Fragment einer Capuzinerpredigt Ja glaubet mir, ihr meine lieben Brüder, Ein leerer Traum ist unsers Lebens Lauf. Gesund und frisch legt ihr des Nachts euch nieder, Und mausetodt steht ihr des Morgens auf.
Franz und Nantel Ein Manuscript aus der Verlassenschaft eines bayrischen Handwerkspurschen. Ein junger Pilgrim, Franz genannt, Zog baarfuß durch das Bayerland. Auf seiner rechten Schulter lag Ein schweres Kreuz; den ganzen Tag Bat er sein Paternoster her, Als ob er ...
Galathea Am Fuß des Latmos wölbt sich eine tiefe Grotte, Vom Finger der Natur, der Kunst Vitruvs zum Spotte, In adrigten Granit mit Allkraft eingedrückt Und durch ein Säulenpaar von Tropfstein ausgeschmückt. In ihrem Schooß umschlang die göttliche Selene Einst ...
Geßner An Lichtwehrs Arm gieng im Elysium Aesop, der für des deutschen Schülers Ruhm So kalt nicht ist, wie Deutschlands neue Barden, Einst in verherrlichter Gestalt Auf einem Pfad von Thymian und Narden Im wölbenden Cypressenwald. Da kam mit einem ...
Gewalt. Es geselleten sich ein Kind / Ziegen vnd Schaf zum Lewen / vnd zogen mit ein ander auff die Jaget / in einen Forst / Da sie nu einen Hirs gefangen / vnd in vier Teil gleich geteilet hatten / sprach der Lewe / Ir wisset ...
Grabschrift eines Arztes Hier ruht Purgantius. Der Tod, sein Bundsgenoß, Erschlug ihn blos aus Menschenliebe, Damit doch auch dem Rest von des Galenus Troß Noch was zu morden übrig bliebe.
Grabschrift eines empfindsamen Zechers Sentillo ruht in diesem Grab: Er war ein Freund des Safts der Reben Und schlug wie sie, bey seinem Leben, Sein Wasser durch die Augen ab.
Grabschrift eines Kritikers Hier ruht Orbil. Hat gleich des Mannes Ruhm Kein eignes Meisterstück erhoben, So war er doch, und das ist auch zu loben, Die Gans im Capitolium.
Gretchen Wie, liebes Mädchen, so allein Versenkt in stille Klage! Was führt dich in den öden Hayn An Gottes Feyertage? O, fragt nicht, guter Pilgersmann! Fragt nicht, warum ich weine, Hier nehmt ein kleines Opfer an, Und lasset mich alleine ...
Hans Nord Ein Mann, der sich auf vielerlei verstund, That durch den Druck in London kund, Daß er ein seltnes Kunststück wüßte, Und lud auf sein erbaut Gerüste Den künft'gen Tag die Bürger ein; Ließ einen engen Krug und ...
Harpagon Wohlthätigkeit, wie selbst die Bibel saget, Rief Harpagon, ist groß, ist göttlich schön! Weh dem, der einen Bettler von sich jaget! Drum will ich auch von nun an ... betteln gehn.
Haßan Der reiche Haßan saß gebückt Am Schluß des Jahrs vor einer Schieferplatte, Und zählte, von sich selbst entzückt, Die guten Werke her, die er verübet hatte: »Vier Beutel der Moschee von Ispahan, Und drey der großen Karavane Von Mekka ...
Hebe »Pfui Kind! rief Muhme Sylvia, Als sie beym Sternenschein Jüngst den Florin mich küssen sah, Laß diesen Unfug seyn. Wenn dich nur einmal noch Florin Auf deine Wange küßt, So wächst ein Bart dir um das Kinn, Der nicht ...
Heinrich der Große Der große Heinrich kroch auf allen Vieren Mit seinem Sohn, der auf ihm ritt In einem Saal umher. Schnell öfnen sich die Thüren: Der Abgesandte von Madrid Trat ins Gemach und sah ihn galopieren. Herr, sind Sie ...
Herodes und Herodias Freund, wer ein Laster liebt, der liebt die Laster alle, Wer ein Gesetz der Tugend übertritt, Entheiligt in dem einen Falle Im Herzen auch die andern mit. »O!« sprichst du, »welche Sittenlehre Giebt Euch der Geist der ...
Holien In China lag beym Sternenlichte Ein Jüngling – Dank sey der Geschichte Für seinen Namen – Holien Lag müd auf seiner Binsenmatte Und sah vom Räuber ungesehn, Der sein Gemach erstiegen hatte, Wie hurtig er, was ihm gefiel, In seinen weiten ...
Ibrahim An meinen Carl. Eh Ferdinand mit frommer Wuth Die Mauren von sich stieß, Floß Omars junges Heldenblut Durch Gusmanns Ritterspieß. Aus Furcht der Rache (reich und groß War dieser Saracen) Floh Gusmann und blieb athemlos Vor einem Garten stehn ...
Inkle und Yariko Die Liebe zum Gewinnst, die uns zuerst gelehrt, Wie man auf leichtem Holz durch wilde Fluten fährt; Die uns beherzt gemacht, das liebste Gut, das Leben, Der ungewissen See auf Brettern preiszugeben; Die Liebe zum Gewinnst, der ...
Jost Von seinem milden Landesvater Durch Frohnen abgezehrt, lag Jost Auf faulem Moos. Ein frommer Pater Gab in dem letzten Kampf ihm Trost: Bald, sprach er, wird euch Gott entbinden Vom Joch, das euch so hart gedrückt: Die Ruhe, die ...
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Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.
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