Takt

[617] Takt (lat. tactus, v. tangere = berühren), eigtl. Berührung, heißt 1. das Tastgefühl (vgl. Sinn), 2. das Gleichmaß aufeinanderfolgender Zeitteile, welches angenehm auf das Gehör wirkt, 3. das feine Gefühl für das Angemessene, Schickliche. Dieser Takt, welcher zum Teil angeboren, zum Teil anerzogen ist, leitet den Menschen instinktiv dahin, daß er das Richtige in allen Lebenslagen trifft. Überall beruht er auf dem lebendigen Bewußtsein unserer Schranke, der Grenze, die uns durch die Verhältnisse gezogen ist. Ein taktvoller Mensch weiß genau, wie weit er im einzelnen Fälle gehen darf, ein taktloser niemals. Zunächst hat sich der Takt zu bewähren im Verkehr mit den Menschen, mögen sie uns gleich, über oder unter uns gestellt sein. Der Takt lehrt uns jeden als Persönlichkeit achten, so daß wir uns ihm nicht aufdrängen, uns nicht in seine Geheimnisse mischen; gegen Höherstehende soll uns der Respekt, gegen Tieferstehende unser Standesbewußtsein im Pflichtverkehr zurückhaltend machen. Ferner zeigt sich der Takt in der Art, wie man jemand lobt und tadelt, bittet und beschenkt; gerade hier ist die Form überaus wichtig. Auch die Erziehung fordert großen Takt; denn meist kommt alles darauf an, wie man den Zögling ermahnt, tadelt und straft, wie man ihn zur Selbsterkenntnis und Selbständigkeit anleitet. Daher spricht man von einem pädagogischen Takte. Der Takt ist nur da möglich, wo der Mensch in einem gewissen Vorstellungskreise zu Hause ist, so daß sich die richtigen Überlegungen schnell machen können; das so oder so geartete Reden oder Handeln muß ihm zur Gewohnheit geworden sein. Aber auch der feinste Takt steht doch nicht so hoch wie Menschenliebe, und der Höchstgestellte darf nie vergessen, daß auch der Niedrigste sein Mitmensch[617] ist. Der Takt scheidet, aber die Liebe verbindet. So dachte Goethe, der auf seiner Harzreise 1777 schreibt: »Wie sehr ich wieder auf diesem dunkeln Zug Liebe zu der Klasse von Menschen gekriegt habe, die man die niedere nennt, die aber gewiß für Gott die höchste ist.« Vgl. Lazarus, Leben d. Seele II, S. 261f. Wundt, Vorles. über die Menschen- und Tierseele II, 206 f.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 617-618.
Lizenz:
Faksimiles:
617 | 618
Kategorien: