Gallwespen

[295] Gallwespen (Cynipidae Westw., Gallicolae), Insektenfamilie aus der Ordnung der Hautflügler, unscheinbare, kleine Tierchen mit kleinem Kopf, fadenförmigen, nicht gebrochenen Fühlern, drei Nebenaugen auf dem Scheitel, mäßig entwickelten Mundteilen, hochgewölbtem Thorax und seitlich stark zusammengedrücktem, meist kurzem Hinterleib. Die Legeröhre des Weibchens ist eine seine, z. T. sehr lange, an der Bauchseite entspringende, mit der Spitze aufwärts gerichtete, im Innern des Leibes gewundene Borste. Bei manchen Arten haben die Weibchen verkümmerte oder gar keine Flügel und stehen deshalb gewissen kleinen Schlupfwespen nahe; zu mehreren Arten hat man bisher keine Männchen aufgefunden. Die meisten G. verwunden mit ihrem Legebohrer Blätter, Zweige, Wurzeln verschiedener Pflanzen, um ihre Eier in dem Pflanzengewebe abzulegen, und werden dadurch zu Erzeugern der Gallen (eigentliche G.). Andre (Einmieter, Aftergallwespen, Inquilinen) legen ihre Eier in die Gallen andrer Arten, und manche (Schmarotzergallwespen) übertragen sie auf Larven andrer Insekten. Die Eier der G. sind viel dicker als der seine Legebohrer, sie laufen in einen langen Stil aus, in den durch Druck der Inhalt des Eies während seines Durchganges durch die Legeröhre entleert wird, um nachher wieder in dasselbe zurückzutreten. Die Larven sind dick, nackt, mit hornigem Kopf, kräftigen Oberkiefern, augenlos und verpuppen sich in der Galle, meist ohne einen Kokon zu spinnen; das Insekt verläßt nach kurzer Puppenruhe die Galle, in die es ein rundes Loch bohrt. Weitaus die meisten G. leben auf Eichen, andre auf Ahorn, Vogelbeerbaum, wilden Rosen, Brombeeren, einige auf gewissen Kräutern; die Arten sind meist auf bestimmte Pflanzen, selbst auf bestimmte Pflanzenteile angewiesen und erzeugen charakteristisch gestaltete Gallen. Bei vielen Arten liefert die Wintergeneration parthenogenetisch Männchen und Weibchen, die sich geschlechtlich fortpflanzen, aber nur Weibchen liefern. Die Zahl der parthenogenetischen Individuen ist größer als die der zweigeschlechtlichen. Bei vielen Arten findet Dimorphismus statt, und bisher als verschiedenartig aufgefaßte Tiere haben sich als zusammengehörige Generationen ein und derselben Art erwiesen. Aus Eichenblattstielgallen schlüpfen Männchen und Weibchen von Andricus noduli Hrtg. Die befruchteten Weibchen stechen die Wurzeln und unterirdischen Stammteile der Eichen an, und aus der erzeugten Galle schlüpfen weibliche Aphilothrix radicis F. aus, die sich parthenogenetisch fortpflanzen und aus Eichenblattstielgallen wieder Andricus noduli liefern. Von Cynips calicis, welche die Becher der Zerreiche ansticht und die Knoppern erzeugt, legt das befruchtete Weibchen seine Eier in die männlichen Blüten der Stieleiche, wo sich eine von der Knopper ganz verschiedene Galle entwickelt. Die ausschlüpfenden Weibchen (Andricus cerris) gehen nach der Befruchtung wieder auf die Zerreiche. Meist entwickeln sich Sommer- und Wintergeneration im Laufe eines Jahres, bei manchen dimorphen Arten fordert die Entwickelung beider Generationen vier Jahre. Die Gattung Eichengallwespe (Cynips L.) ist charakterisiert durch den mehr oder weniger zottig behaarten Rücken des Mittelleibes, das große, fast halbkugelige Schildchen, den sitzenden, runden, zusammengedrückten Hinterleib und die nach vorn schwach verdickten Fühler. Man kennt nur die Weibchen. Die gemeine Gallapfelwespe (C. [Dryophanta] scutellaris Oliv., s. Tafel »Hautflügler I«, Fig. 2), 4 mm lang, schwarz, auf dem Schildchen, an Beinen und Kopf rostrot, mit rauhhaarigen Fühlern und Beinen, sticht die noch völlig unentwickelten Eichenblattknospen an, um bei jedem Stich ein Ei in diese zu legen; daraus entstehen die rotbäckigen, etwas höckerigen Gallen auf der Unterseite der Eichenblätter, in denen die Fliege meist überwintert. C. corticalis Hrtg. erzeugt holzige, kegelförmige, geriefte Galläpfel an der Rinde junger Eichen, C. corticis L. holzige, unregelmäßig gestaltete, nach dem Ausschlüpfen der zahlreichen in ihnen sich entwickelnden G. siebartig durchlöcherte Gallen an den Stämmen, Ästen und Zweigen, C. fecundatrix Hrtg. beschuppte Gallen an Eichenknospen, C. calicis Burgsd. die Knoppern, C. tinctoria Hrtg. die technisch benutzten Galläpfel an Quercus infectoria. Über andre Gallen von G. s. Gallen mit Tafel. Von der Schwammgallwespe (Teras terminalis L.), die an den Spitzen und Seiten der Eichenzweige vielkammerige, unregelmäßige, weiße, rotbäckige, später mißfarbige Gallen erzeugt, kommen geflügelte und ungeflügelte Weibchen sowie geflügelte Männchen vor, und meistens leben beide Geschlechter getrennt in den Gallen. Das Tier ist an der vordern Hälfte braungelb, an der Wurzel des Hinterleibes braunrot und dahinter schwarzbraun gefärbt. Die schmale Bauchschuppe des Weibchens trägt einen langen Haarbüschel. Die Rosengallwespe (Rhodites rosae L., s. Tafel »Hautflügler I«, Fig. 10) ist schwarz; nur der Hinterleib, mit Ausnahme seiner Spitze, und die Beine sind braunrot. Männchen sind selten. Sie erzeugt an wilden Rosen, selten an Zentifolien die zottigen Rosenschwämme (Schlafäpfel, Bedeguare, s. Tafel »Gallen«, Fig. 4) und schlüpft aus diesen im nächsten Frühjahr aus. Zur Gruppe Inquilinen gehört die Gattung Synergus Hrtg., bei welcher der schwach zusammengedrückte Hinterleib durch ein kurzes, geschwollenes Stielchen mit dem Thorax zusammenhängt. Von den zahlreichen Arten lebt S. vulgaris Fab., ein schwarzes Tierchen mit rostrotem Maul, rostroten Beinen und Fühlern als Inquiline in den Gallen von Cynips scutellaris. Aus der Gruppe der Parasiten ist die Gattung Allotria Westw. zu erwähnen, deren winzige Arten sich in Blattläusen entwickeln. Auch in Käfer- und Fliegenlarven kommen parasitische G. vor. Vgl. die Schriften von G. L. Mayr: Die mitteleuropäischen Eichengallen (Wien 1870–71), Die Einmieter der mitteleuropäischen Eichengallen, Die europäischen Cynipidengallen mit Ausschluß der auf Eichen vorkommenden Arten (das. 1876); Keßler, Die Entwickelungs- und Lebensgeschichte der Gallwespe (Kaff. 1895); Riedel, Gallen und G. (Stuttg. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 295.
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