Landgut

[107] Landgut, ein mehr oder minder ausgedehnter, zum Betrieb einer Landwirtschaft (Ackerbau, Viehzucht) vereinigter Grundbesitz mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Auf einem L. werden oft auch landwirtschaftliche Nebengewerbe betrieben (Branntweinbrennerei, Bierbrauerei, Stärkefabrikation, Ziegelei, Kalkbrennerei, Gipsbrennerei, Runkelrübenzuckerfabrikation etc.); aber für den Begriff L. ist wesentlich, daß diese Gewerbe nur Nebengewerbe sind und der eigentliche Landwirtschaftsbetrieb der Hauptzweck des Gutes ist. Die Unterschiede von Allodial-, Lehns-, Ritter-, Frei-, Schulzen-, Fron-, Haus- und Bauerngütern etc. haben in der neuern Zeit mehr und mehr ihre eigentliche und ursprüngliche Bedeutung verloren, seitdem die neuern Ablösungsgesetze die grundherrlichen Lasten beseitigt und die mannigfachen mehr oder minder beschränkten Besitz- und Nutzungsrechte, besonders an Bauerngütern, in freies Eigentum verwandelt haben und anderseits die mit dem Besitz mancher Güter verbundenen Vorrechte aufgehoben worden sind. In größerer Ausdehnung haben sich fast nur noch das Kirchen- und Schulpatronat und in einzelnen Staaten das Vorrecht einer ausgedehntern Beteiligung, sei es bei der Volksvertretung selbst, sei es bei der Wahl dazu, als Zubehör der Rittergüter (s. d.) oder größerer Landgüter überhaupt erhalten. Die alte Streitfrage, obgroße oder kleine Güter vorteilhafter seien, läßt sich nicht für alle Fälle gleich beantworten. Zunächst sind die Begriffe »groß« und »klein« durchaus bedingte. Als »groß« könnte dasjenige L. bezeichnet werden, bei dem die Arbeiten der Leitung eine oder mehrere Kräfte vollständig beschäftigen, und dessen Reinertrag dem Besitzer ein genügendes oder reichliches Einkommen bietet. Halbgüter (Kuh-, Soldengüter) heißen solche Güter, die zum vollen Unterhalt des Besitzers und der Seinen nicht mehr zureichen, während die kleinsten Besitzungen Tagelöhnerstellen, Häuslerstellen etc. genannt werden. Die verschiedenen zur Vergleichung anwendbaren Maßstäbe, wie Größe der Fläche, Zahl der Arbeitskräfte, Höhe des Reinertrags, führen zu ungleichen Ergebnissen. Der Vergleich kann immer nur örtlich und zeitlich mit Berücksichtigung aller dafür wichtigen Umstände, wie Intensität der Wirtschaft, Volksdichtigkeit, Verkehrsentwickelung, Höhe der Preise und Kosten, Bodenbeschaffenheit etc., angestellt werden. Unter gegebenen Verhältnissen wird für bestimmte Zwecke das große L. leistungsfähiger sein als eine größere Anzahl kleiner, die zusammen den gleichen Umfang haben. Insbesondere wird das große L. am Platz sein bei dünner Bevölkerung, wenn menschliche Arbeit möglichst durch Maschinen zu ersetzen ist, wenn es sich um Erzeugung von landwirtschaftlichen Früchten handelt, die im großen jederzeit Absatz finden, etc. Dagegen ist der kleine Grundbesitz vorteilhafter, wenn verhältnismäßig viel sorgliche und pflegende Arbeit aufzuwenden ist, die nur in unvollkommener Weise oder gar nicht durch mechanische Leistungen ersetzt werden kann. Technik und Erzeugnisse der Landwirtschaft sind heute so mannigfaltig, daß in jedem Kulturland große, mittlere und kleine Landgüter nebeneinander bestehen können und jede Klasse derselben Aufgaben findet, denen sie vorzugsweise gewachsen ist. S. auch die Art. Bauerngut und Grundeigentum, sowie Grundstück und Landwirtschaftliche Betriebserfordernisse.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 107.
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