem Haurângebirge, im Norden bis zur Ebene von Damaskus (die [91] damals den Namen Ubi führte), im Süden bis etwa zum Jarmûk, also die Landschaft Bašan (Batanaea)159. Weiter südlich wird außer Ḥammât, bei den heißen Quellen am Eingang des Jarmuqtals, und Pella gegenüber von Betše'an160, kein Ort oder Volksstamm aus dem Ostjordanlande erwähnt, auch nicht 'Ammon oder Moab. Offenbar hatte sich hier eine seßhafte Kultur noch nicht entwickelt, wie sie ja hier auch in der Neuzeit fast ganz geschwunden ist und erst in der Gegenwart wieder beginnt. Eine intensivere Besiedlung dieses an sich sehr fruchtbaren, damals noch weithin mit Wäldern bedeckten Gebiets161 hat erst in der israelitischen Zeit begonnen; vorher lag es den Invasionen der Beduinen offen, die die hier hausenden Viehzüchter oft genug schwer heimgesucht und ausgeplündert haben werden.

[92] Diese kriegerischen Beduinenstämme, die das Kulturland Palaestinas und Nordsyriens rings umschließen, tragen bei den Ägyptern im Süden den Namen Šasu (Šôs) und werden allgemein unter der auch den Babyloniern und Assyrern geläufigen Bezeichnung sutî, »Schützen«, zusammengefaßt162. In den ägyptischen Darstellungen erscheinen sie als schlanke, sehnige Gestalten, mit knochigen Gesichtern, kurzem Spitzbart und kurzgeschorenem Haupthaar, das mit einem Kopftuch umwickelt ist163. Zu Aufständen und Raubzügen sind sie immer geneigt, und so wenig sie geschlossen mit ihren primitiven Waffen einem geschulten Heer Widerstand zu leisten vermögen, so schwierig, ja unmöglich ist es, sie in dem unwegsamen Wüstenlande wirklich zu Paaren zu treiben und dauernd in Botmäßigkeit zu halten. Aber den Heerweg nach Syrien von der Grenzfestung Sile (Ẕaru, jetzt Abu Sefe bei el Kantara, der schmalen Landbrücke zwischen dem Menzale- und dem Ballâchsee) über el'Arîš am »Bach (Wadi) Ägyptens« und Raphia nach Gaza wird schon Amosis in derselben Weise, wie wir es später unter Sethos I. finden, durch befestigte Brunnenstationen gesichert haben, so daß die Armee den Marsch nach Palaestina ohne Schwierigkeit zurücklegen konnte164.

[93] Die Sinaiwüste geht im Nordosten, im »Südlande« (Negeb) Palaestinas165, allmählich in ein Steppenland über, dessen Boden, obwohl überall mit Steinen durchsetzt, doch bei genügendem Regen kulturfähig ist166, und in dem vereinzelte Quellen einer viehzüchtenden Bevölkerung die Möglichkeit einer oasenartigen Ansiedlung, zugleich aber auch zu fortdauerndem Hader den Anlaß bieten167. Weiter nach Norden geht sie dann in den Gebirgskamm von Juda über, von dem nach Westen zahlreiche Täler zur Küstenebene hinabführen, während er nach Osten steil und völlig wüst zum Toten Meer abstürzt. Auch in diesen Gebieten ist die ägyptische Herrschaft, [94] gestützt auf die Festung Šaruḥan, nicht unterbrochen worden, und sie werden daher in der Liste Thutmosis' III. nicht berücksichtigt. Aus den Amarnabriefen wissen wir, daß vor allem Jerusalem (Urusalim), hoch oben auf dem Kamme des Gebirges, der Sitz eines ansehnlichen Fürstentums gewesen ist168. Das Aufstandsgebiet wird erst nördlich von Jerusalem begonnen haben169, wie auf gleicher Linie im Westen mit Gazer, Jurşa und Joppe, während Gaza und Askalon untertänig geblieben waren.

In scharfem Gegensatz gegen die zahlreichen Städte aus dem Küstengebiet und aus Galilaea ist in der Liste Thutmosis' III. auch nicht ein einziger Ort aus dem zentralen Gebirgslande Palaestinas nachweisbar. In den Amarnabriefen wird zwar einmal, in einem Schreiben aus Jerusalem, erwähnt, daß »das Land Šakmi«, d.i. Sichem, in die Hände der Chabiru gefallen ist170; aber ob es vorher ein Fürstensitz war, wissen wir nicht, und weiter wird auch hier aus dem ganzen Gebiet von Betše'an und dem Karmel bis nach Jerusalem, einer Strecke von etwa 60 Kilometern, kein Ort und kein Fürstentum erwähnt. Nun mögen vielleicht einzelne Briefe von Dynasten hierher gehören, die ihre Stadt nicht nennen, und ebenso einige nicht lokalisierbare Namen der Liste; aber daß weder hier noch sonst irgendwo einer der [95] zahlreichen aus der israelitischen Überlieferung bekannten Ortsnamen vorkommt171, kann nicht Zufall sein. Vielmehr dürfen wir daraus folgern, daß das Gebirgsland nördlich von Jerusalem damals noch so gut wie unbewohnt gewesen ist172. Es war ein Waldland, das abseits lag von der großen Verkehrsstraße, die durch die Küstenebene und dann über den Karmel in die Ebene Jezre'el und nach Galilaea führte, und in dem es wohl einzelne, vielleicht gelegentlich befestigte Gehöfte und Dörfer geben mochte, aber noch keine größeren Gemeinden mit selbständigem staatlichem Leben173. So erklärt es sich, daß die Israeliten sich hier festsetzen und behaupten konnten, während sie die Festungen in den Tälern mit ihrer kriegsgeübten Bevölkerung noch lange Zeit hindurch nicht zu überwältigen vermochten.

Völlig öde lag auch das zwischen den Bergwänden zu beiden Seiten breit und tief eingeschnittene, glühend heiße Jordantal abwärts von Betše'an und Pella, das Ghôr, das ja bis auf den heutigen Tag so gut wie unbewohnt geblieben ist. Es ist für den Volkscharakter bezeichnend, daß hier nie, wie unter den im wesentlichen gleichen Bedingungen im Niltal, der Versuch gemacht worden ist, durch systematische Bewässerung, die hier ebensogut möglich wäre, den Boden auszunutzen und ertragsfähig zu machen; erst durch diesen Vergleich lernt man die Energie voll würdigen, mit der die Ägypter Jahrtausende hindurch ihr Land zu dem ertragreichsten Ackerland der Erde gemacht haben. Nur ganz im Süden ist am Fuß des westlichen Gebirges, wo mehrere Quellen hervortreten, in Jericho eine fruchtbare Oase mit einer festen Stadt entstanden. Sie hat zur Zeit der ägyptischen [96] Herrschaft bereits bestanden (o. S. 86, 1), und es kann nur Zufall sein, daß sie damals nie erwähnt wird.

Nördlich von 'Akko und dem heiligen Vorgebirge beginnt die Küstenlandschaft, welche die Ägypter Ẕahi (s.o. S. 83, 1), wir mit dem von den Griechen gegebenen Namen Phoenikien nennen174. Auch hier erstreckt sich, wie in Palaestina, längs der Küste, nur wesentlich schmäler und mehrfach durch bis ans Meer vorspringende Höhenzüge unterbrochen, ein Streifen besten Ackerlandes, das dann allmählich zu den Vorhöhen des Libanon aufsteigt; der Kamm des Hochgebirges liegt 2 bis 3 Meilen von der Küste entfernt und entsendet, ganz anders als in Palaestina, außer zahlreichen Wadis eine große Zahl wasserreicher Flüsse zum Meer175. So bildet Phoenikien ein [97] fruchtbares Kulturland, dessen reicher Ernteertrag (Getreide und Wein) von den Ägyptern oft hervorgehoben wird. Dazu kommt der Waldreichtum des Hochgebirges, dessen Zedern das beste Bauholz liefern, das für die holzarmen Länder Ägypten und Babylonien ein heißbegehrtes und unentbehrliches Produkt bildet.

Politisch zerfällt dieses Gebiet nun nicht, wie in Palaestina, in eine große Zahl kleiner, sondern in vier größere Stadtfürstentümer, denen die Landorte untertan sind: Tyros, Sidon, Berytos und Byblos. Alle vier Städte liegen unmittelbar an der Küste. Zur Ägypterzeit sind sie bereits im vollen Aufblühen, es herrscht ein üppiges Leben, die Häfen liegen voll Schiffen176, die kunstvollen Metallarbeiten, darunter mit Silber und Gold ausgelegte Kriegswagen und vor allem Prunkgefäße mit Blumenaufsätzen oder in Tiergestalt, sind ein begehrter Artikel. Kein Zweifel, daß schon seit langem ein reger Verkehr sowohl mit Ägypten wie mit Cypern und der Welt des Ägaeischen Meeres bestand.

Tyros liegt, ebenso wie das sogleich zu erwähnende Arados, auf einem kahlen Felseiland, dem das Wasser aus der gegenüberliegenden Ortschaft Usu (Palaityros) in Kähnen zugeführt werden mußte, Sidon an einem den Hafen schützenden Felsenriff, das ursprünglich offenbar auch einmal eine Insel gewesen ist. So gewinnt man den Eindruck, daß die kana'anaeischen Schiffer und Fischer, die sich Sidonier nennen, sich an diesen vom Lande aus nicht angreifbaren Punkten festgesetzt haben, um von hier aus das dicht besiedelte Binnenland zu beherrschen. Aus diesem bezogen sie ihre Subsistenzmittel und Arbeitskräfte, während in den Städten Handel und Industrie sich entwickelten. Berytos und Byblos dagegen liegen zwar auch am Meer, aber auf niedrigen, von der Natur wenig geschützten Anhöhen, erscheinen also vielmehr [98] als die durch organische Entwicklung entstandenen Mittelpunkte ihres Gebiets177. Dem entspricht es, daß Byblos (Gebal) bis in die ältesten geschichtlich erkennbaren Zeiten hinaufreicht. Seit den Anfängen der Geschichte Ägyptens ist es, wie die neuesten Ausgrabungen noch weiter bestätigt haben178, mit diesem eng verbunden. Es war der Hafen, aus dem die Pharaonen das Zedernholz für ihre Bauten bezogen. So ist hier der ägyptische Einfluß immer dominierend gewesen, die Göttin (Ba'alat) der Stadt wird mit Ḥatḥôr und Isis gleichgesetzt, der Osirismythus hier lokalisiert; es kann fast als eine ägyptische Kolonie gelten. Unter der zwölften Dynastie sind die Könige von Byblos Vasallen der Pharaonen. Dem entspricht es, daß gleich nach der Wiederaufrichtung des Reichs dies Verhältnis wiederhergestellt wurde: der Zug des Amosis nach Ẕahi wird vor allem auf Byblos gerichtet gewesen sein. Ernstlichen Widerstand hat er schwerlich gefunden, weder in den palaestinensischen Küstenstädten noch in Phoenikien; den Handelsstädten gebot das eigene Interesse, sich dem jetzt wieder neuerstarkten Reich zu fügen. So haben, soweit wir sehn können, die Phoenikerstädte seine Oberhoheit auch dann nicht angefochten, als Palaestina und Syrien den Versuch machten, die Fremdherrschaft abzuschütteln.

An der Küste des Nosairiergebirges liegt noch eine fünfte, weithin nach Norden vorgeschobene Phoenikerstadt, Arwad (Arados). In späteren Berichten wird sie mehrfach genannt, aber niemals unter Thutmosis III.; sie hat damals, wie die Amarnabriefe bestätigen, gestützt auf ihre unangreifbare [99] Lage, ihre Unabhängigkeit bewahrt179. Südlich davon liegt der tiefe Einschnitt des Eleutherostals (Nahr el Kebîr), das den Libanon im Norden begrenzt und durch das die große Straße von der Küste ins Orontestal nach Nordsyrien und dem Euphrat führt. Sie ist zu beiden Seiten durch eine Anzahl befestigter Städte mit semitischer Bevölkerung besiedelt ('Arqa, Şimyra, Ullaza, Ardata). Im nördlichen Libanon und der Biqâ' (Coelesyrien) sitzt der semitische, den Kana'anaeern eng verwandte Volksstamm der Amoriter180, die jetzt, nach ihrer weiten Ausdehnung im 3. Jahrtausend, auf dies Gebiet beschränkt sind. Sie bilden hier ein einheitliches Fürstentum von beträchtlichem Umfang und haben offenbar vom Gebirge aus die Phoenikerstädte oft genug durch Raubzüge belästigt.

Im übrigen Syrien ist die Bevölkerung in dieser Zeit noch nicht semitisch, sondern gehört zu den Charriern. Am Eingang dieses Gebiets liegt die Stadt Kinza181, eine starke Festung auf einem durch den Orontes und einen Nebenfluß inselartig eingeschlossenen Hügel182. Hier stoßen die Straßen durch das Eleutherostal und durch Coelesyrien zusammen, und die Stadt beherrscht daher auch den Zugang nach Nordsyrien. Sie ist der Sitz einer großen Göttin, die nach den in der Religion Kleinasiens und Syriens herrschenden Anschauungen auf einem Löwen stehend dargestellt wird, nackt, [100] mit Blumen und mächtigen Schlangen in den Händen183. Das Ansehn, in dem diese Kultusstätte stand, wird dadurch bezeugt, daß die Göttin seit der neunzehnten Dynastie in Ägypten weite Verbreitung gefunden hat, vor allem bei den Weibern. So erklärt es sich, daß die Ägypter die Stadt einfach Qadeš »das Heiligtum« nennen und so auch die Göttin in der Regel benennen184.

Nach chetitischen Berichten (o. S. 26) ist in Nordsyrien Chaleb (Aleppo) ehemals der Sitz eines Großkönigtums gewesen und dann vom Chetiterreich abhängig geworden. In den Texten der achtzehnten Dynastie findet sich davon keine Andeutung, die Stadt wird kaum je erwähnt, auch nicht in den Amarnabriefen. Die Landschaften zu beiden Seiten des Euphrat und das Hügelland im Norden der mesopotamischen Wüste bis an und über den Tigris, mit Einschluß von Ninive und wohl auch Südarmeniens, bilden das Reich Mitani unter der Herrschaft seiner arischen Dynastie. In den Amarnabriefen erscheint durchweg dieser Name, während die Königsinschriften ihn nur selten verwenden und statt dessen Naharain »das Land am Strom« (Euphrat) sagen.

Weiter südlich, etwa im Bereich des unteren Orontes, liegt das Reich Nuchasse, weiter oberhalb die Städte Sinzar (Jetzt Seidjar) und Tunip, sowie in der Nähe des Euphrat Ni oder Neje, auf die wir später noch zurückkommen. In [101] den ägyptischen Texten erscheint hier noch ein ganz rätselhafter Volksname Qţ, Qedu. Thutmosis III. sagt in dem Bericht über seinen ersten Feldzug, daß sich die Fürsten aller aufständischen Gebiete, »bis nach Naharain hin, ... die Charu (Choriter) und Qedu mit ihren Gespannen und Kriegern« in Megiddo vereinigt hätten. Später erscheint Qedi als Name eines Gebiets in Nordsyrien, vielleicht mit Einschluß des ebenen Kilikiens, aus dem die Ägypter Bier beziehn, das wir in Kleinasien seit alters als einheimisches Getränk kennen (o. S. 17); sein Fürst ist zur Zeit Ramses' II. ein Vasall des Chetiterreichs185. So scheint hier ein alter, später verschollener Volksname vorzuliegen.

Wie stark die Bevölkerung Syriens gemischt war, haben wir früher schon gesehn. Unter den Truppen erscheinen als das führende Element in den ägyptischen Berichten so gut wie in den Urkunden aus Boghazkiöi186 die Marjanni; unter den gefangenen Kriegern und Kindern werden die Angehörigen dieses Militäradels oft besonders hervorgehoben187. Wir dürfen [102] sie in den Gestalten von rein »europäischem« Aussehn im Grabe Ḥaremḥebs (o. S. 34) erkennen; den für sie charakteristischen Langschädel zeigt auf dem Streitwagen Thutmosis' IV. der Fürst von Tunip, mit Vollbart, aber kahlem Schädel, und der von Naharain, und später noch die aus einer Statuenbasis plastisch herausgearbeitete Vollansicht eines »Großen von Naharain«188.

Sehr anschaulich tritt die Verteilung der Bevölkerungselemente in den Eigennamen der Amarnatafeln und der Texte aus Boghazkiöi hervor. In ganz Nordsyrien und im Orontestal bis nach Kinza-Qadeš hinauf fehlen semitische Namen vollständig189, die große Masse der Namen gehört der charrischen oder Mitanisprache an, daneben finden sich einzelne arische. Durchweg semitisch sind dagegen die Namen der Amoriterfürsten und der Herrscher der phönikischen Städte Tyros, Sidon, Berytos, Byblos190 – aus Arados sind keine [103] Namen überliefert –, während die Herrscher von 'Akko fremde Namen tragen191. In Palaestina dagegen sind zwar natürliche semitische Namen auch vertreten, aber in verhältnismäßig geringer Zahl; weitaus überwiegen die fremden Namen, und darunter neben den charrisch-mitanischen gerade hier nicht wenige arische. Das stimmt zu den Gestalten der Gefangenen, die im Grabe Ḥaremḥebs so lebenstreu dargestellt sind; vielleicht sind es in der Tat die Nachkommen der Hyksosscharen, die hier, in zahllose kleine Fürstentümer zersplittert, die Herrschaft bewahrt haben.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 83-104.
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