Katharer

[484] Katharer heisst eine im Mittelalter weit verbreitete Sekte. Vergebung der Sünden und Erlösung vom Übel, lehrten sie, werde erlangt[484] durch Entsagung der Welt, der Materie, und durch Eintritt in die Gemeinschaft der Reinen, ausser welcher kein Heil sei. Die Aufnahme geschah durch eine feierliche Handlung vermittelst des einfachen Auflegens der Hände, was Consolamentum hiess, welches die Geistestaufe erteilen sollte; die Wassertaufe verwarfen sie. Erst nach empfangenem Consolamentum war man ein vollkommener, perfectus, denen allein der Name Cathari gebührte; in Frankreich nannten sie sich bons hommes; die Katholiken hiessen sie schlechthin die Haeretici, daher auch das Wort Ketzer bald der Name für Häretiker überhaupt wurde. Die Vollkommenen waren die Lehrer, die Verwalter der Gebräuche; sie mussten sich alles dessen enthalten, was als Todsünde angesehen wurde, lebten ohne Besitz und ehelos, genossen nur vegetabilische Nahrung oder Fische und fasteten streng zu gewissen Zeiten des Jahres. Sie hatten die Regel, immer zu zweien zusein, doch konnte der Socius auch ein blosser Gläubiger sein. Sie erkannten sich an bestimmten Zeichen, durch welche sogar die Häuser, worin sie wohnten, den Brüdern erkennbar waren. Auch unter den Frauen gab es Vollkommene, welche jedoch weder lehrten noch herumreisten, sondern in Hütten einsam lebten oder sich mit der Erziehung junger Mädchen abgaben. Die Zahl der Vollkommenen war der Strenge ihres Lebens zufolge stets gering; um 1240 sollen ihrer 4000 in ganz Europa gewesen sein. Doch gab es unendlich viele Gläubige, credentes, denen Güterbesitz, Ehe, Genuss aller Art Speisen gestattet war, doch unter der Bedingung, diese Sünden den Geistlichen der Sekte zu beichten und jedenfalls vor dem Tode das Consolamentum, als unerlässliches Heilmittel, zu erlangen. Die Vollkommenen bildeten zusammen die katharische Kirche, die sie die allein wahre und reine nannten. Ihre religiösen Gebräuche waren sehr einfach; wo sie mächtig genug waren, um öffentlich aufzutreten, wie in Südfrankreich und in Bosnien, hatten sie eigene Bethäuser, aber ohne Bilder, Kreuze und Glocken; man sah nichts darin als einen mit einem weissen Tuch bedeckten Tisch, auf welchem das beim Evangelium Johannis aufgeschlagene Neue Testament lag. Vorlesung einer Stelle und Erklärung derselben bildete den Hauptteil des Gottesdienstes; hierauf folgte der von den Gläubigen knieend begehrte und empfangene Segen; den Schluss bildete das gemeinsam gesprochene Vater Unser, mit den Worten: Gieb uns heute unser übersinnliches Brot (supersubstantialem panem) und mit der Doxologie; und zuletzt noch einmal der Segen. Das Abendmahl wurde ersetzt durch Brechen und Segnen des Brotes durch die Vollkommenen, und zwar bei jeder Mahlzeit, welcher solche beiwohnten; dieses geweihte Brot wurde durch die Gläubigen sorgfältig aufbewahrt, es sollte täglich ein Stück davon genossen werden; doch verwarf man dabei jede Beziehung auf den Leib Christi. Als Beichte hatten die Katharer ein öffentliches, von den Gläubigen, wie von den Vollkommenen abgelegtes Sündenbekenntnis. Abgesehen von Weihnachten, Ostern und Pfingsten machten sie keinen Unterschied der Tage. Ihre kirchliche Organisation führten sie zum teil auf die ursprüngliche christliche Kirche zurück. Sie hatten nur Bischöfe und Diakonen; dem Bischofe waren zwei Gehilfen oder Stellvertreter beigegeben, Filius major und Filius minor; es gab grössere und kleinere Synoden.

Der Ursprung der Katharer ist wahrscheinlich unter den Slaven zu suchen, und zwar in Bulgarien. In Thrazien verbreitete sich der Katharismus unter dem Namen Bogomilismus,[485] der hauptsächlich in Philippopel und Konstantinopel vertreten war. Handeltreibende Slaven brachten die Sekte nach Italien, wo um 1035 ein Katharer verbrannt wurde. Sie war später namentlich in der Lombardei verbreitet; doch findet man ausser in Mailand auch in Florenz, dem Kirchenstaate, in Kalabrien und Sizilien lange Zeit katharische Kirchen, die zuletzt mehrere Diöcesen bildeten. Im 14. Jahrhundert verschwindet hier ihre Spur.

Am mächtigsten waren die Katharer in Südfrankreich, wohin sie in den ersten Jahren des 11. Jahrhunderts kamen. Vergebens durchreiste 1147 der heilige Bernhard das Land, um sie zu bekehren; Fürsten und Adel beschützten sie, so dass sie sich frei entwickeln konnten. Sie waren hier in mehrere Bistümer geteilt, deren bedeutendste die von Toulouse und Alby waren; vom letzteren wurden sie meist Albigenser genannt. Im Jahre 1165 hielten die katholischen Bischöfe im Schlosse Lombers bei Alby ein öffentliches Religionsgespräch mit den katharischen Geistlichen des Landes; die letzteren gingen frei aus, und man musste sich begnügen ihre Lehre zu verdammen. Nachdem der von Prälaten und Mönchen begleitete Kardinal-Legat Peter 1178 gegen sie ebenfalls nichts ausgerichtet hatte, sandte Alexander III. 1180 den Kardinal Heinrich, früher Abt von Clairvaux, ins Land, um den ersten Kreuzzug gegen die Albigenser zu predigen, ebenfalls ohne wesentliche Erfolge. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts gehörten fast sämtliche Fürsten und Barone Südfrankreichs zu den Gläubigen; in Schlössern und Städten hielten die allgemein verehrten Bons hommes öffentlich ihre Versammlungen; in vielen hatten sie Bethäuser und Schulen für Knaben und Mädchen; die katholische Kirche war zum Gespötte geworden. Erst Innocenz III. gelang es, mit Hilfe der Dominikaner und der Inquisition die Ketzerei zu unterdrücken.

Nach Deutschland kam der Katharismus teils von dem slavischen Osten her, teils aus Flandern und der Champagne. Schon 1052 wurden zu Goslar Katharer zum Tode verurteilt. Besonders zu Köln und Bonn bestand die Sekte fort. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts finden sich katharische Gemeinden in Bayern und am Rhein hinab. In den letzteren Gegenden wirkte seit 1131 der Dominikaner Konrad von Marburg. Seitdem verschwinden sie in Deutschland. Schmidt in Herzogs Real-Encykl.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 484-486.
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