Eigengewicht [2]

[225] Eigengewicht einer Baukonstruktion im allgemeinen, Eigengewicht der Brücken, insbesondere der eisernen Brücken.

Die von der Schwerkraft hervorgerufenen angreifenden Kräfte einer Baukonstruktion setzen sich aus zwei Teilen zusammen: aus dem Eigengewichte des Bauwerks und aus der von ihm getragenen Nutzlast. Letztere ist, insbesondere bei Brücken, eine zufällige, bewegliche, mobile oder Verkehrslast, zu der im Gegensatze das Eigengewicht eine ruhende, bleibende, permanente oder tote Last darstellt. Da das Eigengewicht durch die Menge des aufzuwendenden Baustoffes bedingt ist, so wird man im allgemeinen aus Rücksicht auf Kostenersparnis trachten, eine solche Konstruktion zu wählen, die bei gleicher Sicherheit das tunlichst geringste Eigengewicht besitzt; jedoch können wieder andre Rücksichten, namentlich jene auf die Stoßwirkungen der bewegten Verkehrslasten, diesem Bestreben der Verringerung des Eigengewichts eine gewisse Grenze setzen. Man kann weiter zwischen dem Eigengewichte der nicht tragenden Teile und jenem der eigentlich tragenden Teile unterscheiden. Zu den ersteren gehören beispielsweise bei einer Dachkonstruktion die Dacheindeckung, bei einer Brücke die Fahrbahndecke, das Geländer, ausschmückende Verkleidungen u.s.w. Während sich nun für diese Teile das Gewicht schon im vorhinein ziemlich genau feststellen läßt, ist man bezüglich der tragenden Konstruktion auf vorläufige Annahmen angewiesen; denn erst auf Grund dieses angenommenen Eigengewichtes und der sonstigen angreifenden Kräfte ist das Bauwerk in seinen tragenden Teilen zu dimensionieren und daraus dann sein Eigengewicht genauer zu berechnen. Es ist nachgewiesen worden, daß ein Fehler von 25% bei Annahme des Eigengewichtes der Hauptträger von 10–80 m Spannweite eine Erhöhung der Gurtspannungen um 1–7%, der Diagonalspannungen um 0,8–6,8% zur Folge hat [9]. Hat man es mit Trägern für Brücken, Dächer u.s.w. zu tun, so wird bei nicht gerade anormalen Maßen das gesamte Eigengewicht gleichmäßig über die Länge des Trägers verteilt angenommen werden können. Es kommen jedoch auch Fälle vor, bei denen dies nicht zulässig ist, besonders bei großen Stützweiten und bei den jetzt häufig in Anwendung gebrachten Auslegerträgern mit großer Kragarmlänge, bei denen eine starke Konzentrierung des Eigengewichtes gegen die Pfeiler stattfindet, während an den Gelenkorten wesentlich kleinere Eigengewichte auftreten (Firth-of-Forth-Brücke: für den Schwebeträger ist g = 6,6 t/m, über den Pfeilern g = 70 t/m). Das Gewicht pro Längeneinheit des Trägers setzt sich aus einem konstanten und aus einem von der Spannweite abhängigen Teile zusammen. Bezüglich dieser Abhängigkeit läßt sich im allgemeinen nur sagen, daß das Gewicht mit der Spannweite wachsen muß und daß für jedes Konstruktionssystem eine Grenze der Spannweite existiert, bei der die Ausführungsmöglichkeit infolge des ins Unendliche wachsenden Gewichtes aufhört [2].

Bei Brückenüberbauten kann man insbesondere patschen dem Gewichte der Querkonstruktionen (Fahrbahn und Fahrbahnträger, Querverbindungen und Windverstrebungen) und dem Gewichte der Hauptträger unterscheiden. Bezeichnet man ersteres mit g0, letzteres mit g1 pro 1 m Brückenlänge, ferner die Verkehrslast mit p pro 1 m Brückenlänge, so wird erfahrungsgemäß g0 nur wenig von der Größe der Spannweite beeinflußt, wogegen g1 ziemlich proportional mit der Spannweite und mit der Belastung pro Längeneinheit (g0 + g1 + p) wächst. Man hat daher allgemein etwa g1 = α γ/s (g0 + g1 + p) l [1], wenn γ das spezifische Gewicht, s die zulässige Inanspruchnahme des Materials der Hauptträger und α ein vom Konstruktionssystem[225] derselben abhängiger Koeffizient ist. Es folgt hieraus, wenn zur Abkürzung 1/α s/γ = a gesetzt wird, g1 = (g0 + p) l/al, und es ist sonach l = a die mit einem bestimmten Materiale und Konstruktionssystem erreichbare größte Spannweite.

Es ist aber nicht zu übersehen, daß die obige Gewichtsformel die Abhängigkeit des Eigengewichts von der Spannweite nur in sehr angenäherter Weise zum Ausdrucke bringt und daß, streng genommen, vielmehr für jedes Trägersystem eine besondere Gewichtsformel aufgestellt werden müßte. Dies kann mit mehr oder minder großer Schärfe geschehen, indem man aus den rechnungsmäßigen Spannungen eines Trägers sein theoretisches Volumen berechnet und dieses als Funktion der Belastung und noch besonderer konstruktiver Verhältnisse, wie Form der Gurtungen, Verhältnis der Trägerhöhe zur Spannweite, Anordnung der Ausfachung, Lage der Fahrbahn u.s.w. ausdrückt. Derartige Untersuchungen [3], [4], welche naturgemäß zu komplizierten Formeln führen, sind insbesondere für die Aufstellung von Regeln für zweckmäßige Trägeranordnungen wichtig und wertvoll; sie geben aber nicht unmittelbar brauchbare Gewichtsformeln, weil das wirkliche Trägergewicht von dem theoretisch erforderlichen Minimum immer abweichen wird. Diese Abweichung bezw. Vergrößerung des Gewichtes ist bedingt bei genieteten Konstruktionen durch die Zuschläge wegen der Schwächung durch die Nietlöcher, wegen der Stoßdeckungen und Stabanschlüsse, dann durch die notwendige Vergrößerung der Querschnitte der auf Knickung beanspruchten Teile u.s.w.[226]

Das Verhältnis des wirklichen Trägergewichts zu dem theoretischen Gewichte bestimmt den sogenannten Konstruktionskoeffizienten (s.d.). Dieser in vom System, von der Spannweite und von der Konstruktionsweise abhängig und eigentlich auch für die einzelnen Teile der Träger und des Ueberbaues (Gurtungen, Ausfachung, Querkonstruktionen) verschieden groß. Da man sonach auch hier auf den Vergleich mit den Gewichten ausgeführter Brücken angewiesen ist, so ist für die vorläufige Annahme des Eigengewichtes der Brückenüberbauten zum Zwecke der statischen Berechnung die Benutzung einfacher empirischer Formeln vorzuziehen. Zur Aufstellung solcher Formeln gelangt man, wenn man die Gewichte ausgeführter Brückenüberbauten nach Gruppen gleichartiger Konstruktionen gesondert in ein Diagramm über den Spannweiten als Abszissen einträgt, wie dies in der auf S. 226 stehenden, einer Zusammenstellung von v. Leber [5] entnommenen Figur für eiserne Eisenbahnbrücken geschehen ist. Man findet, daß selbst für die nämliche Spannweite und ähnliche Konstruktionssysteme ziemlich weit auseinander liegende Gewichtszahlen bestehen. – Brauchbare Durchschnittswerte für die Gewichte eiserner Brücken, wenigstens innerhalb der Spannweiten von 20–100 m, liefert die von Schwedler [1] aufgestellte Formel g = g0 + g0 + p/250 – l · l, worin wieder g0 das Gewicht der Querkonstruktionen und p die Verkehrslast pro Meter Brückenlänge bezeichnet. Für Eisenbahnbrücken kann im großen Durchschnitte für Hauptbahnen g0 = 800 + 3 l und für Nebenbahnen g0 = 730 + 3 l in Kilogramm pro Meter Gleis angenommen werden, womit unter Zugrundelegung obiger Formel und der für Haupteisenbahnen nach der früheren österreichischen Brückenverordnung geltenden Verkehrslasten (s.d.) die in dem beistehenden Diagramm eingetragene strichpunktierte Linie erhalten wird. Die neuen, jetzt geltenden Brückenvorschriften setzen höhere Verkehrslasten für Eisenbahnbrücken fest, daher die Gewichte der eisernen Ueberbauten auch zugenommen haben und sich der Maximallinie des obigen Diagrammes nähern. Ausführliche, nach Trägersystemen getrennte Nachweise über die Gewichte eiserner Bahnbrücken gibt Seefehlner [6] und werden von ihm auch Formeln und Tabellen zum Veranschlagen der Brückengewichte, und zwar nach den Hauptsystemen der Balkenträgerbrücken gesondert, aufgestellt. Innerhalb gewisser Intervalle der Spannweite und für die gewöhnliche Fahrbahnordnung der Eisenbahnbrücken (Holzschwellen ohne Schotterbettung) genügt auch die einfache Gewichtsformel g = a + b l, und zwar ergibt sich als Mittelwert aus der Zusammenstellung einer großen Zahl ausgeführter Eisenbahnbrücken:


für Spannweiten von l = 10–50 m g = 600 + 40 l

für Spannweiten von l = 50–100 m g = 900 + 34 l


pro Meter Gleis. Bei sparsamer Konstruktion dürften sich im allgemeinen etwas geringere Gewichte erzielen lassen. Engesser [7] setzt das Gewicht einer Eisenbahnbrücke zwischen 10 und 100 m Stützweite in Kilogramm pro laufenden Meter Gleis g = 650 + 24,5 l + 0,11 l2.

Den neuen, verstärkten Belastungsannahmen für Eisenbahnbrücken tragen die nachstehenden Gewichtsformeln, die das gesamte Eigengewicht des Ueberbaues pro 1 m Gleis geben, Rechnung:


Eigengewicht [2]

Fachwerksträger mit polygonaler Gurtung können um etwa 5–10% leichter veranschlagt werden. – Für das Gewicht der Straßenbrücken lassen sich wegen der verschieden schweren Fahrbahnanordnungen und Belastungen generelle Durchschnittswerte nicht leicht angeben. Für die Unterabteilungen mit leichter und schwerer Fahrbahn, leichtem, schwerem und sehr schwerem Verkehr und Formeln von Engesser [8] und Seefehlner [6] aufgestellt worden; auch kann die obenangeführte Schwedlersche Formel benutzt werden, wenn man vorher das Gewicht g0 der Querkonstruktionen auf Grund einer Projektskizze ermittelt hat.

Eigengewicht der Straßenbrücken nach Engesser:


Eigengewicht [2]

[227] Vorstehende Formeln können als Näherungswerte auch dann Verwendung finden, wenn es sich um polygonalgurtige Träger handelt, deren Mittenhöhe 1/8–1/10 der Spannweite beträgt. – Die Einflußnahme des Trägersystems und sonstiger konstruktiver Anordnungen, wie Lage der Fahrbahn u.s.w., auf das Gesamtgewicht der Brücken ist unter Brücken, eiserne, besprochen worden (vgl. a. Dimensionenberechnung).


Literatur: [1] Schwedler, Eigengewicht eiserner Brücken, Zeitschr. f. Bauwesen 1861, S. 307; 1862, S. 300; 1863, S. 115. – [2] Baker, Long span railway bridges, in der Uebersetzung von Melan »Ueber das Gewicht verschiedener eiserner Brückenkonstruktionssysteme bei großen Spannweiten«, Zeitschr. d. österr.- Ingen.- u. Arch.-Vereins 1876, S. 151. – [3] Winkler, E., Gewicht der Brücken mit Balkenträgern, Anhang zur 1. Auflage von »Eiserne Brücken«, Heft 4: »Querkonstruktionen«, Wien 1879; ferner von demselben Verfasser Kap. 14 der 1. Auflage des Bd. 2 »Brückenbau« des Handbuchs der Ingenieurwissensch. – [4] Melan, Gewichtsformel für Bogenbrücken, Handbuch der Ingenieurwissensch., Bd. 2, Brückenbau, Abt. 4, S. 210. – [5] v. Leber, Construction and tests of metallic bridges, Bericht zur Frage 4, Internat. Eisenbahnkongreß, London 1895. – [6] Seefehlner, Beiträge zu den bei eisernen Balkenbrücken vorkommenden Berechnungen, Allgem. Bauztg. 1893. – [7] Engesser, Eigengewicht eiserner Fachwerksbrücken mit parallelen Gurtungen, Zeitschr. für Bauwesen 1878, S. 203. – [8] Ders., Eigengewicht von Straßenbrücken, Zeitschr. für Baukunde 1881, S. 63. – [9] Handbuch der Ingenieurwissensch., Bd. 2, Abt. 2, Leipzig 1901. – [10] v. Borries, Beitrag zur überschlägigen Gewichtsermittlung eiserner Brücken, Zentralblatt der Bauverwaltung 1897.

(Melan) Horowitz.

Eigengewicht [2]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 225-228.
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