Hohlzylinder

[105] Hohlzylinder erfordern aus Festigkeitsrücksichten eine gewisse Wandstärke. Bei der Berechnung für inneren Ueberdruck sind drei Fälle zu unterscheiden:

1. Bei nicht hohem Druck (etwa bis 50 Atmosphären) nimmt man an, daß sich die Spannung in der im Verhältnis zum Durchmesser geringen Wandstärke gleichmäßig verteilt. Der Druck, der den Hohlzylinder in einer gedachten Diametralebene zu trennen strebt, wird durch die senkrecht zu dieser Ebene stehenden Spannungen der Zylinderwandungen ausgeglichen, wobei man den Einfluß der Stirnwände vernachlässigt (s. die Figur). In dem Zylinder vom inneren Durchmesser d = 2 r cm und der Länge l cm ist die Trennungskraft bei p Atmosphären Ueberdruck p d l; in den Wandungen je von der Stärke δ und der Länge l herrscht die Zugspannung s. Zum Ausgleich ist erforderlich, daß p d l = 2 δ l s ist oder 2 δ/d = r = p/s. Diese Formel findet die allgemeinste Anwendung. Hiernach sind Dampfkesselmäntel mit s = 350 bis 420 für einreihige und s = 420 bis 530 für zweireihige und s = 460 bis 570 kg/qcm für dreireihige Nietung zu berechnen, unter Zugabe von 0–0,3 cm zu δ. (Dem entspricht bei s = 500 die Faustformel δ mm = d m p Atmosphären.) Gußeiserne Rohre erhalten s = 200 bis 300 und 0,7–1 cm Zugabe zur berechneten Wandstärke. Auch die Druckwasserzylinder für 50 Atmosphären berechnet man hiernach mit s = 200 und 1 cm Zugabe.[105]

Die axial gerichtete Zugspannung sa der Zylinderwandung ergibt sich aus p π d2/4 = π d δ sa, und zwar zu sa = 1/2 s. Daher legt man die Kesselbleche mit der Walzrichtung in den Umfang und berücksichtigt die Axialspannung sonst nicht besonders.

2. Bei hohem Ueberdruck (über 50 Atmosphären) ist die ungleichmäßige Verteilung der Spannung in der Wandung zu berücksichtigen. Die innerste Schicht der Wandung übernimmt den Flüssigkeitsdruck als radiale Druckkraft und überträgt davon den Teil, den ihre tangentiale Spannung nicht selbst ausgleicht, auf die folgende Schicht u.s.w. Hierbei kommt in Betracht, daß eine gewaltsame Streckung oder Drückung eines Stoffteilchens in einer Richtung eine entgegengesetzte Formänderung in jeder dazu senkrechten Richtung zur Folge hat. Die Größe der letzteren ist 1/m der ersteren, und zwar etwa 3/10. Aus dieser Erwägung berechnet man nach den Elastizitätsgesetzen die Spannungen, insbesondere die höchste Tangentialspannung s der innersten Schicht.

Für Zylinder ohne Axialspannung, z.B. Rohre, die zwischen festen Stirnflächen eingespannt sind, ferner hydraulische Zylinder mit Kolben, wenn der Flüssigkeitsdruck des Bodens unmittelbar, ohne Vermittlung des Zylindermantels selbst, auf ein festes Widerlager übergeht u.s.w., gilt die Formel von Grashof [1] und Winkler [2]:


Hohlzylinder

3. Für Zylinder, die mit Axialspannung den Druck der Stirnflächen ausgleichen, gilt die durch Winkler [2], später nochmals durch v. Bach [3] aufgestellte Formel:


Hohlzylinder

Die letztere Berechnungsart führt auf geringere Wandstärke als die vorhergehende, und solange p < 1/6 s ist, sogar auf geringere Werte als die erste Berechnungsart, weil die Axialspannung in günstigem Sinne der Ausweitung der Zylinderwand entgegenwirkt.

Näherungsweise kann man δ/r = p/(s – p) setzen. Zum Vergleich seien hier einige Zahlenwerte zusammengestellt.


Hohlzylinder

v. Reiche [4] empfiehlt, kleinere Zylinder mit verhältnismäßig größerer Wandstärke auszuführen, und zwar für 150 Atmosphären gußeiserne Zylinder von r < 100 mm mit δ = r; von r = 100 bis 200 mit δ = 100 mm; von r > 200 mm mit δ = 0,5 r.

In der Anwendung wählt man für Druckwassertrieb meist 50 Atmosphären, für hydraulische Pressen mit gußeisernen Zylindern 150 oder 300 Atmosphären, für solche mit Stahlzylindern bis 1200 Atmosphären und setzt die Spannung für Gußeisen s = 300 bis 450 und sogar 600 kg/qcm, für Phosphorbronze 750–1000, für Stahl 1500 bis 2000 kg/qcm. Bei starker Beanspruchung des Zylinders ist der Boden nicht scharfwinklig anzusetzen, sondern halbkugelig zu bilden oder als besonderes Stück mit Dichtung anzusetzen bezw. einzuschrauben [5].

Starke Hohlzylinder mit äußerem Druck, z.B. gußeiserne Tauchkolben für hydraulische Pressen (mit dem äußeren Radius R), berechnet man nach den oben gekennzeichneten Elastizitätsgesetzen nach Bach [6] mit den Formeln:

δ/R = 1 – √(1 – 1,7 p/k) für die tangentiale Druckspannung k der Innenfläche,

δ\R = 1 – √(1 – 0,9 p/s) für die radiale Zugspannung s der Innenfläche.

Setzt man k = 1,9 s (z.B. s Hohlzylinder 450 und k Hohlzylinder 850), so geben beide Formeln gleiche Werte für die Wandstärke δ, und zwar für


Hohlzylinder

Dazu kommen die für die Herstellung und Bearbeitung der Kolben erforderlichen Zugaben, wenn nicht gar der Kolben auf Tragfähigkeit (Knickfestigkeit) gegenüber der Last zu berechnen ist.

Dünnwandige Hohlzylinder mit äußerem Druck, wie Flammrohre von Wellblech, sind nach der einfachen Beziehung 2 δ/D = p/s mit s = 500 kg/qcm tangentialer Druckspannung unter Zugabe von 0–0,3 cm zu dem berechneten Werte von δ zu bestimmen. Rohre mit äußerem Druck, die ein Flachdrücken befürchten lassen, wie glatte Flammrohre zwischen Versteifungsringen vom Abstande l cm, sind nach der Bachschen Formel [6] zu berechnen:


Hohlzylinder

mit Zugabe von 0,15–0 cm für 5 bis über 7 Atmosphären Kesseldruck. Für nicht überlappt genietete, sondern gelaschte oder geschweißte Rohre ist in der Formel 80 statt 100 zu nehmen, für senkrechte Rohre, die sich nicht ungleich erwärmen, 70 bezw. 50.

Ein Hohlzylinder als Walze zwischen Druckplatten erleidet nach der Entwicklung v. Bachs [3] unter dem Druck P die stärksten Biegungsbeanspruchungen in den Querschnitten, wo die Kräfte angreifen, und zwar innen eine tangentiale Zugspannung s = 10,9 P/l (Dd), die 1,31 mal so groß ist als die tangentiale Druckspannung außen, wenn d = 2/3 D ist.


Literatur: [1] Grashof, Theorie der Elastizität und Festigkeit, Berlin 1878, S. 312. – [2] Civilingenieur 1860. – [3] Bach, C., Elastizität und Festigkeit, Berlin 1905, S. 546, 508, 563. – [106] [4] v. Reiche, Maschinenfabrikation, Leipzig 1876. – [5] Reuleaux, Constructeur, Braunschweig 1882/89, S. 984. – [6] Bach, C., Maschinenelemente, Stuttgart 1903, S. 209.

Lindner.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 105-107.
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