Einige Nachrichten von den Lebensumständen des verstorbenen Maria

[447] Mitgeteilt von einem Zurückgebliebenen[447]


Der Leser, der in den vorhergehenden Blättern bald mehr bald weniger gerührt und angesprochen wurde, wird nicht ohne Interesse diesen Erinnerungen an den verstorbenen Verfasser begegnen. Sein ganzes Leben war so geheimnisvoll, daß ich, statt einer vollständigen Entwicklung seines Gemüts und seiner Jugend, nur mitteilen kann, wie ich ihn kennen gelernt, wie er mir und unsern Freunden erschienen ist und wie wir noch jetzt um ihn weinen. Der Kummer findet in jeder Klage Trost – und an verlorne Hoffnungen denken wir leichter, wenn wir auch andere dafür interessiert wissen.

Seine äußere Erscheinung bizarr oder angenehm, aber immer anziehend – seine Unterhaltung schnell, sehr lebhaft, immer witzig – vielen fremd, einigen sehr lieb – in seinem ganzen Dasein ein gewaltsames Ringen seines Gemüts und der äußern Welt – so sah ich Maria zuerst in J. und fühlte mich schnell zu ihm hingezogen. Keiner, der in J. war, nennt diesen Abschnitt seines Lebens ohne Dankbarkeit und angenehme Erinnerung! Elise! – Dieser Sommer, in dem ich Maria kennen lernte, und das Jahr, das wir miteinander verlebten, sind mir unvergeßlich. Wie es überhaupt Ton in J. war, mit allen bekannt, mit wenigen vertraut zu sein, denn eine anständige Freiheit schuf eine glückliche Geselligkeit, in der jeder leicht den fand, den er suchte – so fanden auch wir, Maria und ich, uns bald in einem fröhlichen Kreise gleichgesinnter Freunde. Ihr guten Jünglinge, du vor allen treuer Wr., wo ihr auch seid, entfernt, zerstreut – Maria hat euch nie vergessen – ihr begegnetet den letzten Blicken, die er zurückwarf – neben seinem Schatten reicht mir die Hand, nicht wahr? wir lieben uns noch und vergessen ihn nicht? –

Darf ich nennen, was uns alle verband? Ein Dichter hatte uns alle geweckt; der Geist seiner Werke war der Mittelpunkt geworden, in dem wir uns selbst und einander wiederfanden; mannigfach voneinander unterschieden waren wir, wie unsre Zeitgenossen, ohne Religion und Vaterland; wer die Liebe kannte, fühlte sie zerstörend – ohne diese Dichtungen wäre der lebendige Keim des bessern Daseins in uns zerstört, wie in so vielen. Im Genusse dieser Werke wurden wir Freunde, in Erkenntnis seiner Vortrefflichkeit gebildet, mit dem Leben einig, zu allen Unternehmungen mutig, zu einzelnen Versuchen[449] geschickt. Deutschland hätte unser Studium Goethens kennen gelernt, wenn mehrere von uns Marias poetisches Talent gehabt. Sein Gemüt war früher von einem andern Dichter berührt und seine dunkle verstimmte Jugend konnte sich lange dem heitern Genius nicht vertrauen; aber bald verdankte er ihm, daß sein Schmerz Klage, sein Unglück Kraft, seine Trauer um Liebe Streben nach Kunst wurde.

Alle Erinnerungen seiner Kindheit verloren sich in den Schmerz, keine Eltern zu haben, alle Hoffnungen seiner Jugend brach die Verzweiflung der Liebe. Wie sein Leben bedeckte auch diese Leidenschaft ein Schleier. Daß er ein edles Weib, getrennt durch Verhältnisse, unglücklich liebe, war keinem von uns verborgen, denn es war der Inhalt seines ganzen Daseins. Das Geheimnis selbst schläft in deiner Brust, Clemens Brentano! Du hattest Marias ganzes Vertrauen, und weil du weißt, was er litt, darum hast du am tiefsten gefühlt, wie wert ihm die Ruhe!

Er gestand uns gern, wie er sich erheitre in unserm Umgange; er fing an, sich und seinen Talenten zu vertrauen – mehrere Aufsätze, die noch nicht gedruckt wurden, sind in dieser Zeit geschrieben – sein Godwi entworfen, hin und wieder ausgeführt.

In keinem glücklichern Momente hätte er das angenehmste Verhältnis finden können, das er jemals hatte – deine Bekanntschaft, T., und den Umgang mit dir, Fr. S., und deiner edlen Freundin. Freundlicher T., führt dir ein Zufall diese Blätter in die Hände, siehst du sie lächelnd durch, wie du pflegst, darf ich dich anreden, darf ich dir sagen, wie wir alle dich liebten, wie du uns im Leben begegnetest wie in der Dichtung, einfach, gütig, der Gottheit und der Vorzeit empfänglich, reich an treffendem Witz, reicher an Gefühl, Dichter und Künstler, wie es wenige sind? Von uns allen hatten deine Werke Maria am meisten gerührt, er pries sich glücklich, je mehr er dich sahe, er ward fleißig, von dir zu lernen, noch auf seinem Krankenlager erquickten ihn deine Erfindungen.

T.'s Umgang war ihm ermunternd – S.'s Nähe bildender. Wenige haben sich dir, gute fromme Seele, mit diesem Vertrauen genähert – deinen Verstand, deinen Blick, deine tiefe[450] gefühlte Würde, F.S., achtete Maria, – deinen verhüllten Enthusiasmus erkannte er. Sein Schicksal war ein ewiger Irrtum – so hat er euch verloren.

Daß ich unter seinen Freunden noch die auszeichne, die am meisten auf ihn gewirkt haben. Die Wissenschaft mag R.'s Genie, den erfindsamen Fleiß, den tiefen Geist und die heilige Ahndung seiner Untersuchungen dankbar bewundern – Maria liebte die Heiterkeit, mit der er ein großes Leben begann und den kühnen Witz seiner Unterhaltung. Von einer andern Seite berührte ihn die seltene Erhabenheit in Kl.'s Gemüte. Trefflicher Spiegel deines Zeitalters! Dich weckte schon in früher Jugend der Genius, mit verstecken Erfindungen dem Irrtume zu begegnen – was du geschrieben, ist eine stille Persiflage der herrschenden Schwäche – mit kluger Mäßigung verhüllst du dein Vorhaben und deine Originalität – viele sind dir begegnet, ohne dich zu erkennen – unbesonnene Kritiker tadeln deine Werke, die sie dem Äußern nach beurteilen – die Nachwelt wird dir danken!

Entzündet von der Nähe jener großen Männer, erheitert durch den Umgang dieser und der andern Freunde, ward er gesunder, heitrer wie je vorher. In wenigen fröhlichen Stunden schrieb er das mutwillige Spiel: Gustav Wasa. Wer es beurteilen wollte, müßte den Witz und die Laune kennen, mit der es geschrieben wurde, und die Erbitterung, mit der er den verderbten nichtswürdigen Geschmack um so mehr haßte, je mehr ihn der Geist der Poesie durchdrang.

Im Sommer 1800 verließ Maria J. und ging nach D. Hier fand er, unvermutet, wie ich glaube – die Frau, die er liebte, wieder. Sie kam von einer Reise aus Italien zurück – er sah sie, um sie nie wieder zu sehen – ihm ward sein Unglück gewiß, uns sein Tod wahrscheinlich. Wie gern vertraut' ich dem teilnehmenden Leser alle Briefe, die er mir in dieser merkwürdigen Zeit geschrieben – was ich geben darf, sind nur einige Stellen:

»Mir ist wohl, recht wohl. Es wird dich freuen, daß ich das sage, aber es freut mich noch mehr, daß ich es sagen kann. Ich hatte den Frühling nie gesehen, darum hat er mich so überrascht auf dem Wege hierher. Von meinen Beschäftigungen kann dir K. erzählen. Auch an Godwi habe ich viel geschrieben.«[451]

»Hier ist mir alles lieb, nur nicht einige junge Philosophen, die die Kunst üben, ohne alle Kunst von der Kunst zu reden. Ach, ich wollte gern die Philosophie achten, aber solange solche Leute ihre Nichtswürdigkeit in den philosophischen Mantel verhüllen können –«

»Von meinem Studium der Antiken und der andern Kunstwerke habe ich auch an K. geschrieben. Ich trete nie ungerührt, immer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit in diese Gesellschaft der Götter, aber nicht lange, so widerstehe ich mir vergeblich; der Ernst meiner Betrachtungen wird tiefe Wehmut, und wenn ich hinaufsehe zu der schönen Griechin und der rührenden Trauer in ihren stillen Mienen, dann ergreift mich das Gefühl von Vernichtung, mit dem mich die Musik zu erfüllen pflegt, und ich muß hinaus und habe alles vergessen, nur meinen ewigen Schmerz nicht. –«

»– Großer Gott, wie mich das gefaßt, zerstört hat! Sie ist wieder in Deutschland, sie ist hier. Ich werde sie vielleicht heute noch sehen. Denke dir: ruhig sitz' ich zu Tische, da erzählt ein Fremder, wie unterhaltend es heut in der Gallerie war; eine große schöne Frau ging, die Gemälde zu betrachten, und wie sie ging, sahen alle Maler von ihrer Arbeit und ihr nach. Alle, so schien es, vergaßen ihre Ideale über den Anblick – ›Und wer war die Zauberin?‹ – Ach, da nennt er sie, und von dem Augenblicke weiß ich nicht, wo ich bin und wie mir geschieht. Diese Menschen vergessen über ihre Erscheinung ihre Ideale, und ich, der die ganze Gottheit dieses Weibes kennt und fühlt – ich soll sie vergessen, über dem, was ihr Ideal der Kunst nennt! –«

»Ich habe dir lange nicht geschrieben, ich werde dir auch wohl nicht viel mehr schreiben. Ich fühle mich sehr schwach. In dieser romantischen Gegend bin ich sehr gern, diese Verwirrung zerbrochner Felsstücke, einsame Wasserfälle, überall Trümmern und Zerstörung, tut mir sehr wohl. Doch werde ich diese Täler bald verlassen und wieder nach D. gehen. Ich muß in die Welt, in diesen Einöden bin ich nicht einsam genug, und einsam muß ich doch sein, wenn ich ihr mein Wort halten und leben und dichten will – darum will ich zurück zu den Menschen.«

Gegen den Herbst verließ er D. und ging an den Rhein. Von hier schrieb er selten; aber seine ganze Stimmung drückt sich in[452] folgenden Worten eines Briefes ganz aus, die ich nie vergessen werde: »Vorige Nacht saß ich oben bei dem Schlosse der Gisella und sah unter mir den Rhein und in den dunkeln Fluten den Mond und die Gestirne abgespiegelt und von den schäumenden Wellen gegen die Felsen geworfen, als würden sie zertrümmert. Sieh, so steht die Tugend und die Schönheit ewig unverrückt und nur ihr Abglanz wird von unserm dunkeln tosenden Leben bewegt« –

Dann lebte er auf einem Landhause v.S. Die romantische Gegend und die einsamen Verhältnisse dieses Aufenthalts hat mein Freund im zweiten Teile des Godwi selbst beschrieben. Den guten Geist dieser Wohnungen, der auch Maria tröstete, in dessen Armen er gern starb, an dessen Brust er wieder zu erwachen wünscht, dich, mein S., hat er nicht beschrieben. Und wer könnte die ruhige Würde deiner Erscheinungen, die stille Güte deiner Mienen und die liebende Konsequenz deines Lebens mit Worten andeuten? Ich mag dich nicht erinnern, was du für Maria gewesen bist, aber ich bitte dich, wenn die gestorben sind, für die ich lebe, laß mich auch in deinen Armen einschlafen.

Von seiner Krankheit hab ich nichts zu sagen. Seine Liebe war sein Leben, seine Krankheit und sein Tod. Bis in dem letzten Augenblick war er tätig – wir mußten seiner Begierde zu lesen und zu schreiben auf den Befehl des Arztes nachgeben. Er würde nicht sterben, behauptete dieser, wenn er immer fortschriebe. Die letzten hellen Tage und Stunden verdankt er dir A., deine Ironie, dein reines Gefühl und dein jugendliches poetisches Dasein heiterten den Kranken ach, wie sehr! auf. »Nun sterbe ich ruhig,« sagte Maria einst lächelnd, »ich habe den Humor gesehen.« Die Freude, die dir in Tiecks Dichtungen geworden, mag dir belohnen, was du an ihm getan. Bleibe um Gotteswillen so lustig, wenn du ein großer Physiker wirst.

Von den Anlagen, die mit ihm verloren gegangen sind, hat der Freund nicht zu reden. Nur das darf ich bemerken, daß die schönsten lebendigsten Stellen dieses zweiten Teils wenige Tage vor seinem Ende geschrieben wurden. Der Sinn seiner Dichtungen spricht sich deutlich genug aus – daß in unserm Zeitalter die Liebe gefangen ist, die Bedingungen des Lebens höher[453] geachtet sind wie das Leben selbst, und die Nichtswürdigkeit über die Begeisterung siegen kann, hatte er mit seiner Jugend und seinem Leben bezahlt. Er wandte seine letzten Kräfte auf, andern dies Opfer zu ersparen. Streit mit der Liebe war sein Schicksal, Streit für die Liebe sein Beruf.

Nahe an S.'s Gute lagen hoch und mit einer reizenden Aussicht die Trümmern einer Burg – zwischen den Ruinen wohnte in einem kleinen Häuschen ein Kastellan, bei dem wir in frühern Zeiten oft sehr vergnügt lebten. Es war ein eigener Aufenthalt zwischen den alten Türmen und Mauern: aus einem Teile der alten Burgkapelle war die Kirche des Dorfes geworden. Maria, der immer mehr seinen Tod sah und wünschte, bat uns, ihn zu dem alten Kastellan zu bringen. Hier lebte er einige Wochen oben, fleißig, heiter und freier, je näher sein Tod kam. S. und A. waren beständig um ihn; die kleine Sophie, des Kastellan Tochter, war seine Wärterin.

Von seinem Tode laßt mich schweigen. Ich habe ihn nicht sterben gesehen. S. las ihm Tiecks Herkules am Scheidewege vor.


»Und da kömmt noch die Ewigkeit,

Da hat man erst recht viele Zeit.«


Maria lachte noch einmal, er drückte S.'s Hand stärker und S. hat ihm nicht weiter vorgelesen.

Man hatte mich auf das Schloß gerufen. Als ich hinaufkam, saß S. an dem alten Turme und sah still in den Abend. Seine Hand wies mich in die kleine Kirche. Lächelnd lag der bleiche Freund in dem besten Ruhebette. Die kleine Sophie legte ihm Rosen in die Hände. Als ich heftig an ihm niedersank, ihn zu umarmen, bat mich das Kind leise: »Wecken Sie ihn nicht! Er hat lange nicht so gut geschlafen, und wie wird er sich freuen, wenn er aufwacht und die Rosen sieht!« –

Wir teilen dem Leser noch die bei dieser traurigen Gelegenheit erschienenen traurigen Gedichte traurig mit.

I

An S .... y


Erhebe dich von dem verschloßnen Munde,

Komm von dem Lager, wo Maria ruht:[454]

Er schläft so heiter, ruhig, still und gut,

So lächelnd sah er der Befreiung Stunde;

Noch streitend fühlt er schon, daß er gesunde,

Frei wird in seiner Brust der höhre Mut,

In Ahndung löst sich die verschwiegne Glut,

Geheilt ist bald des Lebens tiefe Wunde.

Maria schläft: verschlossen ist sein Mund,

Er ist die Antwort schuldig mir geblieben,

Ach, wirst denn du sie meiner Liebe geben?

Ist es denn wahr? kann denn der Mensch nicht lieben?

Ist keine Wahrheit in dem dunklen Leben?

Wird jeder Schmerz im Tode nur gesund?


II

Nachgefühl

von N.M.


Wenn die Blumen wieder blühen,

Regt es sich im stillen Herzen,

Wenn die Rosen wieder glühen,

Fühl' ich tiefer Ahndung Schmerzen.


Tränen rinnen von den Wangen,

Meine Blicke muß ich senken,

Stiller Sehnsucht zart Verlangen,

Faßt des Freundes Angedenken.


Ach und niemand kann mir sagen,

Wo der teure Freund geblieben,

Trauer hätt ich gern getragen,

Gern ein Lied auf ihn geschrieben!


III

Als Stammblatt


Bitter tadelst du den Schöpfer,

Daß er deinen Freund zerstöret,

Und daß er ihn nur deswegen

In des Lebens Mitte führte,

Um dann auf dem letzten Blatte

Der Verwesung ihn zu weihen.

Nicht den Schöpfer, nein das Leben,

Trifft, o Freund, dein bittrer Tadel![455]

Ach, das Leben ist so kurz,

Ach, so kurz und doch so lang!

Ist es denn auch nicht das längste,

Laß es uns zum dicksten machen!

Sein Gebein stürz in den Abgrund,

Lebt er doch im Grunde ewig.

Sein Geist, der ewig schaffende,

Lebt tönend fort in dir und mir,

Von einer Messe zu der andern

Ertönet sein belebend Werde,

Das ist das Los des Schönen auf der Erde.


IV

Der duftgen Wolken Schleier

Verhüllt der Landschaft Moor,

Um fallendes Gemäuer

Klagt der Sylphiden Chor.


Was hemmt in goldnen Lüften

Der hehren Ahndung Flug,

Was bringt aus dunkeln Grüften,

Der stillen Gnomen Zug?


Es ist des Jünglings Leiche,

Sie tragen ihn empor,

Der sich im Geisterreiche

An Lauras Hand verlor.


Erglänzt von Lunas Blicken

Ruht dunkel die Gestalt,

Und durch die Dämmrung zücken

Erinnrungsblitze kalt.


V

Genius, senke die Fackel, hier ruht der erbleichete Jüngling,

Ach, der heftige Schmerz schließt uns den klagenden Mund!

Zwischen der Form und der Sache da irren die menschlichen Triebe,

Und ein ewiger Streit trennet das Ich und das Nichts,

Trennet die Pflicht und die Liebe, trennt das Gesetz und die Freiheit,

Bindet zu Formen den Ton, trennt dann den Ton und die Form.[456]


VI

Grausam eröffnet schon der alte Tod

Das tiefe Grab, nimmt edle schöne Knochen

Heraus, um unserm Freunde Platz zu machen.

Maria duldet still die Arzeneien,

Wie grausam ist des Edlen Schicksal!

Der nichts, der ach! nichts nachzutrinken hat!

So duldet er sein Schicksal, bis

Der Atem (wehe, wehe dem Verräter!)

Heimtückisch, wie ein Seufzer, ihn verläßt;

Nun liegt er da, die edle schöne Seele,

Wir beben alle, wir verstummen!

Da erscheinest du, der Leichen Muse,

Entwindest dich des Totengräbers Armen,

Hüllst den Verstorbenen freundlich

In deinen dichten Schleier,

Und bringst den Schlummernden

Der dunkeln Erde in die Arme –

Da ruht der Jüngling, bis dem Mutterschoße

In neuen Formen die Geburt entsteigt,

Lebend in Blüten oder Liedern

Den Vater grüßt!


VII

Von A. W – nn


Du hattest schon, o Freund! den Weg gefunden,

Vertrauend bald der heilgen neuen Lehre!

Du hattest schon die heilge Drei verbunden,

Bis dir die Viere deutlich worden wäre,

Ließ dich der Blick ins Centrum schon gesunden!

Ein tapfrer Krieger für der Gottheit Lehre,

Ein Phönix, wirst du dich der Liebe weihen,

Die junge Brust in ewger Lust erfreuen!


VIII

(Mel. Der Vogelfänger usw.)


Maria liegt nun schlafend da,

Lustig, mein Mädchen, Hopsasa!

Der Tod ist Schlaf, der Schlaf ist Tod

Zwischen dem Morgen- und Abendrot.[457]


Maria liegt nun schlafend da,

Lustig, mein Mädchen, Hopsasa!

Kann der Begriff die Liebe fassen,

Kann der Kaptain das Fluchen lassen.


Maria liegt nun schlafend da,

Lustig, mein Mädchen, Hopsasa!

Wär ich schon tot, ich kehrte mich um,

Ohne das Salz ist die Erde dumm!


Maria liegt nun schlafend da,

Lustig, mein Mädchen, Hopsasa!

Sieht doch der Kaiser den Sonnenbrand!

Kirschen, o Kirschen! lustiger Tand!


Maria liegt nun schlafend da,

Lustig, mein Mädchen, Hopsasa!

Ackerleute des lustigen Weins,

Liebe! du Tausend und immer Eins!


IX

Von K.R.


Heil dir, der du der Dichtung magern Rappen,

Gespornet frisch, wie Ritter Donquixote,

Entrissen kühniglich aus Glück und Note

Hast du dich aus dem Streit poetscher Knappen.

Wozu nach Abenteur und Reimen tappen?

Dich traf der Weltlauf mit gar harter Pfote,

Dann kam des Tods entschuldigender Bote

Und nahm dem Leben seine Schellenkappen.

Nun sind zu Ende alle die Geschichten,

Dich hat ein Gott der Littratur entzogen,

Du badest dich allein in blauen Wogen.

Wozu noch länger reimen, dichten, richten,

Du hast verlassen unsre Katakomben

Und freuest dich der Götter Hekatomben.


An Clemens Brentano

Dir so teuer wie mir war diese freundliche Jugend,

Die sich, in heiliger Glut sterbend, in Liebe gelöst![458]

Weinend wendest du dich – wir scheiden mit ewigen Tränen,

Daß diese Liebe verstummt, welche so zart uns vermählt!

Sieh noch einmal zurück auf die schöne heilige Ahndung,

Über der Schlummernden gieb mir zu dem Bunde die Hand.

Ist es uns nicht geworden, zu rächen die Wünsche der Jugend?

Blieb ein Vermächtnis nicht dir, was sie so glühend erstrebt,

Dir, dem die Götter die reiche Fülle der freundlichen Dichtung,

Dem sie die Sprache verliehn und ihre bildende Kraft?

Schon ergreifst du die Leier, zu rächen, zu retten die Liebe,

Und ein neues Geschlecht dankt dir den freien Genuß.

Wie du hinunter jetzt steigst in das Dunkel des irrenden Lebens,

In die Tiefe der Brust kehrst du begeistert zurück,

Dort die verlorne Jugend umringt von Schatten zu finden,

Kühn bezwingend den Tod führst du die Dichtung zurück.

Also zum Orkus hinab stieg einst der thrazische Orpheus,

Suchte, die er geliebt, fand sie dem Tode vertraut,

Aber die göttliche Leier bezwang des Tartarus Mächte,

Seinem Gesange vermählt kehrt die Geliebte zurück.

Ja, schon lächelt das Licht, doch an der Schwelle des Lebens

Faßt ihn des Zweifels Gewalt, raubt ihm den schönen Besitz.

Unglückseliger Mann! sie war dem Vertrauen gegeben,

Was dir der Glaube gewährt, kann es der Zweifelnde sehn?

Doch was fürchtetest du, dir nahe tötend der Zweifel

Und dir mißlänge dein Werk, kühn zu gestalten den Schmerz?

Dir bewahret die Liebe der Guten das schöne Vertrauen

Und der kindliche Sinn schützt dir das kindliche Glück.

Heilige Jugend erscheint in deinen fröhlichen Werken

Uns dann auf ewig erneut, dir dann auf ewig vermählt!


Fußnoten

1 Soll doch wohl nicht eine Anzüglichkeit auf den französischen Schriftsteller La Fontaine sein? Anmerk des irritierten Setzers.


2 Siehe den ersten Band, pag. [siehe hier], wo Molly von dieser Kordelia schreibt.


3 Ich besitze durch die Güte des Herrn Godwi jetzt diese Papiere, die nichts anders als das selbstgeschriebene Tagebuch dieses höchst interessanten Menschen enthalten. Er lebte in dem funfzehnten Jahrhunderte, und ich bin willens, sobald ich Muße habe, dem Publikum dieses interessante Manuskript mitzuteilen.

Maria


4 Ich konnte das schöne Tonspiel des Italiänischen von amare und amaro nicht anders geben.


5 Der Vater des unsrigen.


6 Siehe erster Band.


7 Bei Bacharach steht dieser Felsen, Lore Lay genannt; alle vorbeifahrende Schiffer rufen ihn an, und freuen sich des vielfachen Echos.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968].
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