Die Sehnsucht der Freundschaft,

an Herrn Gleim

[162] (Zu Berlin den 21ten des Heumonats 1761.)


Freund, vom nächtlichen Mahl deines und meines geliebten

Sulzers gekommen, verbiet ich der Ruh,

Daß sie mich eher nicht reizt, bis ich Gedanken geschrieben;

Tausende flattern dir zu!


Wie von Herzen der Braut einzelne Sorgen entfliehen

Zu dem Geliebten ins ferne Gezelt,

Ob sie der Krieger noch denkt? also sorg ich, ob immer

Mein Gesang dir gefällt.


Achtzehnmahl flohe die Nacht vor dem kommenden Tage;

Aber noch schattigt, mit Dunkel noch voll;

Wie die Wolke, so schwer ist die Seele der Sapho1

Wenn sie schwingen sich soll.
[163]

Du von Phöbus Altar nahmst mit Händen der Freundschaft

Flammende Brände. Den heiligen Raub

Billigt selber der Gott; doch, dem Feuer gefolget,

Ist er ferner mir taub.


Ist im Tempel bey dir, der, am rieselnden Bache,

Unter den Bäumen von Musen bewohnt,

Die Orcane nicht fühlt; selbst die Kinder der Franzen

Haben alles geschont;


Sonst ein gieriges Volk, das in Gottes Gebäuden

Priester geschimpfet, Altäre bestürmt

Aber heilige Furcht grif die Herzen der Krieger;

Dichter werden beschirmt.


Freund, sie stöhren dich nicht, bleib und spiele die Laute!

Scipio machte mit siegender Hand

Ihren Hannibal angst, der die Wunde des linken

Armes tödlich empfand.2
[164]

Jetzt verbindet er sie, horcht nur bangem Erwarten

Donnernde Worte die Ludewig schilt,

Doch nun kennet der Hof endlich, daß er mit Grimme

Alle Götter erfüllt,


Flucht dem blutigen Zank, giebt den murrenden Völkern

Ihres Verlangens entfernetes Ziel!

Dennoch stehen um Friedrich, wie gebürgige Wetter,

Seiner Feinde noch viel.


Ihn erblickt' ich im Traum, wie die Stirne des Phöbus

Wenn er vom Wagen des Tages herab

Sieht in blumichtes Thal, also sah' ich die Stirne,

Welche Strahlen sie gab!


Vor ihr flohen dahin die Phantomen der Zagheit

Aus den Kriegern die unter ihm stehn!

Das unbärtige Volk, wie die jüngsten Spartaner,

Tapfermüthig und schön
[165]

Ists, und fürchtet den Tod nicht in hohlem Getöse

Feindlicher Schilde, sie rufen die Schlacht

Und ein festlicher Eyd für den grössesten König

Hat sie eisern gemacht!


Stimm die Saiten o Freund! hohe Sieges-Gesänge

Heischet das Jauchzen; mir thönet ins Ohr

Freude niemals gehört, muthig will ich sie singen

Doch, du! singe mir vor!

Fußnoten

1 Herr Gleim hatte die Dichterin die deutsche Sapho genennet.


2 Prinz Ferdinand hatte kurz vorher den linken Flügel der französischen Armee unter Befehl des Herzogs von Broglio und des Prinzen von Soubise geschlagen.


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 162-166.
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