Sechster Brief.

An das Fräulein Caroline von Wilmar in Sternfurth.

[44] ... den 30sten Julius 1771.


Sie haben wohl Recht, meine theuerste Freundinn! wenn Sie mit mir zürnen, weil ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Doch, verzeyhen Sie mir diesmal noch. Ich bin nun einmal faul im Briefwechsel; Und davon können Sie Sich keinen Begriff machen, meine Liebe! wie man immer so mancherley Geschäfte findet, wenn man eine Hausfrau und Mutter ist, und die Sorge einer Haushaltung auf sich hat, mögte diese auch noch so klein seyn.

Sie fragen mich, ob ich glücklich bin? Einer Freundinn wie Sie sind kann ich meine[44] ganze Seele aufschliessen – Also ja! ich bin glücklich, in so fern ich mein Herz von hohen Erwartungen herabgestimmt habe, und meine zu überspannten Gefühle in ein ruhigers Gleichgewicht gebracht sind. Aber ich bin nicht glücklich, wenn ich meinen Zustand nach dem Ideale abmesse, das einst vor meiner Einbildung schwebte. Sie kennen die Heftigkeit meines Temperaments, aber Sie würden mich sehr verändert finden, wenn Sie mich itzt sehen sollten. Zehn Jahre machen keinen geringen Unterschied, und so lange ist es ja, daß wir uns nicht gesprochen haben. Ich merke aber wohl, daß ich viel werde nachholen müssen, wenn ich Ihnen alles erzählen soll, was indessen in mir und um mich vorgegangen ist.

Sie wissen, daß meine Eltern mich überredeten, einem Manne die Hand zu geben, den mein Herz nicht gewählt hatte. Wie wenig Wonne ich nun in den ersten Jahren meines Ehestandes hatte, das können Sie[45] Sich selbst leicht sagen. Ich warf es mir oft vor, daß ich ein Gelübde übernommen hatte, wogegen sich meine Seele empörte. Es zerriß mir das Herz, wenn ich dachte, daß mein Jugendfreund, dessen Bild ohne Aufhören vor meinen Augen schwebte, mich itzt für leichtsinnig und treulos halten mußte. Es ist wahr, man hatte mir viel böse Dinge von ihm erzählt, und mich glauben gemacht, er habe äusserst untreu an mir gehandelt. Allein bewiesen war doch das nicht – Konnte dies alles nicht Verläumdung seyn?1

Die üble Laune, welche mir diese nagenden Gedanken erweckten, mußte denn auch leider! mein Mann empfinden, der des Dinges endlich überdrüssig, und, weil er wohl die Ursache davon ahndete, im höchsten Grade mistrauisch wurde. Er beobachtete jeden meiner Schritte, und war äusserst aufmerksam auf meinen Briefwechsel.[46]

Doch hierinn hatte er Unrecht, denn wenn gleich die Eindrücke einer ersten Liebe nur mit Mühe durch lange Zeit und Trennung auszulöschen sind; so erlaubte ich mir doch, sobald mich die Pflicht an meinen Gatten fesselte, auch nicht die geringste Erkundigung nach meinem Geliebten.

Lange nachher habe ich von ohngefehr erfahren, daß der arme Meyer die dortigen Gegenden (vielleicht aus Verzweiflung) verlassen, und daß man seit dieser Zeit nichts von ihm gehört hat.

Unterdessen faßte mein Mann den Entschluß das Land zu fliehen, und mich aus allen ehemaligen Verbindungen heraus zu reissen. Er hatte ohne mein Wissen sein väterliches Vermögen in baares Geld verwandelt, sich völlig frey und unabhängig gemacht, und eher erfuhr ich seinen Entschluß nicht, als bis er eines Tages mit einem ernsthaften Gesichte in mein Zimmer tratt, und mir kurz[47] ankündigte: »er sey entschlossen einen andern Wohnort zu wählen, alles sey dazu vorbereitet, und in wenig Tagen würde er mit mir fortreisen.« Wohin? – das sagte er nicht.

Ich war so gleichgültig bey allem geworden, daß mich diese Nachricht, gegen seine Erwartung, gar nicht erschreckte. Mein Vater war gestorben; meine Mutter wohnte schon nicht mehr auf den Gütern des Grafen, sondern war zu einer Verwandtinn gezogen, und starb bald nachher; Was sollte mich also an meinen Geburthsort fesseln? Ich stieg noch in derselben Woche mit ihm in den Wagen, und fuhr auf gutes Glück nach – Wien.

Sobald wir dort ankamen, nahmen wir den Nahmen an, mit welchem ich mich jetzt, zu Ihrer Verwunderung, unterschreibe, und mein Gatte bath mich allen Briefwechsel in mein Vaterland aufzugeben, welches ich, so hart es mir ankam, wie Sie wissen, erfüllt habe.[48]

In Wien lebten wir von allem menschlichen Umgange entfernt, besuchten aber doch die öffentlichen Schauspiele und Spaziergänge, ohne jedoch irgend eine Bekanntschaft zu machen, wozu wir jeder Gelegenheit auswichen.

Ich gebahr wenig Monathe nach unserer Ankunft unsre einzige Tochter, und da dies neue Band mich fester an meinen Gatten fesselte, und nun mancherley häusliche Geschäfte auf mir lagen; so fieng ich an meinen Zustand weniger hart zu finden. Ich sah meinen Mann mit andern Augen an, und fand, daß er in der That ein schätzbarer Mann war, dem ich es nicht verdenken konnte, daß er ausschliessenden Anspruch auf mich machte. Ich fühlte auch, daß würklich eine gewisse Art von Liebe gar nicht zu einer glücklichen Ehe erfordert wird, indem dieser Zustand doch ohnmöglich würde dauern können, und daß ein auf gegenseitige Hochachtung, Pflicht, Bedürfniß und Dienstleistung gestütztes Band[49] viel fester hält, und das Herz in einer ruhigern Lage läßt.

Sobald mein Mann merkte, daß ich anfieng eine gute Frau und Mutter zu werden, war auch er lauter Aufmerksamkeit und Freundlichkeit gegen mich. Kleine Abwechselungen des Schicksals und unerwartete Vorfälle machten wohl hie und da einige Stunden trübe, aber im Ganzen genommen lebten wir doch in jenem seligen Zustande des stillen häuslichen Friedens, der vielleicht die einzige wahre dauerhafte Glückseligkeit ist.

So begegnete es mir, zum Beyspiel, daß ich in einem deutschen Schauspiele einen Mann zu sehen glaubte, der natürlich wie Meyer aussah. Ja! ich wollte darauf schwören, daß er es gewesen ist, und ich erinnere mich noch wohl, welchen Eindruck dies auf mich machte, wie es mir viel Tage hinter einander meine Seelenruhe raubte, und wie mein Mann aufs neue darüber nachdenkend wurde.

Ein andermal suchte ein vornehmer Herr, den wir auf einem Spaziergange im Prater[50] sahen, unsre Bekanntschaft, und wendete, um mich allein zu sprechen, allerley Mittel an, denen wir nur mit Mühe auswichen, und welche meinem Manne Kummer machten. Aber solche kleine Wolken zogen bald vorüber, und wir lebten in der Stille fort.

Allein endlich fanden wir doch, daß man sehr theuer in Wien zehrt; Man hatte uns die Gegenden, wo wir itzt wohnen, wie billig, als sehr angenehm und wohlfeil beschrieben, und daher beschlossen wir hierher zu ziehen.

Wir mietheten ein Häuschen in dieser Landstadt, setzten uns freylich anfangs, durch unsre sonderbare Lebensart, der Neugier des müssigen geschwätzigen Publicums aus,2 waren aber doch bald, nachdem die Leute müde waren von uns zu reden, ungekränkt und so unerkannt als in der größten Stadt.

Hier wohnen wir nun seit ein Paar Jahren, meine Tochter wächst heran, und verspricht mir Freude zu machen, und da itzt mein Mann von meiner Treue und Aufrichtigkeit[51] überzeugt ist; so hat er mir gern erlaubt, mit ihm die Nachbarschaft in Urfstädt und sonst zu besuchen, und meine alten Bekanntschaften schriftlich zu erneuern. Ja! es war auf seinen Antrieb, daß ich Ihnen, beste Freundinn! in vorigem Jahre schrieb, und Sie bath, mir Nachricht von Ihrem Zustande zu geben.

Noch einmal! Verzeyhen Sie, wenn ich auf den freundschaftlichen Brief, den ich kurz nachher von Ihnen erhielt, und auf Ihre Anforderung, Ihnen meine Geschichte zu erzählen, erst itzt antworte. Von nun an, da ich wieder in die Gewohnheit des Briefschreibens komme, will ich auch recht fleissig seyn.

Jetzt wissen Sie, wie es mir geht; Lassen Sie bald wieder etwas von Sich hören, meine Beste! und vergessen nicht


Ihre

treueste

Wilhelmine (Becker).

Fußnoten

1 Man sehe den eilften Brief im ersten und den zwangzigsten im zweyten Theile.


2 Man sehe den ersten Brief im ersten Theile.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 53.
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