7. Sippe: Spießböcke (Oryx)

[229] Schon seit alter Zeit bekannte und berühmte Antilopen sind die Spießböcke (Oryx), von denen wenigstens eine Art häufig auf den Denkmälern Egyptens und Nubiens abgebildet wurde. Man sieht hier den Oryx in den mannigfaltigsten Stellungen, gewöhnlich mit einem Stricke um den Hals, zum Zeichen, daß man ihn gejagt und gefangen hat. In den Gemächern der großen Pyramide Cheops sieht man dasselbe Thier, zuweilen nur mit einem Horne dargestellt, und hierauf wollen einige Naturforscher die Behauptung gründen, daß der Oryx zur Sage von dem Einhorne Veranlassung gegeben habe, während unter dem Reem der Bibel oder dem Einhorne doch entschieden nur das Nashorn gemeint sein kann. Von diesem Oryx erzählen sich die Alten wunderbare Dinge. Sie behaupten, daß er ebenso wie die Ziegenherden den Aufgang des Sirius erkenne, sich diesem Gestirn entgegenstelle und es gleichsam anbete, daß er Wasser trübe und verunreinige und deshalb den egyptischen Priestern verhaßt wäre, daß er sein Gehörn beliebig wechseln könne und bald vier, bald nur zwei, bald gar nur eine Stange trage und dergleichen mehr.

Noch bis in das späte Mittelalter, ja selbst bis in die neuere Zeit, wurde die von den Alten gegebene Beschreibung des Oryx für maßgebend erachtet. »Vnder den wilden Geyssen«, sagt der alte Geßner, »wirdt auch gezelt ein geschlächt der thieren Oryx genannt: yetz bey vnseren zeyten vnbekannt. Wirt von Oppiano also beschriben: ganz weyß, außgenommen das maul vnd wangen, mit einem starcken, feißten vnd dicken genick, mit hohen aufrechten schwartzen vnd gantz scharpffen hörneren gezieret, sölcher herte vnd veste, daß sy eysen, vnd andere metal, auch die stein überträffend, wonet in wälden, gantz aufsetzig anderen wilden thieren: sein gmüt vnd art ist gantz wild vnd grausam, dann er entsitzt nit das bällender Hunden, nit das kirschen deß Ebers, weder das lüyen deß Stiers, noch das brüle deß Löuwens, auch nit die traurig stimm deß Pantherthiers: wirt auch nit bewegt von gewalt vnd stercke der menschen: sonder zü dem offteren mal bringt es auch den allersterckesten Jeger vmb sein läben. Sy bringend auch zun zeyten selber einanderen um ir läben. Es schreybend etlich daß sölche thier allein mit einem horn söllend gezieret seyn, so söllend auch an etlichen orten einhörnige wilde Geyssen gefunden werden.«

Die Alten haben, laut Hartmann, Oryxantilopen sowohl mit gerade gewachsenen wie auch mit mehr gebogenen Hörnern abgebildet und zwar nicht selten in höchst gelungener Weise. Man hat diese Art im Alterthume häufig gezähmt gehalten und zur Opferung benutzt; niemals aber sieht man dieselbe auf Denkmälern anders als in Gemeinschaft mit Altegyptern. Dies sowohl wie der Umstand, daß dergleichen Antilopen niemals unter den Tributgegenständen der südlich von Egypten gelegenen Länder dargestellt erscheinen, gestattet den Schluß, daß die egyptischnubische Art dieser Gruppe in den Wüstenthälern des Pharaonenlandes in genügender Anzahl vorhanden, und man nicht erst genöthigt gewesen, sie noch südlicher aufzusuchen. Oryxantilopen scheinen durch Israeliten, Perser und andere auch nach Asien gebracht und dort gezüchtet worden zu sein; jedoch erscheint die Ansicht einiger Schriftsteller, daß solche Thiere in Persien und Indien wild vorkommen sollen, durch nichts bewahrheitet.

Die Spießböcke gehören zu den größten und schwersten aller Antilopen, machen jedoch trotz ihres etwas plumpen Baues einen majestätischen Eindruck auf den Beschauer. Der Kopf ist gestreckt, aber nicht ungestaltet, die Gesichtslinie fast gerade oder nur wenig gebogen, der Hals mittellang, der auf mäßig hohen, starken Läufen ruhende Leib sehr kräftig, der Schwanz ziemlich lang, am Ende stark bequastet; die Augen sind groß und ausdrucksvoll, die Ohren verhältnismäßig kurz, breit und abgerundet, die Hörner, welche von beiden Geschlechtern getragen werden,[229] sehr lang und dünn, von der Wurzel an geringelt und entweder gerade oder in flachem Bogen nach rück-und auswärts gebogen. Thränengruben fehlen, Leistengruben sind ebensowenig vorhanden. Alle bekannten Arten ähneln sich und haben zu der Ansicht verleitet, daß man es nur mit verschiedenen Ausprägungen eines und desselben Thieres zu thun habe; wenn man jedoch die verschiedenen Spießböcke neben einander sieht, erscheint diese Ansicht als eine hinfällige.


Beisa (Oryx Beisa). 1/16 natürl. Größe.
Beisa (Oryx Beisa). 1/16 natürl. Größe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 229-230.
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