5.

[361] Così Fan Tutte.

Opera buffa in zwei Acten.


Das Jahr 1790 war eines der unglücklichsten und bewegtesten in Mozart's Leben. Es war auch eines der wenigst productiven in seinen classischen Jahren. Der autographe Katalog zeigt unter diesem Datum nur fünf Originalwerke, unter denen Così fan tutte, osia la Scuola degli Amanti (wörtlich: So machen es Alle, oder die Schule der Liebenden) das Beträchtlichste ist.

Um die Musik dieser Oper würdigen, um ihre Schönheiten und relativen Unvollkommenheiten beurtheilen zu können, sind wir genöthigt, von einem Libretto zu sprechen, das unter aller Kritik ist. Das Gedicht von Così fan tutte ist eine Art von Lehrfabel in Form eines Drama's; eine umgekehrte Lehrfabel, in der man glauben könnte, daß ein vierfüßiger Moralist die Individuen unserer Gattung sprechend und handelnd aufführe. Die Moral ist die, daß alle Frauen betrügen, wenn sie Gelegenheit dazu finden. Die Fabel ist folgende: Zwei Officiere, Ferrando und Guglielmo, der eine Tenor, der andere Bariton, lieben zwei Schwestern Fiordiligi und Dorabella, erste und zweite [362] Sängerinnen. Diese vier Herzen haben sich nach entgegenstehender Stimmung verbunden, denn der Bariton liebt die Prima-Donna und die Seconda-Donna wird von dem Tenor geliebt. Man wird sogleich sehen, daß, wenn der Musiker diese nicht zusammenpassenden Bande knüpfte, er sich nur in soweit dem Scheine nach von dem Gebrauche entfernte, um der That nach nur darauf zurückzukommen. Die Liebhaber glauben an die Treue ihrer geliebten Gegenstände; aber ein Freund derselben, Don Alfonso, glaubt nicht daran, weil er Philosoph ist, und er ist darum Philosoph, weil er nicht daran glaubt; Alfonso's ganze Weisheit besteht darin. Die jungen Leute, welche die Worte des alten Mannes ärgern, bieten ihm eine Wette an. Der alte Mann geht darauf ein, und übernimmt es, die Probe zu leiten, welche die Wette entscheiden soll. Die Officiere geben vor, den Befehl erhalten zu haben, abreisen zu müssen; sie reisen ab und kommen gleich darauf verkleidet wieder zurück. Andere Uniformen und falsche Bärte verändern sie so vollkommen, daß die beiden Schwestern sie durchaus nicht erkennen und als Fremde ihnen den Zutritt in ihrem Hause gestatten. Sobald die unbesonnenen Wetter sich bei ihren Schönen eingeführt haben, beginnt der Angriff sogleich. Nur muß ich bemerken, daß unsere Krieger beschloßen, die Rollen zu vertauschen, damit die Wechselfälle des Kampfes interessanter würden und man sich nicht der Langeweile ausgesetzt sieht, bereits vollkommen gemachte Eroberungen von Neuem nochmals anfangen zu müssen. Der Tenor wendet sich mit seinen Bewerbungen an die Prima-Donna; der Bariton an die Seconda-Donna, auf welche Weise Alles in die gewohnte musikalische Ordnung zurückkehrt. Die ersten Subjekte treiben sich zusammen in ihren Duetten, in den Terzen und Sexten herum. Die zweiten machen es ebenso. Nachdem die Erklärungen von allen Seiten erfolgt [363] sind, folgen die in diesen Arten von Romanen vorhergesehenen Sätze stufenweise; großer Aerger und heftige Vorwürfe, allmählige Beruhigung, Mitleiden, Verzeihung, Liebe für Liebe endlich, und doppelte Heirath. Sobald der Philosoph seine Wette gewonnen hat, nehmen die Officiere ihre Bärte ab und geben sich zu erkennen; sie verzeihen ihren Geliebten, daß sie Frauen gewesen seien, und es aus diesem Grunde wie »Alle gemacht haben,« was sehr logisch ist, worauf Jeder ohne Widerstreit das in Besitz nimmt, was ihm durch das Vorrecht des Alters zukam. Ferrando und Dorabella, Guglielmo und Fiordiligi werden so glückliche Eheleute, als wenn ihre Liebe sich nie gekreuzt hätte. Der Dichter blieb Aristoteles getreu; denn alle diese schönen Dinge gehen in weniger als vierundzwanzig Stunden vor.

Man übersehe nicht, daß sich in diesem Haufen von Flachheiten auch nicht ein Wörtchen zum Lachen vorfindet. Da ist auch gar nichts komisch, sondern Alles nichts weiter als dumm. Es ist klar, daß ein solches Libretto kaum den literarischen Werth eines Turco in Italia und der Italiana in Algeri erreicht, zwei Stücke, in welchen der gänzliche Mangel an Geist sich eben durch die ungeheure Extravaganz, durch eine Menge plumper und burlesker Caricaturen ausgleicht, und welche nur Rossini's Musik und das treffliche Spiel eines Buffo genießbar machen können. In Così fan tutte ist von all' Dem, selbst in dieser Beziehung nichts zu finden. Das einzige Komische in diesem Stücke ist ein junges Mädchen, Despina, das Kammermädchen der Fräulein, welche als Arzt und Notar erscheint, und welche die Fräulein, stets taub und blind, für einen Arzt und Notar zu halten nicht ermangeln. Ein junges Mädchen als Urkunden- und Receptenverfertiger verkleidet! warum sollte man einen solchen Versuch der Dummheit am Ende nicht ebenso bewundern, als den[364] Versuch des Genies. Der Arzt und Notar waren in dem Plane des Dichters durchaus nothwendig. Es mag sein, was wäre aber dann natürlicher gewesen als Don Alfonso diese doppelte Aufgabe anzuvertrauen, welche so ganz mit seiner Philosophie und den lateinischen Sentenzen, die er vorbringt, übereinstimmt. Mit dieser ganz einfachen Aenderung waren ganz augenscheinliche Vortheile verbunden gewesen. Erstens hätte der Umstand, daß ein Mann an die Stelle einer Frau in Männerkleidern gekommen wäre, die materielle Täuschung gerettet, ohne welche ein Effect auf der Bühne unmöglich ist; zweitens hätte Don Alfonso Gelegenheit gefunden sich öfter, als es der Fall ist, auf der Scene, sowohl als Buffo-Sänger wie als Schauspieler zu zeigen. Die ganze Oper hätte dadurch gewonnen. Wir wissen, welch lächerliches Schauspiel es in einer Opera seria ist, eine Frau mit Schnurrbart, Hut auf dem Kopfe und einem Actenstoße unter dem Arme zu sehen. Hier findet man wenigstens eine musikalische Entschädigung für die dramatische Abgeschmacktheit. Man hört häufig sehr schöne, sehr melodische und sehr gut gesungene Arien des Contralts; aber eine Frau in der Perrücke eines Doctors taugt in einer Opera buffa zu nichts. Die hohen Stimmlagen geben sich durchaus nicht zu musikalischen Buffonnerieen her, und die stark aufgetragenen Caricaturen passen ebensowenig für das Spiel einer Schauspielerin.

Gehen wir zu den Charakteren des Stückes über, wenn überhaupt welche vorhanden sind. Zuerst hat der Dichter aus Ferrando und Guglielmo, Fiordiligi und Dorabella zwei Exemplare gemacht. Sie sind nichts Anderes als Doubletten. Dieses vierblätterige Kleeblatt verbindet sich, macht gemeinschaftliche Fortschritte, verwickelt und entwickelt sich mit so vieler Regelmäßigkeit und Symmetrie, daß deren Scenen beinahe den Figuren eines [365] Contretanzes gleichen. Hier sieht man die Herren auf einer Seite, die Damen ihnen gegenüber auf der andern. Zwei Texte reichen immerwährend für alle vier Personen aus. Es sind dies die Ensemblestücke. Dort sieht man ein Paar, Herrn und Dame, einen Pas de deux ausführen, während das andere Paar, welches denselben Pas zu machen hat, hinter den Coulissen zu warten hat. (Die Duette zwischen den verschiedenen Stimmen und auf zwei Texte.) Später sieht man die Herren allein; noch später die Damen allein; nicht mehr sich gegenüber, sondern nebeneinander, d.h. Duette auf dieselben Worte singend! Ist der Contretanz zu Ende, so bieten die Cavaliere ihren Damen die Hand und die Damen nehmen die Hand ihrer Cavaliere und lassen sich von ihnen auf ihre Sitze führen. In Wahrheit, die vier Personen sind so gut charakterisirt, daß, wenn Fiordiligi ihr Kleid an Dorabella überließe, die ältere die jüngere Schwester würde und umgekehrt, und wenn Ferrando seinen blonden Schnurrbart gegen den schwarzen Schnurrbart vertauschte, er nahezu mit seinem Kameraden auch die Seele wechseln würde. Als besondere Individualität bleiben jetzt nur noch der Philosoph und Despina übrig. Der Eine ist als lyrischer Charakter eine völlige Null; die Andere hängt mit dem Drama nur durch die abgeschmackte Verkleidung zusammen, von der so eben die Rede war. Beide empfehlen sich aber dadurch, daß Jedes derselben wenigstens eine Seele und einen eigenen Willen hat, und weil sie die Angel sind, um die sich das ganze Stück dreht. Vermöge des vereinten Genius des Philosophen und der Soubrette, deren Verbindung musikalisch ein drittes Paar hervorbringt und zu sechsstimmigen Ensemblestücken Veranlassung gibt, kommt da und dort ein wenig Handlung und Bewegung in die Geschichte. Mag dieselbe auch jeder Wahrscheinlichkeit entbehren, was liegt daran? fand doch [366] Mozart Gelegenheit, ein Sextett und die beiden Finale's daraus zu machen, wodurch er sich einen Triumph und dem Dichter Absolution zusicherte.

Es finden sich also in dem Libretto, wie man sieht, weder gesunder Menschenverstand, noch wirkliche Handlung, noch Leidenschaften, noch Charaktere, noch selbst Buffonnerieen vor, welche man so unterhaltend hätte machen können, wie die allergewöhnlichsten Caricaturen der italienischen Oper. Nichts als die nackte, reine Dummheit, ein vollständiges Nichts für den Componisten. Auf was wird er also sein Gebäude aufführen? Es lag wenig lyrischer Stoff in Figaro, aber dieser enthielt vielen Geist, und in Ermangelung von Gefühl bot der Geist einem Musiker, der so vielen Geist wie Mozart besaß, kostbare Hilfsquellen. In Così fan tutte ist gar kein Geist und noch weniger Gefühl als in Figaro zu finden, weil die Liebe darin wie eine immerwährende Lüge, wie eine plumpe Ironie behandelt ist, und weil mit Ausnahme der Liebe keine andere Leidenschaft sich zeigt. Es ist klar, daß wenn Mozart diesen Rahmen mit der Achtung hätte ausfüllen wollen, die er gern der Arbeit seiner Dichter angedeihen ließ, wenn er vor Allem nach der dramatischen Wahrheit in einem Drama gesucht hätte, wo Alles gänzlich falsch ist, so wäre von zwei Dingen Eines geschehen. Mozart hätte entweder das Gedicht uncomponirbar gefunden und hätte es liegen lassen; oder er hätte schlechte Musik, eine Partitur ohne Geist und ohne Seele machen müssen, was für ihn wieder eine andere Unmöglichkeit gewesen wäre. In diesem schwierigen Dilemma that unser Heros aus Noth, was die italienischen Componisten aus Gewohnheit und System thun. Er behandelte den Text leichthin und schien ihn zuweilen ganz zu vergessen. Wir behaupten aber nichtsdestoweniger, daß die zahlreichen Abweichungen vom Sinn, [367] oder vielmehr von dem poetischen Unsinn in der Musik vonCosì fan tutte, nicht von derselben Art sind, als wie der Widersinn, den man so häufig Rossini und seinen Nachahmern zum Vorwurfe macht. In den Opern der neuen italienischen Schule gibt es eine Menge Stücke, die grell mit der Situation abstechen, die gerade das Gegentheil von dem sagen, was die Worte ausdrücken, zum Beispiel: muntere Cabaletten bei einem Todesurtheile; ein Gebet zum Gotte Israel's im Gewande einer verliebten Klage; oder eine Sündfluth von Rouladen, welche statt Thränen bei dem Leichname eines geliebten Gatten vergossen werden etc. etc. Nein, auf diese Weise ist der Text von Così fan tutte nie parodirt. Die Musik, das ist wahr, stimmt nicht immer mit dem Geiste der Situationen und mit den Gefühlen der Personen überein, so wie sie der Dichter gegeben hat; aber sie widerspricht ihnen nie geradezu; sie gibt ihnen nur eine verschiedenartigere, aber zartere, mannigfaltigere, dramatischere und mehr lyrische Auslegung, die sich aber streng genommen gar wohl mit dem positiven Gedanken des Sujets verträgt. So ging die erste Sorge des Componisten dahin, wie natürlich, den doppelten Personen ihre Doppelgestalt zu nehmen. Unter seiner Feder ist Ferrando ein anderer Mensch wie Guglielmo, Dorabella, die jüngere Schwester, von ihrer ältern sehr verschieden geworden. Der Bariton nimmt zum Beispiel die Sache von der philosophischen Seite und amusirt sich dabei. Er unterwirft sich willig Alfonso's Axiomen und für ihn ist die Prüfung nur ein Spiel. Das Geplauder herrscht in Allem vor, was er singt, allein oder mit Dorabella zusammen. Bei dem Tenor verhält es sich nicht so, der zugleich leidenschaftlich und flüchtig, eifersüchtig und romantisch, folglich ein durch und durch musikalisches Geschöpf ist. Der Verrath seiner Geliebten trifft ihn tief und uns auch. Io sentoche ancora quest'alma[368] l'adora, (Nr. 27) welch' rührende Melodie, welch' wahre Leidenschaft! Ja, aber andere Melodieen in dem Duett (Nr. 29): Fra gli amplessi, die auf diese Arie folgen, beweisen ebenfalls, daß Ferrando, selbst verführt, während er die Rolle des Verführers spielt, nicht mehr an die verlorene Wette denkt. Weit entfernt; er wünscht sich Glück zu einem Unglücke, das ihm so süße Tröstungen verschafft; er macht sich daran, Fiordiligi ebenso herzlich zu lieben, wie er die Andere geliebt hatte. Diese Scene ist nicht die einzige in welcher Mozart die Wahrheit des Gefühls gegeben hat, statt der Parodie desselben wie der Text es vorschreibt. In wie vielen Beziehungen hätte das Werk gewonnen, wenn diese innere Modification der Charaktere auf die Ereignisse des Stücks selbst ihren Einfluß hätte üben können. Es wäre aus der Partitur ein anderes Drama hervorgegangen. Die jungen Leute, welche ihre Geliebten in die Falle bringen wollen, müssen mit ihnen selbst hineinfallen. Da das ein Unrecht auf beiden Seiten wäre, so würde auch gegenseitiges Verzeihen nothwendig. Man würde sich gestehen, in der ursprünglichen Wahl sich getäuscht zu haben; man fände, daß die Secunda-Donna für den Bariton geschaffen sei, und daß der Himmel im Einklang mit den Anforderungen der Musik, dem Tenor die Prima-Donna bestimmt habe; der Philosoph erntete den Dank und würde für den großen Dienst, den er Allen erzeigt hat, bezahlt, und die Prüfung endigte auf gütlichem Wege zwischen den Heirathslustigen. Die Oper hieße nicht mehr: Così fan tutte, so machen's alle Frauen, sondern Così fan tutti, so machen's alle Männer; immerhin ein Gemeinplatz, ein schlechtes Sprichwort, aber auf eine weniger einfältige, wenn nicht auf eine weniger abgeschmackte Art dramatisirt, und die Entwicklung wäre auf eine Weise vor sich gegangen, welche das Stück nicht unter der Last seiner unglaublichen Flachheit erdrückt hätte.

[369] Ebenso wie die Liebhaber zeichnen sich auch die jungen Damen in der Musik durch geschickte Nuancirungen und geistreiche Contraste aus. Hinsichtlich der Fiordiligi ist Mozart selbst bis auf einen gewissen Grad in die Absichten des Dichters eingegangen. Er hat die Prima-Donna mit einem demüthigen Ernste behandelt, der offenbar nur Spott ist. Ihre Arien, welche ganz nach dem Zuschnitte der altitalienischen Bravour-Arien gemacht sind, haben heute noch das dramatische Verdienst, sich vermöge ihrer Form, voll Ostentation und Parade, der gezierten Sprache des Sprödethuns und der Gefallsucht anzupassen. Man höre diese Prinzessin, die fortwährend auf dem Paradepferde ihrer Grundsätze sitzt, sich unter Trompetengeschmetter für eine unbesiegbare Beste, für das Gibraltar der Treue erklären. Come scoglio immota resto (Nr. 20). Man höre wie diese hohe Stimme sich anstrengt, um die dem Contralt vorbehaltenen Tonstufen herauszubringen, wodurch sie eben ihre wenige Tiefe verräth; wie sie hernach in einem Satze an das entgegengesetzte Ende der Stimmlage springt, sich in prunkvollen Rouladen zeigt, wie sie endlich zu sagen scheint: »Da seht Ihr, wer ich bin und was ich vermag; schnell zu meinen Füßen Sklaven!« Die Gefallsüchtige hält sich für erhaben, wenn sie an das Lächerliche streift. Die andere Schwester, Dorabella, ist von ganz anderer Beschaffenheit; leicht entzündlich, wenig Werth auf das Ceremoniell der Präliminarien legend, flüchtig aber offen und natürlich, ein Mädchen, das heftig liebt, so lange es liebt; eine jener italienischen Damen, mit einem Worte, die dem Portier befiehlt, den Freunden des Hauses zu sagen: die Signora nimmt weder heute, noch morgen, noch die ganze Woche Besuche an: dieSignora ist innamorata, verliebt. Mit diesen vortrefflichen Eigenschaften singt Dorabella immer wahr, mag sie sich betrüben oder sich freuen. Sie verbirgt [370] es nicht wie glücklich sie ist, in dem Duett das halb sentimental und halb scherzhaft ist: Il core vi dono (Nr. 25); ebenso verhehlt sie ihren Schmerz und ihre Thränen in der Arie: Smanie implacabili, eine der schönsten Arien, wenn nicht die schönste des Werkes. Auf diese Weise hat Mozart zwei Paare Marionetten in vier lebende Personen umgewandelt.

Sehen wir nun, was er für Don Alfonso und seine Verbündete Despina, gethan hat. Der Philosoph hatte in einer komischen Oper dasselbe Unrecht wie Figaro, der vernünftige oder wenigstens der für vernünftig gehaltene Mensch des Stückes zu sein, und das noch größere Unrecht sich für die Ereignisse nur in seiner Eigenschaft als Wettender zu interessiren. Der Dichter hat ihm zwei Arien-Texte gegeben, welche seine lyrisch-dramatische Nullität nicht heben konnten, weil sie das moralische Wesen des Individuums nicht berühren. Beide sind sehr kurze Cavatinen, welche Mozart nur durch das Quartett begleiten läßt, und über die wir nichts zu sagen wissen, als daß die eine aus F-moll (Nr. 5), die andere ausC-dur (Nr. 30) geht, und daß diese mit einer Pointe endigt, wie ein Vaudeville-Vers, aber wohl verstanden mit einer musikalischen Pointe. Wenn Alfonso zu den Verliebten sagt: ripetete con me: così fan tutte, so wiederholen alle im Chore das verwünschte Sprichwort, in langsamem Tempo und in vereinzelten Accorden, welche in einer Cadenz des Choralgesangs endigen, der ebenso originell wie geistreich ist. Gibt es etwas Erbaulicheres als die Moral des Stückes, die in seinem Titel zusammengefaßt ist? – In Ermangelung eines speciellen Rahmens, in welchen man das Bild Alfonso's hätte fassen können, hatte ihn der Musiker sehr glücklich in den Ensemblestücken, durch einige humoristische Striche charakterisirt. Das erste Quintett, das Sextett und die Finale's erheben den [371] Philosophen, dem Texte zum Trotze, zum Range einer nach der Natur copirten Individualität. Jedermann hat wohl schon in der Welt, wir sprechen nämlich von der großen Welt, einige jener alten Männer getroffen, welche sich den Damen und jungen Leuten angenehm und nützlich zu machen verstehen, mit denen sie gewöhnlich umgehen; Parasiten mit possenhaften Sentenzen, Orakel der Boudoirs, Rathgeber junger Thoren, selbst veraltete und lächerliche Thoren, welche eitler Weise den Aushängschild einer gezwungenen Weisheit vor sich hertragen und die Trauben für zu sauer erklären, während sie doch lüstern nach dem Weinstocke sehen. Alfonso gehort dieser spaßhaften Spielart des Menschengeschlechtes an, über die man sich noch mehr lustig machen würde als über unentzündliche Greise, wenn diesen zuweilen nothwendigen Geschöpfen, eben weil sie zu nichts gut sind, nicht gewöhnlich ein spöttischer Geist und schlagende Antworten zu Gebot stünden. Man begreift, daß ein solcher Charakter besser in die gesprochene als in die gesungene Komödie paßt; Mozart hat mehrere Züge mit vielem Geiste und Gewandtheit aufgefaßt, wie unter Anderem die Zuversichtlichkeit und den frivol dogmatischen Ton unseres possenhaften Doctors, welche sich in diesem Satze im ersten Quintett aussprechen: Saldo amico finem lauda (Nr. 6). Im Allgemeinen athmet Alfonso's Parthie, in den Scenen mit Handlung eine boshafte und unterdrückte Freude, die von herrlich komischer Wirkung ist. Ist es das Vergnügen, welches aus einer Mystification für den entspringt, der sie erfindet und leitet, oder ist es das wahre Vergnügen des Weisen, der sich an den beiden Paaren dafür rächt, daß er selbst weder jung noch liebenswürdig mehr ist? Darüber sagt der Text nichts. Wir können also die eine oder die andere Auslegung zulassen, oder alle beide zugleich.

[372] Die meisten unserer Bemerkungen lassen sich auch auf Despina anwenden. Auch sie hat kein persönliches und directes Interesse an den Ereignissen des Drama's; aber sie besitzt einen Soubretten-Charakter, ein Talent für die Intrigue, welches sich in seinen Werken gefällt; die Bosheit eines jungen Mädchens, welche der tückischen Bosheit des alten Mannes gegenübersteht; endlich hat auch sie, wie ihr Partner eine große lyrische Wichtigkeit in den mehrstimmigen Scenen. Despina's Arien, deren sie zwei hat, bestehen aus Ausfüllungstexten, wie man sie in einer Menge italienischer und deutscher Opern findet, banale und nichtssagende Reflexionen, welche der Componist den untergeordnetsten Subjecten anzupassen hat. Eine Aufgabe die stets anwidert und selbst in Verlegenheit setzt. Was soll man auf Worte machen, die nichts sagen, für Sänger, die kaum zu singen wissen und für ein Auditorium, das nicht zuhört? In der That, ich habe immer Mitleiden mit einer zweiten und dritten Sängerin, wenn das Ritornell ihres Stückes anfängt. So sehr man aber auch diese Opfer beklagt, so kann man nicht immer der ansteckenden Heiterkeit widerstehen, welche das Publicum ergreift, wenn das Opfer heraustritt, das manchmal majestätisch auf den Brettern einherschreitet ohne gehen zu können; zuweilen auch unbeweglich und unentschlossen die Augen gen Himmel schlägt, wie um diesen um etwas Stimme anzuflehen, dann eben diese Augen mit flehendem Ausdrucke auf den Orchester-Dirigenten richtet, wie wenn der Bogen desselben für sie singen könnte. Man lacht, und wenn man fragt warum, so weiß ich keine andere Antwort, als weil es selten ist, daß die Maestri für eine dritte Sängerin zu schreiben, oder mit anderen Worten die Stimme zu entbehren wissen. Es ist aber auch nicht leicht, wird man mir erwidern. Leicht nicht, aber möglich, was Despina's Arien beweisen, die Niemand zum [373] Lachen bringen, aber Jedermann gefallen werden. Beide haben dasselbe Tempo, Allegretto, denselben Rhythmus, in sehr markirten Sechsachteln, und denselben Charakter von Leichtigkeit und Schelmerei, eine fließende, klare und namentlich unfehlbare Musik, sowohl für die Sängerin und das Orchester, als für die Dilettanten, welche die Gewohnheit haben, an der Ausführung Theil zu nehmen, die Einen, indem sie die Melodie trällern, die Anderen, indem sie einfach den Tact schlagen. Wenn es etwas Leichteres gibt, als die Arien der bella Despinetta, so sind es die von Guglielmo, dem Bariton; aber dort streift, wie wir gestehen müssen, die Leichtigkeit an Trivialität. Stücke wie: Donne mie la fate a tanti (Nr. 26.) und Non siete ritrosi (Nr. 15.) scheinen von gar zu armseligem Styl selbst für die Buffo-Oper.

Zwei bereits genannte Arien, Smanie implacabili (Nr. 11.) und Io sento che ancora (Nr. 27.), sind, meiner Ansicht nach, die einzigen wahrhaft schönen, die sich in Così fan tutte finden. Sie sind die einzigen, deren Texte einen etwas guten lyrischen Stoff dem Componisten lieferten. Die erste drückt den Schmerz aus, welchen Ferrando's Abreise bei Dorabella erweckt, was sehr natürlich ist, da er ihre erste Liebe ist, und noch Niemand da war, der sie hätte trösten können. Diese Arie aus Es-dur, Allegro agitato4/4, ist voll Ausdruck und Adel, von feuriger Declamation, vortrefflich modulirt, und zeichnet sich unter Anderem durch einige Gänge einer Art von trefflichen Dialogs zwischen der Stimme und der Flöte, durch das Fagott in der Octave verstärkt, aus. In der andern Arie, welcher ein bewunderungswürdiges instrumentirtes Recitativ vorangeht, sehen wir Ferrando die Untreue eben dieser Dorabella beklagen, die er noch liebt, was nicht weniger natürlich ist. Io sento che [374] ancora quest'alma l'adora; io sento per essa le voci d'amor. Das war Etwas, was Mozart begreifen mußte, und was ihm einen so herzlichen Gesang, voll Leidenschaftlichkeit und Zärtlichkeit einflößen konnte. Eine ganze innere Revolution geht vor, die Liebe hat über das gerechteste Rachegefühl den Sieg davon getragen, wenn diese leidenschaftlichen Sätze, welche man anfangs aus Es und mit Begleitung des Clarinetts gehört hat, unerwartet aus C, durch die Oboen wieder zum Vorschein kommen, und zwar unter einem neuen Colorit und zugleich mit dem Glanze der neuen Tonart. Maestro caro! Du wußtest vielleicht, gleich Vielen unter uns, welch' neue und unwiderstehliche Reize der Verrath einer geliebten Frau verleiht, und wie man gerade in jenen gräßlichen Augenblicken, in denen man ernstlich mit sich zu Rathe geht, ob man ihr nicht das Leben nehmen soll, am Allergeneigtesten ist, das seinige für sie daran zu setzen.

Die anderen Arien der Oper, die zwar im Allgemeinen angenehm und melodisch sind, erscheinen mehr oder minder schwach im Ausdruck, und erheben sich nur etwa durch die Instrumentation etwas über den italienischen Musikstyl, der vor Rossini in der Mode war.

Dieser Styl herrscht ebenfalls in den Duetten von Così fan tutte vor, nichtsdestoweniger bemerkt man aber doch an einigen die Löwenklaue. Ah guarda sorella (Nr. 4.) z.B. ist ein ganz Mozart'scher Gedanke. Dorabella, welche auf den Intervallen des tonischen Accords, A-dur, steigt, erreicht das obere E, welches sie neun Tacte lang aushält, während welcher Fiordiligi einen contrapunctischen Gang in den tiefen Tönen ihrer Stimmlage ausführt. Gleich darauf wiederholt sich der Satz umgekehrt in den Stimmen; weil aber Fiordiligi eine Quarte höher [375] angefangen hat, so gelangt sie auf demselben Wege zum oberen A, was den contrapunctischen Gang um eben so viel erhöht und den Ton D herbeiführt. Der erste Sopran berührt auf diese Weise die Grenzen der doppelten Octave von A bis A, während der zweite stets die Mitte einnimmt! So einfach diese Combination auf dem Papiere erscheint, so großartig, anmuthig, originell und voll Kühnheit ist deren Effect. Wenn diese Passage gut ausgeführt wird, so kann sie nie verfehlen, die Zuhörer zu elektrisiren. Das große Duett (Nr. 29.) zwischen dem Tenor und der Prima-Donna bietet zwar keinen musikalischen Gedanken so ausgezeichneter Art, aber der Reiz seines Ausdrucks und der Lieblichkeit seiner durchaus italienischen Melodieen schmeicheln dem Ohre. Wir erinnern an das Solo des Tenors: Ed io di dolore meschinello io mi moro, jenes Gesangs in Minore, der die Worte so gut ausdrückt, daß man dieselbe entbehren könnte; und an die rührende Antwort auf den Intervall des verminderten Septimen-Accords: Cedi cara; und an jene leidenschaftliche Trunkenheit, welche unwiderstehlich im Majore des Larghetto 3/4 hervorbricht; endlich das schmachtende Sichgehenlassen, welches der Charakter des letzten Tempos, Andante, ist, wenn der Widerstand aufhört, und die Stimmen sich mehr anschließend, abwechselnd in Terzengängen und in mit Fiorituren geschmückten Nachahmungen, ihr Entzücken vermischt mit abraciamci caro bene ausdrücken. Um die Situation vollendet zu machen, hatte Mozart nicht nöthig, zu den Steigerungen einer Cabalette seine Zuflucht zu nehmen. Er führte sie so aus, wie sie die Natur von selbst macht, vermittelst einer innigen und lang dauernden Begeisterung, Herz am Herzen, Mund am Munde. Die Musik ist in diesem Falle nichts Anderes, als die beredte Pantomime der Wirklichkeit in Fällen dieser Art.

[376] Wenn man die Ensemblestücke prüft, so findet man die einen ziemlich mittelmäßig, während andere die volle Bewunderung des Lesers oder Zuhörers in Anspruch nehmen. Das Libretto erklärt diesen Unterschied. Die schwächsten Stücke sind die der Conversation, die so unsinnig ist, als man sie nur erdenken kann. So finden sich gleich Anfangs drei Terzette hinter einander zwischen denselben Personen, was schon an und für sich ein Fehler ist, den der Componist hätte verbessern sollen. Er that es nicht; aber das Schlimmste daran ist, daß alle drei Numern, so wie das Recitativ, das dazwischen liegt, sich um einen elenden und sehr nichtigen Streit drehen. Unsere Geliebten werden uns treu bleiben. – Nein, sie werden Euch nicht treu bleiben. – Wohlan, wetten wir. – Wohlan, ich wette. – Nun, was geht das mich an, wird Mozart gedacht haben. Die großen Schönheiten des Werkes dagegen finden sich beinahe alle in den Scenen der Handlung, in den Quintetten, im Sextett und in den Finales. Hier handelte es sich nicht darum, den Sinn den Worten genau annähernd oder gleichbedeutend zu geben, da diese keinen für die Musik hatten; da gab es Situationen, Bewegung, ein motivirtes und bestimmtes Wollen, einen Zweck zu erreichen, mit einem Worte eine fortschreitende Handlung, wel che, abgesehen von der Ungereimtheit der Mittel, die man ersann, um sie auszuführen, dennoch für den Musiker günstig war. Nehmen wir das Sextett (Nr. 13.) als Beispiel. Die Liebhaber haben, nachdem sie sich verkleidet, Despina gefunden, die mit im Complott ist. Man scherzt über ihren Anzug. Darüber kommen die Fräulein, welche einen großen Unwillen an den Tag legen, daß sie ihre Kammerjungfer sich mit Leuten dieser Art unterhalten sehen, während sie selbst als padrone in Betrübniß und Thränen sind. Die Fremden entschuldigen sich bei diesen Damen, indem sie sagen: daß sie [377] nur darum aus fernen Landen gekommen seien, um sich ihnen zu Füßen zu werfen und sie anzubeten. Diese Rechtfertigung wird nach Verdienst aufgenommen. Der Zorn der Damen vermindert sich sehr in der Musik, das heißt in der Wirklichkeit, und steigert sich in Worten in einem für Novizen erschreckbaren Verhältnisse. Unsere Offiziere, die augenscheinlich Novizen sind, singen Sieg, während Despina und der Philosoph sich bei Seite weit richtigeren Reflexionen über diesen Aufwand von Zorn überlassen: Mi da un poco di sospetto quella rabbia, quel furor. Da alles dieß ziemlich musikalisch ist, so wurde das Sextett eine Composition voll Schönheit, bewundernswerth durch Melodie und Harmonie, und ebenso als dramatische Scene. Das Finale des ersten Actes war noch viel musikalischer. Auf allen Puncten in dem Sextett geschlagen, entwerfen die Verbündeten einen neuen, entscheidenderen Angriffsplan. Ferrando und Guglielmo erscheinen bei ihren Damen als Leute, die im Begriffe stehen, in die andere Welt zu gehen, und bitten um die Gunst eines letzten Lebewohls. Sie haben Arsenik genommen und müssen sterben. Großer Schrecken! Der Arzt kommt herbei, magnetisirt die Sterbenden, bringt sie in's Leben zurück, und kaum sind sie dem Leben wiedergegeben, so verlangen sie zur Vervollständigung ihrer Herstellung einen Kuß. Der Doctor verordnet diesen Kuß als herzstärkendes Mittel. Alfonso fordert die Damen zum Mitleiden auf; diese meinen aber, der Augenblick, mitleidig zu sein, sei noch nicht gekommen, weil das wahre Mitleiden sich immer ohne Zeugen zeigt. Sie gerathen also auf's Neue in Zorn, und zwar aus Leibeskräften. Während sie alle Arten von Verwünschungen und Drohungen ausstoßen, lassen die Anderen Wünsche laut werden, daß dieses schöne Feuer sich bald in eine verliebte Flamme verwandeln möge. Der Vorhang fällt.

[378] Mozart hat in diesem Finale alle Intentionen des Libretto angenommen, trotz der großen Schwierigkeit, die darin liegt, sie zu erfüllen. Die Mischung des Gefühls und der Ironie, der Wahrheit und der Verstellung, des Sprödethuns und der Liebe, des Schreckens, welche von einer Seite sich unverholen kundgibt, und einer schlecht verhaltenen Lachlust von der andern Seite, lauter Dinge, die sich nothwendiger Weise in Situationen dieser Art vorfinden mußten, hat die Musik mit einem Fond köstlicher Munterkeil vereinigt und vermischt. Nie vielleicht verbarg sich die Mozart'sche Arbeit unter so vielem Angenehmen; nie war die Manier des Componisten blumiger und einschmeichelnder. Wenig Declamation und viel Gesang, eine Melodie, welche, nach einem Bilde der Alten, wie Milch und Honig fließt, eine Begleitung, welche eine Feenhand geschmückt zu haben scheint, einen unerschöpflichen Wohlklang, Glanz, Feuer und überall einen klaren, leicht faßlichen Sinn. Eine fast Rossini'sche Musik. Ja, aber diese üppige Musik, welche nur dazu gemacht zu sein scheint, die Sinne zu ergötzen, und der man keine positive Anwendung zutraut, gehorcht nichtsdestoweniger mit bewunderungswürdiger Gelehrigkeit allen Bewegungen, allen Intentionen des Dramas, und wir haben gesehen, wie mannigfaltig und verwickelt die Beziehungen der Personen unter sich sind. Es muß folglich Ueberlegung, Berechnung, und selbst Etwas von der alten Wissenschaft in den Finales und anderen analogen Stücken in unserer Oper sich vorfinden. Es findet sich allerdings und zwar viel davon vor, und Niemand von uns zweifelt daran, meine Herren orrecchianti des italienischen Theaters! Man sehe ein wenig nach; der polyphonische Styl, jenes Ungeheuer mit unverträglichen Stimmen, die Einem in den Fugen die Nerven so grausam angegriffen hat, tritt Einem hier mit heiterer Miene und in einem Aufputze der höchsten Eleganz[379] entgegen, daß man ihn gar nicht erkennt, und ihm, wie einer Cabalette freundlich die Hand entgegenstreckt. Man gebe Acht, der kanonische Contrapunct, jener Störefried des musikalischen Genusses, auch er findet sich vor mit seinen krummen Gängen, seinen Synkopen, seinen Retardationen und anderen ungefälligen Dingen, deren Namen man nicht einmal weiß. Man beruhige sich aber; in diesem Falle thut er den Ohren nicht weh; es finden sich keine rauhen und ungenießbaren Mißklänge vor. Der Contrapunct ist zu Zucker und Honig geworden, um dem Zuhörer zu gefallen.

Ich wünsche die Aufmerksamkeit meiner Leser auf einige Stellen der beiden Finales zu lenken, wo sie am besten sehen können, wie unser Heros es verstand, die Wissenschaft populär zu machen, indem er stets klar und melodisch, leicht und wahr blieb, und den Dramatisten und den Contrapunctisten mit den reinsten Ueberlieferungen des italienischen Gesangs in Einklang brachte. Wir sind an dem dritten Abschnitte des ersten Finales, Allegro Es-dur: Già che a morir vicini sono quei meschinelli. Die jungen Damen, bereits besiegt, ohne aber ihre Niederlage eingestehen zu wollen, sind im Kampfe mit den Gemüthsbewegungen, welche der Anblick von Menschen erweckt, die bei uns und für uns sterben. Ueberdieß muß ein so außerordentlicher und so schmeichelhafter Beweis von Liebe, wie der Selbstmord, ihr Bedauern und ihren Schrecken noch darum vermehren, weil ihr Gewissen ihnen sagt, daß sie diese exemplarischen Anbeter nur durch einige Langsamkeit in der Form aufgeopfert haben. In dieser Hinsicht mußten fast tragische Corden berührt werden, die aber den anderen Personen gegenüber gemäßigt werden mußten, welche vor Lachen fast nicht mehr an sich zu halten wissen. Die Violinen bewegen sich in Triolen, und auf dieser bewegten Grundlage [380] lassen Dorabella und Fiordiligi die abgerissenen Sätze voll des edelsten Ausdrucks hören: Dei che cimento è questo, auf welche die Liebhaber erwiedern: Più bella comediola non si potea trovar; Sätze aus dem Buffo-Styl, die aber sehr melodisch sind. Nachdem sie das Compliment wiederholt haben, das der Dichter auf diese Weise sich selbst macht, und das der Componist so sehr als möglich rechtfertigt, geht die Modulation in den nächsten Moll-Ton über. In dem Saiten-Quartett erscheint eine melodische Figur. Die Damen fragen sich mit Schrecken, was sie thun sollen. Sie prüfen von weitem die Züge der Sterbenden: Che figure interessante! Sie nähern sich; sie legen die zitternde Hand auf diese schönen Köpfe: Ha freddissima la testa – Fredda, Fredda ancora è questa. – Ed il polso? – Io non lo sento. Welch' interessante Figur! werden auch wir sagen beim Anblicke des Motivs, welches Mozart erwählt hat, um diese Fragmente des Dialogs an einander zu reihen, und sie zu einem vollständigen Gemälde voll Zauber und Einheit zu verbinden. Halb in verbundenen und halb in einzelnen Noten hört man dieses Thema abwechselnd von den Stimmen der Instrumental-Quartetts sich zwischen der Melodie und dem Basse theilen, endlich sich vereinigen, um im Unisono zu verlöschen. Jeder Satz bringt es in einem neuen modulatorischen Aspect zum Vorschein, der aber unter diesen Verwandlungen stets identisch bleibt, indem er die Vocalstimmen nach sich zieht und fast, wie ohne es zu wollen, sich den zartesten Schattirungen einer Situation fügt, die allerdings die beste und lyrischste in der ganzen Oper ist. Die Scene schließt mit einem gesungenen Quartett, das vortrefflich contrapunctisch gearbeitet ist.

Da kommt der weibliche Doctor. G-dur, Allegro 3/4 plötzlicher [381] Uebergang vom Schmerz zur Hoffnung. Das Ritornell kündigt uns ganz positiv an, daß die Sterbenden gerettet sind. Dieß ist der glänzende Theil der Despina, obgleich ein Tenor hier mehr am Platze gewesen wäre. Despina als Docter bringt nichts als Gemeinplätze vor; sie bedient sich melodischer Redensarten, die ungefähr eben so viel werth sind, als Sätze in der familiären Sprache, wie z.B.: Ich habe die Ehre, Sie zu grüßen, mein Herr; fassen Sie Muth, meine Dame u.s.w. Was aber sehr merkwürdig daran ist, ist das, daß diese Gemeinplätze mit Originalität gesprochen werden. Es gibt nicht einen Besucher der italienischen Oper, der nicht schon tausend und tausend Male Sätze gehört hätte, wie: Non vi affanate, non vi turbate, non vi turbate, non vi affanate u.s.w., welchem Umstande soll man also diese ganz besondere Annehmlichkeit zuschreiben, welche sich in dem Satze kundgibt? Nichts Anderem, als den leichten Retardationen, die der Componist bei jedem Tacte angebracht hat, und der pikanten Harmonie, welche daraus folgt. Während der darauf folgenden Pausen verstärkt das Orchester die Ermahnungen des Doctors mit Hilfe eines figurirten Basses und noch fühlbarerer Retardationen in den Blasinstrumenten, so daß eine an und für sich sehr gewöhnliche melodische Figur durch diese Kunst in der Composition Interesse und eine ausgezeichnete Bedeutung gewinnt. Wir dürfen Mozart nicht allein in den großen Dingen suchen, sondern es geziemt sich auch, ihn in den kleinen zu er kennen. Einige Tacte später offenbart sich Despina's possenhafte Verkleidung in der Musik durch zwei Cadenzen mit Trillern, wovon die letzte auf einer Fermate sich verlängert; und diese sonderbaren Fälle, welche die Flöte und die Oboe in der obern Octave wiederholen, werden dadurch noch viel doctoren- oder perückenartiger, wie man sich heut' zu Tage ausdrücken würde.

[382] Die Sterbenden öffnen die Augen: sie glauben im Olymp zu sein, und Pallas oder Aphrodite vor sich zu sehen, die sie beschwören, sich in gewöhnliche Sterbliche zu verwandeln, und endlich ihren Leiden ein Ende zu machen. Die Göttinnen würden nichts lieber thun, aber das »was werden die Leute sagen,« hält sie noch zurück. Andante B-dur4/4, eine jener köstlichen Unterredungen zwischen den Singstimmen, in einem ganz verschiedenen Dialoge zwischen den beiden Phalanxen des Orchesters, wie Mozart sie zu machen verstand; ein Sextett in drei Paar Stimmen getheilt, und sodann von einer Hauptstimme beherrscht; ein Stück voll Melodie, lieblicher als Honig und Süßholzsaft.

Das letzte Tempo Allegro D-dur4/4, Dammi un baccio, o mio tesoro hat, wie der Chor oder vielmehr das Sextett in Don Juan, Trema scellerato, den Vortheil, dramatisch und musikalisch das Finale zu krönen, das es schließt. Es ist dieß ein Ausbruch von Fröhlichkeit, der durch Alles, was vorgeht, herbeigeführt wird, ebenso wie das andere Stück ein Ausbruch des Hasses und der Wuth ist, welchen die vorhergehenden Scenen ebenfalls vorbereiten. Dammi un baccio, ist der Ausdruck eines progressiven Entzückens, welches auf dem Puncte angelangt ist, in dem die gute Laune in glühende Trunkenheit sich verwandelt und mit der Gewalt einer Leidenschaft handelt. Leute, die sich für Sterbende ausgegeben haben, und gleich darauf um einen Kuß bitten, sind offenbar aus der Rolle gefallen. Die Lust zu lachen, erstickt sie beinahe, und sie würden auch sicher sterben, wenn sie sich nicht Luft machten. Das thun sie auch. Der Componist hat deßhalb auch nicht nöthig, sich in Acht zu nehmen. Sein bis dahin zurückgehaltenes Feuer, durch den Charakter wahren Gefühls des Betruges und der Täuschung, welche in der Situation liegen, bricht nun ohne Zwang hervor und erhitzt sich bis [383] zur höchsten Glut. Man fühlt in dieser Musik Etwas von Don Giovanni. Ferrando und Guglielmo verlangen den Kuß mit Ungestüm auf dem hohen A des Tenors. Diese Herren, welche in den vorhergehenden Scenen Erziehung gezeigt hatten, glauben auf der Wachstube zu sein. Die Damen, verblüfft, sie so bald und vollständig hergestellt zu sehen, und ernstlich entrüstet über ihre Unverschämtheit, schicken sie zu allen Teufeln: Dis perati attossicati ite al diavolo quanti siete. Und mitten unter diesem Geschrei findet Mozart die geknickte Feder wieder, mit welcher er vor Kurzem für seine Freunde in Prag geschrieben hat. Er findet sie wieder, und das Papier entzündet sich unter dem magischen Bruchstücke. Wunderbare Farben drängen sich in den Linien der Klammer; die Vocalstimmen scheinen in ihren Feldern zu hüpfen; die Instrumente toben. Welche Mannigfaltigkeit, welcher Reichthum von melodischen Anlagen! Welche Bewegung! Welches Feuer! Welche Progression! Hier kraftvolle Unisonos, welche einen frappanten Uebergang in eine entfernte Tonart abschließen; weiter chromatische aufsteigende Gänge, welche wie ein Berg von Harmonie auf einem Basse sich erheben, der darüber brummt stets an dieselbe Note gekettet zu sein; sodann Gänge von ausgesuchter Anmuth, in Moll und Dur, für die beiden ersten Gesangstimmen; ein Wohlklang, der den wollüstigen Rossini'schen Ohrenkitzel erreicht; ein Feuer, um den Zuhörer in toller Freude seines Herzens auf dem Stuhle tanzen zu machen; und wenn das Entzücken den höchsten Grad erreicht hat, so kommt ein Presto zum Vorschein, das Einen mit der reißenden Schnelligkeit eines Wirbelwindes mit sich fortnimmt. Wir kennen diesen Styl bereits, und der Federstump war, wie man sieht, noch fähig, Dienste zu leisten. Seitdem berührte ihn Mozart nicht mehr, aber auch sonst Niemand nach ihm, so viel ich weiß.

[384] Das Finale des zweiten Actes ist noch armseliger an Handlung, dafür zählt es auch eine kleinere Zahl von großen musikalischen Schönheiten. Folgendes ist der poetische Rahmen: Despina bereitet in Eile ein Fest vor, welches zu Ehren der Verlöbnisse ihrer Gebieterinnen gefeiert werden soll. Die beiden Paare erscheinen und empfangen die Glückwünsche eines Corps von Musikern und Dienern. Man bringt die üblichen Toaste aus. Alfonso führt den Notar herein, und kaum ist das Lesen des Heiraths-Contracts zu Ende, als der militärische Chor, welcher die verstellte Abreise der Liebhaber im ersten Acte accompagnirt hat, hinter den Coulissen sich hören läßt. Er kündigt die ebenso unerwartete und unerwünschte Rückkehr an. Misericordia! ruft Don Alfonso aus. Die Offiziere entwischen, um schnell Kleidung und Bärte zu wechseln, und zur Entwickelung zurückzukommen, welche unglücklicherweise die elendeste Scene dieses elenden Libretto bildet. Und doch welches Meisterwerk ist dieses Finale! Die Glückwünsche des Chors, welcher mit dem Quartett der Verlobten abwechselt; das Misericordia des Philosophen, welches wie der Blitz auf ein Nest von Turteltauben fällt; die erneute Unruhe der armen Schwestern, ihre rührende und schelmische Reue; dann die Art, auf welche die verrathenen Liebhaber ihre Identität mit den glücklichen Geliebten darthun, indem sie eine Scene aus dem ersten Finale und das Motiv des Duetts: Il core vi dono in Erinnerung bringen, alles dieß ist in köstlicher Musik wiedergegeben. In diesem Finale finden sich noch zwei Bruchstücke vor, die wir nicht mit Stillschweigen übergehen dürfen. Das erste ist ein Larghetto, aus As-dur3/4. Die beiden Paare trinken auf das Vergessen der Vergangenheit und das Wohl der Gegenwart. E nel tuo, nel mio bicchiero, sommerga [385] ogni pensiero. Eine vollständige, anmuthige und geschmückte Melodie gibt diesen Distichon, der acht Tacte füllt. Fiordiligi singt diesen Vers allein, hierauf geht sie in eine verschiedene, aber nicht weniger charakteristische Melodie über, welche sich mit der ersten verbindet, bis unmittelbar darauf der Tenor sie wieder aufnimmt. Sobald das Duett zu Ende ist, stimmt Fiordiligi eine dritte Melodie an; Ferrando bemächtigt sich der zweiten, und das Hinzutreten Dorabella's, welche sogleich die zu Anfang aufnimmt, macht die Piece zu einem Terzett. Neue und letzte contrapunctische Bewegung. Fiordiligi ergreift wieder die Initiative, die zweite Melodie geht an Dorabella über, und die dritte an den Tenor, und Guglielmo schließt sich dem Schlußreime in der Weise des sprechenden Basses an. Daraus entsteht ein Quartett, mit welchem sich zwei Clarinette und ein Fagott zur Verstärkung der Vocalstimmen vereinigen, während die Violinen, die Viole und der Baß, die bisher accompagnirt hatten, dem Gesange eine Figur in vereinzelten Achteln, pizzicato, entgegenstellen. Diese bewunderungswürdigen, stets fortschreitenden Verse, welche durch dasselbe Thema, dieselbe harmonische Grundlage und durch stets gleiche rhythmische Einteilung gegeben werden, haben in einer Hinsicht den Gang eines Kanons, mit dem Unterschiede jedoch, daß in einem Kanon die Stimmen nichts als die Wiederholung oder die Nachahmung der anderen sind. Hier hat man aber drei ganz verschiedene Melodieen, von welchen jede den Charakter des Hauptgesangs in gleichem Grade wiedergibt. Mozart hat keinen seiner gewöhnlichen Kunstgriffe des contrapunctischen Styls angewendet, um sie zu vereinigen. Man findet weder Pausen, noch berechnete Entfernungen, noch Synkopen, nichts dergleichen; die Stimmen gehen zusammen nach Maßgabe wie sie sich vereinigen, und die wechselbezüglichen Glieder des Satzes lassen sich gleichzeitig in jeder [386] der Stimmen hören. Es ist ein merkwürdiges Kunststück, so verschiedenartige Melodieen auf allen Puncten verschlungen zu haben, ohne daß irgend eine zufällige Dissonanz den Fluß der Harmonie stört, welche durchsichtig und süß fließt, wie der Inhalt in den Gläsern, aus denen der Toast getrunken wird. Ein Allegro brioso kommt auf der letzten Note des Verses zum Vorschein, As in Gis verwandelt, wodurch wir auf sinnreiche Weise inE-dur versetzt werden. Alfonso kommt mit dem Notar, und wir hören das andere Bruchstück, welches ich in Erinnerung bringen wollte. Das Verlesen des Heiraths-Contractes, eines der angenehmsten Muster jenes Accompagnementstyls, welcher zum größern Theile Rossini's Glück gegründet hat. Per contratto da me fatto, si congiunge in matrimonio ete. Insofern diese Art von Lesen weder vielen Ausdruck, noch sehr mannigfaltige Biegung der Stimme verlangt, läßt Mozart Despina auf einer einzigen Note, dem H, das in regelmäßigen Intervallen mit dem E der höhern Quarte wechselt, in raschem Tempo singen. Es macht sich dieß vortrefflich. Die Litanei geht 28 Tacte lang ohne Pause noch ohne irgend einen eingeschobenen Satz fort. Die Violinen führen inzwischen einen Gang mit Variationen aus, der sich trefflich macht, ein Gang, welcher allmählig vom Einfachen zum Zusammengesetzten übergeht und dessen immer zierlicher und unruhiger werdendes Spiel das schelmische Mädchen unter der komischen Maske des Rechtsgelehrten verräth. Despina als Notar ist eben so gut wie Despina als Arzt.

Unter den ausgezeichneten Stücken von Così fan tutte müssen wir noch das Terzett des ersten Actes zwischen Fiordiligi, Dorabella und Alfonso anführen. Soave sia il vento, Andante moderato E-dur4/4. (Nr. 10.) Es zeichnet sich in der Partitur durch einen romantischen Anstrich und einen [387] Beigeschmack der reinen Musik aus, welche der übrige Theil des Werkes nicht zuließ. Mozart hatte hier eine Scene nach der Natur, statt einer Scene des Dramas zu malen; die Personen vermischen sich darin in der Einheit eines episodischen Textes: Soave sia il vento, tranquilla sia l'onda. Welch' glückliche Neuheit für einen armen, von der Prosa verdrängten Musiker, der in einem kleinen, schlechten Salon beinahe erstickt, dessen zweideutige Damen die Honneurs machen! Der Musiker hat sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, etwas freie Luft zu schöpfen, er hat sich in der Abenddämmerung an das Wasser begeben, von wo er uns in ergötzlichen Accorden seine lieblichen Eindrücke übermachte, welche die Ruhe, die Frische und die Ausdünstung des Wassers in ihm erweckten. Alle Anlagen des Terzetts finden sich in den Singstimmen, und die Blasinstrumente wiederholen sie. Die Begleitung wogt ohne Figuren in den Violinen; sie bewegt sich kaum in verbundenen Sechszehnteln. Von Zeit zu Zeit lassen die Hörner ihre poetische Octave in gedehnten Tönen hören. Die Welle ist ruhig; der Wind ist eingeschlafen; die Natur ruht. Nur die Seele des späten Spaziergängers singt mitten in diesem allgemeinen Schweigen. Entzückend!

Sprechen wir von der Ouverture von Così fan tutte, welche im langsamen Tempo, mit einem majestätischen und feierlichen Solo der Oboe anfängt. Eine Anrede zum Lachen. Alles endigt mit einigen mageren Accorden, Sylbe für Sylbe den Titel des Stückes buchstabirend; die Sache wäre indeß schwer zu errathen, ohne die Cavatine Alfonso's, in welcher dieselben Noten die Worte des Anschlagzettels: Così fan tutte wiedergeben. Man höre nun das Presto, und suche im Fluge, wenn es möglich ist, das scherzhafte Thema zu erfassen, welches durch alle [388] Tonarten herumflattert, und ein Instrument um das andere mit so vieler Schnelligkeit und Gewandtheit verläßt, daß in dem Ohre der Eindruck einer Taschenspielerei zurückbleibt. Vergebens sucht man es mit Gewalt oder List festzuhalten. Es lacht über die Fallen, die man ihm stellt; es gleitet über die Hindernisse weg, wie ein Schlittschuhläufer über das Eis; es ist unerschütterlich, weil es immer flatterhaft ist. Der weibliche Genius nach dem Lehrsatze des Libretto; die Beständigkeit allein in der Unbeständigkeit. Dieses Thema und eine andere lebhafte und ungestüme Figur, die unausgesetzt mit ihm wechselt, machen das ganze Stück aus. Damit hat sich die Ouverture so zu sagen von selbst gemacht. In einem Federzuge geschrieben, welcher das Motiv ganz nach seinen Launen lenkte, springt sie von Tonart zu Tonart, und vom Majore zum Minore, mit der Leichtigkeit einer Sylphide und dem Ungestüm eines Kobolds, ohne sich einen Augenblick Ruhe zu gönnen, oder sich auch nur im Mindesten unterbrechen zu lassen, bis zur wiederholten Exposition des berühmten Adagio, mit welchem das langsame Tempo sich endigt. Nachdem das Sujet auf diese Weise zweimal in didaktischer Form sich angekündigt und in Form einer Erzählung entwickelt hatte, brauchte man nur noch einen Schlußsatz, oder eine geräuschvolle Coda hinzusetzen, um den Vorhang in die Höhe gehen zu lassen. Wie wir bereits gesagt, so kostete diese Arbeit den Meister Nichts; sie machte sich vermöge eines ersten unwiderstehlichen Impulses, folglich ohne Wahl und durch eine Art von Nothwendigkeit. Ja, wir haben aber ebenfalls gesagt, daß die größten Meisterwerke Mozart's Nichts besitzen, was sie mehr auszeichnet, als dieser organische Bau und die Unmöglichkeit, sie anders aufzufassen, als er es that. Nichtsdestoweniger können wir bei der Ouverture von Così fan tutte des Gedankens uns nicht [389] erwehren, daß der Componist mit den Materialien und der Handarbeit zu haushälterisch zu Werke gegangen sei, daß das Motiv und seine Hilfstruppen zu häufig zum Vorscheine kommen, und daß sie vielleicht dem Ohre eine leichte Ungeduld deßhalb verursachen. Mozart hat darin die Gedanken nur einer kleinen Anzahl wesentlicher Modificationen unterworfen; er begnügte sich, sie durch die Modulation und durch den Klang der Instrumente zu variiren, mit Ausnahme einiger Gänge, in welchen das aus einander gelegte Thema sich gegen eine Reihenfolge von Synkopen in den hohen Tönen hören läßt. Diese Gänge sind bewunderungswürdig, und sie sind es, welche uns oben den Vergleich mit dem Schlittschuhläufer geliefert haben, aber sie variiren ebenfalls nicht mehr in Hinsicht der Combination, als die anderen Gedanken in ihrer melodischen Form. Uebrigens kann man von keinem Componisten, wäre es selbst Mozart, immer Ouverturen, wie die zu Figaro und Don Juan verlangen.


Schlußbemerkung zu Così fan tutte.

Unter den vielen Versuchen, welche in Deutschland gemacht worden sind, den von Ulibischeff mit Recht gerügten Text zu Così fan tutte genießbar und bühnengerecht umzuarbeiten, verdient wohl die zu Stuttgart im April 1858 gemachte und vom größten Erfolg begleitete den Vorrang vor allen anderen, ja, er wird auch wohl der einzige sein, um diese Oper, deren Partitur den andern dramatischen Schöpfungen Mozart's durchaus ebenbürtig ist, von der Vergessenheit zu retten, in welche sie in der ausländischen Invasionsperiode der letzten drei Jahrzehnte auf der deutschen Bühne gefallen ist. Die Principien, welche dieser neuen Bearbeitung zu Grunde liegen, sind in einem Aufsatze im Morgenblatt (27. Januar 1856) ausführlich erörtert worden. Durch eine wesentliche Abänderung der Fabel wird daß Stück – ursprünglich eine plumpe Farce – der Sphäre des feineren Lustspiels nahe gerückt, und obgleich dadurch die Aufeinanderfolge der Gesangsstücke mehrere Abänderungen erfahren mußte, ist auch [390] nicht eine Note der Mozart'schen Partitur verloren gegangen, zugleich ist der italienische Text neu übersetzt worden, und zwar kräftiger, kerniger und getreuer als sonst bei Uebersetzungen von Libretto's verfahren wird. Diese Umarbeitung hält sich genau an den psychologischen Charakter der handelnden Personen, wie er von Mozart – im offenbaren Gegensatze gegen den des Textbuches – aufgefaßt und musikalisch ausgeführt worden ist. Denn es ist wunderbar, wie durch seine Auffassung das auf den derben Geschmack des großen Haufens berechnete Machwerk sich und vergeistigt und veredelt hat. »Die sämmtlichen Figuren des Stückes sind vom Dichter aus bloße Marionetten, die beiden Offiziere genau nach einerlei Schablonen geschnitten, ebenso die beiden Mädchen. Mozart hat nicht nur den Drahtpuppen Seele gegeben, sondern auch die einzelnen Personen verschieden charakterisirt, so daß das eine Liebespaar nicht mehr blos ein Abklatsch des andern ist; und weil Mozart's Menschen wahr und tief empfinden, hat sich in die Oper auch ein ernstes Element verwoben; ein Ausdruck innigen Gefühls, wo das Libretto durch grelle Caricatur geheuchelter Empfindung zu spassen sucht. Die heitere Grundfärbung des Ganzen wird dadurch nur um so wirkungsvoller hervorgehoben.« Diese neue Bearbeitung stellte sich daher die Aufgabe, die handelnden Personen so, wie Mozart sie geschaffen hat, in das Textbuch zurück zu übersetzen, den Verlauf der Handlung so zu wenden, daß die einzelnen Situationen des Situationen des Stückes eine befriedigende Motivirung erhalten, ohne an ihrem Mozarts'chen Charakter eine Aenderung zu erleiden. Dieß wurde hauptsächlich durch folgende Mittel zu erreichen gesucht:

1) »Von den beiden jungen Männern wählt als Ziel seiner Versuchungen jeder die eigene Verlobte. Wenn diese sich ihm, angezogen durch einen geheimen Zauber, eine nicht bis zum Bewußtsein durchbrechende Sympathie, zuletzt ergibt, so ist eine Versöhnung möglich. Diese Aenderung, d.i. die Unterstellung, Fiordiligi sei die Verlobte Ferrando's, war durch die ursprüngliche Anlage des Stückes leicht gemacht, da die Männer vor ihrer Verkleidung nur wenig auf der Bühne mit den Mädchen verkehren, und dabei überdieß die beiden Paare gleichzeitig auftreten.

2) Die Oper mußte in drei Acte zerlegt werden, um einen Zeitraum zwischen dem Abschied und dem ersten Verführungsversuche zu gewinnen. Dadurch fehlt allerdings dem ersten Acte ein eigentliches Finale, und die Acte erhalten ungleiche Länge; der erste wird der kürzeste, der dritte der längste. Doch würden sich diese unvermeidlichen Nachtheile wohl verschmerzen lassen.

3) Despina wird im letzten Act in die Maske des Notars nicht durch die Männer, sondern durch die Schwestern gesteckt. Dieß trägt zur Milderung der Verlobungsscene bei, da diese nun nicht unbedingt ernstlich gemeint ist, und webt zugleich eine neue Intrigue ein, welche dem Stücke nicht zum Nachtheile gereichenkann.

4) Alfonso überschreitet hinter dem Rücken der Männer die ihm gegebene Vollmacht, indem er der Braut Ferrando's diesen als untreu bezeichnet; doch nicht aus Bosheit, oder damit er die Wette um jeden Preis gewinne, sondern nur um die lustige Comödie zu einem lustigen Ende zu führen, nachdem er selbst von der edleren Natur Fiordiligi's nicht ungerührt geblieben ist. Ohne diesen Kunstgriff Alfonso's kann Fiordiligi, bei der bisher bewahrten Haltung, und namentlich nach der aus tiefster Seele erklungenen E-dur-Arie, nicht fehlen.

Noch durch einige andere eingeflochtenen Züge erhält die Handlung eine Motivirung. Dorabella, die früher und leichter Besiegte, singt das F-dur-Duett mit Guglielmo, [391] ehe sie sich noch vollständig gestanden hat, daß aus der beabsichtigten Neckerei Ernst für ihr Herz geworden ist. Ferrando verfällt bei dem A-dur-Duett (im letzten Act), von liebendem Verlangen getrieben, in Selbstvergessenheit, deren psychologische Rechtfertigung nahe liegt. So, wie in diesem wunderbaren Duett gesungen wird, singt keine Maske, dieß ist keine geheuchelte Sprache!«

Das pikante Resultat, wie es im ursprünglichen Libretto sich herausstellt, fällt nunmehr freilich weg; dieß ist aber nichts weniger als ein Verlust, ebensowenig als die Wegräumung des accidentell Anstößigen oder sonst äußerlich Unpassenden.

Diese neue Bearbeitung von Così fan tutte, welche unter dem Titel: Sind sie treu? am 25. April 1858 in Stuttgart mit ächter Pietät gegen die Mozart'sche Musik in Scene gesetzt wurde, hatteeinen so entschiedenen Erfolg, und es erschien die vorher so widerliche, fade, dem reineren Geschmack der Neuzeit Hohn bietende Ursprüngliche Handlung des Stückes in einem so reinen und reizenden Gewande, daß die Schönheiten, von denen die Partitur wimmelt, innigst empfunden und genossen werden konnten, so daß sich erwarten läßt, daß wenn auch anderorten diese Bearbeitung in Scene gesetzt würde, sie einen bleibenderen Halt in den Repertoires der deutschen Bühnen bekommen würde, als dieß bei den früheren Bearbeitungen, selbst bei der unter Dingelstedt's Leitung im November 1851 in München sorgfältig in Scene gesetzten Louis Schneider'schen Bearbeitung, der Fall war. In unserer neuesten Zeit aber, in welcher sich ein neues patriotisches Gefühl Luft zu machen sucht gegen ausländischen Einfluß, würde eine neue Mozart'sche Oper gewiß überall mit lebhaftestem Interesse aufgenommen werden, und durch regelmäßige Aufnahme aller sieben Opern Mozart's in's Repertoire der deutschen Bühnen die heilige Zahl vor Entweihung bewahrt bleiben.

(G.)

Fußnoten

1 Vogler maßte sich an, Bach's Harmonie zu verbessern, um sie griechisch zu machen!


2 »Er erwartet sie am Altare, um sie zu opfern!«


3 Er lebte noch, als ich dieses schrieb. [Er starb 1839.]


4 Der Wahrheit zu Ehren muß ich zugestehen, daß eine der Ausstellungen Sarti's nur zu gegründet ist, ohne jedoch die Entscheidung auf mich zu nehmen, ob dieser Tadel Mozart oder die Setzer trifft. Sie bezieht sich auf die Introduction des Streichquartetts C-dur Adagio 3/4. Vielleicht gibt es keinen Violinisten, der, wenn er auf der ersten Violinin das A zum as der Viola im zweiten Tacte gegriffen hat, nicht glaubte, daß die Mitspielenden oder er selbst falsch spiele; aber dieser Mißton liegt in der Composition, und kommt in einem andern Tone auf einem G im sechsten Tacte wieder vor. Das ist, was man eine relatio non harmonica, auf deutsch einen Queerstand nennt. Die Passage hat Veranlassung zu sehr gelehrten Streitigkeiten gegeben, und man hat unter Andern in der Leipziger musikalischen Zeitung eine lange Abhandlung veröffentlicht, um Sarti zu widerlegen (man hat ihm in der That an anderen Puncten Unwissenheit oder Unredlichkeit nachgewiesen) und namentlich zu beweisen, daß das fragliche Verhältniß unter die erlaubten Queerstände gehöre. Es mag sein; allein erlaubt oder nicht, so viel ist gewiß, daß er Jedermann weh thut, und daß er, trotz der gelehrten Artikel, welche ihm dem Ohre gegenüber Recht geben, nicht schöner klingt. Endlich, erst ganz neuerdings, hat Herr Fétis den Fehler dadurch, daß er ihn verbesserte, erwiesen, und ich vermag nicht zu sagen, mit welchem Interesse und welcher Bewunderung ich meine Augen auf seine Verbesserung richtete, welche so einfach und evident ist, daß man nur erstaunen muß, sie nicht vor ihm ebenfalls gemacht zu haben. Man braucht nur die beiden verletzenden Noten, das A und das G auf dem dritten Tacttheile statt auf dem zweiten, wie es geschrieben steht, zu nehmen; dadurch verschwindet nicht allein das falsche Verhältniß, um einer sehr angenehmen Harmonie Platz zu machen, sondern selbst die Anlage der Nachahmung wird dadurch correcter. Dank sei es der glücklichen Verbesserung des Herrn Fétis, der sehr wahrscheinlich Nichts als den ursprünglichen Text Mozart's wieder hergestellt hat.

[Allerdings machen die Dissonanzen des A auf as, und des G auf Ges einen etwas peinlichen Eindruck; allein sie lösen sich so schnell wieder auf, daß der Effect wohl herz- aber nicht ohrzerreißend wird. Wollte man auf die Verbesserung des Herr Fétis eingehen, so müßte man von Sebastian Bach's H-moll Messe und von Beethoven's Symphonieen besondere Ausgaben ad usum Delphini veranstalten.

G.]


5 Dittersdorf componirte von 1786 bis 1798 fünfzehn oder sechszehn deutsche Opern. Mozart componirte nur deren zwei, aus Mangel an Veranlassung, nicht des guten Willens.


6 Mozart's Wittwe erzählt sie.


7 Dieß hat sich seit dem Jahre 1842, in welchem Obiges geschrieben wurde, einigermaßen geändert. Idomeneo wurde seither in München wieder in Seene gesetzt und mit großem Beifalle aufgenommen, auch in diesem Jahre (1859) daselbst wieder neu einstudiert, deßgleichen hat sie sich in Dresden seit einer Reihe von Jahren auf dem Repertorium erhalten. Dennoch gibt es noch manche deutsche Bühne, welche sich der Aufführung des Idomeneo, der Così fun tutte, ja selbst der Entführung, welche in vergangener Saison in Paris so stürmischen Beifall erhielt, zu schämen scheint!

(G.)


8 Mit Ausnahme des Oberpriesters am Ende des 3. Actes, dessen kräftigen Baßrecitative eine um so größere Wirkung hervorbringen. Ein neuer Beweis, wie sparsam, aber auch wie trefflich Mozart schlagende Effectmittel verwendete.

(G.)


9 Da die sieben classischen Opern Mozart's in sehr billigen Klavier-Auszügen erschienen sind, so verweisen wir den Leser zur Illustration der Beispiele auf dieselben, und fügen deßwegen jedem Beispiele die Numer, welche das besprochene Stück in der Oper trägt, bei.

(G.)


10 Es ist dieß das einzige Stück in der Oper, in welchem die Querpfeife (flauto piccolo) angewendet ist.


11 Im Klavier-Auszuge der Braunschweiger Ausgabe ist es Nr. 19.

(G.)


12 Raaff, der 1713 oder 1714 geboren wurde und ein Schüler Bernaccchi's war, galt für den ersten Tenoristen Deutschlands, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Er war also beinahe siebenzig Jahre alt, als er den Idomeneo sang, und zwar hatte er diese Rolle nur aus Vorliebe für diese Musik übernommen, denn er hatte sich schon seit einiger Zeit vom Theater zurückgezogen.


13 Die von Ulibischeff angedeuteten Hindernisse sind nicht in den Mängeln des Textbuches zu suchen, sondern in der durch ausländische Mode-Opern verdorbenen Geschmacksrichtung unserer Zeit. Idomeneo ist ein musikalisches Werk, das, wenn es fragmentarisch aufgeführt würde, großen Schaden erleiden müßte. Konzert-Piecen daraus zu machen, wie es in Leipzig und Stuttgart geschehen, ist insofern zulässig, als es die Aufmerksamkeit des Publikums auf diese klassisch reine Musik lenkt. Wenn nun die Thatsachen solcher Konzert-Aufführungen davon zeugen, daß das Werk selbst in solcher Verstümmelung gefallen kann, warum noch zögern, die ganze Oper auf der Bühne zur Aufführung zu bringen? So gut andere älteren ernsten Opern in neuerer Zeit wieder zur Geltung gekommen find, wie z.B. Gluck's Iphigenie, ebensogut würde auch Idomeneo Anerkennung erhalten, wenn nur die Intendanzen der deutschen Hofbühnen endlich einmal zur Einsicht gelangen würden, daß die Bühnen ein Nationalinstitut zur ästhetischen Bildung des deutschen Volkes werden sollten, und daß man dem deutschen Volke nicht vorenthalten sollte, was seine eigenen Heroen Großes geschaffen haben, und daß diese Vorenthaltung am allerwenigsten zum Nutzen der ausländischen ephemerischen Größen geschehen sollte. Zum Glück ist das deutsche Publikum größtentheils so übersättigt von den französischen Prunk- und Schrei-Opern, und so erschlafft durch den Ueberreiz der italienischen Sentimentalität, daß die Bühnenkassen es bald in ihrem eigenen Vortheil finden werden, zur klassischen oder romantischen deutschen Musik zurückzugreifen, weßwegen wir die Hoffnung nicht aufgeben wollen, den Idomeneo bald an der Stelle des Nabuco oder Rigoletto auf deutschen Bühnen glänzen zu sehen.

(G.)


14 Bretzner's Stück fängt mit einem Monolog an.


15 Daraus kann man abnehmen, wie Fischer's Stimme beschaffen war.


16 Mehr als eine melodische Wendung und mehr als eine Modulation in der Entführung, lassen mich vermuthen, daß Mozart den russischen Nationalgesang kannte. Er besuchte in Wien häufig das Haus eines Fürsten Galitzin, der ohne Zweifel ein großer Musikfreund und vielleicht selbst Musiker war. Dort hörte er wahrscheinlich russische Lieder.


17 Ich erwähne als eines sonderbaren Umstandes, daß unter den beiden dramatisch-biographischen Stücken von Beaumarchais, der Barbier von Sevilla und die Hochzeit des Figaro, das erste, nach Situationen und Charakteren, sich den Anforderungen des musikalischen Drama's fügte, während das andere in beiden Beziehungen demselben widerstrebte. Im Barbier von Sevilla singt sich die köstliche Rolle der Rosine von selbst; Almaviva ist ein erster Tenor, wie ein Maestro ihn sich nicht besser wünschen könnte, denn er ist bis zum Wahnsinne verliebt, munter und glänzend. Alles zusammen. Basilio ist eine musikalische Caricatur, die man ausdrücklich für die Musik erschaffen wähnen könnte; die Verläumdungsarie findet sich schon in der Komödie fertig vor und wirkt vortrefflich. Bartolo, alt, lächerlich, jähzornig und eifersüchtig, ist ebenfalls ein vortrefflicher Buffo. Was Figaro, den Barbier, anbelangt, eine unterhaltende Gestalt, welche selbst bei Beaumarchais dem Figaro in der Hochzeit wenig gleicht, wo er nur als Verstandesmensch austritt, dieser Barbier steht in seiner Art Almaviva ganz gleich. Dieser war ebenso ein unzahlbarer Basso cantate und parlante. Endlich sind alle Situationen im Barbier von Sevilla im höchsten Grade musikalisch. Ist es also diesen nach zum Verwundern, daß Rossini's Meisterwerk weit mehr Effect auf der Bühne macht, als das von Mozart?


18 Vermischung und Flittergold in seiner Beziehung zu der Musik, wohl verstanden.


19 Im letzten Jahrhunderte war diese Stimmlage vorzugsweise den Castraten vorbehalten.


20 Einige Theoretiker verbieten diese Progression, als den Gesetzen der Harmonie zuwider. Was hat man auf dieser Welt nicht schon Alles verboten!


21 Mozart's Figaro hat in dem letzten Jahrzehnt, in welchem sich überhaupt ein Zurückgreifen zur classischen Musik bemerklich machte, auf den meisten Bühnen Deutschlands eine sehr beifällige, ja oft enthusiastische Aufnahme gefunden. Namentlich verfehlen die beiden so wundervoll gebauten und organisch gegliederten Finale (zum 2. und zum 4. Act), welche Ulibischeff zwar als eine neue Schöpfung Mozart's auf dem Gebiete der dramatischen Kunst charakterisirt, aber nicht eingehend analysirt hat, niemals den reinsten Kunstgenuß zu bereiten, vorausgesetzt, daß die Darstellung ein vollkommenes Ensemble ermöglicht. Wäre die deutsche Bühne, was sie schon längst sein sollte, ein nationales Institut, das wie die Universität und die Kunst-Akademieen unter Leitung und Sustentation des Staates stünde, und nicht mehr von der subjectiven Geschmacksrichtung fürstlicher Munisicenz abhinge, so wäre die klassische deutsche Oper nie von ausländischer Modekunst zurückgedrängt worden. Wie hat sich nicht sogar das Pariser Publicum im vorigen Jahre an Figaro ergötzt? Lehrreich in dieser Beziehung für uns Alle ist die eingehende Analyse, welche P. Scudo in der Revue des Deux Mondex vom 1. Juli 1858 dieser Oper widmet. Man vergleiche auch über Figaro den interessanten Aufsatz Franz Kugler's: »Bemerkungen über Don Juan und Figaro« (Argo, belletristisches Jahrbuch für 1854).

(G.)


22 Ulibischeff meldet den Tod Leopold Mozart's, dessen er im Verlaufe der Biographie keine Erwähnung thut, hier nachträglich. Überhaupt finden die etwas knapp behandelten letzten Lebensjahre Wolfgang Mozart's durch diese Analysen häufig ihre Ergänzung, wie wir schon erwähnt haben, da in den Jahren 1784–7891 uns sein reiches geistiges Leben mehr interessiren muß, als sein dürftiges äußeres.

(G.)


23 Die Revue des deux Mondes hat über Tirso de Molina einen Artikel veröffentlicht, in welchem sich folgende Stelle befindet: »Man behauptet, daß die Sage (von dem steinernen Gaste) nicht ohne einige historische Grundlage ist. Es existirte in der That zu Sevilla, wir wissen nicht genau, zu welcher Epoche des Mittelalters, ein Don Juan Tenorio, der einer sehr angesehenen Familie Andalusiens angehörte, und wegen seines unordentlichen Lebens und seiner Ausschweifungen aller Art eine traurige Berühmtheit erlangt hatte; daß er in der That einen gewissen Commenthur getödtet habe, nachdem er seine Tochter entführt; daß dieser Commenthur in dem Kloster des heiligen Franziskus begraben worden sei, wo man ihm ein mit seiner Statue geschmücktes Monument errichtet habe, daß endlich die Mönche dieses Klosters, um dem zügellosen Leben Don Juan's ein Ende zu machen, der sie wahrscheinlich einmal beleidigt hatte, ihn in einen Hinterhalt gelockt, in dem er den Tod gefunden, und dann das Gerücht verbreitet hätten, daß er in dem Augenblicke, in welchem er die Statue des Commenthurs insultirt habe, in die höllischen Flammen gestürzt worden sei.« Wir ersehen also aus diesem Artikel, daß das Libretto zu Don Givanni, eben so wie das Stück Molière's, von Tirso de Molina entlehnt sind, und nicht, wie Herr v. Rissen in Ähnliches geboten; nur fürchtete ich, es mochte kein Componist sich damit befassen wollen, in seinem Sammelwerke sagt, einem lateinischen Romane aus dem siebenzehnte Jahrhundert: Vita et mors sceleratissimi Principis Domini Johannis, der von einem portugiesischen Jesuiten herrührte, welcher unter der Regierung von Alphon's VI. lebte, auf den dieser Roman eine satyrische Allegorie sei. Tirso de Molina, im Jahre 1530 geboren, ist viel älter als der Verfasser des genannten Werkes.

Es scheint, daß Mozart nicht der einzige Musiker des vergangenen Jahrhunderts ist, der das Sujet des Don Juan componirte, da wir in der Liste der Opern Cimarosa's: Il Convitato di Pietra, Op. 6. 1790. Verona (man sehe Gerber's neues Lexikon), finden. Dieses Datum, so nahe dem von 1787, in welchem das Mozart'sche Werk erschien, hat meine Neugierde lebhaft in Anspruch genommen. Sollte Cimarosa dasselbe Libretto bearbeitet haben; hatte er noch bei Mozart's Lebzeiten mit diesem in die Schranken treten wollen; aber was noch viel wahrscheinlicher ist, in Betracht der tiefen Vergessenheit, in welche der Convitato di pietra heut' zu Tage gerathen ist, sollte diese Oper nicht eine reine Posse, eine Parodie des Dissoluto punito sein, welche Cimarosa, ohne entfernt an eine Concurrenz zu denken, geschrieben haben sollte? Ich würde mich für sehr verbunden halten, wenn mich Jemand darüber aufklären wollte, wie es sich damit verhält, denn ich war außer Stande, um irgend einen Preis Cimarosa's Oper aufzutreiben.

(Der Verf.)


Cimarosa hat allerdings den Convitato di pietra in Musik gesetzt, und zwar schon im Jahre 1782 für Venedig. Dort erhielt die Oper eine solche begeisterte Aufnahme, daß der Componist bei'm Nachhausegehen mit einem großen Fackelzuge beehrt wurde. (S. Fètis, Biogr. Musiciens.) Auch ein anderer beliebter italienischer Opern-Componist, Giuseppe Gazzaniga (geb. 1743, gest. im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts), schrieb eine Oper: Il Convitato di Pietra für Bergamo 1788. Über den Text dieser beiden Opern ist aber nichts Näheres bekannt geworden.

(G.)


24 Der Abbate gilt dafür, galant gewesen zu sein.


25 Lorenzo da Ponte ist im December 1838 in New-York im Alter von neunzig Jahren und im tiefsten Elende gestorben, Nachdem er dreißig Jahre lang in dieser Stadt die italienische Sprache und Literatur gelehrt hatte, sah er sich von Jedermann verlassen, als seine Kräfte ihm nicht mehr erlaubten, zu arbeiten. Einige Monate vor seinem Tode hatte er an einen seiner Landsleute geschrieben: »Wenn das Schicksal, statt nach Amerika, mich nach Frankreich geführt hätte, so fürchtete ich nicht, daß meine Gebeine den Hunden zur Nahrung dienen würden; ich bitte immer Geld genug verdient, um meinem alten Körper die Ruhe im Grabe verschaffen und mein Andenken vor gänzlichem Vergessen retten zu können.« So hatten also die Verfasser des Don Juan, die Verfasser des erhabensten poetischen Wunderwerkes aller Jahrhunderte, Beide die Mittel nicht, sich begraben zu lassen.


26 Unter den seltenen Ausnahmen vortrefflicher deutscher und italienischer Darsteller des Don Juan ist wohl Wilhelm Häser, jetzt pensionirter württemb. Hofsänger zu nennen, der mit reichen Mitteln den hohen Grad von Ausbildung vereinte, um in den Geist der Rolle so einzudringen, wie Ulibischeff es wünscht. In späteren Jahren war er als Leporello eben so ausgezeichnet. Seine Glanzperiode fiel aber in eine frühere Zeit als die, von welcher hier die Rede ist.

(Schr.)


27 Ein Hoffmann nachgeahmter Satz.


28 Was den materiellen oder pittoresken Theil der Inscenesetzung betrifft, so deuten wir in diesem Artikel die Dinge so an, wie sie sein sollten, nicht wie wir sie gesehen haben.


29 Diese Bemerkung beruht auf der bekannten Anecdote, nach welcher Händel einst über Gluck äußerte, er verstehe vom Contrapunct so wenig wie seine Köchin. Nun muh man aber nicht vergessen, daß Händel diese Aeußerung aus Veranlassung der Oper: La Caduta dei Gianti machte, welche Gluck im Jahre 1746 für das King's-Theatre zu London schrieb. Damals schrieb Gluck (er stand in seinem dreißigsten Lebensjahre) noch ganz im herkömmlichen italienischen Style, wie Hasse Händel (in seinen italienischen Opern) selbst. Seine Reform der Oper, also seine eigene classische Kunstperiode, begann erst mit dem »Orfeo, ed Euridice« im Jahr 1762, also drei Jahre nach Händel's Tod. Ulibischeff begeht daher einen Anachronismus, wenn er Händel den Rath gibt, seinen dramatischen Styl nach Gluck zu modeln.

(G)


30 Mehrere Kritiker vor uns haben, wie wir, eingesehen, daß Anna sterben müsse, nachdem sie ihre Rache befriedigt hat. Dieß war augenscheinlich Mozart's Gedanke, und wir werden die Beweise davon im weitern Verlaufe dieser Analyse finden.


31 Ueber die Eingestücke siehe ferner die Anmerkung am Schlusse der Analyse des Don Juan.

(G.)


32 Wegen der passiven Rolle, welche Octavio dem Don Juan gegenüber spielt, wird er auf vielen Bühnen als ein ›verlorener Posten‹ betrachtet und behandelt – als eine undankbare Nebenrolle, die des ersten Tenors unwürdig ist. Ja seine zwei Arien, die aus G-dur, Dalla sua pace (Ein Band der Freundschaft) und die aus B-dur, Il mio tesoro (Thränen von Freunden getrocknet), kursiren in der Tenoristenzunft unter dem spöttischen Titel der ›Buchbinder-Arie‹ (Einband der Freundschaft) und der ›Thränen-Arie‹. Die Kritik hat sich deßwegen häufig des treuen Octavio angenommen, so namentlich Hotho in seinen ›Vorstudien für Leben und Kunst‹, dessen Ansicht wir zur Unterstützung der Ulibischeff'schen hier mittheilen. Nachdem er den Charakter der Donna Anna entwickelt hat, fährt er folgendermaßen fort: »Nun, bildete ich mir ein, sei einer solchen Anna gegenüber auch der Octavio leichter zu erklären. Von jeher hatte ich eine Art Vorliebe für diese treue, wackere Seele gehegt und mich oft genug über das Lächeln ereifert, mit dem man ihn gewöhnlich als zärtlich wohl anerkennt, aber als schwach halb verächtlich behandelt. So verachtenswerth war er mir nicht. Denn er schien mir in Gesinnung stets lobenswerth, voll Gemüth, von redlichem Willen, selbst tapfer, wenn es die Ehre erheischen würde, obschon kein Held. Freilich ist er nicht leidenschaftlichen Temperamentes, denn Anna erst fordert ihn zur leidenschaftlichen Rache auf, und glaubt ihn später noch antreiben zu müssen; doch auch der Trägheit ist er nicht zu beschuldigen, sondern eine überlegende Ruhe zeichnet ihn aus. Der Geliebten widmet er die zarteste Sorge und muß dennoch immer mit vollem Schmerze empfinden, daß er für sie nicht, wie er es wünschen muß, Alles in Allem, Gatte, Schutz Vater und Rathgeber sein könne. Daß sie an Geist, Hoheit und Kraft ihn überrage, ist er sich einzugestehen bescheiden genug. Deßhalb steht er der begabteren Geliebten willig nach, und wenn er auch oft bei dem Verfolgungs- und Rachegeschäft, das er in Gesellschaft der schönen Begleiterin zu betreiben hat, als Vorkämpfer hervortritt, so geschieht es fast mehr des männlich ritterlichen Anstandes, als seines vordringenden Muthes wegen.«

(G.)


33 Auf mehren Hofbühnen, wie z.B. der Stuttgarter, ist diese ganze Zeit über Don Juan allein mit Leporello beim Mahle beschäftigt, so daß die Musikanten auf der Bühne diese Tafelmusik nicht aufspielen, und diese vom großen Orchester gespielt wird. Dieß schadet der Wirkung der drei eingelegten Musikstücke wesentlich, indem sie so als integrirender Theil der Oper vom Publicum aufgefaßt werden, und somit dieselbe Versündigung an dem größten Meisterwerke der dramatischen Musik begangen wird, wie im ersten Acte durch die Weglassung der drei abgesonderten Musikbanden in drei verschiedenen Sälen. Wann wird der Don Juan endlich einmal auf allen Bühnen so aufgeführt, wie Mozart selbst es bestimmt hat? Wie lange wird es noch dauern, bis die gesprochenen schlechten Witze auf allen Bühnen aufhören wer den, welche das Paradies in schallendes Gelächter versetzen, und bis die Recitative wieder nach dem ursprünglichen Texte gesungen werden? Wie mancher Leporello geberdet sich jetzt noch als Hanswurst!

(G)


34 Eine dieser Beschreibung ähnliche Darstellungsart dieser Scene trifft man beinahe auf allen Theatern.


35 Versuche sind neuerdings gemacht worden, diesen Schluß in Scene zu setzen, aber meistens bald wieder aufgegeben worden.


36 Dies stimmt auch durchaus mit dem überein, was die älteren Dramen, denen der Dichter des Don Juan gefolgt ist, bei der entsprechenden Scene voraussetzen, – sowohl mit Tirso de Molina, dessen Drama uns durch Dohrns vortreffliche Uebersetzung bekannt geworden ist, als Molière's Festin de pierre.


37 Natürlich wird hier, an den verschiedenen entsprechenden Stellen, ei statt eis gesungen, da es sich nur um eine Person handelt.


Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 392.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon