Volksfeste

[641] Volksfeste, sind öffentliche, gewöhnlich regelmäßig wiederkehrende Festlichkeiten u. Vergnügungen entweder eines ganzen Volkes (Nationalfeste) od. einer Gegend, eines einzelnen Standes oder Ortes (Localfeste), sehr verschieden nach Ursprung und Zweck; ersterer kann ein religiöser, historischer sein, sich an eine ihrem Entstehungsgrunde nach nicht erklärbare Volkssitte, oder an eine auffallende Naturbegebenheit knüpfen u.s.w., der Zweck aber auf Dank und Freude, Belebung des Patriotismus u.s.w. hinauslaufen. Großartige Nationalfeste der alten Griechen waren ihre Kampfspiele, die blutigen Gladiatoren- u. Thierkämpfe unter den röm. Kaisern waren zumeist Zeugnisse für die innerliche Zerrüttung u. Entmenschlichung jener Zeit. Die Kirche ließ viele vorchristliche V. fortbestehen, jedoch in der Art, daß sie denselben christliche Ideen unterlegte, u. war selber die Wiege vieler V. (z.B. Kirchweihen, Osterfeste u. dgl.), die ihren kirchlichen Charakter mitunter bis heute bewahrt haben, noch häufiger aber ausarteten u. unterdrückt werden mußten (Narrenfeste, Eselsfeste). Die Zahl der eigentlichen Nationalfeste ist außerordentlich gering, zumal seit der Reformation des 16. Jahrh. und der Aenderung aller Standesverhältnisse in unserer Zeit; außer dem Wagenfest in Indien, dem Beiram der Mohammedaner, der Wasserweihe der Russen lassen sich wohl wenige nennen und die Versuche, neue V. einzuführen (Fest auf dem Marsfelde in Paris am 14. Juli 1790, Julifest, in Deutschland das Reformationsfest, Constitutionsfeste, Gedächtnißfeier der Schlacht bei Leipzig u.s.f.) waren von vornherein mißlungen. Dagegen sind der Neujahrstag u. der Carneval den civilisirten Nationen gemeinsame Feste, u. haben manche Volksbelustigungen (Stiergefechte in Spanien und Portugal, Hahnenkämpfe in England u. dgl.) einen nationalen Charakter.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 641.
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