Die Verwaltung. Die Ramsesstadt

und die übrigen Städtegründungen

[493] In der Verwaltung des Staats hat sich, soweit wir sehn können, kaum etwas geändert; die streng durchgebildete Beamtenhierarchie, welche die Begründer des Neuen Reichs geschaffen haben, zu der die gelehrte Erziehung der »Schreiber« den Eintritt eröffnet, funktioniert schlecht und recht weiter in den altgewohnten Geleisen. Aber daneben finden wir jetzt auch in hohen Stellungen immer häufiger Leute aus dem Haushalt des Königs (wba, von ERMAN treffend durch »Truchseß« wiedergegeben), ein Zeichen, daß die in absoluten Monarchien kaum vermeidliche Günstlingswirtschaft sich gegenüber den Zeiten Thutmosis' III. auch hier immer mehr einnistet. Auch Ausländer werden unter den Beamten immer häufiger, kenntlich an den semitischen Namen und wohl meist aus dem Sklavenstande hervorgegangen, wie so viele Paschas in der Türkei.

Der Sitz der Regierung ist jetzt die Ramsesstadt an der Ostgrenze »zwischen dem Choriterlande und Ägypten«, »der Anfang des Auslandes und das Ende Ägyptens«. Von der Herrlichkeit der neuen Gründung geben mehrere Schriftstücke eine enthusiastische Schilderung, die lebhaft an die Schilderungen Alexandrias unter den Ptolemaeern erinnert964. Sie ist angelegt wie Theben, von gewaltigem Umfang; die Bevölkerung zahlreicher Ortschaften ist in ihr angesiedelt. Die Landschaft ringsum ist von üppiger Fruchtbarkeit, mit Palmen und Obstbäumen, Kornfeldern, Gemüsebeeten und Weingärten, durchschnitten von mehreren Kanälen und Teichen, voll von Fischen und Vögeln, unter denen der Šîchôr (»Horussee«), die östlichste der Lagunen des Nil, aus der man Salz gewinnt, besonders gerühmt wird. Der Hafen am Meer liegt voll von Schiffen, die mit ihren Waren aus- und einfahren. So strömen hier alle Herrlichkeiten der Erde zusammen; jeder Wunsch der Bewohner wird erfüllt, »die Kleinen in ihr [494] leben wie anderswo die Großen«. In der Mitte liegt der Königspalast »gleich dem Horizont des Himmels«, in dem der Pharao residiert, vor dem alle Länder und Fürsten sich beugen; man erzählt, daß der Großkönig des Chattireichs den Fürsten von Qedi aufgefordert hat, mit ihm nach Ägypten zu ziehn, um hier dem Ramses zu huldigen, denn nur durch seine Gnade existieren sie965. In der Stadt liegen die Truppen des Königs einschließlich der Šerdana, und an den Festtagen, wenn er hier triumphierend seinen Einzug hält oder weiter hinaufzieht nach Theben, um dem Amon die Gefangenen darzubringen, strömt die ganze Jugend in Festgewändern zusammen mit Zweigen in den Händen, und die Bittgesuche werden ihm vorgetragen.

Außer der Ramsesstadt sind von Ramses II. mehrere andere Städte im Delta angelegt oder erweitert und mit Bauten geschmückt, so Tanis und die Städte im Wadi Tûmîlât. Daneben wird vor allem die Kolonisation Unternubiens bis zum zweiten Katarakt fortgeführt und zum Abschluß gebracht. Ramses II. hat hier nicht weniger als fünf Felsentempel erbaut, zu denen natürlich befestigte Ortschaften mit Garnisonen gehörten: Bet el Wali bei Kalabše, Gerf Husên, Sebua, Derr, Abusimbel; dazu kommt noch der kleine freistehende Tempel von Akše unterhalb Wadi Halfa. In diesen Tempeln wird meist er selbst neben Amon, Rê', Ptah als Landesgott verehrt. Rechnen wir noch die unter der achtzehnten Dynastie erbauten Tempel von Kalabše, Amada, Buhen bei Wadi Halfa, sowie Festung und Tempel von Semne oberhalb des zweiten Katarakts hinzu, so ergibt sich, daß dieser Teil Nubiens damals [495] so dicht besiedelt gewesen ist, wie es die Natur des Landes irgend zuließ. Um so auffallender ist, daß im oberen Nubien, wo Amenophis III. Tempel und Stadt von Soleb nebst Sedeinga (o. S. 329) erbaut hat, bis nach Napata hinauf sich keine Spur einer Bautätigkeit der neunzehnten Dynastie findet; nur den Sonnentempel Echnatens in Sesebi (o. S. 385) hat Sethos I. in einen Amontempel umgebaut, die zugehörige Stadt, deren Grundriß noch erkennbar ist, hat den Namen Gematen aus der Ketzerzeit dauernd behalten966.

Daß die nubischen Goldminen im Wadi 'Alâqi weiter ausgebeutet wurden, bestätigt der Bericht Ramses' II., daß es dem »Königssohn von Kuš« auf seine Anweisung gelungen ist, auf der Wüstenstraße dorthin einen Brunnen auszuheben, nachdem ein gleicher Versuch unter Sethos mißglückt war967. Dagegen hatte Sethos Erfolg, als er, in seinem 9. Jahre, nach Besichtigung der Wüstenstraße, die von Edfu zu den Goldminen des Gebirges am Roten Meer führte, hier nach Wasser graben ließ; an dem Brunnen hat er eine Station mit einem Tempel erbauen lassen. Die Minen auf der Sinaihalbinsel waren natürlich gleichfalls dauernd in Betrieb.

968


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 493-496.
Lizenz:
Kategorien: