Trasse, Trassierung

[601] Trasse, Trassierung. Trasse bezeichnet die Lage der Mittellinie einer Straße oder Eisenbahn in bezug auf das von ihr durchschnittene oder zu durchschneidende[601] Gelände. Unter Trassierung ist also die Festlegung dieser Mittellinie oder »Straßenachse« zu verstehen.

Die Feststellung der zweckmäßigsten Führung dieser Achse für ein bestimmtes Geländegebiet ist so vorzunehmen, daß die Gesamtverkehrskosten (Anlage-, Unterhaltungs- und Betriebskosten) so klein als möglich ausfallen. Diese Aufgabe teilt sich in eine wirtschaftliche (die wirtschaftliche oder kommerzielle Trassierung) und eine rein technische (die technische Trassierung).

Die wirtschaftliche Trassierung hat die von der Straße oder Eisenbahn zu berührenden Ortschaften festzustellen, den zu erwartenden Verkehr zu ermitteln und zu untersuchen, in welchem Verhältnis die Länge des zu erbauenden Verkehrsweges zur Bevölkerungszahl, zum industriellen oder landwirtschaftlichen Betriebe und zu dem Flächeninhalt des von ihm durchzogenen Geländes steht, ob die Anlage- und Unterhaltungskosten hierzu in einem richtigen Verhältnis ausfallen würden, und wenn dies nicht der Fall ist, ob vielleicht sonst irgend welche Gründe dennoch für die Erbauung des Verkehrsweges sprechen. Eine streng mathematische Behandlung dieser Aufgabe ist wegen der großen Anzahl der unbekannten Größen nicht allgemein möglich; daher berücksichtigt man nach Launhardt [1] zunächst nur die Verkehrsverhältnisse und sucht, unter Voraussetzung einer vollkommen ebenen, gleichartigen Geländebeschaffenheit, denjenigen Linienzug, »Verkehrstrasse« genannt, für welchen die Gesamtverkehrskosten möglichst niedrig werden [1], [2], S. 89, [3], S. 135, [4], S. 34.

Die technische Trassierung hat die aus technischen Gründen (Geländegestaltung, Entwässerungsverhältnisse, Kreuzung beistehender Verkehrswege und Wasserläufe, Erdarbeiten, Grunderwerb u.s.w.) notwendig werdenden Abweichungen von der nach Launhardt ermittelten »Verkehrstrasse« und damit die eigentliche Baulinie festzustellen [2], S. 98, [3], S. 154, [4], S. 39. Die Krümmungshalbmesser und Steigungen dürfen bei den Straßen innerhalb weiterer Grenzen schwanken als bei den Eisenbahnen; deshalb kann und muß sich die Straße mehr dem Gelände anschmiegen, wodurch größere Erdarbeiten und Kunstbauten vermieden, also die Anlagekosten vermindert werden, wenn auch die Länge der Straße sich dabei etwas vergrößert. – Als »Trassierungselemente« kommen für den Straßenbau in Betracht: 1. für das Längenprofil oder für den Längenschnitt: die Höhenlage des Planums mit Bezug auf Hochwasserstände und auf die Ausgleichung der Auf- und Abträge (s. Massenverteilung) sowie die Steigungsverhältnisse (s. Straßenbau, S. 346), 2. für das Querprofil oder den Querschnitt: die Wahl der Breite des Planums (s. Straßenbau, S. 343), das Quergefälle, die Böschungsverhältnisse und Grabenanlagen, 3. für den Grundriß: die Krümmungshalbmesser (s. Krümmungshalbmesser der Straßen). Zur Feststellung der endgültigen Trasse wird nach Eintragung der ermittelten Verkehrstrassen in die Uebersichtskarten, unter Berücksichtigung der »Trassierungselemente« und der Natur des Geländes diejenige Richtungslinie aufgesucht, welche technisch möglich ist und die sich der Verkehrstrasse am meisten nähert, wobei in hügeligem und bergigem Gelände nicht ausgeschlossen ist, daß sich zwei oder mehrere scheinbar gleich günstige Trassen ergeben. Unter diesen ist dann diejenige auszuwählen, welche die geringste Anstrengung der Zugtiere und damit die geringsten Betriebskosten bedingt, wobei nach der Methode von Léchalas verfahren werden kann [5] und [6], S. 9 (vgl. a. Konkurrenzstraßen).


Literatur: [1] Launhardt, W., Theorie des Trassierens, Heft 1: Die kommerzielle Trassierung, Hannover 1887, 2. Aufl., und Zeitschr. d. Arch. – u. Ing.-Ver. zu Hannover 1867, S. 198; 1880, S. 345. – [2] Loewe, Straßenbaukunde, 2. Aufl., Wiesbaden 1906, S. 97–156. – [3] Nessenius, Der Straßenbau, Handb. d. Baukunde, Berlin 1892, Abt. 3, Heft 4, S. 133. – [4] Laißle, Straßenbau, Handb. d. Ing.- Wiss., 3. Aufl., Leipzig 1903, Bd. 1, Abt. 4, Kap. VIII, S. 33–62. – [5] Léchalas, Mémoire sur le roulage, Ann. des ponts et chaussées 1879, I, S. 364. – [6] Willmann, L. v., Straßenbau, Fortschr. d. Ing.-Wiss., Leipzig 1895, 2. Gruppe, 4. Heft, S. 3. – [7] Anlage von Gebirgsstraßen, Oesterr. Monatsschr. s.d. öffentl. Baudienst 1899, S. 311; Neue Anweisungen für Vermessungen im Hochgebirge, Schweiz. Bauztg. 1902, I, S. 8.

L. v. Willmann.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 601-602.
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