Sprachreinigung

[784] Sprachreinigung, die Ausscheidung fremdartiger, im weitern Sinn auch fehlerhafter Beimischungen (Solözismen) aus einer Sprache und deren Ersetzung durch einheimische und regelrecht gebildete Wörter und Wortverbindungen. Das hierauf gerichtete Streben ist an sich löblich; doch muß dabei mit Vorsicht, gründlicher Sachkenntnis, gesundem Urteil und geläutertem Geschmack zu Werke gegangen werden, da es leicht in Übertreibung (Purismus) ausartet. Wörter wie Fenster, Wein, Pforte, opfern, schreiben etc. (v. lat. fenestra, vinum, porta, offerre, scribere) lassen nur für den Sprachforscher den fremden Ursprung erkennen; seit frühester Zeit eingebürgert, haben sie sich mit den auf deutschem Sprachboden selbst erwachsenen Wörtern verschwistert und gleiche Rechte erworben (vgl. Fremdwörter). Auch werden heutzutage, wenn neue technische und wissenschaftliche Begriffe eine sprachliche Bezeichnung verlangen, die Ausdrücke dafür mit Recht vornehmlich dem griechischen und lateinischen Sprachschatz entnommen. Mit einheimischen vertauscht, sind diese häufig unverständlich oder zu unbestimmt oder müssen gar umschrieben werden; auch wird dadurch der Verkehr mit fremden Nationen erschwert. Mehr als lächerlich ist es aber, wenn der Purismus sich an solchen Wörtern vergreift, die nur scheinbar fremden Ursprungs sind, wie z. B. von Deutschtümlern für das echtgermanische, nicht etwa vom lateinischen nasus stammende Wort Nase der Ausdruck »Gesichtserker« vorgeschlagen wurde. Auch die S., die in, neuester Zeit von einigen Germanisten an den durch Volksetymologie (s. Etymologie) entstandenen Wörtern Sündflut, Friedhof u. a. versucht wurde, ist, obwohl sie auf gründlicher Sprachkenntnis beruht, nicht zu billigen. In diesen Fällen hat die jetzige Schreibung und Deutung dieser Wörter längst das Bürgerrecht erlangt, wenn auch »Sinflut« und »Freithof«, wie man nach jenen Gelehrten schreiben sollte, früher »die[784] große Flut« und den »eingefriedigten Hof« bedeutet haben. Ihren triftigen Grund hat dagegen die S., wenn ohne Not, nur aus Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit oder aus Vorliebe für das Ausländische Fremdwörter eingeschmuggelt werden. Einen solchen Kampf hatte z. B. die deutsche Sprache seit dem Anfang des 17. Jahrh. zu führen, als der Verkehr mit den Franzosen zunahm und der Deutsche die größere Freiheit und Gewandtheit dieser Nation auch durch Nachäffung ihrer Sprache sich anzueignen suchte. Diesen Kampf nahmen die Sprachgesellschaften (s. d.) auf. Größern Erfolg aber als sie hatten die Bemühungen einzelner für die Sache begeisterter Männer, namentlich Leibniz'. Nach fehlten freilich Werke, die mit dem Streben nach reiner und edler Form auch gediegenen Inhalt verbanden. Sobald aber im 18. Jahrh. die große Blütezeit der deutschen Literatur anbrach, erhob sich auch die Sprache aus ihrer tiefen Erniedrigung und gedieh durch unsre Klassiker noch vor dem Ende des Jahrhunderts zu hoher Vollendung. Nicht ohne Verdienst waren dabei auch die besondern, ausdrücklich auf S. gerichteten Bemühungen J. H. Campes (s. d.) und Karl W. Kolbes (gest. 1835; »Über Wortmengerei«, Berl. 1809), während Chr. Heinrich Wolke (gest. 1825) sich wieder in übertriebenen Purismus verirrte. In der neuesten Zeit wurde der Kampf gegen den noch immer über Gebühr herrschenden Gebrauch von Fremdwörtern sowohl als von sprachwidrigen Wortbildungen und Redensarten von M. Moltke in seiner Zeitschrift »Deutscher Sprachwart« (1856–79) und namentlich von dem 1885 begründeten Deutschen Sprachverein (s. d.) und seiner »Zeitschrift« wieder aufgenommen. Vgl. H. Wolff, Purismus in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts (Straßb. 1888); H. Schultz, Die Bestrebungen der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts (Götting. 1888).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 784-785.
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