Bildung

[104] Bildung bezeichnete bis auf Just. Möser (1720-1794) nur die körperliche Gestalt, jetzt aber bezeichnet es die Gestaltung des geistigen Lebens, und zwar zunächst im Gegensatz zur Natur, zur Roheit und Naivität. Sodann liegt darin der Begriff einer gewissen Abgeschlossenheit, Vollkommenheit und Mustergültigkeit des menschlichen Wesens. Ein gebildeter Arzt, Jurist, Lehrer usf. muß seine Wissenschaft beherrschen; aber er darf sich nicht darauf beschränken. Ein wahrhaft Gebildeter besitzt nicht nur gründliche Fachkenntnis, sondern hat auch Sinn und Verständnis für alle Gebiete menschlichen Strebens, für Wissenschaft und Kunst, für Religion und Politik, steht also mitten in den Kulturfragen seiner Zeit. Auch ohne jede Fachkenntnis kann jemand gebildet sein, der für alle menschlichen Interessen Sinn hat. Die höchste Stufe der Bildung ist demnach die Humanität, welche zum Grundsatz den aus Terentius entnommenen Ciceronianischen Satz hat: homo sum, nil humani a me alienum puto. Diese umfaßt nicht bloß die Bildung des Verstandes, sondern auch des Willens und Gemütes. Nicht allein eine Summe von Kenntnissen macht den Gebildeten, sondern moralische, ästhetische, philosophische und religiöse Bildung gehört auch dazu. Das ist die allgemeine Bildung, die durch die Erziehung angebahnt, aber erst durch ein ganzes Leben erworben wird. Vgl. K. A. Schmid, Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit, 1884 ff. Fr. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts in Deutschland. 2. Aufl. 1897.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 104.
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