Jagd

[443] Jagd. Ursprünglich scheint die Jagd bei den Deutschen überall frei gewesen zu sein; es bestand freies Jagdrecht oder die freie Pirsch. Nach der Völkerwanderung wurde die Jagd und die meist gleichgestellte und zusammen genannte Fischerei ein Zubehör des Grund und Bodens; ein Ausfluss des Eigentums, das der einzelne hatte. Seit Karl dem Grossen wurden viele königliche Bannforsten, silvae defensatae, errichtet, Waldungen und Waldbezirke, in welchen die Jagd dem Könige und seinen Stellvertretern vorbehalten und anderen gegenüber bei Strafe des Königsbannes verboten war; doch bestanden daneben die Jagden der freien Grundeigentümer ungestört fort, und die Jagdverbote dieser Zeit bezogen sich bloss auf die Geistlichen, auf den Sonntag und auf die Grafen an Gerichtstagen. Daneben bewirkte freilich die zunehmende Verminderung der Zahl der Freien auch eine Verminderung der Jagdbesitzer und eine Konzentrierung der Jagdbefugnisse in die Hände der angesehensten und mächtigsten Grundeigentümer. Anfangs hatten bloss die Könige ihre Waldungen und Jagden geschlossen, und nur einzelne Königsforsten ihren Beamten und anderen Grossen baldschenkweise überlassen, bald denselben ausnahmsweise gestattet, eigene oder von anderen auf sie übertragene Waldungen zu Bannforsten zu erklären. Mit der Zeit kamen so die meisten Jagdgebiete in die Hand geistlicher und weltlicher Dynastien, und im 13. Jahrhundert sind diese nicht bloss im Besitze sämtlicher ehemaligen Bannforsten, sondern im Besitze des Königsbannes selbst. Aber erst seit der Ausbildung der eigentlichen Landeshoheit im 15. Jahrhundert erweiterte sich die Befugnis dieser Territorialherren zum Jagdregal; die Jagdbefugnis erschien nunmehr bloss ein Ausfluss der obrigkeitlichen Polizeigewalt, welche dem gemeinen Mann, namentlich den Bauern, die Jagd schlechthin untersagte. Seitdem gehörte die Jagd wie die Fischerei und der Vogelfang nicht allein in den Waldbannen, sondern auch in den übrigen Waldungen, und grossenteils auch die Feldjagden dem Grundherrn. Ohne seine Erlaubnis durfte bei hoher Strafe niemand jagen. Nur auf Raubtiere, war zu allen Zeiten die Jagd frei, und es wurden zu diesen seit alten Zeiten ausser den Bären, Wölfen und Füchsen häufig auch die wilden Schweine gerechnet. Übrigens gab es auch Gegenden, wo sich seit uralter Zeit Spuren der freien Pirsch erhielten manchmal so, dass sich der Hofherr die hohe Jagd vorbehielt, während die Eigenleute die niedere Jagd besassen; besonders in den reichsunmittelbaren Herrschaften, in der Landvogtei Schwaben, im Schwarzwald und am Neckar war diese Jagd frei geblieben.[443]

Was die materiellen Jagdzustände belangt, so war die älteste Jagdart die der Einzeljagd: Rotwild suchte man mit zahmen abgerichteten Locktieren in eingezäunte Räume zu locken oder dasselbe durch Kirrungen hineinzuziehen; oder man fing es in Gruben, Schlingen oder Netzen, welche man über den Wechsel spannte. Sauen wurden auf gleiche Art erlegt oder mit Hunden gehetzt und mit dem Jagdspiess abgefangen, eine Jagd, welche auch häufig auf Bären angewandt wurde. Elenwild, welches sich vorzüglich in den Bruchgegenden aufhielt, wurde im Winter auf dem Eise gehetzt, wo man es leicht erlegen konnte. Hasen wurden wenig geachtet und den Unfreien zur Jagd überlassen; auch war dieses Wild den Christen anfangs als Speise verboten, da es früher als Opfermahlzeit genossen worden war. Zur Jagd der geringen Tiere, Biber, Otter, Marder, wurden verschiedenartige Hunde abgerichtet, die sehr hohen Wert hatten. Geflügel fing man grösstenteils in Netzen und Schlingen, doch war die Vogelbeize ebenfalls früh bekannt. Karl d. Grosse wendete der Jagd grosse Aufmerksamkeit zu, so dass die Jagd von jetzt an mehr kunstgemäss betrieben wurde; es wurden Jagdgehege angelegt, vorzüglich in den Sümpfen und Niederungen und mit Bohlen eingezäunt; eine Schonzeit wurde festgesetzt und die Jagd auf die Monate Juli, August und September, in den Wintermonaten auf Bären, Sauen und Wölfe beschränkt; besondere Jagdwagen waren vorhanden, eine zahlreiche Meute, Fangapparate; zu seinem Hofstaate gehörten Pirschmeister, Aufseher über die Wind- und andere Jagdhunde, Biber-, Fuchs- und Dachsjäger. Seitdem teilte sich die Jagd in die französische oder eigentliche Parforcejagd und in die deutsche Jagd, welche vorzüglich auf Abrichtung des Leithundes und das Stellen mit Netzen und Tüchern gerichtet war, was die Franzosen und Engländer als eine nicht ritterliche Jagd verachteten. Genauere Nachrichten hat man erst aus den Schriftstellern und Dichtern der höfischen Zeit erhalten. Noch immer ist in der höfischen Gesellschaft die Jagd nicht bloss eine Kurzweil, sondern ein notwendiger Krieg gegen reissende Tiere, wie Wölfe, Bären, Luchse, und eine notwendige Anstalt, Fleisch in die Küche zu liefern; denn im Mittelalter war das Fleisch der Haustiere noch wenig beliebt. Als Jagdhunde werden genannt der Bracke als Leithund, und der Wint als Hetzhund. Das gesamte zur Jagd erforderliche Personal, sowie die Meute steht unter dem Jägermeister. Der Anzug der Jäger ist grün; um den kurzen Rock wird ein tüchtiger, fester Ledergürtel geschnallt, in dem Messer, Stahl, Schwamm und Feuerstein steckt. Die Hosen sind aus festen Stoffen gefertigt und durch Gamaschen geschützt. Ausserdem trägt der Jäger das Jagdhorn; ein grüner, mit Grauwerk gefütterter Mantel vollendet den Anzug. Die gewöhnlichen Jagdwaffen sind Spiesse, Wurfspeer, mhd. gabelôt, Armbrust und Bogen; doch wurde das grosse Wild bis ins 16. Jahrhundert in erster Linie nicht geschossen, sondern von den Hunden niedergelegt. Die gewöhnlichen Jagdtiere sind Bären, Wölfe, Luchse, Auerochsen, Wisente, Riesenhirsche (schelch), Elentiere, Wildschweine, Hirsche, Rehe, Hasen und Füchse. Man unterscheidet die Pirschjagd, die Hetzjagd und die Falkenjagd; bei der Pirschjagd ging der Jäger entweder auf den Anstand und lockte den Rehbock, indem er, auf einem Blatte pfeifend, die Stimme der Ricke nachahmte und ihn dann ze dem blate erlegte, oder er zog mit ansehnlichem Tross von Hunden und Jägern aus. Das[444] Wild wurde von dem Leithunde aufgespürt, die gefundene Fährte mit einem frischen Reise gezeichnet und die Beute dem versteckten Schützen zugetrieben; sobald der Hirsch verwundet war, wurde er von der losgekoppelten Meute gehetzt, bis er zusammenbrach. Mit einer lauten Hornfanfare wurde die Erlegung gefeiert. Wer den Hirsch erlegte, hatte das Recht, von einer der anwesenden Damen einen Kuss zu verlangen. Es gehörte zur Kunst eines im Jagen bewährten Mannes, die curîe zu machen, d.h. das Tier jagdgerecht zu erlegen, wie in Gottfrieds Tristan anschaulich geschildert wird, S. 71, 28 – S. 83, 12. Das Jagdzeremoniell war, wie die zahlreichen französischen Ausdrücke zeigen, französischen Ursprungs. Siehe Schultz, Höfisches Leben, Abschn. V. Von Wagner, das Jagdwesen in Württemberg unter den Herzogen; ebenderselbe Über die Jagd des grossen Wildes im Mittelalter, Bartsch Germania 1884, S. 110 bis 133. – Roth, Geschichte des Forst- und Jagdwesens.

Mehrfach wurde die Jagd zu allegorischen Darstellungen benutzt, so durch den bayrischen Dichter Hadamar von Laber, der in der »Jagd« das ritterliche Liebeleben unter der Allegorie einer Jagd dargestellt hat; andere Gedichte der Art heissen: »Der Minne Falkner« und »Jagd der Minne«. Ähnliches ist der Fall bei Kaiser Maximilians Teuerdank, wo Hirsch-, Gemsen- und Bärenjagden eine grosse Rolle spielen.

Enger mit der Jagd selbst verknüpft sind die alten Weidsprüche und Jägerschreie, deren viele aus Handschriften des 16. und 17. Jahrh. erhalten sind, die aber offenbar auf ein weiteres Alter hinaufreichen.

Es sind Rätselfragen, welche die Weidleute vor und nach der Jagd zu gegenseitiger Erheiterung und Prüfung einander aufzugeben pflegten und worin ein reicher Schatz von Kenntnissen, Künsten, Sitten, Wörtern, die auf die Jagd Bezug haben, aufgespeichert ist. Sie fangen meist an mit: Lieber Weidmann, sag mir an? oder: Sag' an, mein lieber Weidmann, u. dgl. Folgendes mag als Beispiel dienen:


Ho ho, mein lieber Weidmann, hastu nicht vernommen,

wo meine hochlautende Jagdhunde sind hinkommen?

Ho ho ho, mein lieber Weidmann,

ich höre jetzt zu dieser Stund

weder Jäger noch hochlautenden Jagdhund.

Ho ho, mein lieber Weidmann, kannst du mir nicht sagen,

ob du meine hochlautende Jagdhunde hast sehn oder hörenjagen?

Jo ho ho, mein lieber Weidmann,

weit (?) gut in jenem Thal,

sie haben den rechten Anfall;

Das sag ich dir frei,

es waren der Hunde drei;

der eine der war weiss, weiss, weiss,

Der jagte den edlen Hirsch mit allem Fleiss;

der andre der war fahl, fahl, fahl,

der jagte den edeln Hirsch über Berg und Thal;

der dritte der war rot, rot, rot,

der jagte den edlen Hirsch bis auf den Tod.


Diese Weidsprüche sind gesammelt in Grimms Altdeutschen Wäldern, Bd. 3.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 443-445.
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