Elmire und Selinde Mit ihren Kränzen in den Haaren Erschienen einst vor Charons Kahn Zwo Jungfern in den besten Jahren Und wollten eilends überfahren. Der Schiffer, sonst ein finstrer Mann, Sah seine Schönen freundlich an: »Ihr Kinder, kommt ihr ...
Elpin Ein Großer in Athen, der kein Verdienst besaß, Als daß er vornehm trank und aß Und sein Geschlecht zu rühmen nie vergaß, Verlangte doch den Ruhm zu haben, Als hätt' er wirklich große Gaben. Denn mancher, der, wenn ihn ...
Emil Emil, der seit geraumer Zeit, Den Klugen wohl bekannt, bei seinen Büchern lebte Und mehr nach der Geschicklichkeit Zu einem Amt als nach dem Amte strebte, Ward einst von einem Freund gefragt: Warum er denn kein Amt noch hätte ...
Emma und Eginhard An Betty. Geh, Betty, schließ die Halle zu Und gieb die Harfe mir; Von einem Fräulein, schön wie Du Sing ich ein Liedchen Dir. Der große Carl, ein deutscher Held, Des Fräuleins Vater war; Die Sachsen schlug ...
Epiktet Verlangst du ein zufriednes Herz: So lern' die Kunst, dich stoisch zu besiegen, Und glaube fest, daß deine Sinnen trügen. Der Schmerz ist in der That kein Schmerz Und das Vergnügen kein Vergnügen. Sobald du dieses glaubst: so nimmt ...
Epistel an Göckingk Heut saß ich im Cypressenhaine, In dessen Schatten, Freund, auch ich Um einen kleinen Liebling weine, Und meine Schwermuth wiegte mich In schwarze martervolle Träume. An ihrer Hand gieng ich zurück Zu meines Daseyns erstem Keime, Und fragte ...
Epistel an Phöbe auf Ihrem vierzehnten Geburtstag Heut vierzehn Jahre; theures Kind! Wie bald vollendet, wie geschwind Eil ich von meines Mittags Höhe Ins öde Schattenthal herab! O! meine Phöbe, gerne flöhe Ich aus dem Lärm ins stille Grab Zu meinem ...
Epistel an Sarasin Freund, einen kurzen Augenblick War ich bey dir: doch wie viel Glück Lag nicht in diesem Augenblick! Die Freundschaft zählt nicht so die Stunden, Wie Adam Riese zählen lehrt, An ihrem Busen durchempfunden Ist eine ganze Seklen werth ...
Epistel an Schlosser Freund, der mir oft im dunkeln Schoose Der forschenden Philosophie So traulich seine Finger lieh, Um eine Wahrheit, wie die Rose Aus Dornen, keck ans Licht zu ziehn. Wie kömmt es, daß von Anbeginn So viele Räthsel in ...
Erast Dorant, ein reicher Mann, der weiter keinen Erben Als einen Vetter hinterließ, Der reicher war als er und keinem Guts erwies, Dorant beschloß bei seinem Sterben, An seines Vetters Statt Erasten zu erfreun, Und setzte diesen Freund, der's ...
Fragment einer Capuzinerpredigt Ja glaubet mir, ihr meine lieben Brüder, Ein leerer Traum ist unsers Lebens Lauf. Gesund und frisch legt ihr des Nachts euch nieder, Und mausetodt steht ihr des Morgens auf.
Franz und Nantel Ein Manuscript aus der Verlassenschaft eines bayrischen Handwerkspurschen. Ein junger Pilgrim, Franz genannt, Zog baarfuß durch das Bayerland. Auf seiner rechten Schulter lag Ein schweres Kreuz; den ganzen Tag Bat er sein Paternoster her, Als ob er ...
Galathea Am Fuß des Latmos wölbt sich eine tiefe Grotte, Vom Finger der Natur, der Kunst Vitruvs zum Spotte, In adrigten Granit mit Allkraft eingedrückt Und durch ein Säulenpaar von Tropfstein ausgeschmückt. In ihrem Schooß umschlang die göttliche Selene Einst ...
Geßner An Lichtwehrs Arm gieng im Elysium Aesop, der für des deutschen Schülers Ruhm So kalt nicht ist, wie Deutschlands neue Barden, Einst in verherrlichter Gestalt Auf einem Pfad von Thymian und Narden Im wölbenden Cypressenwald. Da kam mit einem ...
Gewalt. Es geselleten sich ein Kind / Ziegen vnd Schaf zum Lewen / vnd zogen mit ein ander auff die Jaget / in einen Forst / Da sie nu einen Hirs gefangen / vnd in vier Teil gleich geteilet hatten / sprach der Lewe / Ir wisset ...
Grabschrift eines Arztes Hier ruht Purgantius. Der Tod, sein Bundsgenoß, Erschlug ihn blos aus Menschenliebe, Damit doch auch dem Rest von des Galenus Troß Noch was zu morden übrig bliebe.
Grabschrift eines empfindsamen Zechers Sentillo ruht in diesem Grab: Er war ein Freund des Safts der Reben Und schlug wie sie, bey seinem Leben, Sein Wasser durch die Augen ab.
Grabschrift eines Kritikers Hier ruht Orbil. Hat gleich des Mannes Ruhm Kein eignes Meisterstück erhoben, So war er doch, und das ist auch zu loben, Die Gans im Capitolium.
Gretchen Wie, liebes Mädchen, so allein Versenkt in stille Klage! Was führt dich in den öden Hayn An Gottes Feyertage? O, fragt nicht, guter Pilgersmann! Fragt nicht, warum ich weine, Hier nehmt ein kleines Opfer an, Und lasset mich alleine ...
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»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
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