Handfeuerwaffen

[359] Handfeuerwaffen. Als älteste europäische Handfeuerwaffe kann man die Raketenbolzen betrachten, welche mit der Armbrust geschossen wurden und z.B. in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu den Zeughausbeständen Bolognas gehörten. Wahrscheinlich auf Armbrüste, welche mit derartigen Raketenbüchsen versehen waren, bezieht sich ursprünglich der Ausdruck Arkebuse, ital. archibuso, franz. arquebuse, vom lat. arcus = Bogen, und dem niederdeutschen busse = Büchse (siehe eine andere Etymologie, nach Weigand, unter dem Artikel Arkebusierer).

Die erste wirkliche Feuerwaffe kam besonders in Flandern auf; es sind die in Lüttich hergestellten Knallbüchsen, canons à main, d.h. tragbare, gestielte Handkanonen. Sie bestanden aus einem kurzen, engen eisernen Cylinder, welcher hinten in einen schwachen, bis auf gewisse Länge ebenfalls hohlen, eisernen Stab endigte, dessen Bohrung als Kammer zur Aufnahme des Pulvers diente. Das Zündloch befand sich am Ende dieser Bohrung auf der oberen Fläche des Stabes und war mit einer kleinen pfannenartigen Vertiefung versehen, in welche das Kraut aufgeschüttet und mittels der Lunte entzündet wurde. Der Reiter befestigte die Büchse mittels eines am hinteren Ende des Stabes befindlichen Ringes an seinem Brustharnische und legte sie beim Gebrauche auf eine vorn am Sattel befindliche, bewegliche Gabel auf. Der Name dieser Reiterwaffe ist meist Pétrinal, d.i. Brustbüchse. Von Flandern kommt diese Waffe nach Italien, wo sie 1364 zu Perugia, 1386 zu Padua, 1399 zu Bologna zu Hause ist. Die Büchsen waren in plumpem Eisengusse hergestellt und[359] wurden gelegentlich zugleich als Morgenstern verwendet; solche Doppelwaffen pflegt man Schiessprügel zu nennen. Eine andere Art Handfeuerwaffen sind solche, welche eine oder mehrere bewegliche Ladekammern neben dem Rohre hatten, die Kammerbüchsen. Die Ladekammer, die eigentliche »Büchse«, war meist aus Eisen geschmiedet, das Rohr bestand aus Kupfer oder es war aus schmiedeeisernen Stäben zusammengeschweisst und von aussen mit eisernen Reifen umwunden. Man lud die Kammer mit Pulver, schlug einen Stöpsel oder »Vorschlag« darauf, die so geladene Kammer wurde in das Rohr eingeführt und durch einen eingeschobenen Keil oder Riegel festgehalten, dann that man den Bolzen oder die Kugel in den Lauf, schüttete Kraut auf das Waidloch (Zündloch), welches oben lag, und entzündete das Kraut mit einer glühenden Kohle oder Lunte. Gewöhnlich gehörten zu einem Feuerrohre drei bis vier Kammern. Die ersten in Augsburg und Regensburg 1376 verfertigten Büchsen waren vermutlich Kammerbüchsen.

Mit den Knall- und den Kammerbüchsen war ein Zielschuss unvereinbar; man warf bloss die Kugeln oder Bolzen in hohem Bogen gegen den Feind. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts kommen die ersten roh gearbeiteten Holzfassungen auf; anfangs nichts anderes als der Ersatz des Eisenstieles durch einen die Büchse mehr oder minder umschliessenden Holzstab, gestaltet sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts daraus ein zwar plumper, aber vollständiger Schaft, dessen hinterer Teil sich senkte und den man unter den rechten Arm schob, während man das Vorderteil der Waffe auf eine Gabel stützte. Um das Auflager auf der Gabel zu sichern und den Rückstoss aufzufangen, erhielten die Gewehre frühzeitig nahe der Mündung einen Haken, nach welchem man die Waffe, sie mochte im übrigen so oder so konstruiert sein, Hakenbüchse oder kurzweg Haken nannte. Die Ähnlichkeit der Wörter Hakenbüchse, niederländisch haakbuse, mit franz. arquebuse, führte dazu, dass schliesslich Arkebuse und Hakenbüchse vollständig indentifiziert wurden. Endlich konstruierte man den Schaft derart, dass man die Büchse an die Schulter anlegen konnte.

Seit Anfang des 15. Jahrhunderts waren nur noch Handfeuerwaffen gebräuchlich, bei denen Kammer und Rohr aus einem Stücke gegossen waren; man lernte es, auch längere Waffen von der Mündung aus zu laden, und Vorderlader machten den älteren Hinterladern Platz.

Die. nächste Verbesserung, welche kurz nach der Einführung des Schaftes eintrat, bestand in der Verlegung des Zündloches auf die rechte Seite des Laufes, sowie im Anbringen einer Art von Pfanne hart unter dem Zündloche, und in einem Deckel der Pfanne, welcher das Pulver vor Nässe bewahrte und dessen unvorhergesehenes Herabfallen verhinderte. Das Entzünden des auf der Pfanne befindlichen Pulvers geschah immer noch mit der Lunte aus freier Hand. – Nachdem infolge der genannten Verbesserungen die Handfeuerwaffen wesentlich verbreitet worden waren, dachte man darauf, die Entzündung des Pulvers vermittels der losen Lunte durch eine mechanische Vorrichtung zu ersetzen. Man brachte zu dem Ende am Schafte vor oder hinter der Pfanne ein gekrümmtes, bewegliches Eisenstäbchen an, dessen oberes Ende zur Aufnahme der Lunte gespalten war. Damit hatte man den Hahn (Drache, Schlangenhahn – Luntenträger, serpentine) erfunden; derselbe wurde anfangs zur Entzündung des Pulvers mit der Hand auf die Pfanne gedrückt, später mit Hilfe einer Feder.

Da die unmittelbar am Schafte[360] befestigten Teile des Schwammengelässes, d.h. des Hahnes und seines Zubehörs, keine genügend sichere Befestigung am Holze fanden und dem Einflusse der Witterung zu sehr ausgesetzt waren, so brachte man unterhalb • der Pfanne eine eiserne Platte an, auf der aussen der Hahn solide Befestigung fand, während die anderen Teile des nach und nach verbesserten Mechanismus unter die Platte verlegt wurden. So entstand das zuerst 1378 aufkommende Luntenschloss. Auch das Luntenschlossgewehr hiess Hakbüchse, Hakenbüchse, Haken, Harkebuse; sein Rohr war etwa 1 m lang; das Gewicht betrug 5 kg und die Kugeln waren vierlötige Bleikugeln.

Daneben gab es halbe Haken, auch Handrohre genannt, welche 2–21/2lötige Bleikugeln schossen und vorzugsweise im freien Felde geführt wurden, wobei man sich der Gabeln bediente; die letzteren wurden während des Auflegens mit der linken Hand gehalten und während des Marsches auf der linken Schulter geführt, wobei sie dann zugleich zur Unterstützung der auf der rechten Schulter getragenen Feuerwaffe dienten.

Der Doppelhaken oder »Scharfedündel« bediente man sich ausschliesslich bei Verteidigung und Belagerung fester Plätze gegen kleine Patrouillen und gegen die in den Trancheen und Batterieen arbeitende Mannschaft. Die Doppelhaken waren mit Schellzapfen (Schildzapfen) versehen und lagen auf einem dreifüssigen Bocke, der es gestattete, das Rohr nach jeder beliebigen Richtung zu drehen. Sie hatten 4 bis 6' lange eiserne Rohre, aus denen 6- bis 12lötige Bleikugeln geschossen wurden. Es gab auch doppelte Doppelhaken.

Die Einführung der ordentlichen Schäftung und die Einrichtung des Luntenschlosses wurden Veranlassung zur Erfindung der Visierung; diese wurde anfangs durch einen auf der hinteren oberen Fläche des Rohres angebrachten, hohlen und ziemlich weiten Cylinder bewerkstelligt, der später bis zu einer schmalen offenen Spalte verschlossen wurde; später ersetzte man diese Visierart durch kürzere und offene Standvisiere, welche auf ihrer Oberfläche mit einem Einschnitte versehen waren, und noch später kam das Korn in Anwendung.

Der Schaft wurde dadurch vervollkommnet, dass man ihm einen durch eine Dünnung abgetrennten Kolben gab. Für den Ladstock, welcher zuerst von der Waffe getrennt geführt wurde, brachte man eine Rinne, Nute, an der linken Seite des Schaftes an, die man später an die untere Fläche verlegte. Er bestand aus Holz und war an der Stossfläche meist mit einem Horn- oder Messingknopfe versehen.

Im Jahre 1515 wurde zu Nürnberg das Radschloss erfunden. Sein Mechanismus bestand darin, dass ein stählernes drehbares Rad mit gezahnter Peripherie in die Pfanne griff und im Innern des Schlosses durch eine Kette mit einer Schlagfeder in Verbindung stand, welche durch Aufziehen des Rades mittels eines Schlüssels gespannt wurde. Vorwärts der Pfanne war ein Hahn mit einem Schwefelkiese angebracht, der sich auf starker Feder bewegte. Das durch die ausschellende Feder kräftig um die Achse gedrehte Rad rieb sich am Schwefelkiese und erzeugte dadurch Funken, die das Pulver auf der Pfanne entzündeten. Das Radschloss fungierte auch bei Regenwetter und gewährte eine ruhigere Entzündung als das Luntenschloss; da sich das Rad jedoch infolge seiner Berührung mit dem Pulver nach einigen Schüssen bald verschmutzte und dann den Druck versagte, versah man das Gewehr oft mit einem Rad- und einem Luntenschloss. Allgemeine Anwendung[361] fand das Radschloss nie; es wurde fast bloss in Deutschland und hier vorzugsweise zu den Feuerwaffen der Reiterei, Arkebusen-Pistolen, wie für Scheiben-, Jagd- und Luxuswaffen benutzt.

Eine weitere Verbesserung bestand in der Erfindung des Schnapphahnschlosses, welches durch Berührung von Schwefelkies oder Feuerstein (daher Flinte) mit einer sogenannten Batterie den zündenden Funken hervorbrachte. Auch dieses, namentlich in Spanien und den Niederlanden gebrauchte Schloss ist nie für eine allgemeine Ordonanzwaffe verwendet worden.

Gezogene Läufe sind gegen Ende des 16. Jahrhunderts zuerst bestimmt nachweislich; man nannte solche gezogene Gewehre später vorzugsweise Büchse oder franz. carabine. Eine Folge der gezogenen Gewehre war die Erfindung des Stecherschlosses. Doch blieb für die Feuertaktik des Fussvolkes das Luntengewehr massgebend; indem man sich nun anstrengte, dieses teils leichter, teils wirksamer zu machen, kam man auf die Doppelwaffe zurück; den Hauptteil der Infanterie rüstete man mit dem ohne Gabel verwendbaren Handrohr, Muskete, Rohr aus, eine Elite aber mit der schweren und unbeholfenen Hakenbüchse, welche zum Auflegen den Stand- oder Gabelstock forderte. Diese schwere Handfeuerwaffe wich sodann der leichteren im Zeitalter des dreissigjährigen Krieges für immer. Jähns, Geschichte des Kriegswesens.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 359-362.
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