Schottenhuhn (Lagopus scoticus)

[65] Gewichtige Gründe, vor allem die dem Moorhuhne vollkommen gleichartigen Sitten und Gewohnheiten, sprechen dafür, daß das Schottenhuhn oder »Grouse« der Engländer (Lagopus scoticus, Tetrao und Oreias scoticus), welches die Moore Großbritanniens, insbesondere Schottlands, bevölkert, als Abart des Moorhuhnes, nicht aber als selbständige Art angesehen werden darf. Es ist ebenso groß wie letzteres und unterscheidet sich einzig und allein dadurch von ihm, daß es im Winter nicht weiß wird und daß seine Schwingen braun, die Beine aber grau sind. Somit ähnelt es dem Moorhuhne im Sommerkleide bis auf die erwähnten Unterschiede in jeder Beziehung, und die Annahme, daß es nur ein Erzeugnis des milden britischen Klimas sei, läßt sich mit stichhaltigen Gründen kaum widerlegen.

Das Moorhuhn verbreitet sich über den Norden der Alten und Neuen Welt, kommt jedoch nicht überall in gleicher Menge vor. Innerhalb der Grenzen unseres Vaterlandes bewohnt es gegenwärtig nur noch den nordöstlichsten Winkel, und zwar, laut mir gewordenen maßgebenden Nachrichten, das acht Kilometer nordöstlich von Memel gelegene, zweihundertunddreißig Hektar umfassende Dauperner Moor, ferner das bei Heidekrug beginnende und bis in das Ueberschwemmungsgebiet der Minge und Tenne sich erstreckende, über dreitausend Hektar haltende, im Inneren während des Sommers gänzlich unzugängliche, während des Winters nur ausnahmsweise einmal betretbare Augstumaler Moor, und endlich das nicht weit davon entfernte Rupkalwer Moor, aus welchem es jedoch wegen der hier vorschreitenden Besiedelung mehr und mehr verdrängt wird. Von dieser Grenze seines Verbreitungsgebietes an, nach Osten wie nach Norden hin, tritt es geeigneten Ortes überall zahlreich auf: so in ganz Nordrußland, einschließlich der Ostseeprovinzen, in Skandinavien, von Wermeland an bis zum Nordkap hinauf, ferner in ganz Sibirien und endlich im hohen Norden Amerikas. Wir trafen es noch in der Steppe zwischen Omsk und Semipalatinsk; Radde begegnete ihm im östlichen Sajan, und zwar in der Höhe von fast zweitausend Meter über dem Meeresspiegel, namentlich in den weiteren Thälern, welche mit Birkengesträuche bestanden sind; wir beobachteten es häufig in der Tundra der Samojedenhalbinsel. Im Norden Amerikas bewohnt es, laut Richardson, alle »Pelzgegenden« zwischen dem funfzigsten und siebzigsten Grade der Breite. Innerhalb dieser Grenzen ist es ein Strichvogel, welches sich mit Annäherung des Winters in zahlreiche Schwärme zusammenschlägt und südwärts zieht, obwohl es auch in den strengsten Wintern noch massenhaft in den waldigen Gegenden unter dem siebenundsechzigsten Grade gefunden wird. Im Jahre 1819 erschien es bei Cumberland House, unter dem vierund funfzigsten Grade der Breite, gegen die zweite Woche des November, und kehrte mit Beginn des Frühlings wieder nach dem Norden zurück. In ähnlicher Weise streicht es auch in Norwegen, indem es allherbstlich seine Brutplätze verläßt und scharenweise, unter Umständen bis zu dreitausend Stück vereinigt, dem höchsten, kahlen Gürtel der Gebirge zufliegt. Von Kurland und Litauen aus erscheinen noch heutigen Tages allwinterlich Moorhühner in Ostpreußen; einzelne sollen sich sogar bis nach Pommern verflogen haben. Weiter nach Süden hin hat sich unser Vogel niemals gezeigt; auch im höchsten Norden, schon auf Island wie in Grönland, fehlt er gänzlich.

In den genannten Mooren Preußisch-Litauens zieht es diejenigen Stellen vor, an denen Wald und offenes Moor abwechseln. Die Ränder des Waldes, niemals aber dessen Inneres, bilden hier seine beliebtesten Aufenthaltsorte, vorausgesetzt, daß der Grund naß, mindestens sehr feucht ist. Im Rupkalwer Moore hat es sich, nach Ansicht des Torfmeisters Kothe, welchem ich nächst Forstmeister Wiese und Oberförster Bock sichere Angaben verdanke, erst seit dem Jahre 1871, und zwar infolge der seitdem entstandenen umfassenden Entwässerungsanstalten rasch von vielen hundert auf etwa dreißig Stück vermindert und bewohnt gegenwärtig nur noch die erwähnten Waldränder und flache, mit einer schwachen Torfschicht überdeckte Höhenzüge, deren undurchlässiger Boden Wasseransammlungen begünstigt. In der Tundra besiedelt es Ebenen wie flache Hügel, Gehänge wie Thäler in annähernd gleicher Menge, weil die einen wie die anderen fast dasselbe Gepräge zeigen; in Skandinavien dagegen beschränkt sich sein Aufenthalt auf mittlere [66] Lagen der Gebirge; in die eigentlichen Thäler kommt es bloß dann und wann und immer nur auf kurze Zeit herab. Dies erklärt sich, wenn man weiß, daß es an die Birken- und Weidenarten gebunden ist, deren Reich erst über der Grenze des Nadelwaldes beginnt. Auf den Hochebenen Skandinaviens und in der Tundra ist es stellenweise unglaublich häufig, häufiger gewiß als jedes andere Huhn. Ein Paar wohnt dicht neben dem anderen, und das Gebiet des einzelnen Paares ist so wenig ausgedehnt, daß man es schon mit fünfhundert Schritten und weniger durchschreitet. Während der Frühlingszeit vertheidigt der Hahn seine Grenze eifersüchtig gegen jeden Eindringling.

Man darf das Moorhuhn als einen verhältnismäßig hochbegabten Vogel bezeichnen. Es gehört zu den regsamsten und lebendigsten Hühnern, welche ich kenne, ist gewandt, deshalb auch selten ruhig, und versteht es, unter den verschiedensten Verhältnissen geschickt sich zu bewegen. Die breiten, dicht befiederten Füße gestatten ihm, ebenso rasch über die trügerische Moosdecke als über den frischen Schnee wegzulaufen, befähigen es wahrscheinlich auch zum Schwimmen. Sein Gang ist verschieden. Gewöhnlich läuft es schrittweise in geduckter Stellung, mit etwas gekrümmtem Rücken und hängendem Schwanze dahin, jeder Vertiefung des Bodens folgend und nur, wenn etwas besonderes seine Aufmerksamkeit reizt, einen der kleinen Hügel erklimmend, um von hier aus zu sichern; wenn es sich aber verfolgt sieht, rennt es mit kaum glaublicher Eile seines Weges fort. Beim Sichern streckt es sich so lang aus als es kann, hebt den Kopf hoch auf und erscheint nun auffallend schlank. Der Flug ist leicht und schön, dem unseres Birkwildes ähnlicher als dem des Rebhuhnes, jedoch von beiden verschieden. Vom Boden sich erhebend, steigt das Huhn, insbesondere das Männchen, zunächst bis zu einer Höhe von ungefähr vier Meter über den Boden auf, streicht hierauf, abwechselnd die Flügel schwirrend schlagend und wieder gleitend, drei-, vier-, fünf-, auch sechshundert Schritte weit in derselben Höhe über dem Boden fort, klettert plötzlich jäh empor und senkt sich nun rasch hernieder, um einzufallen, oder aber setzt, genau in derselben Weise wie früher fliegend, den Weg noch weiter fort, steigt noch einmal auf, schreit und fällt ein. Bei kurzen Flügen läßt das Männchen während des Aufstehens regelmäßig sein lautschallendes »Err-reck-eck-eck- eck«, unmittelbar nach dem Einfallen die dumpfen Kehllaute »Gabâu, gabâu« vernehmen; das Weibchen hingegen fliegt immer stumm. Im Schnee gräbt es sich nicht bloß tiefe Gänge aus, um zu seiner im Winter verdeckten Nahrung zu gelangen, sondern stürzt sich auch, wenn es von einem Raubvogel verfolgt wird, senkrecht aus der Luft herab und taucht dann förmlich in die leichte Decke ein. Bei strengem Wetter sucht es hier Zuflucht, um sich gegen die rauhen Winde zu schützen: zuweilen soll man den Flug dicht an einander geschart antreffen, und zwar so, daß die ganze Gesellschaft unter dem Schnee vergraben ist und nur die einzelnen Köpfe herausschauen. Die scharfen Sinne erleichtern ihm, nahende Gefahr rechtzeitig zu erkennen, und es versteht meisterhaft, dann bestmöglichst sich zu schützen. Gleichwohl ist es in der Regel nicht scheu, meist sogar auffallend dreist und muthig; zumal einzelne unbeweibte Männchen zeigen sich oft überaus sorglos und laufen längere Zeit ungedeckt vor dem Wanderer oder Jäger einher, gleichsam als müßten sie sich die auffallende Erscheinung des Menschen erst recht betrachten. Hierbei nimmt es gewöhnlich die gebückte Haltung an, duckt sich auch auf allen spärlich mit Zwergbirken bestandenen Stellen der Tundra noch mehr als gewöhnlich, um sich unsichtbar zu machen, kann jedoch nicht unterlassen, von Zeit zu Zeit wenigstens den Hals hoch aufzurichten, um zu sichern.

Die Nahrung besteht hauptsächlich aus Pflanzenstoffen, im Winter fast nur aus den Blätterknospen der erwähnten Gesträuche und verdorrten Beeren, im Sommer aus zarten Blättern, Blüten, Sprößlingen, Beeren und verschiedenen Kerbthieren, welche gelegentlich mit erbeutet werden. In den preußisch-litauischen Mooren äst es sich, zumal im Winter, oft fast ausschließlich, von einer häufig dort vorkommenden schwarzen Beere, welche im Volksmunde »Ratenbeere« genannt wird, wahrscheinlich der Rauschbeere, und gräbt sich ihr zu Liebe tiefe und lange Gänge im Schnee. Körner aller Art werden, wie die gefangenen beweisen, gern gefressen. Nach eigenen Beobachtungen äsen sich die Moorhühner im Sommer und, wie wir durch Barth [67] erfahren, auch im Winter nur in der Nacht, im Sommer etwa von zehn Uhr abends bis zwei Uhr morgens, im Winter schon merklich früher. Um diese Zeit begeben sie sich in der Dämmerung bergabwärts und bei Tagesanbruch an ihre Lagerplätze zurück. Sind letztere nicht weit entfernt von denen, wo sie ihre Nahrung suchen, so legen sie den Rückweg zu Fuße zurück, und man kann dann nach frischem Schneefalle ihre Spuren von den Futterplätzen aus verfolgen, um sie in einer Entfernung von etwa achthundert Schritten zu finden. Von der Mitte des März bis zur Mitte des April sieht man sie in Norwegen wohl auch am Vor- und Nachmittage in den Kronen der Birken stehen, deren Knospen ihnen um diese Zeit so gut wie ausschließlich zur Nahrung dienen, und es gewährt dann einen wundervollen Anblick, wenn hunderte dieser weißen Vögel von dem dunkeln Gezweige abstechen.

Um die Mitte des März gesellen sich die Paare und beginnen bald darauf in der oben geschilderten Weise zu balzen. Noch während der Balze legt das Weibchen seine Eier. An sonnigen Abhängen der Hochebene, zwischen dem bereits schneefreien Gestrüppe der Heide, zwischen Heidel-, Mehl- und Moosbeeren, im Gebüsche der Saalweide oder Zwergbirke, in Wacholderbüschen und an ähnlichen versteckten Plätzen hat es sich eine flache Vertiefung gescharrt und mit einigen dürren Grashalmen und anderen wenigen trockenen Pflanzentheilen, auch mit eigenen Federn und mit Erde ausgelegt, den Standort des Nestes aber unter allen Umständen so wohl gewählt, daß man es schwer findet, obgleich der Hahn sein möglichstes thut, es zu verrathen. Er zeigt jetzt seinen vollen Muth; denn er begrüßt jeden Menschen, jedes Raubthier, welches sich naht, durch das warnende »Gabâu, gabâu«, stellt sich dreist auf einen der kleinen Hügel, fliegt aufgescheucht nur wenige Schritte weit und wiederholt das alte Spiel, unzweifelhaft in der Absicht, den Feind vom Neste abzubringen. Gegen andere Hähne vertheidigt er sein Gebiet hartnäckig; eine unbeweibte Henne aber scheint seine Begriffe von ehelicher Treue wesentlich zu verwirren: wenigstens ist er trotz seiner Liebe zur Gattin stets geneigt, in ihrer Gesellschaft einige Zeit zu vertändeln. Die Henne bleibt bei Gefahr möglichst lange ruhig sitzen, scheint sich anfangs gar nicht um das ihr drohende Unheil zu bekümmern und schleicht erst weg, wenn man unmittelbar neben ihrem Neste steht, dann freilich unter Aufbietung aller in der Familie üblichen Verstellungskünste. Gegen andere Hennen soll auch sie sich sehr streitsüchtig zeigen, und zudem behaupten die Norweger, daß eine Henne der anderen, falls dies möglich, die Eier raube und nach ihrem Neste bringe. Auch während der Brutzeit noch sind Moorschneehühner um Mitternacht am lebhaftesten; man vernimmt ihr Geschrei selten vor der zehnten Abendstunde. Folgt man dem Rufe des Männchens, so kann man beobachten, daß ein Hahn den anderen zum Kampfe fordert und mit diesem einen ernsten Streit ausficht, bis endlich die Henne vom Neste aus mit sanftem »Djake« oder »Gu, gu, gurr« den Gemahl nach Hause fordert.

Das Gelege ist im Ausgange des Mai, sicher im Anfange des Juni vollzählig und besteht aus neun bis zwölf, zuweilen auch aus funfzehn, sechzehn, selbst zwanzig, birnförmigen, glatten, glänzenden Eiern von durchschnittlich zweiundvierzig Millimeter Länge und dreißig Millimeter größter Dicke, welche auf okergelbem Grunde mit zahllosen leberbraunen oder rothbraunen Fleckchen, Pünktchen und Tüpfelchen bedeckt sind. Die Henne widmet sich dem Brutgeschäfte mit größter Hingebung; der Hahn scheint an ihm keinen Theil zu nehmen, sondern nur als Wächter zu dienen. Geht alles gut, so schlüpfen schon zu Ende des Juni oder zu Anfang des Juli die niedlichen Küchlein aus den Eiern, und nunmehr sieht man die ganze Familie vereinigt im Moore, auch da, wo dasselbe sehr wasserreich ist. Jetzt verdienen unsere Thiere den Namen Moorhühner in jeder Hinsicht: sie sind wahre Sumpfvögel geworden und scheinen sich auch auf dem flüssigsten Schlamme mit Leichtigkeit bewegen zu können. Wahrscheinlich suchen sie gerade diese Stellen zuerst auf, um ihren Kleinen eine dem zarten Alter am besten entsprechende Nahrung bieten zu können, Stechmücken und ihre Larven nämlich, von denen die Moore während des Sommers wimmeln. Mit Hülfe eines guten Fernrohres, in der Tundra auch mit bloßem Auge, hält es nicht schwer, eine solche Familie zu beobachten. Der Hahn, welcher an der Erziehung der Kinder den wärmsten Antheil nimmt, geht mit stolzen [68] Schritten, hochgehobenen Hauptes immer voraus, beständig sichernd und bei Gefahr durch sein »Gabâu« warnend, führt die ganze Familie zu nahrungversprechenden Plätzen und zeigt sich überhaupt äußerst besorgt. Die niedlichen Küchlein tragen in den ersten Tagen ihres Lebens ein Dunenkleid, welches einem Bündel der Renthierflechte zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie sind rasch und behend wie alle wilden Küchlein, laufen leicht und gewandt über Schlamm und Wasserrinnen hinweg und lernen schon nach den ersten Tagen ihres Lebens die kleinen stumpfen Schwingen gebrauchen. So ist es erklärlich, daß sie den meisten Gefahren, welche ihnen drohen, entgehen. Die Gleichfarbigkeit ihres Kleides mit dem Boden täuscht selbst das scharfe Falkenauge, und die Oertlichkeit, auf welcher sie sich umhertummeln, sichert sie vor Reineke's oder seines Verwandten, des Eisfuchses, unfehlbarer Nase. Lustig wachsen sie heran, wechseln die anfänglich braun und schwarz gewässerten Schwingen bald mit weißen, erneuern auch diese noch ein oder mehrere Male und haben zu Ende des August oder im Anfange des September bereits so ziemlich die Größe ihrer Eltern erreicht. Stößt man in der selten von Menschen besuchten Tundra auf ein Moorhuhngesperre, so erhebt sich zunächst der Hahn in der geschilderten Weise, und gleichzeitig mit ihm, wenn nicht schon früher, stehen die Jungen auf, gewöhnlich alle mit einem Male, seltener nur einzelne, ihrer zwei, drei und vier nacheinander. Die ganze Kette stiebt, genau wie ein Volk Rebhühner, zuerst auseinander, um dann gemeinschaftlich einem bestimmten Ziele, mindestens einer bestimmten Richtung zuzustreben. Nachdem die Jungen ungefähr einhundert bis zweihundert Schritte, selten mehr, durchflogen haben, fallen sie einzeln ein und liegen nunmehr so fest, daß es schwer hält, sie noch einmal aufzutreiben, wissen auch selbst auf nur mit Renthierflechten bewachsenem Boden sich so vortrefflich zu verstecken, daß man sie entweder nicht oder doch nur nach längerem Suchen wahrnimmt. Dies gilt zumal für die erste Zeit ihres Lebens, so lange sie noch nicht auf eigene Kraft vertrauen, wogegen sie später auch ohne Hund eher wieder aufstehen. Das Weibchen folgt immer zuletzt, vorausgesetzt, daß es durch den nahenden Menschen nicht allzusehr erschreckt wurde. Unmittelbar nach dem Aufstehen sucht es womöglich durch die bekannten Künste abzulenken, humpelt und taumelt vor dem Feinde einher und gibt sich rücksichtslos preis; dann erst erhebt es sich und fliegt den Jungen nach, gewöhnlich weit über sie wegstreichend und zum Einfallen oft einen ganz anderen Ort als das Männchen wählend. Stößt man mit Hunden auf eine Kette, so nimmt auch das Männchen an dem Ablenken theil, wogegen es sonst fast immer rechtzeitig davonfliegt. Ist die Henne sehr überrascht worden, so fliegt sie zuweilen gerade auf den Störenfried los, fällt erst ziemlich weit hinter seinem Rücken ein und läuft nunmehr, fleißig lockend, aber nicht sich verstellend, ein Stück weit weg, erhebt sich wiederum, beschreibt einen großen Bogen und fällt nicht allzu weit von den Jungen ein. Letztere rennen unter solchen Umständen, auf den Boden geworfenen und rollenden Kugeln vergleichbar, nach allen Richtungen auseinander und ducken sich entweder oder stehlen sich still und lautlos durch das Gestrüpp, um sich der Mutter wieder zu gesellen. Sind sie mit den Alten aufgestanden, so beginnen sie bald darauf leise zu piepen, woraufhin die Alten, sobald die Störung glücklich vorübergegangen, antworten, um sie zusammenzurufen. Je mehr die Küchlein heranwachsen, um so vorsichtiger oder um so weniger dreist gebaren sich die Alten, und wenn die Jungen ihre volle Größe erlangt haben, lassen sie nur in Ausnahmefällen noch den Jäger schußgerecht sich nahen. Verliert die Mutter das Leben, so übernimmt der Vater allein die Erziehung der Jungen; findet auch er seinen Tod, so vereinigen sich diese mit einem anderen Volke ihres Alters.

Um die Mitte oder gegen das Ende des Monats August sind die Jungen ausgewachsen. Von nun an verweilen sie, laut Barth, noch etwa einen Monat an dem Brutorte; dann aber, gegen Ende des September oder im Anfange des Oktober, vereinigen sie sich mit anderen Ketten, bilden die weiter oben erwähnten Schwärme und werden nunmehr so scheu, daß es nur selten gelingt, einen sicheren Schuß auf sie abzuge ben. So lange die Gebirgsabhänge schneefrei sind, bleiben solche Haufen da, wo sie sich zusammengefunden, gleichviel, ob sie bereits ihr Winterkleid ganz oder nur [69] theilweise angelegt haben; sobald aber Schnee gefallen ist, begeben sich die Schwärme in höher im Gebirge gelegene Thäler, wo sich an den Rändern von Gebirgsseen Birkengebüsch vorfindet. Solche Plätze sind es, welche fast alle Moorhühner eines weiten Umkreises versammeln und, namentlich vor kommenden Schneefällen, tausende gesellen. Aufgescheucht, ziehen diese dann als dichte, weiße, mehrere hundert Meter lange Wolke sausend an dem Jäger vorüber. Nach einem Schneefalle, welcher Berg und Thal gleichmäßig überdeckt, zerstreuen sich die Haufen, und wenn auch die Ebene ihr Winterkleid erhalten hat, kommen sie zuweilen sogar zu ihr herab, verweilen jedoch nicht lange in ihr und begeben sich bald wieder auf die Höhe, welche sie nach jedem neuen Schneefalle wiederum verlassen.

Da, wo das Balzgebiet eines Moorschneehuhnes mit dem des Birkhuhnes zusammenstößt, geschieht es, daß der liebestolle Moorhahn, vielleicht ein solcher, welcher nicht das Glück hatte, ein Weibchen zu erwerben, auf den Balzplätzen des Birkhuhnes sich einstellt, bei einer willigen Birkhenne Entgegenkommen findet und mit ihr Blendlinge erzeugt, welche man Moorbirkhuhn (Lagopus lagopoides, lagopides und tetrici-albus, Tetrao lagopoides, lagopides und lagopodi-tetricides) genannt hat. Sie lassen sich leichter als Rackelhühner erkennen und bestimmen; denn ihr Gefieder zeigt in nicht mißzudeutender Weise eine vermischte Färbung beider Stammeltern, und das Schwarz des Birkhahnes wie das weiß des Birkhuhnes kommen im Winterkleide dieser Blendlinge in gleicher Weise zur Geltung. Alle Moorbirkhühner, welche in Norwegen zur wissenschaftlichen Untersuchung kamen, waren Männchen; indessen hat man in Schweden zu Anfang der vierziger Jahre auch einen weiblichen Blendling erlegt, und wahrscheinlich kommen letztere keineswegs so selten vor, als man annimmt, werden nur von unkundigen Jägern entweder nicht beachtet oder als Birkhühner und beziehentlich Moorhennen im Sommerkleide angesehen. So viel mir bekannt, hat man Moorbirkhühner bis jetzt nur in Skandinavien erbeutet; dieses anscheinend vereinzelte Vorkommen erklärt sich aber sehr einfach dadurch, daß hier die Beschaffenheit der Gebirge ein für die Paarung rechtzeitiges Zusammenkommen beider Waldhühnerarten begünstigt. Daß eine Vermischung der beiden Arten auch in umgekehrter Weise stattfindet, daß nämlich ein Birkhahn eine Moorhenne betreten sollte, ist bis jetzt nicht festgestellt worden, kann auch aus naheliegenden Gründen nicht angenommen werden; männliche Moorhühner aber bemerkt man, laut Collett von kundigen Jägern gewordenen Mittheilungen, in geringer Anzahl fast auf jedem Balz- oder doch Brutplatze des Birkhuhnes, und über ihre geschlechtlichen Verirrungen hat man auch dadurch Zeugnis erlangt, daß sie zuweilen ehrliche Haushennen mit Liebesanträgen bestürmen, wie beispielsweise ein Moorhahn im Frühlinge des Jahres 1857 im Bergenstifte that. Ueber die Lebensweise gedachter Blendlinge fehlen Beobachtungen; man weiß nur, daß sie ebenso wie die Rackelhühner zu den Birkhühnern, regelmäßig zu den Moorhühnern sich halten, dieselben Gegenden wie diese bewohnen und im Winter gelegentlich gefangen werden.

Das Moorhuhn bildet eines der geschätztesten Jagdthiere. Seine erstaunliche Häufigkeit gewährt dem nur einigermaßen geschickten Jäger ergiebige Ausbeute, und deshalb sind viele Normannen diesem Waidwerke mit Leidenschaft ergeben. Aber nur die wenigsten von ihnen kennen die Jagd, welche der alte Erik mich lehrte. Sie verfolgen die Hähne entweder im Herbste, bevor die Völker sich zusammengeschart haben, oder im Winter, wenn sie, zu hunderten und tausenden vereinigt, in den Birkendickichten liegen. Im Herbste ist ein guter Vorstehhund zur Schneehuhnjagd unerläßlich; mit seiner Hülfe aber kann man im Laufe eines Nachmittages Dutzende erlegen. Ich jagte in Gesellschaft eines Engländers, welcher bereits seit sechs Jahren alljährlich auf die Berge zog und hier wochenlang diesem Waidwerke oblag. Er konnte mir die Anzahl der von ihm erlegten Hühner genau angeben, und ich erfuhr, daß er in einem Herbste schon über vierhundert Stück von ihnen getödtet hatte. Hierbei muß ich hervorheben, daß die Engländer den Norwegern ein wahrer Greuel sind, weil sie keine Hegung, keine Schonung kennen, vielmehr bereits die Jungen niederschießen, wenn sie erst die Größe einer Wachtel oder Lerche erlangt haben, gleichviel, ob sie dieselben [70] dann nutzen können oder nicht. Von mehr als einer Seite bin ich versichert worden, daß diese »Aasjäger« die von ihnen gemeuchelten Küchlein ihren Hunden zuwerfen, daß sie überhaupt nur jagen, um eine große Anzahl des edeln Wildes in ihre Listen eintragen zu können. Der Normann verabscheut mit Recht solchen Frevel; er jagt die Moorschneehühner nur, wenn sie erwachsen sind und dann auch bloß in der Absicht, sie zu nutzen. Die Hauptjagd findet unter allen Umständen im Winter statt, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil dann die erlegten Hühner auf weithin versendet werden können. Allerdings ist die Jagd, wenn tiefer Schnee liegt, ziemlich beschwerlich, so schlimm, wie Naumann sie darstellt, aber doch nicht. Der Schneehuhnjäger wadet nicht in den »unwirtbarsten, ödesten Gegenden in tiefem Schnee umher«, stürzt sich auch nicht »in verschneite Abgründe«; denn er bedient sich zur Jagd seiner Schneeschuhe, welche ihn leicht auch über losen Schnee wegtragen; er »verirrt sich auch nicht in dem weiten winterlichen Einerlei«; denn er kennt seine Fjelds, und die einzelnen Berge geben ihm immer noch Merkmale zur Heimkehr. So viel ist freilich wahr, daß der Jäger ein kräftiger Mann sein muß, welcher Anstrengungen nicht scheut und sich auch in dichtem Nebel noch zu benehmen weiß. Uebrigens gebraucht man im Winter das Gewehr schon des theueren Pulvers wegen weit weniger als Netz und Schlinge. Man kennt die Lagerstelle des Wildes und stellt hier zwischen dem Birkengestrüppe, zu welchem die Hühner der Aesung halber kommen müssen, mit dem besten Erfolge. In welcher Anzahl zuweilen Schneehühner gefangen werden, mag man daraus ermessen, daß ein einziger Wildhändler im Laufe eines Winters auf Dovrefjeld allein vierzigtausend Stück sammeln und versenden konnte. Gegenwärtig erstreckt sich der Handel mit diesem Wilde nicht bloß auf Stockholm oder Kopenhagen, sondern in jedem einigermaßen strengen Winter auch bis nach Deutschland und Großbritannien. Das Wildpret junger Moorhühner steht dem unseres jungen Rebhuhnes vollkommen gleich und zeichnet sich noch außerdem durch einen prickelnden Beigeschmack aus; das Fleisch alter Vögel hingegen bedarf erst längerer Beize, bevor es genießbar wird.

Außer dem Menschen stellen alle entsprechenden Raubthiere dem Moorhuhne nach, ohne jedoch seinem Bestande erhebliche Verluste zuzufügen. In den Mooren Preußisch-Litauens hat es namentlich in schneearmen Wintern von Raubvögeln viel zu leiden.

In der Gefangenschaft sieht man die anmuthigen Hühner auch in Skandinavien selten. Das einzige, welches ich pflegte, hatte, bevor es in meine Hände gelangte, schon in Skandinavien längere Zeit in der Gefangenschaft zugebracht und sich so an gemischtes Körnerfutter gewöhnt, daß seine Erhaltung keine Schwierigkeiten verursachte. Für Blätterknospen und Beeren, welche es als Leckerbissen zu betrachten schien, wurde allerdings gesorgt; ich bin jedoch geneigt, zu glauben, daß es sich auch ohne diese Nahrungsstoffe erhalten haben würde. Von anderen Rauchfußhühnern, welche ich in der Gefangenschaft beobachten konnte, unterschied es sich durch seine Lebendigkeit und Zutraulichkeit.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 65-71.
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