Tillemont

[480] Tillemont (Tiljemong), Sébastien Lenain de, einer der gründlichsten und gelehrtesten Geschichtsforscher, die je gelebt haben, geb. 1637 aus einer adeligen Familie zu Paris, der Sohn eines maître de requêtes. gebildet in Portroyal, empfing allmälig die geistlichen Weihen, die Priesterweihe erst 1676, lebte nach der Aufhebung von Portroyal auf seinem väterlichen Schlosse T. bei Vincennes und st. 1698 in Paris, wo er Hilfe wider eine Krankheit gesucht hatte. Er war und blieb mit den Jansenisten sehr befreundet, stand aber auch gut mit ihren Gegnern, da er sich niemals in dogmatische und kirchenpolitische Streitigkeiten einließ und durch tiefe Frömmigkeit u. seltene Tugenden, namentlich auch durch eine wohl übergroße Bescheidenheit allen verehrungswürdig vorkam. Seine bis ins 6. Jahrh. n. Chr. reichende Kaiser- und Fürstengeschichte (Paris 1690–1738, 6 Quartbände) ist ein großartiger Beweis, wie vielseitig und gründlich auch ein Franzose sein kann, ohne dabei pedantisch zu werden, u. wird stets großen Werth behaupten. Das Erschein en von T.s Hauptwerk, der »Mémoires pour servir à l'histoire ecclésiastique des six premiers siècles« verzögerte lange ein Censor, der Anstoß an dem Zweifel nahm, ob ein Ochse od. ein Esel im Stalle bei Bethlehem gestanden, ob die Weisen aus Morgenland vor oder nach Mariä Reinigung angekommen seien u. dgl. m. T. mußte um dieses Censors willen sein ganzes Manuscript umarbeiten od. vielmehr in andere Ordnung bringen; er kam mit der Durcharbeitung des ungeheuren Materials nur bis zum J. 513 n. Chr., der 1. Bd. erschien zu Paris 1693, der 16. und letzte aber erst lange nach T.s Tod, nämlich 1712. Von seinen kleineren Werken sind manche noch gar nicht gedruckt, zu namhaften Werken anderer Gelehrten z.B. zu der Geschichte Ludwigs IX. von Filleau de la Chaise, soll er das Beste beigetragen haben. Lebensbeschreibung vom Canonicus Michel Tronchay, Nancy 1706, Köln 1711, Utrecht 1735. Ein Bruder des großen Geschichtsforschers, Pierre, war einer der frühesten Schüler des Stifters der Trappisten, st. zu La Trappe als [480] Subprior und hinterließ eine Geschichte der Bernhardiner.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 480-481.
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