Stimmführung

[41] Stimmführung nennt man im musikalischen Satz die Behandlung der einzelnen denselben hervorbringenden Stimmen. Der Satz erscheint um so glatter, vollkommener, je mehr die Akkordfolgen durch Sekundschritte der einzelnen Stimmen bewerkstelligt werden. Selbst harmonisch sehr schwer verständliche Folgen geben sich mit einer gewissen Ungezwungenheit, wenn alle oder die meisten Stimmen Sekundschritte machen. Ein vorzügliches Bindemittel einander folgender Akkorde ist ferner das Liegenbleiben gemeinsamer Töne. Eine Ausnahme macht die Führung der Baßstimme, die gern auch in weitern Intervallen von Grundton zu Grundton der Harmonien fortschreitet und wesentlich der Förderung des harmonischen Verständnisses dient. Die eigentliche Melodiestimme (in der neuern Musik gewöhnlich die Oberstimme) unterbricht die Sekundbewegung gern durch größere, sogen. harmonische Schritte. Da solche Schritte den Effekt der Mehrstimmigkeit durch Brechung machen, so sind sie eine Bereicherung des Satzes; es blüht sozusagen eine zweite Stimme aus der einen heraus (im Orchester- und Klaviersatz geschieht das oft genug wirklich). Gewisse Stimmschritte, die harmonisch schwer verständlich und darum schwer rein zu treffen sind, vermeidet der Vokalsatz gern (der »strenge« Stil vermeidet sie ganz), nämlich alle nach einem Sprung in der gleichen Richtung weiter drängenden, sogen. übermäßigen Schritte (Tritonus, übermäßiger Sekundenschritt etc.), während die verminderten Schritte aus dem gegenteiligen Grunde gut sind. Ebenfalls durch die Erschwerung des Verständnisses ist die schlechte Wirkung des sogen. Querstandes zu erklären, das Auftreten eines chromatisch veränderten Tones in einer andern Stimme als der, die den Stammton im vorhergehenden Akkord[41] hatte. Ferner sind von höchster Bedeutung für die S. die negativen Gesetze: das Quintenverbot und das Oktavenverbot (s. Parallelen).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 41-42.
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