Witz [1]

[706] Witz (mit »wissen« verwandt) bedeutete in der ältern Sprache soviel wie Einsicht, leichte Kombinationsgabe, Verstand (so noch jetzt in den Kompositis Mutterwitz, Menschenwitz, Aberwitz etc.); seit dem Beginn des 19. Jahrh., vor allem aber seit dem Aufkommen der jungdeutschen Literatur, dient das Wort zur Bezeichnung derjenigen intellektuellen Betätigung, die an Vorstellungen, die eigentlich disparat sind und keine Verbindung dulden, entfernte Ähnlichkeiten (etwa des Klanges, des Doppelsinnes etc.) aufdeckt und sie zum Zwecke komischer Überraschung (s. Komisch) miteinander vereint. Auch das einzelne Produkt solcher Betätigung heißt W. Den Musterwitz Kästners: »Als Pythagoras den nach ihm benannten Lehrsatz fand, opferte er den Göttern eine Hekatombe; seitdem zittert jeder Ochs, so oft eine neue Wahrheit entdeckt wird«, hat sich Börne angeeignet. Der W. ist Sachwitz, wenn die Ähnlichkeit (wie oben) im Gedanken, Wortwitz (Calembourg, Kalauer), wenn sie bloß in den Worten liegt (Wortspiel). Ein solcher ist die bekannte Antwort einer Napoleonfeindin auf die Bemerkung, daß alle Korsen nichts taugten: Nicht alle, aber »buona parte« (ein guter Teil davon). Wer gute Witze zu machen versteht, heißt ein witziger Kopf, wer darauf ausgeht, ein Witzkopf, wer auch erzwungene Ähnlichkeiten nicht scheut, ein Witzbold, wer um jeden Preis Lachen erregen will, ein Witz- und Possenreißer. W. und Scharfsinn, die beide auf der Einsicht in den Inhalt des Vorgestellten beruhen, sind beide Verstandessache, jener des kombinierenden, dieser des sondernden Verstandes. Vgl. K. Fischer, Über den W. (2. Aufl., Heidelb. 1889); Freud, Der W. und seine Beziehung zum Unbewußten (Wien 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 706.
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