Clapeyronsche Formel

[469] Clapeyronsche Formel, in der Ingenieurmechanik. Wenn ein horizontaler Balken (s.d.) auf zwei Stützen ruht, dann lassen sich die Reaktionen dieser Stützen und damit die Schnittkräfte und Angriffsmomente (s.d.) in allen Querschnitten aus rein statischen Beziehungen zwischen den äußeren Kräften (s.d.) bestimmen. Ruht er jedoch auf drei oder mehr Stützen, oder sind die Enden festgespannt, dann genügen jene Beziehungen nicht mehr; man muß auf die inneren Kräfte Rücksicht nehmen, also von der Elastizitätslehre Gebrauch machen. Dies hat für einige einfachste Fälle schon Navier getan ([1], S. 192, 195, 198); aber er wählte die Stützenreaktionen selbst: als Unbekannte und kam zu keiner allgemeinen Lösung. Molinos und Pronier gaben eine solche bei den gleichen Unbekannten wie Navier, was sehr unbequeme Gleichungen zur Folge hatte. 1857 stellte Clapeyron für horizontale Balken mit beliebig vielen Stützen eine Beziehung zwischen den Angriffsmomenten über drei aufeinander folgenden Stützen auf [2], die häufig die Clapeyronsche Formel genannt wird. Für den von ihm allein behandelten Fall, daß jede der Oeffnungen l0, l1, l2, ... ln (Fig. 1) eines [469] Balkens von konstantem Querschnitte mit gleich hohen Stützpunkten durch eine gleichmäßig verteilte Last von u0, u1, u2, ... un pro Längeneinheit ergriffen wird, lautet die Gleichung für die Stützen r – 1, r, r + 1 (Fig. 2):


Clapeyronsche Formel

Für beliebige Lasten P1, P2, ..., die in den einzelnen Oeffnungen um a1, a2 ... von den nächsten Stützpunkten links entfernt angreifen, tritt an Stelle von 1. ([3], S. 8):


Clapeyronsche Formel

worin sich die Summe Clapeyronsche Formel auf alle Lallen in der Oeffnung lr bezieht. Diese Beziehungen beruhen r auf der Navierschen Biegungsformel (s. Biegung I.). Berücksichtigung eingespannter Enden und ungleicher Höhenlage der Stützpunkte s. Bd. 1, S. 503, 512, Berücksichtigung von Temperatureinflüssen Bd. 1, S. 513, entsprechende Formeln für Balken veränderlichen Querschnitts [3], S. 22, 129, und [5], S. 141. Bei allen erwähnten Formeln ist der Einfluß der Schubkräfte auf die Biegung vernachlässigt, wie dies üblich und bei Ermittlung der Beanspruchungen meist zulässig ist. Entsprechende Formeln mit Berücksichtigung des Einflusses der Schubkräfte s. Elastische Linie (vgl. Bd. 1, S. 506 oben). Sobald die Stützenmomente nach dem Clapeyronschen »Théorème des trois moments« bestimmt sind, finden sich nach den unter »Balken« gegebenen Gleichungen 1., 2., 22., 23. (über Spezialisierungen derselben s. Belastung und Bd. 1, S. 508) auch die Stützenreaktionen. Das von Clapeyron gewählte Vorgehen kann sich auch in andern Fällen als zweckmäßig erweisen [6].


Literatur: [1] Navier, Résumé des leçons sur l'application de la mécanique etc., Paris 1826. – [2] Clapeyron, Calcul d'une poutre élastique reposant librement sur des appuis inégalement espacé, Comptes rendus 1857, XL, p. 1076. – [3] Weyrauch, Allgemeine Theorie und Berechnung der kontinuierlichen und einfachen Träger, Leipzig 1873, S. 8, 68, 89. – [4] Weyrauch, Aufgaben zur Theorie elastischer Körper, Leipzig 1885, S. 102. – [5] Collignon, Cours de Mécanique appliqué aux constructions I, Paris 1885, p. 340. – [6] Müller-Breslau, Ueber einige Aufgaben der Statik, die auf Gleichungen der Clapeyronschen Art führen, Zeitschr. f. Bauwesen 1891, S. 103. – [7] Keck, Vorträge über Elastizitätslehre, Hannover 1893, S. 78. – [8] Résal, Stabilité des constructions, Paris 1901. – S.a. Balken, durchlaufende.

Weyrauch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 469-470.
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