Der 3. Absatz.

Von den Füssen des Menschen.

[231] Die Füß / als die letzte und unterste Glieder / seynd gleichsam das Fundament und Grund-Saul / die das gantze Gebäu des menschlichen Cörpers tragen und aufrecht erhalten müssen.52 Sie werden eigentlich von dem Knie an ausgetheilt in das Schinbein / in das oberist Gelenck unter den Knochen / Zähen und Fußsohlen. Der Fuß hat neun Musculos oder Mäußlein /krafft deren er seine Bewegungen macht / unter welchen 2. zu finden / durch die er sich krümmet / und 7. durch die er sich ausstreckt. Das Schinbein aber hat auch seine besondere 11. Musculos (deren eigentliche Benahmsungen bey den Anatomisten zu finden seynd) durch welche es sich auf viererley Weiß beweget /indem es sich bieget / ausstrecket / ein und aus hebet. Der vordere Theil desselben / so ohne Fleisch ist /wird Ocrea genennt / der hintere aber / so fleischig ist / Sura etc.


In sittlichem Verstand bedeuten erstlich die 2. Füß des Menschen die Liebe GOttes und des Nächsten /durch welche der Mensch gleichsam zu GOtt gehet /und in Himmel aufsteigt.53 Diese 2. sittliche Füß seynd also miteinander verbunden oder vergesellschafftet / daß keiner ohne den anderen recht gehen oder stehen kan: Die Liebe GOttes kan nicht bestehen ohne die Lieb des Nächsten / noch die Lieb des Nächsten für sich gehen ohne die Lieb GOttes. Mit diesen 2. Füssen muß der Mensch lauffen den Weg des Heyls / und der Gebott GOttes.[231]

Die Gleichheit aber zwischen dem Fuß und der Liebe bestehet in folgendem: daß erstlich / gleichwie der Fuß das letzte Glied ist / welches zur gäntzlichen Vollkommenheit des menschlichen Leibs gehöret /also ist die Lieb die letzte doch fürnehmste Tugend /welche dem Menschen sein endliche und gäntzliche Vollkommenheit gibet. Deßwegen der Apostel / nachdem er seinen Collossonenseren unterschiedliche Tugenden recommendirt und anbefohlen hat / setzt er hinzu / über dieses alles sollen sie sich der Liebe befleissen / welche ist das Band der Vollkommenheit.54

Gleichwie auch die Füß den Last anderer Glieder unterstützen und tragen müssen / also übertraget die Lieb alles. Omnia suffert, sagt der Apostel; und in so weit übertraget ein jeder seinen Nächsten / so vil er ihn liebet. Si amas, portas: si desinis amare, desinis & tolerare:55 wann du den Neben-Menschen liebest /so gedultest in: und wann du aufhörest zu lieben /wirst du auch aufhören ihne zu gedulten.

Fürs anderte / so seynd die Füß lang mit starcken Bein und Nerven versehen / und hinterlassen die eingedruckte Fußstapffen nach sich. Auch die wahre Lieb ist starck und daurhafft / die Schwachheit- und Gebrechlichkeiten der anderen zu übertragen: und mithin lasset sie tieff eingedruckte Merckzeichen des guten Exempels / der guten Wercken nach sich.

Zum dritten / gleichwie die Füß den Leib erheben oder aufrecht halten / zum Fortschreiten nothwendig /und füglicher zu gehen mit Zähen versehen seynd /also thut die Lieb die Seel aufrecht halten / zu GOTT und Himmlischem erheben und erhöhen: sie macht den Menschen fortschreiten von einer Tugend zur anderen: ibunt de virtute in virtutem, durch die Vollziehung der 10. Gebott / welche da durch die Zähen mögen verstanden werden: dann / gleichwie die Zähen in denen Füssen gegründet seynd und zusammen kommen / also seynd die 10. Gebott in der Lieb gegründet und vereiniget / wie abermahl der H. grosse Gregorius anmercket / indem er sagt: Die Gebott des HErrn seynd vilfältig wegen Vilfältigkeit der Wercken: eines aber seynd sie wegen der Wurtzel / das ist / der Liebe / von der sie entspringen / und auf welche sie alle abzihlen.56

Ferners seynd geistlicher Weiß durch die Füß zu verstehen die Affect und Anmuthungen der Seel: dann / gleichwie die Füß den Leib von einem Orth zu dem anderen herum tragen / also tragen die Begierd und Anmuthungen die Seel von einem Ding zu dem anderen / und / gleichwie der ohne Füß in einem Orth unbeweglich verblibe / also wäre auch das Gemüth gantz still und ruhig / wann es nicht von seinen Anmuthungen herum getriben wurde.57 Also sagt ausdrucklich der Heil. Augustinus: pes meus affectus meus, eo feror quocunque feror. Aber gleichwie die Füß / indem sie immer die Erden betretten / gar offt besudlet und kothig werden / und folgends wiederum müssen gewaschen und gesäuberet werden. Also werden auch diese sittliche Füß die Affect oder Anmuthungen gar leicht von denen irrdischen Dingen /wann sie denenselben unordentlich anhangen / bemacklet: und darumen ist es nöthig / daß man sie offters durch die Buß und reumüthige Zäher wiederum waschen und reinigen thue. Zu diesem End aber sollen sie in der Beicht aufrichtig entdeckt werden /gleichwie man die Füß entblössen muß / wann man sie fleißig waschen will: gleichwie Christus seinen Jüngeren gethan hat / als er ihnen die Füß gewaschen / und ihnen gebotten hat / daß sie auch einander die Füß waschen / das ist / die Anmuthungen reinigen sollen.

Endlichen / wann die Füß krumm oder schwach seynd / da stehet das Gebäu des menschlichen Leibs auf keinem guten Grund / es fallet leicht zu Boden. Und wann die Affect oder Neigungen mangelhafft und verderbt seynd / da hat das sittliche Tugend-Gebäu keinen Bestand oder Dauren / es wird leichtlich umgestürtzt: gleichwie jene berühmte Statua des Nabuchodonosors[232] / dero obere Theil oder Glieder zwar von starckem Metall / die Füß aber zum Theil nur von Erden waren: und deßwegen als ein Stein vom Berg herab fiel / und an die Füß schluge / da zerbrach er selbe / und die gantze Statuen fiel zu Boden.58 Also auch / wann ein Stein der Versuchung oder Widerwärtigkeit an die schwache erdene Füß / ich will sagen / an die blöde und übel bestellte Affect oder Neigungen anstoßt / da verderbt und zerstöhrt er selbige gantz und gar / und wirfft samt diesem schwachen Fundament das gantze Tugend-Gebäu zu Boden. Damit aber unsere sittliche Füß nicht nur rein / sondern auch starck und daurhafft werden / sollen wir selbige salben mit dem Balsam der Andacht / und mit der Myrrhen der Abtödtung / alsdann wird von uns können gesagt werden: Pedes eorum pedes recti,59 ihre Füß / das ist / ihre Affect seynd recht und wohl bestellt.

Es können auch noch weiters durch die Füß die Arme / Bauren und Unterthanen verstanden werden.60 Es werden die Füß für die geringste oder verächtlichste Glider gehalten / ob wohl sie den gantzen Leib tragen und aufrecht erhalten / für ihne sich vil bemühen und umlauffen müssen / ohne welche er auch unformlich zu Boden lage. Auch die arme Bauren und Unterthanen werden für gering und verächtlich geschätzt / ja offt von ihren unmilden Herren und Obrigkeiten schier selbst mit Füssen getretten: und dannoch müssen sie den meisten Last der Unkösten tragen / und durch ihre Mittel und Arbeit das gemeine Wesen in seinem Stand und aufrecht erhalten.

Die Arme / Einfältig- und Niderträchtige seynd im sittlichen Verstand die Füß Christi: die Füß sollen die Herren und Reiche nach dem Exempel Mariä Magdalenä waschen / salben und trucknen durch trostreiche Hülffleistung und Erleichterung ihrer Beschwerden etc.

Es gibt auch noch andere gar böß und schädliche Füß / die in das Verderben führen: nemlich unterschiedliche Laster / als da seynd die Füß der Eitel-und Uppigkeit: wie geschrieben stehet von denen Töchteren Sion / sie seyen stoltz / und gehen mit aufgerecktem Halß / mit winckenden Augen / und tretten herein auf ihren Füssen mit stoltzen Tritten.61 Wider diese bittet David zu GOtt: non veniat mihi pes superbiæ,62 laß mir nicht kommen den Fuß der Hoffart. Die Füß des Zwytrachts und der Uneinigkeit / wie auch des Betrugs und der Falschheit / welche hurtig seynd zu betrügen. Festinavit in dolo pes meus. Wider welches der Job protestirt. Die Füß des Zorns und Grimmens: wie gehabt hat jenes grausame Thier /welches Daniel gesehen / das eisene Zähn hatte / vil frasse und zermahlte / und das übrige mit Füssen zertratt. Die Füß der Geilheit: Deine Männer haben dich ins Koth gestecket / und deine Füß auf einen schlipfferigen Weg gestossen.63 Die Füß des unersättlichen Geitzes: von welchen kan gesagt werden: bibi aquam, & exsiccavi vestigio pedis mei omnes rivos aggerum:64 ich hab Wasser getruncken / und hab mit meinen Fußsohlen alle Wässer der Teich ausgetrücknet.

Aber es gibt auch einige Menschen / welche zwar von Natur der Händen oder Fingeren beraubt seynd /hingegen die Gnad haben / daß sie unterschiedliche Arbeit mit denen Füssen eben so geschicklich als andere mit denen Händen verrichten können.65 Weilen nun durch die Füß die Affect und der Willen / gleichwie durch die Werck verstanden werden / so sage ich /daß man auch in sittlichem Verstand die Hand oder Werck mit denen Füssen / das ist / mit dem Affect und Willen ersetzen / und bey GOTT eben so vil Verdienst dardurch machen könne. Dann wie jenes Sprüchlein des Poeten lautet:


Si desint vires, tamen est laudanda voluntas.


Wann man schon kan im Werck nicht vil /

Ist doch löblich der gute Will.


Wie es sich nach dem Ausspruch Christi selber klärlich gezeigt hat bey[233] dem geringen Opffer der 2. Hällerlein / welche jene arme Wittib in den Geld-Kasten zu Jerusalem / indem sie nicht mehr vermöchte / eingelegt hat.66


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 231-234.
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