Der junge Bettler

[186] Ich wandle taumelnd, wie im Traum,

Der Frühling tanzt auf Berg und Heide,

Und zierlich schürzt die Birk' den Saum

An ihrem grünen Seidenkleide;

Mein Bettelsack, tanz mit den Reigen,

Schwing dich hinauf zum tollen Ritt!

O Birke, wieg auf deinen Zweigen

Mein armes Ränzel freundlich mit!


Was macht mein junges Bettlerherz

Der Heide grüner Glanz so traurig?

Was bettelt es und was begehrt's,

Was weht durch mich so süß und schaurig?

Rasch möcht ich in den Himmel greifen,

Und meine Lippen zucken leis –

O könnt ich singen oder pfeifen,

Was mir im Blute gärt so heiß!


O traute Birk'! im Morgenstrahl

Sah ich am Quell mein Mädchen stehen,

Dann aber froh aus unserm Tal

Mit Wanderschritten eilend gehen;

Sie ist dies Jahr so schön geworden,

Ich sah's mit süßem Schrecken ein!

Was aber soll bei Bettlerhorden

Der reichen Schönheit Prunk und Schein?


Beschränke dich, du eitle Brust!

Was schiert dich all dies stolze Blühen?

Umsonst! mich will die fremde Lust

Weit in die goldne Ferne ziehen![187]

O süße Schwester Birke, senke

Mein Säcklein wieder mir herab,

Und einen deiner Äste schenke

Mir noch zum Wanderbettelstab!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 186-188.
Lizenz:
Kategorien: