Rittergesellschaften

[856] Rittergesellschaften sind als Mittel, den niedern Adel durch korporative Verfassung den zahlreichen andern Korporationen gegenüber zu halten, im 14. Jahrhundert entstanden, nachdem die französische Ritterschaft mit ähnlichen freien Eidgenossenschaften im 13. Jahrhundert vorausgegangen war. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts spielen sie eine entscheidende Rolle in allen Kriegen und Fehden. Die wichtigsten darunter sind seit 1332 die Wetterauische Gesellschaft, die Gesellschaft vom Stern 1371, in Sachsen, Thüringen und dem Oberrhein; 1375 die Gesellschaft von der alten Minne in derselben Gegend, 1378 vom Horn in Oberhessen, vom Falken in Hessen und Westfalen circa 1380, fortgesetzt von dem 1391 gestifteten Bengelarbunde; die Gesellschaft mit der Sichel 1391 ebenfalls in Hessen, dito die Buchner 1397 und die Gesellschaft vom Luchs. In Franken entstand 1355 die Gesellschaft der Fürspänger, 1379 die mit dem Greifen, in Thüringen 1410 eine vom Einhorn. Von Schwaben und Bayern gingen Gesellschaften von ausgeprägt politischer Tendenz und grossem Einfluss aus, welche die Grundlage der spätern reichsfreien Ritterschaft wurden: neben den Martinsvögeln (1367) die Gesellschaft vom Schwert (1370), die von der Krone und die mit den Wölfen (1372); die Gesellschaft von St. Georg und St. Wilhelm (beide 1379), und in demselben Jahre die Gesellschaft vom Löwen, die sich bis in die Niederlande, den Thüringer Wald und in die Bayerischen Alpen erstreckte u. Herren u. Städte aufnahm. Als dieser Adelsbund sich mit den Gesellschaften von St. Georg und St. Wilhelm vereinigte und alle drei der grossen Einigung von Herren und Städten von 1382 beitraten, schien es, als sollten die Gesellschaften der Ritter einen festen Platz in der Ordnung des Reiches erhalten. Doch scheiterten die Versuche der Reichseinung,[856] und die Ritterbünde nahmen wieder einen mehr partikulären Charakter an. Es traten auf 1392 die Gesellschaft von St. Georgenschild und die schon 1367 aufgehobenen, 1394–1396 aber erneuten Schlegeler. Wo, wie im Norden und Osten Deutschlands, die Landeshoheit schon stärker entwickelt war, mussten die Ritterbünde ihre politischen Absichten teilweise hinter dem Schein eines lediglich geselligen Vereines verbergen, wie die Geckengesellschaft in Kleve (1381), oder sie kamen von Anfang an unter höfischen Einfluss, wie die grosse Rittereinung vom Drachen in Österreich, Steiermark und Ungarn, an deren Spitze der Herzog von Österreich und der König von Ungarn standen. In den Donaulanden erhoben sich um 1408 die Gesellschaften vom Hirsch und vom Rüden, im Kulmer Land 1397 die Gesellschaft von der Eidechse, in der Mark die Stellmeiser, in Tirol der Elefantenbund. Die letzte derartige Gesellschaft war die 1489 gegen den Herzog von Bayern gestiftete Bayerische Gesellschaft vom Löwen. Von den altern Gesellschaften dauerte nur die schwäbische Gesellschaft von St. Georgenschild als ein selbständiger politischer Verein fort, absorbierte seit 1450 die Rechte der übrigen Gesellschaften, nahm überhaupt alle Elemente des niedern Adels, welche sich der Landsässigkeit zu erwehren vermocht hatten, in sich auf und veranlasste schliesslich die korporative Verfassung der Reichsritterschaft.

Die Grundlage dieser ritterlichen Einungen ist einzig und allein der durch einen Eidschwur bekräftigte freie Wille der Verbundenen. Ihrer Organisation nach lehnen sie sich teils an die Städtebünde, teils an die geistlichen Ritterorden. Hauptzweck war in der Regel Friede unter den Genossen, Herstellung eines geordneten Rechts und gemeinschaftliche Verteidigung der Interessen der Glieder. Dazu kam häufig gegenseitige Unterstützung in Notfällen, gesellige Gemeinschaft, religiöse Verbrüderung u. dgl. Äusserlich pflegte zum Zeichen der innigen Verbindung eine gemeinsame Kleidung oder doch ein besonderes Erkennungszeichen bestimmt zu werden, und zwar wurde ein goldenes Zeichen für die Ritter und ein silbernes für die Edelknechte unterschieden. Ein oder mehrere Mal im Jahre wurde die Versammlung aller vollberechtigten Gesellen (das Kapitel) abgehalten. Die Vorstände hiessen Hauptleute, auch Könige, Marschälle, Oberste, Gekorene über die Einung. In allen Beziehungen trat die Gesellschaft als Einheit auf, schloss Verträge, Bündnisse und Vergleiche, erklärte Fehden, fällte Schiedssprüche und verhandelte mit Kaiser und Fürsten.

Ausläufer dieser politischen Rittergesellschaften sind mannigfache gesellige Vereine, namentlich die in der zweiten Hälfte des 15. Jährhunderts mit dem Versuch der Neubelebung der längst verschollenen Turniere zahlreich emporwachsender Turniergesellschaften, welche eine bestimmte Anzahl von Ahnen für die Aufnahme forderten, ein Gesellschaftszeichen trugen und bei den Waffenspielen fest zusammenhielten; solche Gesellschaften sind diejenigen des Esels, mit dem Drachen, des Fisches, des Falken, der Krone, des Wolfes in Schwaben; der Spange, des Einhorns, des Bären in Franken; des gelben Hundes und des gekrönten Steinbocks am Rhein. Später kommen auch adelige Mässigkeitsvereine, Adelsgesellschaften gegen das Fluchen und Zutrinken u.a. vor.

Endlich gingen die Adelsinnungen dadurch in fürstliche Ritterorden über, dass die Fürsten, indem sie sich selbst an die Spitze von Gesellschaften stellten, das gegen sie entstandene Institut zu ihrem Vorteil wandten. Teils mit andern Fürsten gemeinsam, teils ausschliesslich unter ihrem Adel stifteten sie seit dem[857] 14. Jahrhundert Gesellschaften mit geselligen, religiösen und sozialen Tendenzen, in welche man nur unter gewissen Bedingungen der Geburt, später auch des Verdienstes aufgenommen werden konnte. Das Erkennungszeichen wurde zum Ehrenzeichen, die Aufnahme ging ausschliesslich oder doch vornehmlich auf den Landesherrn über. Solche Gesellschaften sind z.B. die 1398 von den Grafen von der Mark und Kleve gestiftete Brüderschaft von den Rosskämmen, die »freundliche fröhliche Gesellschaft vom Rosenkranz«, zu welcher der Erzbischof von Köln und die Bischöfe von Paderborn und Münster gehörten, die Einhornsgesellschaft Balthasars von Thüringen 1407, die Gesellschaft mit dem Greifen 1379, die österreichische Gesellschaft mit dem Zopfe 1376; die Pragerbrüderschaft mit dem Reife und Hammer 1382, die freundliche Gesellschaft mit dem Sittich in Bayern 1414, der thüringische Fleglerbund 1412. Näher den modernen Orden stand schon die Gesellschaft vom Lindwurm, welche Kaiser Sigismund 1424 aufthat; mehr noch die nach dem Vorbilde des 1431 von Herzog Philipp von Burgund gestifteten goldenen Vliesses errichteten Gesellschaften, wie die vom Kaiser Albrecht 1431 gestiftete Gesellschaft mit dem Adler, und die 1440 gegründete Brandenburgische Schwanengesellschaft unserer Lieben Frauen Kettenträger, die um 1420 an märkische Edelleute verliehene schlesische Gesellschaft mit dem Rückenbande, die 1450 gestiftete österreichische Gesellschaft vom Salamander. Nach Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft. §. 46.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 856-858.
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