7. [136] Die Irrfahrten des Vicram Maharajah.
7. Die Irrfahrten des Vicram Maharajah

Es war einmal ein Rajah, der hieß Vicram Maharajah1 und sein Wuzeer hieß Butti.2 Der Rajah sowohl, wie sein Wuzeer wurden Waisen als sie noch sehr jung waren, und seit dem Tode ihrer Eltern lebten sie zusammen, wurden zusammen erzogen und liebten einander zärtlich, – wie Brüder.

Beide waren gut und freundlich. Man kannte keinen armen Mann, der zum Rajah gekommen und enttäuscht fortgeschickt war. War es doch seine Freude, den Nothleidenden Kleidung und Nahrung zu geben. Aber, während der Wuzeer neben vielem Urtheil und vieler Klugheit, auch eine funkelnde Phantasie besaß, so gestattete der Rajah nur zu schnell seiner Einbildungskraft mit seiner Vernunft davonzulaufen.

Unter ihrer vereinigten Herrschaft gedieh das Königreich aufs Beste. Der Rajah war der Sporn jedes edlen Werkes, und der Wuzeer der Zaum jedes zu raschen oder unausführbaren Planes.[137]

In einem Lande, nicht weit von dem Reiche des Rajah Vicram, lebte eine kleine Königin: Anar Ranee, (die Granatapfel-Königin.) Ihr Vater und ihre Mutter, die über das Granatapfelreich herrschten, hatten ihr einen wunderschönen Garten geschenkt. In der Mitte des Gartens war ein lieblicher Granatapfelbaum, der trug drei große Granatäpfel. Diese waren offen und in jedem derselben war ein kleines Bett. In einem pflegte Anar Ranee zu schlafen, und ihr zu beiden Seiten schliefen in den anderen Granatäpfeln zwei ihrer Jungfrauen. Jeden Morgen senkte der Granatapfelbaum seine Zweige zur Erde nieder; die Frucht öffnete sich und Anar Ranee und ihre Gefährtinnen schlüpften heraus, um im Schatten des kühlen Baumes bis zum Abend zu spielen. Jeden Abend aber neigte sich der Baum, damit sie sich wieder in ihr schmales, behagliches Schlafzimmer begeben konnten.

Manche Prinzen bewarben sich um Anar Ranee. Galt sie doch für die schönste Dame der Erde. Ihr Haar war so schwarz, wie der Flügel eines Raben; ihre Augen glichen den Augen der Gazelle; ihre Zähne zwei köstlichen Perlenreihen, und die Farbe ihrer Wangen dem rosigen Granatapfel. Rings um den Garten aber hatten ihre Eltern eine siebenfache Hecke von Bajonetten machen lassen, damit Niemand hinein oder heraus könne. Dann war eine Verordnung erlassen, daß nur Derjenige sie heirathen solle, der im Stande wäre, den Garten zu betreten und die drei Granatäpfel, in welchem sie und ihre beiden Jungfrauen schlafe, abzupflücken. Dies zu vollbringen, hatten Könige, Prinzen und zahllose Edle sich abgemüht, – aber vergebens abgemüht.

Einigen gelang es nicht einmal, die erste Hecke zu übersteigen. Andere Glücklichere kletterten über die zweite, dritte, vierte, fünfte, ja selbst über die sechste hinweg, kamen dann aber, da[138] da sie unfähig waren, die siebente zu erklimmen, elend um. Es war bis jetzt noch Niemandem gelungen, den Garten zu betreten.

Ehe Vicram's Eltern starben, hatten sie nicht weit vom Palaste einen sehr schönen Tempel erbaut. Er war von Marmor, und in der Mitte stand ein Götzenbild aus reinem Golde. Im Laufe der Zeit war ein Dschungel ringsumher in die Höhe gewuchert, und eine dichte Schlingpflanze von stachlichten Birnen bedeckte ihn, so daß es schwierig war, ausfindig zu machen, wo er überhaupt stand.

Da sagte eines Tages Wuzeer Butti zu Vicram Maharajah: »Der Tempel hat Deinem Vater und Deiner Mutter viel Geld und Mühe gekostet. Er ist fast vom Dschungel verdeckt und wird wahrscheinlich in kurzer Zeit eine Ruine sein. Es wäre ein frommes Werk, ihn zu suchen und herzustellen.« Vicram Maharajah war es zufrieden. Er sandte sofort eine Menge Arbeitsleute hin, ließ den Dschungel ausroden und stellte den Tempel wieder her. Da waren alle erstaunt über dies schöne Gebäude. Der Fußboden bestand aus weißem Marmor; die Wände waren mit vorzüglich ausgehauenen Bas-Reliefs geschmückt und hatten prachtvolle Farben. Ueber die ganze Decke hin war der Name von Vicram Maharajah's Vater gemalt, und in der Mitte stand die goldene Statue des Gunputti, dem der Tempel geweiht war.

Der Rajah Vicram war so hocherfreut über die Schönheit des Gebäudes, daß er sowohl deßwegen, als auch wegen seiner Heiligkeit, allabendlich mit Butti hinzugehen pflegte, um daselbst zu schlafen.

In einer Nacht hatte dort Vicram einen wunderbaren Traum. Ihm träumte, sein Vater erscheine ihm und sage: »Erhebe[139] Dich, Vicram, und gehe zu dem Lichter-Thurme,3 welcher vor diesem Tempel steht.«

(Es stand nämlich vor diesem Tempel ein wunderschöner Thurm oder eine Pyramide für Lichter, und ganz bis oben hinauf waren Vorbereitungen getroffen, um an dem, dem Gunputti geweihten Tage Lichte hinaufzustecken. Dieser Thurm sah, wenn er erleuchtet war, wie ein riesenhafter Leuchter aus, und um ihn zu behüten, umgaben ihn sieben, aus Bajonetten gebildete Hecken.)

»Erhebe Dich, Vicram,« sprach die Erscheinung »und gehe zum Lichterthurm. Unter demselben liegt ein ungeheuer großer Schatz, doch kannst Du zu diesem nur auf einem einzigen Wege gelangen, ohne den Zorn des Gunputti zu reizen. Du mußt ihm vorher einen Beweis der völligen Hingebung liefern, und wenn er diesen huldreich annimmt und zugibt, daß Du dessen ungeachtet Dein Leben behältst, dann kannst Du mit Sicherheit den Schatz heben.«

»Und was ist das für ein Beweis völliger Hingebung?« fragte Vicram Maharajah.

»Es ist folgender.« (Er glaubte sein Vater antworte.) »Du mußt an die Spitze des Thurmes ein Seil befestigen. An das andere Ende des Seiles mußt Du einen Korb knüpfen, und in denselben mußt Du mit dem Kopfe nach unten hineinsteigen. Dann drehe das Seil, an welchem der Korb hängt, drei Mal herum, und sobald es sich wieder rückwärts gedreht hat, schneide es ab, – und alsbald wirst Du kopfüber zur Erde fallen.«

»Wenn Du auf eine von den Bajonetthecken fällst, bist Du sofort todt. Aber Gunputti ist gnädig, befürchte nichts, er wird es nicht zugeben, daß Du umkommst. Wenn Du unbeschädigt[140] unten anlangst, weißt Du, daß er Deine fromme Handlung angenommen hat, und dann kannst Du ohne Gefahr den Schatz heben.«4

Die Erscheinung verschwand. Vicram sah nichts mehr, und erwachte bald darauf.

Da sprach er, sich zum Wuzeer wendend: »Butti, ich hatte einen seltsamen Traum. Mir träumte, mein Vater riethe mir einen Beweis meiner völligen Gottesverehrung zu geben. Ich soll nichts Geringeres thun, als einen Korb mittelst eines Seiles an die Spitze des Lichterthurmes befestigen, mit dem Kopf nach unten hineinsteigen, dann das Seil abschneiden und mich so mit demselben fallen lassen. Habe ich mir auf diese Weise die Gottheit geneigt gemacht, – so erhalte ich einen unermeßlichen Schatz den ich finden werde, wenn ich unter dem Tempel nachgrabe.«

»Wenn Du gern den Schatz suchen möchtest,« erwiderte der Wuzeer, »so würde ich Dir rathen, ganz dem Befehle Deines Vaters zu folgen und auf die Gnade des Gunputti zu bauen.«

Nun ließ der Rajah einen Korb mittelst eines Seiles an die Thurmspitze binden, stieg mit dem Kopf nach unten hinein und rief dann dem Butti zu: »Wie kann ich das Seil durchschneiden?« »Nichts ist leichter,« erwiderte dieser, »nimm dies Schwert in Deine Hand; ich will das Seil drei Mal herumdrehen, und sobald es sich das erste Mal wieder rückwärts dreht, dann laß das Schwert auf dasselbe herabfallen.« Vicram Maharajah nahm das Schwert. Butti drehte das Seil, und als es sich das erste Mal rückwärts zu drehen anfing, zerschnitt es der Rajah, und der Korb fiel sofort herab. Derselbe würde sicher unter die Bajonette gerathen sein und dann wäre der Rajah sofort todt[141] gewesen, hätte nicht Gunputti die Gefahr des ihm Geweihten erkannt. Er verwandelte sich in die Gestalt einer alten Frau, eilte aus dem Tempel, nahm den Korb in seine Arme, ehe dieser die Bajonette berührte, und setzte ihn sanft und sicher auf die Erde. Nach dieser That kehrte er sofort wieder in den Tempel zurück. Keiner der Zuschauer ahnte, daß es Gunputti selbst gewesen war. Alle dachten nur, »welch' eine kluge Frau!«

Vicram Maharajah ließ nun unter dem Thurme Ausgrabungen veranstalten und fand dort einen unermeßlich großen Schatz. Ganze Berge von Gold, auch Diamanten, Rubinen, Saphire, Smaragden, Türquise und Perlen. Er aber nahm nichts davon, sondern ließ Alles verkaufen und gab das Geld den Armen; so wenig machte er sich aus den Reichthümern, für die manche Menschen ihren Leib und ihre Seele dahingeben!

Der Rajah träumte am andern Tage abermals im Tempel. Wieder erschien ihm sein Vater, und dieses Mal sprach derselbe: »Vicram, komme täglich an diesen Ort und Gunputti wird Dir Weisheit lehren und Du sollst Verstand erhalten. Du kannst viel Kenntnisse einernten, doch Weisheit ist die Frucht vieler Gelehrsamkeit, vieler Erfahrung und großer Liebe zu Gott und den Menschen. Darum komm' und erwirb Dir Weisheit, denn Gelehrsamkeit vergeht, aber Weisheit stirbt nie.« Als der Rajah erwachte, erzählte er dem Wuzeer seinen Traum, und Butti empfahl ihm, dèn Rath seines Vaters zu befolgen. Das that er auch, und besuchte in Folge dessen täglich den Tempel und ward von Gunputti unterrichtet. Nachdem er viel gelernt hatte, sagte ihm Gunputti eines Tages: »Ich habe Dir so viel Weisheit, wie eines Mannes Verstandeskräfte nur immer in sich aufnehmen können, gegeben. Nun verlange als Abschiedsgabe von mir, was Du willst, und es soll Dir gewährt werden, entweder Reichthümer, Macht, Schönheit, langes Leben,[142] Gesundheit oder Glück. Wähle Dir nur, was Du willst.« Der Rajah war hierüber sehr bestürzt und bat um die Erlaubniß, einen Tag über diesen Gegenstand nachdenken und dann seine Wahl treffen zu dürfen – womit Gunputti einverstanden war.

Nun traf es sich, daß nahe beim Schlosse ein Zimmermannssohn lebte, der sehr listig war. Und als der hörte, daß der Rajah zum Tempel ging, um Weisheit in sich aufzunehmen, beschloß er auch hinzugehen und zu versuchen, ob er dieselbe nicht auch lernen könne. Jeden Tag, wenn Gunputti dem Vicram Maharajah Stunde gab, versteckte sich der Zimmermannssohn dicht hinter dem Tempel und belauschte ihre ganze Unterhaltung, so daß er ebenfalls sehr weise wurde. Er hörte nicht sobald Gunputti's Anerbieten gegen Vicram, als er beschloß, wieder hinzugehen, sobald der Rajah es that, um ausfindig zu machen, auf welche Weise er sich den Besitz der versprochenen Gabe, welche sie auch immer sein möge, verschaffen könne.

Der Rajah berieth sich mit Butti über die Bitte, die er zu thun habe, indem er sprach: »Reichthümer habe ich mehr als genug. Ebenso habe ich hinreichende Macht und was das Uebrige betrifft, so möchte ich es am liebsten, wie andere Menschen darauf ankommen lassen, und daher kommt es, daß ich wirklich nicht weiß, was ich wählen soll.«

Der Wuzeer entgegnete: »Gibt es irgend eine übernatürliche Macht, die Du gern besitzen möchtest? Wenn das der Fall ist, so bitte sie Dir aus.« »Ja,« erwiderte der Rajah, »es war von jeher mein sehnlichster Wunsch, die Kraft zu haben, meinen eigenen Körper zu verlassen, wenn ich will, und meine Seele und meine Empfindung in irgend einen anderen Körper, sei es nun in den eines Thieres oder Menschen, versetzen zu können. Diese Kunst möchte ich lieber besitzen, als irgend etwas anderes.« »Dann,« sagte Wuzeer, »bitte den Gunputti darum.«[143]

Als der Rajah am nächsten Morgen sich gebadet und darauf gebetet hatte, ging er in großem Staate zum Tempel, um die letzte Unterhaltung mit dem Götzen zu haben. Der Zimmermannssohn ging ebenfalls hin, um zu lauschen.

Da sprach Gunputti zu dem Rajah: »Vicram, welche Gabe wählst Du Dir?« »O göttliche Macht!« erwiderte der Rajah, »Du hast mir schon genug Reichthum und Ansehn gegeben, indem Du mich zum Rajah machtest. Auch liegt mir nichts daran, mehr Schönheit zu haben, als ich jetzt besitze, – und was langes Leben, Gesundheit und Glückseligkeit betrifft, so möchte ich davon gern ein gleiches Maß zugetheilt haben, wie andere Menschen. Doch gibt es eine Gabe, die ich lieber als alle anderen, die Du mir angeboten hast, mein eigen nennen möchte.«

»Nenne sie, o guter Sohn eines guten Vaters,« sprach Gunputti.

»Allerweisester,« entgegnete Vicram, »gieb mir die Macht, meinen Körper sobald ich will, zu verlassen, um meine Seele, meine Empfindung und meine Denkkraft in irgend einen Körper, den ich mir erwähle, zu versetzen, sei es nun in den eines Menschen, eines Vogels oder vierfüßigen Thieres, sei es für einen Tag, ein Jahr, einige Monate oder so lang es beliebt. Gestatte auch, daß wie lang auch inzwischen meine Abwesenheit dauern mag, doch mein Körper nicht verwest, sondern, daß ich ihn bei meiner Rückkehr ebenso wiederfinde, wie ich ihn verließ.«

»Vicram,« antwortete ihm Gunputti, »Dein Gebet ist erhört!« und nun belehrte er den Vicram Maharajah, durch welche Mittel er seine Seele in einen anderen Körper versetzen könne. Dabei gab er ihm Etwas, was er, sobald die Seele auf Reisen ginge, in seinen Körper stecken solle, um denselben bis zu ihrer Rückkehr vor Verwesung zu schützen.5[144]

Der Zimmermannssohn, der die ganze Zeit hindurch außerhalb des Tempels gehorcht hatte, hörte und lernte die Zauberformel, durch welche Gunputti dem Vicram Maharajah Kraft gab in einen anderen Körper einzugehen. Aber er konnte weder sehen noch herausbekommen, was dem Rajah gegeben worden war, um seinen eigenen Körper, sobald er ihn verließ, zu erhalten; so daß er auf diese Weise nur Herr des halben Geheimnisses war.

Vicram Maharajah kehrte nach Haus zurück und theilte dem Wuzeer mit, daß er die heißersehnte Kunst besäße. »Dann,« sagte Butti »gebraucht Ihr sie am besten, wenn Ihr in das Granatapfelland fliegt und Anar Ranee hierher bringt.«

»Wie kann ich das anfangen?« fragte der Rajah. »Folgendermaßen«, erwiderte Butti. »Versetzt Euch in den Körper eines Papageien, und in dieser Gestalt werdet Ihr im Stande sein über die sieben Bajonnethecken, die den Garten umgeben, zu fliegen. Geht zu dem in der Mitte stehenden Baum, beißt die Stengel der Apfelgranaten ab und tragt sie im Schnabel nach Haus.«

»Sehr wohl«, sagte der Rajah. Er nahm einen Papageien, welcher todt am Boden lag, auf, – senkte das schönheitbewahrende Zaubermittel in seinen eigenen Körper, versetzte seine Seele in den des Papageien und flog fort.

Immer zu, immer zu ging es, über die Hügel, weit fort, bis er zu dem Garten kam. Da flog er über die sieben Bajonnethecken, brach mit seinem Schnabel die drei Apfelgranaten, in welchen Anar Ranee und ihre beiden Damen lagen, ab, hielt sie am Stengel fest und brachte sie sicher nach Hause. Nun verließ er sofort den Papageienkörper und kehrte in seinen eigenen zurück.

Als Butti sah, wie vortrefflich er dieses Kunststück ausgeführt hatte, sprach er. »Dem Himmel sei Dank. Etwas Gutes[145] ist schon vollbracht.« Alle die Anar Ranee sahen, erstaunten über ihre Schönheit. Sie war so lieblich, wie eine Lotusblume und die Farbe ihrer Wangen glich der dunklen, köstlichen Farbe des Granatapfels und alle dachten, der Rajah sei sehr klug, da er sich solch eine Frau erwählt habe.

Es ward eine prächtige Hochzeit gefeiert, und sie waren eine kurze Zeit so glücklich, wie der Tag lang ist.

Aber bald darauf sagte Vicram Maharajah zu Butti: »Ich habe wieder ein großes Verlangen die Welt zu sehen«. »Was?« fragte Butti, »Ihr wollt Euer Haus verlassen? Schon jetzt möchtet Ihr von Eurem jungen Weibe gehen?« »Ich liebe sie und die Meinigen auf das innigste,« erwiderte der Raajh, »aber ich kann mir nicht helfen, ich fühle, daß ich die übernatürliche Kraft jedwede Gestalt, die ich mag, anzunehmen, habe und mich verlangt danach, sie auszuüben.« »Wohin und wann willst Du fort?« fragte der Wuzeer. »Laß es übermorgen sein«, antwortete Vicram Maharajah. »Ich werde wieder die Gestalt eines Papageien annehmen, um so viel als möglich von der Welt zu sehen.«

Die Abreise des Rajah ward nun festbestimmt. Er ließ sein Königreich in der alleinigen Obhut des Wuzeers und ebenso seine Gemahlin, indem er zu ihr sprach: »Ich weiß nicht, wie lange ich fort bleiben werde, vielleicht einen Tag, vielleicht ein Jahr, vielleicht noch länger. Aber solltest Du während meiner Abwesenheit in irgend eine Unannehmlichkeit gerathen, so wende Dich an den Wuzeer. Er ist immer wie ein älterer Bruder oder ein Vater gegen mich gewesen, betrachte Du ihn auch deßhalb wie einen Vater. Ich habe ihm aufgetragen, für Dich zu sorgen, als seiest Du sein eigen Kind.«

Nachdem der Rajah diese Worte gesagt hatte, ließ er einen wunderschönen Papageien schießen (es war wirklich ein besonders hübscher Vogel mit glänzendem Federbusch auf seinem Kopfe[146] und einem Kranz um seinen Hals). Dann machte er einen kleinen Schnitt in seinen Arm, rieb etwas von dem magischen Erhaltungsmittel, das ihm Gunputti gegen die Verwesung seines Körpers gegeben hatte, hinein, versetzte seine Seele in den Körper des Papageien und flog davon. Kaum hatte der Zimmermannessohn vom Tode des Rajah gehört, als ihm klar ward, daß Vicram Maharajah die Kraft, die sie beide gleichermaßen besaßen, benutzt habe, und nun beschloß, dies Ereigniß zu seinem Besten zu gebrauchen. Deßhalb ging der Zimmermannssohn, sobald der Rajah seine Seele in den Papageienkörper versetzte, in den Körper des Rajah über, und die Welt bildete sich ein, daß der Rajah nur ohnmächtig geworden und darauf wieder zu sich gekommen sei. Aber der Wuzeer war klüger als sie und dachte sofort bei sich: »Irgend einer, außer Vicram Maharajah muß mit dem Zauberspruche vertraut sein, und macht nun von demselben Gebrauch, da er denkt, es müsse sehr amusant sein ein Weilchen die Rolle eines Rajah zu spielen. Aber ich werde es schon bald heraus bekommen, ob das der Fall ist oder nicht.«

Zu diesem Zwecke rief er Anar Ranee und sprach zu ihr: »Ihr seid eben so sicher, wie ich es bin, daß Euer Gemahl Euch eben in der Gestalt eines Papageien verließ, aber kaum war er fort, da erhob sich sein verlassener Körper schon wieder, und mansieht ihn nun herumwandern, sprechen und sich ebenso geberden, wie ehemals. Aber trotzdem ist es meine Meinung, daß der den Körper beseelende Geist nicht der Geist des Rajah ist, sondern daß irgend Jemand anderes auch im Besitz der Macht ist, die Gunputti ihm gab und diese jetzt zu seinem Vortheile ausbeutet, indem er sich für den König ausgiebt. Wir müssen dem Dinge auf den Grund zu kommen suchen. Thut deshalb was ich Euch rathe, damit wir also die Angelegenheit prüfen.[147] Bereitet heute für Euren Gemahl ein Mittagsessen aus schlechtem und gewöhnlichem Currie und gebt ihm das. Wenn er sich darüber beklagt, daß ihm dasselbe nicht so gut wie gewöhnlich schmeckt, so bin ich im Irrthum; sagt er im Gegentheil nichts darüber, dann werdet Ihr erkennen, daß meine Worte Wahrheit sind, und er nicht Vicram Maharajah ist.«

Anar Ranee befolgte den Rath des Wuzeers und nachher kam sie zu ihm und sprach: »Vater, (so nannte sie ihn immer) ich bin sehr erfreut über den Erfolg dieser Prüfung. Ich habe den Currie sehr nachlässig bereitet. Er war möglichst schlecht und gewöhnlich, aber der Rajah verlor nicht einmal ein Wort darüber. Ich fühle mich ganz überzeugt von dem, was Du sagst, aber was fangen wir nun an?«

»Wir wollen ihn nicht ins Gefängniß werfen«, antwortete der Wuzeer »weil er Eures Gemahles Körper bewohnt, aber weder ich noch irgend einer des Rajahs Verwandten darf sich mit ihm befreunden, oder das Geringste mit ihm reden. Und beginnt er zu sprechen, so fangt sofort Streit mit ihm an. Er rede auch was er wolle! Er darf das Leben eines Rajah nicht so angenehm finden, als er voraussetzte und das mag ihn bewegen seine frühere Gestalt um so schneller wieder anzunehmen.« Anar Ranee theilte allen Verwandten und Freunden ihres Mannes Butti's Rath mit, und der Zimmermannssohn fing an das Leben eines Rajah für nicht so angenehm zu halten, als er sich eingebildet hatte, und würde, wenn er es vermocht hätte, vom Herze gern wieder in seinen eigenen Körper zurückgekehrt sein. Da er aber nicht die Kunst besaß, ihn zu erhalten, so fing derselbe, sobald er ihn verlassen hatte, zu verwesen an und war nach dem Verlaufe dreier Tage völlig verfault, so daß ihm keine andere Wahl blieb, als dort wo er war zu bleiben.

Unterdessen war der wirkliche Vicram Maharajah in Papageiengestalt[148] weit, weit fortgeflogen, bis er einen großen Bananenbaum erreichte, auf dem eintausend andere hübsche Pollys saßen. Mit diesen vereinigte er sich, so daß sie nun ihrer ein tausend und ein waren. Jeden Tag flogen die Papageien fort, um sich Futter zu suchen, und jeden Abend kamen sie wieder, um in dem großen Bananenbaume zu hocken.

Nun traf es sich, daß ein Jäger, der oftmals diesen Theil des Dschungels durchstreifte, den Bananenbaum und die Papageien bemerkte und zu sich sprach: »Wenn ich nur diese tausend und ein Papageien fangen könnte, die allnächtig in diesem Baume hocken, so würde ich nicht so oft, wie jetzt hungrig sein, denn aus ihnen könnte ich mir einen sehr schönen Currie bereiten.« Allein so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm doch nicht, denn die Stämme des Baumes waren gerade und schlank und überaus glatt, so daß er, sobald er ein kleines Stück hinauf geklettert war, wieder hinunter glitt. Doch hörte er nicht auf, die Vögel mit sehnsüchtig verlangenden Augen zu betrachten.

Eines Tages trieb ein heftiges Regenschauer alle Papageien. früher als gewöhnlich zum Baum zurück, und diese fanden auf demselben tausend Krähen, die auf ihrem Heimfluge begriffen, hier ein Obdach suchten, bis der Sturm vorüber sein würde.

Da sprach der Papagei Vicram Maharajah zu den andern Papageien: »Seht Ihr nicht, daß diese Krähen allerlei Samen und Früchte für ihre Kleinen daheim im Schnabel tragen? Wir wollen sie eiligst verjagen, sonst wird einiges davon unter unsern Baum fallen, dort auf diese Weise gesäet, Wurzel treiben, zu starken Pflanzen heranwachsen, die Stämme umranken und unsern Feind, den Jäger, in den Stand setzen, denselben mit Leichtigkeit zu erklettern, um uns alle zu tödten.«

Aber die anderen Papageien sprachen: »Das ist eine weit hergeholte[149] Idee. Wir wollen die armen Vögel nicht aus diesem Zufluchtsorte in den strömenden Regen hineinjagen, dann werden sie ja ganz naß.« In Folge dessen ließen sie die Krähen in Ruhe. – Was jedoch der Vicram Maharajah vorhergesagt hatte, geschah. – Einige Früchte und Samenkörner, die sie heimwärts zu ihren Kleinen trugen, fielen unter den Baum. Die Samenkörner trieben Wurzeln und wuchsen als starke Schlingpflanzen, welche die schlanken Stämme des Bananenbaums umrankten, in die Höhe und machten denselben leicht zu erklimmen.

Bald darauf kam der Jäger, bemerkte das und sprach: »Haha meine schönen Freunde, nun habe ich Euch endlich!« Jetzt erkletterte er mit Hülfe der Schlinggewächse den Baum, legte tausend und eine Schlingen von tüchtigem Garn in die Zweige und ging, nachdem er das gethan hatte, fort.

In jener Nacht, als sich die Papageien wie gewöhnlich auf die Zweige niedersenkten, sahen sie sich alle an den Füßen festgehalten und gefangen.

»Erik, erik, erik«, schrien sie »erik, erik, erik, – o Himmel, o Himmel, was sollen wir nun anfangen? Was können wir nun anfangen? O Vicram Maharajah, Du hattest Recht; wir hatten Unrecht! O Himmel, o Himmel, erik, erik, erik!«

Da sprach Vicram: »Sagte ich es Euch nicht, daß es so geschehen würde. Thut jetzt, was ich Euch heiße, dann können wir vielleicht noch gerettet werden. Sobald der Jäger kommt, um uns fortzuholen, soll jeder von uns den Kopf hernieder hängen lassen, als sei er gestorben. Dann wird er uns für todt halten und sich nicht die Mühe machen, uns den Hals umzudrehen oder die Köpfe derjenigen, die er am Leben zu behalten wünscht, durch seinen Gürtel stecken, wie er es sonst thun würde.[150] Nein, er wird uns dann einfach loslösen und auf die Erde werfen. –

Wir wollen uns indessen ganz still verhalten, bis die tausend und eins alle in Freiheit gesetzt sind und der Jäger vom Baum heruntersteigen will. Dann laßt uns alle hoch über seinen Kopf emporschwingen und aus seinem Gesichtskreise fliegen.«

Die Papageien waren mit dem Vorschlage ihres Gefährten Vicram Maharajah einverstanden, und als der Jäger am nächsten Morgen kam, um sie fort zu holen, hatten sie allesammt die Augen geschlossen und ließen den Kopf auf die eine Seite herabhängen, als wären sie todt. Da sagte der Jäger: »Wahrhaftig, sie sind alle todt, da bekomme ich allerdings reichlich viel schönen Currie auf einmal.« Mit diesen Worten zerschnitt er die Schlinge, die den ersten festhielt, und warf ihn herab. Der, Papagei fiel wie ein Stein auf den Boden, dann kam der zweite an die Reihe, darauf der dritte, der vierte, der fünfte, der sechste der siebente, der achte, der neunte, der zehnte u.s.w. bis zum tausendsten Papagei. Der tausend und erste war zufälliger Weise niemand anderes, als Vicram Maharajah. Alle außer ihm waren befreit. Aber gerade wie der Jäger eben seine Schlinge lösen wollte, ließ er sein Messer fallen und stieg herab um es wieder aufzuheben. Als die tausend Papageien, die auf der Erde lagen, ihn herabsteigen hörten, dachten sie: »Die tausend und ein sind alle frei und nun kommt der Jäger, jetzt ist es Zeit uns aus dem Staube zu machen.« Und wie auf einen Schlag flogen sie in die Luft, weit aus seinen Augen und ließen den armen Vicram Maharajah als Gefangenen zurück.

Als der Jäger das Geschehene sah, war er sehr verstimmt, ergriff Vicram und sprach zu ihm: »Du boshafter Vogel, Du hast allein all dies Unheil angerichtet. Ich weiß, daß es so ist, denn Du bist ein Fremdling hier und unterscheidest Dich von[151] den andern Papageien. Ich werde Dich unter jeder Bedingung erdrosseln, ja das will ich.« Aber wer beschreibt sein Erstaunen, als ihm der Papagei antwortete: »Tödte mich nicht; was kann Dir das für Vortheil bringen? Verkaufe mich lieber in der nächsten Stadt. Ich bin sehr hübsch. Du wirst tausend Goldmohurs6 für mich bekommen.« »Tausend Goldmohurs« entgegnete der Jäger sehr verwundert, »Du einfältiger Vogel, wer wird denn so dumm sein und mir für einen Papageien tausend Goldmohurs geben?« »Sorge Dich deßhalb nicht«, sagte Vicram, »nimm mich nur und versuche es.«

Da trug ihn der Jäger in die Stadt und rief dort: »Kauft, kauft. Kommt kauft diesen niedlichen Polly, der so hübsch sprechen kann. Seht nur, wie gut er aussieht! Seht, welch einen rothen Kranz er um seinen Hals hat! Kauft! Kauft!«

Da kamen verschiedene Leute und fragten, wie viel er für den Papageien haben wollte, aber sobald er »tausend Goldmohurs« sagte, lachten sie, gingen fort und sprachen: »Keiner von uns wird so thöricht sein und so viel für einen Vogel ausgeben.«

Zuletzt wurde der Jäger ärgerlich und sprach zu Vicram: »Sagte ich es Dir nicht vorher, wie es kommen würde? Ich werde überhaupt nicht im Stande sein Dich zu verkaufen.« Aber Polly erwiderte: »O doch, Du wirst es. Siehe da kommt ein Kaufmann seines Weges daher, ich wage es zu behaupten, daß der mich kaufen wird.« Da ging der Jäger zum Kaufmann und sprach zu diesem: »Herr, kauft meinen hübschen Papageien.« »Welchen Preis verlangst Du für ihn?« fragte der Kaufmann. »Zwei Rupeen?«7 »Nein Herr«, antwortete der Jäger, »für weniger als tausend Goldmohurs kann ich ihn nicht fortgeben.« »Tausend Goldmohurs?« schrie der Kaufmann. »Tausend Goldmohurs?[152] So etwas habe ich in meinem ganzen Leben nicht gehört! Tausend Goldmohurs für einen einzigen kleinen Polly. Ei, mit der Summe könntet Ihr ja meinen Garten, oder mein Haus, oder Pferde, oder tausend Ellen vom schönsten Zeug, kaufen! Wer wird Euch denn solch eine Summe für einen Papageien geben? Ich wahrhaftig nicht! Ich will Euch zwei Rupeen, aber nicht mehr, geben.« Aber Vicram rief aus: »Ich bin der Papagei Vicram Maharajah, zahle dem Jäger, was er verlangt, und ich will es Dir lohnen. Kaufe mich nur und ich will Deinen Laden in die Höhe bringen.« »Polly«, entgegnete der Kaufmann, »was für einen Unsinn schwatzest Du!« Doch faßte er eine Neigung zu dem Vogel, bezahlte den Jäger, nahm Vicram Maharajah mit sich und hing ihn in seinem Laden auf. Da übernahm der Papagei das Amt eines Verkäufers und sprach so viel und so klug, daß Jedermann in der Stadt bald von des Kaufmanns wunderbarem Vogel hörte. Keiner hatte Lust in einen anderen Laden zu gehen, sie kamen alle in seinen Laden, um nur den Papagei sprechen zu hören, und er verkaufte ihnen, was sie haben wollten und sie achteten nicht darauf, wie viel er dafür verlangte, sondern gaben ihm, was er forderte, so daß innerhalb einer Woche der Kaufmann wohl tausend Goldmohurs außer seiner gewöhnlichen wöchentlichen Einnahme gewonnen hatte, und Vicram Maharajah lebte eine geraume Zeit dasebst, war aller Liebling und fühlte sich glücklich. Zufälligerweise war in der Stadt, in welcher der Kaufmann wohnte, ein sehr gut gebildetes Nautsch-Mädchen, Namens Champa Ranee8. Sie tanzte so schön, daß die Stadtbewohner sie bei festlichen Gelegenheiten zum Tanzen bestellten. Außerdem lebte in der[153] Stadt auch noch ein armer Holzhauer, der seinen Unterhalt dadurch erntete, daß er täglich in den Dschungel ging, um Holz zu hauen, und es dann in den Bazar zum Verkauf zu bringen. Eines Tages hatte er wie gewöhnlich in dem Dschungel Holz gehauen, und da ward er müde, schlief unter einem Baume ein und fing an zu träumen. Ihm träumte, daß er ein sehr reicher Mann sei, das wunderschöne Nautsch-Mädchen heirathe, sie in sein Haus führe und ihr, als seiner Gemahlin, ein Hochzeitsgeschenk von tausend Goldmohurs gäbe.

Als er an jenem Abende, wie immer in den Bazar kam, um sein Holz zu verkaufen, theilte er seinen Freunden den Traum mit, indem er sagte: »Während ich im Dschungel war, hatte ich einen ganz kuriosen Traum. Mir träumte, daß ich ein reicher Mann sei, die Champa Ranee heirathete und ihr als ein Hochzeitsgeschenk tausend Goldmohurs gäbe!« »Welch ein sonderbarer Traum!« riefen sie und dachten nicht weiter darüber nach.

Nun traf es sich, daß sie gerade, als sie so sprachen, neben dem Hause der Champa Ranee standen. Und Champa Ranee selbst stand am Fenster und hörte das Gespräch und dachte bei sich: »Wenn der Mann auch noch so arm aussieht, so besitzt er doch 1000 Goldmohurs, sonst würde er nicht geträumt haben, daß er dieselben seiner Frau gäbe.

Wenn dem so ist, will ich zum Richter gehen und sehen, ob ich das Gold nicht bekommen kann.«

Nun schickte sie ihre Diener aus und befahl ihnen, den armen Mann zu ergreifen. Und als das sie gethan hatten, fing sie an zu rufen: »O mein Mann, mein lieber Mann, ich habe so lange auf Dich gewartet. Ich konnte nicht begreifen, was aus Dir geworden sein könne. Wo hast Du die ganze Zeit hindurch gesteckt?« Er antwortete: »Ich verstehe Dich nicht.[154] Du bist eine große Dame und ich bin ein armer Holzhauer. Du mußt Dich in mir irren.«

Allein sie entgegnete: »O nein, erinnerst Du Dich nicht mehr, daß wir uns an dem und dem Tage heiratheten? Hast Du die große Hochzeit, die wir hielten, vergessen? Und wie Du mich mit Dir in Dein Schloß nahmst, um mir ein Hochzeitsgeschenk von tausend Goldmohurs zu machen. Du versprachst es, aber Du hast vergessen mir das Geld zu geben. Ja und Du gingst fort, und ich kehrte in meines Vaters Haus zurück, bis ich Nachrichten von Dir erhalten würde. O wie kannst Du so grausam sein!«

Der Holzhauer dachte, sie träume wohl, aber alle Champa Ranees Freunde und Verwandten erklärten, daß sie die Wahrheit spreche. Nun erhob sich ein großer Streit, und schließlich brachten sie die Sache vor den Richter. Der vermochte die Sache nicht zu entscheiden, er verwies sie an den Rajah selbst. Der Rajah war nicht weniger in Verlegenheit, als der Richter. Der Holzhauer betheuerte nur ein armer Tagelöhner zu sein, aber Champa Ranee und ihre Freunde versicherten, daß er im Gegentheil, ein reicher Mann sei und viel Geld besessen hätte, welches er vielleicht inzwischen verschwendet habe. Die Tänzerin erbot sich indessen jeden Anspruch an ihn aufzugeben, wenn er ihr nur die Goldmohurs, welche er ihr als Hochzeitsgeschenk versprochen habe, geben wolle, und so schlug sie auf diese Weise eine Vereinbarung vor. Der Holzhauer erwiderte, daß er ihr sehr bereitwillig die Goldmohurs geben würde, wenn er sie hätte, (und er brachte Zeugen, die es bewiesen, vor,) doch er sei ganz gewiß und wahrhaftig, wie er bereits bekannt habe, nur ein armer Holzhauer, der drei Annas per Tag verdiene und nichts in der Welt habe, – also auch kein Schloß, keine Reichthümer und keine Frau. –

Die ganze Stadt interessirte sich für den merkwürdigen Rechtsfall[155] und alle waren gespannt wie er wohl enden werde. Einige glaubten ganz bestimmt, die eine Partei sei im Recht, Andere waren ebenso überzeugt vom Gegentheil.

Der Rajah konnte der Sache nicht auf den Grund kommen. Schließlich sprach er: »Hier in dieser Stadt lebt ein Kaufmann, der einen sehr klugen Papageien hat. – Er ist klüger wie die meisten Menschen. – Zu ihm wollen wir schicken, damit er diese Angelegenheit, die über meinen Horizont geht, erledige. Wir wollen sie seiner Entscheidung anheimstellen.«

Darauf ward zum Papageien Vicram Maharajah geschickt. Er ward in den Gerichtshof gesetzt, damit er den Rechtsfall vernehme und dann richte.

Zuerst sagte er zum Holzhauer: »Erzähle mir die Geschichte, wie sie sich Deiner Meinung nach zutrug.« Und der Holzhauer antwortete: »Polly, Sahib, was ich Dir sage, ist wahr. Ich bin ein armer Mann. Ich lebe im Dschungel und verdiene mir mein Brod durch Holzhauen und verkaufe dasselbe im Bazar. Ich habe noch nie mehr als zwei Annas per Tag eingenommen. Einstmals schlief ich ein und hatte einen närrischen Traum, daß ich reich geworden sei und Champa Ranee geheirathet und ihr dann als ein Hochzeitsgeschenk tausend Goldmohurs gegeben habe.

Aber es ist eben so unwahr, daß ich ihr die tausend Goldmohurs schulde oder zu bezahlen habe, als daß ich sie jemals heirathete.«

»Das ist genug«, sprach Vicram Maharajah. »Nun, Tänzerin, erzähle Du uns Deine Geschichte.« Und Champa Ranee berichtigte die Angelegenheit auf ihre Weise. Da sprach der Papagei zu ihr: »Sage mir mal, wo steht das Haus dieses Deines Mannes? Wohin führte er Dich?« »O«, antwortete sie, »sehr weit von hier, – ich weiß nicht wie weit, in den Dschungel.« »Wie lange ist es her?« fragte er. »Zu der und[156] der Zeit«, antwortete sie. Da berief er glaubwürdige und aufrichtige Zeugen, die bewiesen, daß Champa Ranee zu der, von ihr angegebenen Zeit nicht die Stadt verlassen habe. Nachdem dieselben vernommen waren, sagte der Papagei zu ihr: »Ist es möglich, daß Du so thöricht bist, Dir einzubilden irgend Jemand könne glauben, daß du Dein reiches und werthvolles Haus verlassen möchtest, um weit in den Dschungel hineinzureisen? Außerdem ist es hinreichend bewiesen, daß Du es nicht gethan hast. Du thätest besser, Deinen ganzen Anspruch auf die 1000 Goldmohurs fahren zu lassen.«

Aber das wollte die Tänzerin nicht. Da ließ der Papagei einen Geldverleiher holen und bat ihn um eine Anleihe von 1000 Goldmohurs. Diese that er in eine große Flasche, verkorkte und versiegelte sie fest, gab sie dem Nautschmädchen und sprach: »Nimm das Geld heraus, ohne das Siegel zu erbrechen oder die Flasche entzwei zu schlagen.« Sie antwortete: »Das geht nicht an.« »Eben so wenig«, erwiderte Vicram Maharajah, »kann auch Dein Wunsch erfüllt werden. Du kannst einen armen Mann, der überhaupt keinen Heller Geld besitzt, nicht zwingen, Dir 1000 Goldmohurs auszuzahlen.

Setzt den Gefangenen in Freiheit. Du aber Champa Ranee, mach, daß Du fort kommst! Du bist eine Lügnerin und eine Diebin. Geh, beraube die Reichen, wenn Du willst, aber laß die Armen künftighin ungeschoren.«

Alle klatschten der Entscheidung des Papageien Vicram Maharajah Beifall zu und sprachen: »Sah man je einen solch' wunderbaren Vogel?«

Aber Champa Ranee war außerordentlich ärgerlich und sprach zu ihm: »Nun wohl, Du alter häßlicher Polly, – Du alter, häßlicher dummer Polly. Sei davon überzeugt, daß ich Dich[157] binnen kurzem in meiner Gewalt haben werde, und habe ich das, so beiße ich Dir den Kopf ab!«

»Strenge Dich nur an, Madame«, entgegnete Vicram, »aber in Erwiderung darauf, theile ich Dir mit, daß meine Lebensaufgabe sein soll, Dich zur Bettlerin zu machen. Auf Deinen eigenen Befehl, soll Dein Haus dem Erdboden gleich gemacht werden. Du selbst aber sollst Dich aus Aerger und Zorn ums Leben bringen.«

»Einverstanden«, sagte Champa Ranee. »Wir werden bald sehen, wessen Wort in Erfüllung geht, meines oder Deines«, und mit diesen Worten ging sie nach Hause.

Der Kaufmann nahm Vicram Maharajah wieder mit sich in seinen Laden und eine Woche verging ohne ein Abenteuer. Vierzehn Tage verstrichen und noch immer passirte nichts Außergewöhnliches. Nach Verlauf dieser Zeit verheirathete sich des Kaufmanns ältester Sohn, und zu Ehren dieser Begebenheit ließ der Kaufmann eine geschickte Tänzerin holen, damit sie vor den Gästen tanze. Champa Ranee kam und tanzte so schön, daß Jedermann entzückt war. – Dem Kaufmanne aber gefiel's so sehr, daß er zu ihr sprach: »Du hast Deine Sache ausgezeichnet gemacht, wähle Dir deßhalb als Bezahlung irgend etwas, das Dir gefällt, aus meinem Laden oder meinem Hause; und es soll Dein sein; sei es nun Juwelen, kostbare Stoffe oder sonst etwas.« –

Sie erwiderte: »Ich wünsche mir nichts derart. Juwelen und schönes Zeug habe ich mehr als genug. Gieb mir den kleinen, niedlichen Papageien. Ihn mag ich leiden und das ist die einzige Bezahlung, die ich annehmen werde.«

Der Kaufmann fühlte sich hierüber sehr verstimmt. Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, daß das Nautsch-Mädchen sich den Papageien, den er so lieb hatte, und der ihm soviel[158] Nutzen brachte, ausbitten könne. Er würde sich lieber von jedem anderen Dinge, das er besaß, getrennt haben, als gerade von ihm. Aber was half's? Er war verpflichtet sein Wort zu halten und so ging er unter Thränen hin und holte seinen Liebling. Doch Polly rief: »Sei nicht so traurig, Herr, gieb mich nur dem Mädchen, ich werde mich schon in Acht nehmen.« –

Nun nahm Champa Ranee den Papageien Vicram Maharajah mit sich nach Hause, und kaum war sie daselbst angekommen, so rief sie eine von ihren Dienerinnen und sagte: »Nimm schnell diesen Papageien und koche ihn mir zum Abendessen, aber zuerst schneide ihm den Kopf ab und bringe mir den geröstet auf einem Teller, denn den will ich essen, ehe ich irgend ein anderes Gericht anrühre.«

»Welch einen unvernünftigen Gedanken hat unsre Herrin,« sagte die eine Magd zur anderen, als sie den Papageien in die Küche trug. »Wer ißt denn einen gerösteten Papageienkopf?« »Was geht Dich das an?« sagte die Andere. »Du solltest lieber thun, was sie Dich heißt, sonst wird sie sehr verdrießlich werden.« – Die Magd, welche den Befehl erhalten hatte, fing nun an dem Vicram Maharajah die langen Schwungfedern auszuziehen, er aber ließ die ganze Zeit über seinen Kopf auf die Seite hängen, so daß sie ihn für todt hielt. – Während sie darauf fortging, um Wasser zum Kochen zu holen, legte sie ihn auf die Anrichte, wo sie die Schüsseln zu waschen pflegte. Nun lag die Küche im Erdgeschoß und da war ein Loch gerade in der Mauer, durch welches das Wasser, das man zum Schüsselwaschen gebraucht hatte, nebst allen Ueberbleibseln, Knochen und Schalen nach dem jedesmaligen Kochen fortgespült wurde. Und in dieses Loch verbarg sich Vicram Maharajah, so schnell wie ein Gedanke. –[159]

»O Himmel, o Himmel«, rief die Magd, als sie wiederkam, »was soll ich nun anfangen, was wird meine Herrin sagen? Ich habe kaum einen Augenblick den Rücken gedreht und nun ist der Papagei fort.« »Höchst wahrscheinlich«, antwortete ihr die andere Magd, »hat ihn irgend eine Katze geholt. Gelebt hat er nicht, konnte auch folglich nicht herumfliegen oder herumlaufen, – außerdem würde ich das gesehen haben. Aber gräme Dich deßhalb nicht. Ein Küchlein thut dasselbe.«

Dann holten sie ein Küchlein, kochten es, rösteten den Kopf und brachten ihn ihrer Herrin, die immer einen kleinen Happen nach dem andern aß und dabei sagte:

»Ach, niedlicher Polly, nun ist es aus mit Dir. Dies ist das Gehirn, das so listige Gedanken ausheckte, und es dahin brachte, daß ich meinen Proceß verlor. Dies ist die Zunge, die gegen mich zeugte. Dies ist die Kehle, durch die die drohenden Worte kamen. Haha, ich möchte wohl wissen, wer nun Recht hat!«

Vicram, der nicht weit davon im Loche saß, hörte das und war sehr bange, denn er dachte: »Wenn sie mich noch nach alledem finge!« Fortfliegen konnte er nicht, denn all seine Schwungfedern waren ihm ausgerissen. So sah er sich gezwungen, einige Zeit daselbst zu bleiben, sich von dem Abfall, der mit dem Schüsselwasser durch das Loch gespült ward, zu ernähren und fortwährend in der Gefahr zu sein durch die hindurchgegossenen Wasserströme ertränkt zu werden. Zuletzt waren jedoch seine neuen Federn hinreichend gewachsen, um ihn tragen zu können. Nun flog er in einen kleinen, vielbesuchten Tempel, der nicht weit davon im Dschungel stand und hockte sich hinter das Götzenbild.

Zufälligerweise traf es sich, daß Champa Ranee gerade immer[160] zu diesem Tempel zu gehen pflegte, und er war nicht lange dort, als sie kam, um ihren Götzen anzubeten.

Sie fiel vor dem Bilde auf die Knie und fing an zu beten. Ihr Gebet lautete, daß der Gott ihre Seele und ihren Körper in den Himmel versetzen möge, (denn sie hatte eine Angst vor dem Sterben) und sie rief: »Erhöre mein Flehen, laß nur dies Eine geschehen, dann will ich auch alles thun, was Du wünschest, ja Alles, Alles.«

Vicram Maharajah, welcher hinter dem Bilde verborgen war, hörte sie und sprach:

»Champa Ranee, Nautschmädchen, Dein Gebet ist erhört.« (Sie wähnte das Götzenbild selbst spreche mit ihr und lauschte aufmerksam.) »Du mußt aber zuvor all Dein Eigenthum verkaufen und das Geld den Armen geben. Auch schenke all Deinen Dienern Geld und entlasse sie. Dann mache Dein Haus dem Erdboden gleich, damit Du auf diese Weise von allem Irdischen losgelöst und für den Himmel bereit bist. Wenn Du alle meine Befehle ausgeführt hast, so komme in der folgenden Woche an eben diesem Tage hierher und dann soll Dein Leib und Deine Seele gen Himmel fahren.« –

Champa Ranee glaubte Alles, was sie hörte, und da sie die Drohung des Papageien Vicram Maharajah vergessen hatte, beeilte sie sich den Befehl zu erfüllen. Sie verkaufte ihr Eigenthum, gab all das Geld den Armen, riß ihr Haus bis auf den Grund nieder und entließ ihre Dienerschaft. Nachdem sie das gethan hatte, ging sie am bestimmten Tage zum Tempel, setzte sich dort an den Rand eines außerhalb gelegenen Brunnens und setzte dem versammelten Volke auseinander, daß das Götzenbild selbst zu ihr geredet habe und daß man sie binnen kurzem zum Himmel emporgehoben sehen würde, und daß auf diese Weise ihr Scheiden aus der Welt noch berühmter werden würde,[161] als es ihr Thun in derselben gewesen sei. Das ganze Volk lauschte aufmerksam ihren Worten, denn es hielt sie für gottbegeistert und um ihre Himmelfahrt mit anzusehen, kam die ganze Stadt herbei, dazu hundert und aber hundert Fremde, Reisende, Prinze, Kaufleute und Edelleute, von weit und nah und alle waren voller Erwartung und Neugierde. Als sie nun alle der Dinge harrten, die da kommen sollten, hörten sie ein leises Flügelrauschen und ein Papagei flog auf Champa Ranee's Kopf und rief: »Nautschmädchen, Nautschmädchen, was hast Du gethan?« Champa Ranee erkannte Vicram's Stimme und derselbe fuhr fort: »Du willst gen Himmel fahren? Hast Du Pollys Worte vergessen?«

Champa Ranee stürzte in den Tempel, fiel vor dem Götzenbilde auf die Knie und rief aus: »Gnadenreiche Macht, ich habe Deine Befehle ausgeführt, laß Deine Worte Wahrheit werden, nimm mich in den Himmel.«

Der Papagei aber schrie von oben herab »Adieu, Champa Ranee, Adieu, Du aßest einen Hühnerkopf, nicht meinen. Wo hast Du Dein Haus? Wo sind Deine Diener, wo all Dein Eigenthum? Was meinst Du, wessen Worte haben sich erfüllt, Deine oder meine?«

Als Champa das alles hörte, verfluchte sie in Wuth und Verzweiflung ihre eigene Thorheit, fiel heftig auf den Fußboden des Tempels nieder, schlug mit dem Kopfe gegen einen Stein und brachte sich auf diese Weise um's Leben. –

Es waren inzwischen zwei Jahre verflossen seit Rajah Vicram sein Königreich verlassen hatte, und vor ungefähr sechs Monaten war Butti voll Verzweiflung über sein Ausbleiben ausgezogen, um ihn zu suchen. Er zog hierhin und dorthin, durch viele Länder um seinen Herrn zu finden, aber ohne Erfolg. Sein gutes Glück indessen wollte es, daß er sich zufälligerweise[162] unter den Fremden, welche der Himmelfahrt des Nautschmädchens beiwohnen wollten, befand, – und kaum sah er den Papageien, der mit ihr sprach, als er auch in demselben Vicram erkannte. Der Rajah sah ihn ebenfalls und flog auf seine Schulter, worauf ihn Butti fing, in einen Käfig setzte und mit sich nach Hause nahm.

Nun war ein schwieriges Problem zu lösen. Die Seele des Rajah befand sich in dem Körper des Papageien, und die Seele des Zimmermannssohns in dem Rajahkörper. Wie konnte man die letztere veranlassen der ersteren Platz zu machen? Die Zimmermannsseele konnte nicht in ihren Körper zurückkehren, denn der war lange verwest. Der Wuzeer wußte nicht, wie er sich in dieser Angelegenheit zu verhalten, habe und beschloß deßhalb den Stand der Dinge abzuwarten.

Nun traf es sich, daß der vermeintliche Rajah sowohl als auch Butti jeder einen streitbaren Widder besaßen, und eines Tages sprach der Rajah zum Wuzeer: »Laß unsre Widder heute zusammenkämpfen, und meiner soll seine Kräfte mit Deinem messen.« »Einverstanden«, antwortete der Wuzeer und sie ließen sie miteinander kämpfen. Es war aber ein großer Unterschied zwischen den beiden Widdern, denn Butti hatte seinen Widder, als er noch ein Lamm war, an eine Linde gebunden. Seine Hörner waren daher durch Reiben und Stoßen gegen den zarten Stamm außerordentlich gekräftigt. Der Zimmermannssohn hingegen hatte, als sein Widder noch ein Lamm war, denselben an einen jungen Tahakabaum gebunden. Dieser Stamm war so fest und stark, daß das kleine Geschöpf, wenn es gegen denselben stieß, nicht den Baum verletzte, sondern sich schadete und seine Hörner lose machte.

Der vermeintliche Rajah sah bald, zu seinem Aerger, daß sein gehörnter Liebling weniger stark war als dessen Gegner.[163] Sein Thier wurde bald müde und ließ den Muth sinken und würde höchstwahrscheinlich im Kampfe besiegt worden sein, wenn der Zimmermannssohn nicht in Gedankenschnelligkeit den Körper des Rajah verlassen und seine Seele in den des Widder versetzt hätte um seinen Muth und Widerstandsfähigkeit zu vermehren und ihm zum Siege zu verhelfen. Kaum hatte Vicram Maharajah, welcher hoch oben in einem Käfig saß, das gesehen, als er den Papageienkörper verließ und wieder in seinen eigenen zurückkehrte. Als Butti's Widder den anderen zur Erde stieß, lief der Wuzeer eilends fort, holte ein Schwert, schlug ihm den Kopf ab und machte auf diese Weise dem Leben des Widders und des Zimmermannssohnes ein Ende.

Annar Ranee's Freude war groß und Alle im Schlosse jubelten, als sie den Rajah nach seiner langen Abwesenheit wiedererkannten, und Anar Ranee bat ihn, nie wieder als ein Papagei davon zu fliegen. Und er versprach ihr das auch.

Aber die Lust zum Umherstreifen und die Liebe zu einer unregelmäßigen Lebensweise verließ ihn nicht, nachdem er seine ursprüngliche Gestalt wieder angenommen hatte, und am allerliebsten mochte er ohne Führung und Begleitung die Dschungel in der Nähe des Palastes durchwandern. An einem sehr schwülen Tage, als er auf diese Weise außer dem Hause war, durchstreifte er einen felsigen Theil des Landes, welcher flach und trocken und ohne einen Baum zum Schutze gegen den Sonnenbrand war. Vom Gehen ermüdet, warf er sich, bei dem größten Felsenblocke, den er finden konnte, nieder, um sich auszuruhen. Er war beinahe eingeschlafen, da kroch aus einer Erdvertiefung ein kleiner Cobra, schlüpfte in seinen weitgeöffneten Mund hinein, in der Meinung derselbe sei eine schattige Felsenspalte, und schlängelte sich bis in des Rajahs Hals hinein.

Vicram Maharajah rief dem Cobra zu: »Mach, daß Du[164] aus meiner Kehle kommst!« Aber der Cobra sagte: »Nein, ich mag nicht. Ich bin hier lieber als in der Erde.« Und blieb da. Der arme Vicram wußte nun gar nicht, was er anfangen sollte. Der Cobra wohnte in seinem Halse, und er konnte ihn nicht wieder los werden. Zu Zeiten guckte er aus seinem Munde, aber sobald der Rajah ihn zu fangen versuchte, schlüpfte er wieder zurück. »Wer hörte jemals von einem Rajah, der sich in einer solchen jammervollen Lage befand?« sagte er seufzend zu Butti. »Denke nur, ich habe einen Cobra in meinem Halse!«

»Ach mein theurer Freund«, erwiderte ihm Butti auf solche Klagen, »warum streifst Du so einsam in Wald und Feld umher? Wirst Du nie von dieser Sucht geheilt werden!«

»Wenn nur jemand diesen Cobra fangen könnte, dann wäre ich zufrieden und wollte nicht mehr umherstreifen. Meine Irrfahrten haben mir schließlich doch nichts Gutes gebracht.«

Wer aber vermochte es den Cobra zu fangen? Es gab keinen Menschen weit und breit, der das konnte! Vicram ward durch diese Qual fast zum Wahnsinn getrieben und rannte schließlich fort in den Wald. Diese Neuigkeit brachte man bald Butti, der vernahm sie traurigen Herzens und sprach seufzend: »Ach, ach, was nützt Vicram Maharajah seine, mehr als menschliche Weisheit, wenn diese eine, unglückliche, selbstgewählte Gabe, all das Gute, das er zu stiften vermöchte, unwirksam macht. Sie hat in ihm die Liebe hierhin und dorthin zu wandern erweckt. Er bekümmert sich um jedermanns Angelegenheiten, nur nicht um seine eigenen. Sein Königreich vernachlässigt er, sorgt nicht für sein Volk, und er, der sonst der Stolz aller Rajahs zu sein pflegte, er der Beste, der Edelste, – er entflieht schließlich aus seinem Königreiche, wie ein Dieb, der aus dem Gefängniß entschlüpft.«[165]

Butti sandte fernhin Botschafter, um den Vicram Maharajah zu suchen, aber sie konnten ihn nicht finden. Da beschloß er selbst seines verlornen Freundes wegen Nachforschungen anzustellen, und nachdem er in Bezug auf die Regierung des Landes während seiner Abwesenheit geeignete Anordnungen getroffen hatte, begab er sich auf die Reise.

Inzwischen wanderte Vicram immer weiter und weiter, bis er schließlich eines Tages den Palast eines gewissen Rajahs, der ein von seinem Lande weit entferntes Reich regierte, erreichte. Hier fetzte er sich mit den Bettlern vor das Thor des Schlosses.

Nun hatte der Rajah, vor dessen Pforte Vicram Maharajah saß, eine gute und liebliche Tochter, Buccoulee. Viele Prinzen wünschten diese Prinzessin zu heirathen; sie aber wollte keinen von ihnen. Ihre Eltern sprachen zu ihr: »Warum willst Du Dir keinen Mann aussuchen? Unter diesen Prinzen, die um Deine Hand werben, sind manche reiche und mächtige, manche schöne und tapfere, manche weise und gute, warum schlägst Du sie alle aus?« Die Prinzessin erwiderte: »Es ist nicht meine Bestimmung einen von ihnen zu heirathen. Ich sehe unaufhörlich in meinen Träumen den mir vom Schicksal auserwählten Mann, – und auf ihn warte ich.« »Wer ist es?« fragten sie. »Sein Name«, antwortete sie, »ist Rajah Vicram, er wird aus einem weitentlegenen Lande kommen; doch ist er noch nicht da.« Sie erwiderten: »Es giebt keinen Rajah, fern oder nah, der, soviel uns bekannt ist, diesen Namen trägt. Gieb diesen Wahngedanken auf und heirathe jemand anders.«

Aber sie weigerte sich auf das entschiedenste und sprach: »Nein, ich will auf den Rajah Vicram warten.« Ihre Eltern dachten: »Wir wollen sie nur gewähren lassen. Wer weiß, vielleicht kommt eines Tages ein mächtiger König, der größer ist[166] als irgend einer, den wir kennen, in dies Land und bewirbt sich um unser Mädchen. Dann ist es uns sicher angenehm, daß wir sie nicht zur Heirath mit einem ihrer jetzigen Freier zwangen.«

Kaum war Vicram Maharajah zur Palastpforte gekommen, und hatte sich zwischen die Bettler gesetzt, als ihn die Prinzessin Buccoulee, die aus dem Fenster sah, erblickte und ausrief: »Da ist der Mann, den mir meine Träume zeigen. Da ist Rajah Vicram«. »Wo Kind? Wo?« sagte ihre Mutter. »Es ist kein Rajah dort, nur eine Gesellschaft von Bettlern.« –

Die Prinzessin bestand aber darauf, daß einer von ihnen der Rajah Vicram sei. Da ließ die Ranee Vicram Maharajah rufen, und befragte ihn aus.

Er sagte, sein Name sei »Rajah Vicram«. Aber der Rajah und die Ranee glaubten ihm nicht und waren sehr böse auf die Prinzessin, weil sie darauf bestand, nur ihn und keinen anderen heirathen zu wollen. Schließlich sagten sie im Zorn: »Gut, heirathe Deinen bettelnden Prinzen, wenn es Dir beliebt, aber bilde Dir nicht ein, daß Du als seine Frau noch länger unsre Tochter sein kannst. Heirathest Du ihn, so suche Dein Glück mit ihm im Dschungel. Wir werden sehen, ob Du nicht bald Deine Hartnäckigkeit bereust.«

»Ich will ihn heirathen und ihm folgen, wohin es auch sein mag«, sprach die Prinzessin. –

Nun heiratheten sich Vicram Maharajah und die Prinzessin Buccoulee, und ihre Eltern jagten sie aus dem Hause. Dessen ungeachtet gaben sie ihr doch etwas Geld mit, und sprachen: »Auch ohne Mangel zu leiden, wird sie gar bald genug den Unterschied zwischen einer Königstochter und einer Bettlersfrau empfinden.«[167]

Vicram baute sich im Dschungel eine kleine Hütte, und in derselben wohnten sie. Die Prinzessin aber hatte trübe Tage, denn sie war weder zu kochen noch zu waschen gewohnt und die schwere Arbeit ermüdete sie sehr. Ihr Hauptkummer war indessen, daß Vicram in seiner Kehle einen solchen abscheulichen Peiniger wie den Cobra habe, – und oftmals, ja oftmals erwachte sie Nachts und grübelte über irgend ein Mittel nach, wie man den Wurm fassen könne. Aber Alles war vergebens. Als sie schließlich eines Nachts wieder darüber hin und hersann, sah sie dicht neben sich zwei Cobras aus ihren Höhlen schlüpfen. Diese fingen an zu sprechen, und sie hörte auf ihre Worte:

»Wer sind diese Leute?« fragte der erste Cobra. »Das sind« sagte der zweite »Vicram Rajah und seine Gemahlin, die Prinzessin Buccoulee.« »Was thun sie hier? Warum wohnt der Rajah so entfernt von seinem Königreiche?« fragte der erste Cobra.

»O er ist fortgelaufen, weil er sich so elend fühlt. Er hat einen Cobra, der in seiner Kehle lebt«, erwiderte der zweite.

»Kann ihn Niemand herausholen?« sagte der erste. »Nein,« antwortete der andere »sie kennen das Geheimniß nicht.« »Was für ein Geheimniß?« forschte der erste Cobra. »Kennst Du das nicht?« sagte der zweite. »Wenn nämlich seine Frau ein paar Zeichennüsse nimmt,9 sie gut stößt, mit Kokusnuß-Oel vermischt, das Ganze auf ein Feuer setzt und den Rajah, ihren Gemahl, an den Beinen an einen sich darüber neigenden Baum aufhängt, dann tödtet der aufwärtssteigende Rauch den Cobra in seinem Munde, und er fällt dann todt heraus.«[168]

»Das habe ich ja noch nie gehört«, sagte der erste Cobra.

»Wirklich nicht?« rief der Zweite aus. »Wenn sie dasselbe Experiment am Eingange Deiner Höhle ausführte, würde sie Dich binnen kurzem tödten und dann fände sie vielleicht all die schönen Schätze, die Du dort hast.« »Mach keine schlechten Witze«, sagte der erste Cobra, »das verbitte ich mir.« Dann kroch er ganz beleidigt fort, und der zweite Cobra folgte ihm.

Kaum hatte die Prinzessin dies gehört, als sie das Mittel anzuwenden beschloß. Deßhalb sandte sie am folgenden Morgen zu allen, in der Nähe wohnenden Dorfbewohnern, die sie kannten und liebten und Alles, was sie von ihnen verlangte, thaten, weil sie der Rajahs Tochter war. Sie bat sie einen großen Kessel zu nehmen, denselben mit Kokußnußöl zu füllen, eine bedeutende Anzahl Zeichennüsse zu stoßen, sie hineinzuwerfen und ihr dann den Kessel zu bringen. Das geschah. Sie aber setzte das Ganze aufs Feuer, ließ Vicram Kopf über an einen Baum hängen, und sobald nun der Rauch aus dem Kessel in die Luft stieg, erstickte der Cobra in Vicram Maharajah's Kehle und fiel todt heraus. Da sprach der Rajah zu seiner Gemahlin: »O theure Buccoulee, was bist Du für eine Frau! Du hast mich von dieser Qual erlöst und das ist mehr als alle Weisen meines Reiches vermochten.«

Buccoulee ließ nun den Kessel voll Oel vor die Höhle des ersten Cobra bringen. Es war der, den sie die Nacht vorher hatte sprechen hören, und erstickte auch ihn.

Dann befahl sie den Leuten ihn aus seiner Höhle herauszugraben. Sie fanden in derselben einen unermeßlichen Schatz von Gold, Silber und Juwelen. Da ließ Buccoulee für sich und ihren Gemahl königliche Gewänder holen, und bat ihn sich sein Haar zu schneiden und sich zu rasiren, und als sie damit fertig waren, nahm sie den Rest der Schätze und kehrte mit[169] denselben in ihr Vaterhaus zurück, und ihre Eltern, die indeß ihre Härte bereut hatten, hießen sie herzlich willkommen. Sie waren beide überrascht und entzückt von dem außerordentlich großen Schatz, den sie besaß. Auch fanden sie, daß ihrer Tochter Gemahl ein überaus hübscher, fürstlich aussehender Mann sei.

Da erhielt Vicram Maharajah eines Tages die Nachricht, daß sich ein fremder Wuzeer im Palaste unter den Gästen befinde, und daß dieser Wuzeer schon seit zwölf Jahren umherirre, um seinen Herrn zu suchen, ihn aber bis jetzt nicht finden könne und sich nun auf der Heimreise befinde. Da dachte Vicram: »Sollte das vielleicht Butti sein?« Und er eilte hin, um ihn sich anzusehen.

Es war wirklich Butti, der vor Freude laut aufschrie, als er seinen Herrn sah und sagte: »O Vicram, Vicram, weißt Du nicht, daß Du uns nun schon seit 12 Jahren verlassen hast?«

Da theilte Vicram Maharajah Butti mit, daß sich die gute Prinzessin Buccoulee mit ihm vermählt habe; daß es ihr gelungen sei, den Cobra zu tödten, und daß er eben jetzt im Begriff stehe, in sein Vaterland zurückzukehren. Dann, nachdem sie von Buccoulee's Eltern manches kostbare Geschenk erhalten hatten, begaben sie sich alle auf den Weg. Endlich erreichten sie nach einer langwierigen Reise ihre Heimath. Annar Ranee war außer sich vor Freude sie wiederzusehen. – Sie hatte ihren Gemahl schon als einen Todten betrauert. Als Buccoulee Ranee erfuhr, wer Annar Ranee sei, und sie zu ihr geführt wurde, hatte sie große Angst. Dachte sie doch: »Vielleicht wird sie eifersüchtig auf mich sein und mich hassen.« Annar Ranee aber empfing sie mit ihrem süßesten Lächeln und sprach: »Ich höre, daß wir Dir die Erhaltung des Rajah danken, und[170] daß Du es warst, die den Cobra tödtete. So lange ich lebe, kann ich mich Dir dafür nie genugsam erkenntlich zeigen, noch Dir zu viel Liebe erweisen.«

Von jenem Tage an blieb Vicram Maharajah in seinem eigenen Reiche, beherrschte es weise und gut und wurde von Allen geliebt. Er und Butti erreichten ein sehr hohes Alter, und ihre gegenseitige Liebe währte bis ans Ende ihrer Tage, so daß sie in jenem Lande sprichwörtlich geworden ist; und das Volk, wenn zwei Menschen sehr aneinanderhingen, nicht zu sagen pflegt: »der und der lieben sich wie Brüder,« sondern:

Der und der lieben sich einander, wie der Rajah und der Wuzeer.


7. Die Irrfahrten des Vicram Maharajah

1

Der große König Vicram.

2

Das Licht.

3

Siehe die Bemerkungen.

4

Siehe die Bemerkungen.

5

Siehe die Bemerkungen.

6

£ 1,500.

7

vier Schillinge.

8

Die Champa-Königin die Champa (Michelia Champaca) ist eine wunderschöne, süßduftende, gelbe Blume.

9

Semecarpus anacardium.

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 136-171.
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