Zwergadler (Aquila pennata)

[631] Der Zwergadler (Aquila pennata, minuta, paradoxa, nudipes, maculatirostris und albipectus, Falco, Hieraëtus, Butaëtus und Nisaëtus pennatus, Spizaëtus milvoides, Butaquila strophiata, Morphnus dubius), wie ich ihn nennen will, seiner niederen Fußwurzeln halber von Kaup zum Vertreter einer besonderen Untersippe (Hieraëtus) erhoben, ist vielleicht das anmuthigste Glied der ganzen Gruppe. Die Länge des Männchens beträgt siebenundvierzig, die Breite einhundertunddreizehn, die Fittiglänge sechsunddreißig, die Schwanzlänge neunzehn [631] Centimeter. Das Weibchen ist um vier Centimeter länger und um acht Centimeter breiter als das Männchen. Bei der einen Spielart (Aquila pennata) sind Stirn und Zügel gelblichweiß, Scheitel, Backen und Ohrgegend dunkelbraun, alle Federn an der Wurzel weiß und durch schwarze Schaftstriche dunkel in der Länge gefleckt, Genick und Nacken röthlichbraun, Mantel und Flügel schwarzbraun, kupferpurpurbraun glänzend, mit lichterer Schattirung, welche durch die helleren Federränder entsteht und, da sie auch an den großen Flügeldeckfedern sich zeigt, zwei undeutliche Binden über die Flügel bildet, die Handschwingen schwarz-, die Armschwingen dunkelbraun mit drei verloschenen Querbinden auf der Innenfahne, letztere auch mit braunem Erdrande, die an der Spitze licht gesäumten Steuerfedern oben dunkelbraun, unten lichtgrau, die Untertheile auf lichtgelblichem Grunde mit braunen Schaftflecken gezeichnet, welche an der Kehle und Brust am dichtesten, am Unterleibe aber am spärlichsten stehen und auf den Hosen theilweise fehlen und bei sehr alten Vögeln sich auf einen kleinen Theil der Brust beschränken.


Zwergadler (Aquila pennata). 1/4 natürl. Größe.
Zwergadler (Aquila pennata). 1/4 natürl. Größe.

Ein weißer Fleck ziert die Schulter. Das Auge ist hell erzfarben, der Schnabel am Grunde hellblau, an der Spitze schwarz, der Fuß citron-, die Wachshaut strohgelb. Der junge Vogel unterscheidet sich durch licht roströthlichere Unterseite, gleicht [632] aber sonst ganz dem alten; die Nestjungen sind auf der Oberseite braun, unten rostrothgelb ohne Schaftstriche, und zeigen weiße Schulterflecke noch nicht.

Bei der zweiten Spielart (Aquila minuta) hingegen sind Kopf und Nacken matt rothbraun, mit schwärzlichen, auf dem Vorderscheitel besonders hervortretenden Längsflecken, die Mantelfedern dunkel-, die längeren Schulterfedern schwarzbraun, die übrigen Mantelfeldern erdbraun, die Schwanzfedern mattbraun mit drei bis vier deutlich schwärzlichen Binden und hellerer Spitze, die Untertheile endlich gleichförmig tief dunkelbraun mit kaum bemerkbaren schwärzlichen Schaftstrichen. Ein Ring um das Auge ist dunkler, die Hosen, Fußwurzeln und Unterschwanzdeckfedern sind etwas heller braun als der übrige Unterkörper. Die weißen Schulterfelcke sind ebenfalls vorhanden. Das Auge ist braun, der Schnabel an der Wurzel bläulich, an der Spitze schwarz, die Wachshaut und die Zehen sind citrongelb. Das Jugendkleid ist lichter, auf dem Kopfe heller rostfarben mit stärker hervortretendem Schwarz auf dem Vorderkopfe und lichteren Oberflügeldeck-, hinteren Schwung- und mittleren Schulterfedern und mit hellerem Unterkörper, welcher auf kaffeebraunem Grunde mit deutlichen, ziemlich breiten Schaftstrichen gezeichnet ist. Die Schwanzbinden sind wenig bemerklich.

Der Zwergadler verbreitet sich über einen großen Theil Südwest- wie Südosteuropas und Asiens. Sein Wohngebiet beginnt, von Deutschland aus gerechnet, nach Osten hin bereits in Niederösterreich und im südlichen Polen und erstreckt sich von hier aus einestheils über Galizien, Siebenbürgen, Ungarn, die Donautiefländer, die europäische Türkei und Griechenland, anderentheils über den ganzen Süden von Rußland. Ebenso tritt der Vogel auch im Westen auf, horstet bereits in mehreren Departements Frankreichs und bevölkert in erheblicher Anzahl die ganze Iberische Halbinsel. Dagegen zählt er in Italien zu den größten Seltenheiten, ohne daß man hierfür einen durchschlagenden Grund ausfindig machen könnte. In den Waldungen des südlichen Ural ist er nicht selten, im Tian-Schan Gebirge und dem südöstlichen Turkestan überhaupt einer der häufigeren Raubvögel, in Indien wie auf Ceylon noch Brutvogel. Nach Westen hin bewohnt er die Waldungen Kleinasiens und Persiens, macht sich geeigneten Ortes auch längs der ganzen Nordküste von Afrika seßhaft. Mit Ausnahme Indiens und, wie es scheint, auch Algeriens, ist er überall Sommervogel, welcher in den ersten bis letzten Tagen des April am Horste erscheint und Ende September das Land wieder verläßt. Gelegentlich dieser Reise durchstreift er buchstäblich ganz Afrika, bis endlich das Meer seinem Wanderdrange Halt gebietet. Nach Art anderer Wandervögel schart er sich auf den eigentlichen Heerstraßen, beispielsweise längs des Bosporus und im Nilthale, zu förmlichen Flügen, wogegen er, in der Winterherberge angelangt, wiederum einigermaßen sich vereinzelt. So wenigstens habe ich in Egypten und im Inneren Afrikas beobachtet. Hier wie da bin ich ihm oft begegnet. Zu Ende März des Jahres 1852 traf ich so zahlreiche Zuggesellschaften an, daß ich binnen drei Tagen einige zwanzig Stück erlegen konnte. In Sennâr fand ich ihn nur während des Winters.

Der Zwergadler ist ein echter Edeladler in Geist und Wesen. Er unterscheidet sich von seinen größeren Verwandten nach meinem Dafürhalten nur durch zwei Eigenthümlichkeiten: durch größere Gewandtheit und geringere Vorsicht. Sein Flug ist schnell, kräftig und leicht, auf lange Zeit hinschwebend, beim Angriffe auf die Beute pfeilschnell. Dresser vergleicht ihn auffallenderweise mit dem Bussard: ich behaupte, daß er diesen in jeder Beziehung übertrifft und ebensowenig in seinem Auftreten wie in seinen Bewegungen, in seinem Wesen wie in seinem Gebaren mit ihm verglichen werden darf. Andere Berichterstatter, so neuerdings Goebel, welcher vielfache Gelegenheit hat ihn zu beobachten, stimmen mit mir vollkommen überein. »Der Zwergadler«, sagt der letztgenannte, »jagt spielend nur kurze Zeit am Tage, beunruhigt jeden vorüberziehenden größeren Raubvogel, wie den Seeadler, Schreiadler und andere, und liegt mit dem Würgfalken in ewiger Fehde, welche dann auch allaugenblicklich in hoher Luft ausgefochten wird, wobei die beiden gewandten Vögel in Flugkünsten das mögliche leisten und einen köstlichen Genuß gewähren.« Diese Worte lasse ich gelten; denn auch ich bin durch das Auftreten des Zwergadlers stets entzückt [633] worden. Zu eigener Belustigung kreist der Zwergadler in höchst anmuthiger Weise lange Zeit über einer und derselben Stelle umher, liebt es auch, in bedeutende Höhe emporzusteigen; bei seiner Jagd hingegen schwebt er ziemlich niedrig über dem Boden dahin, und nach Lázárs Beobachtungen rüttelt er nicht selten nach Art des Thurmfalken. Zum Aufbäumen wählt er seltener die höchsten Spitzen der Bäume, vielmehr niedere Aeste derselben. Hier sitzt er aufrecht, oft lange Zeit, ohne ein Glied zu bewegen, achtet jedoch auf alles, was um ihn vorgeht, und am allermeisten auf ein sich ihm etwa bietendes Wild. Männchen und Weibchen halten sich stets zusammen, auch auf dem Zuge. Niemals habe ich in Afrika einen einzelnen Zwergadler gesehen; immer waren es Paare oder Gesellschaften, welche sich zusammenhielten. Dieser treuen Anhänglichkeit der Gatten entspricht das Betragen am Horste in allen Stücken.

Die Stimme ist verschieden, Wodzicki gibt sie durch die Silben »Koch koch kei kei«, Lázár durch »Wüd wüd« wieder und vergleicht diese Laute mit einem helltönenden Pfeifen. Krüper und Goebel stimmen mit Lázár überein. »Vernimmt«, sagt der erstgenannte, »ein mit den Stimmen der europäischen Vögel ziemlich vertrauter Forscher im Frühlinge den Paarungsruf des Zwergadlers und bemerkt den Vogel nicht, so kann er der Meinung sein, daß dieser Ton von einer in der Nähe befindlichen Wasserläuferart herrührt. Denn er hört ein zweimaliges, mitunter ein dreimaliges helles ›Tü, tü, tü‹ ganz deutlich. An eine Adlerstimme wird er nicht denken, wenn er die des Zwergadlers mit dem heiseren Laute eines Kaiser-, Stein-, See-, Fisch- oder Schreiadlers vergleicht, ebensowenig an die Stimme eines anderen Raubvogels. Während der Paarungs- und Brutzeit besteht die Stimme stets aus dem hell tönenden Rufe, welcher je nach den Umständen bei Angst und Freude mehrmals wiederholt wird. Sobald aber das Brutgeschäft beendet ist und die jungen Adler von den Eltern umhergeführt und zum Fange abgerichtet werden, verändern sich die Schreie des Adlers, und besonders die der Jungen sind so dumpf, daß man kaum den reinen Frühlingston wiederzuerkennen vermag.«

Der Zwergadler ist ein sehr tüchtiger Räuber; denn kleine Vögel bilden das bevorzugte Wild, welchem er nachstellt. Lázár giebt als Nahrung Ammer, Lerchen, Pieper, Finken, Wachteln und Rebhühner, Wodzicki außerdem noch Staare und Meisen an; ich habe Turteltauben in seinem Kropfe gefunden. Neben seinem Lieblingswilde jagt der Zwergadler auch auf kleine Säugethiere, namentlich Mäuse, mit denen Goebel die Kröpfe der von ihm untersuchten angefüllt fand, und ebenso verschmäht er Kriechthiere nicht; in Spanien bildet nach den Beobachtungen meines Bruders die Perleidechse geradezu einen wesentlichen Bestandtheil seiner Mahlzeiten. Dresser bezweifelt nach seinen Beobachtungen, daß unser Adler eine erwachsene Taube im Fluge zu fangen im Stande sei: ich kann ihm, gestützt auf eigenen Befund, auf das allerbestimmteste widersprechen. Wahrscheinlich steht er dem Habicht nicht im geringsten nach und fängt im Fluge und im Sitzen mit gleicher Geschicklichkeit. »Auf einem Moraste«, erzählt Wodzicki, »beschäftigten sich große Scharen von Staaren mit Aufsuchung ihrer Nahrung und lockten, wie es schien, einen Zwergadler aus dem benachbarten Walde herbei. Er kreiste in schönen Schwenkungen über den Staaren, welche alle Augenblicke einmal aufflogen und sich wieder setzten. Dieses Spiel war dem Zwergadler zu langweilig, er wollte sie also zum Aufstehen bringen, um schneller sein Frühstück zu bekommen. Mit Blitzesschnelligkeit flog er in gerader Linie auf die Staare zur Erde herab. Die Schar erschrak und wollte in den Bäumen, unter denen ich ruhete, Zuflucht suchen. Trotz der geringen Entfernung, und obwohl die Vögel den Weiden zuflogen, wurde es dem Adler möglich, einen von ihnen zu fangen. Als er herabstieß, verursachte sein unbegreiflich schneller Flug lautes Brausen. Nach glücklichem Fange flog der Räuber auf eine nahe stehende Bude, setzte sich hier auf das Dach, ohne auf die Jäger und Hunde zu achten, besah die Umgegend mit großer Vorsicht längere Zeit und fing dann an, den Staar zu rupfen. Diese Zubereitung der Mahlzeit dauerte über eine Viertelstunde, und als ich dann den Adler schoß, war der Staar so schön gerupft, als wenn er vom besten Koche zubereitet gewesen wäre.« Am liebsten jagt der Zwergadler im Walde und hier fast nach [634] Art des Habichts. In Egypten gewähren ihm die Palmenwälder reiche Beute, und zwar sind es gerade hier hauptsächlich die Turteltauben, denen er eifrig nachjagt; sie haben vielleicht nur in dem südlichen Wanderfalken noch einen schlimmeren Feind, als den gewandten Adler. Die Raubfähigkeit desselben wird von dem schmarotzenden Bettlergesindel wohl anerkannt; denn wie der Wanderfalk wird auch der Zwergadler von den Milanen eifrig verfolgt, sobald er Beute erworben hat, und, wie jener, wirft er solche den frechen Bettlern zu.

Ueber die Fortpflanzungen liegen gegenwärtig verschiedene, unter sich im wesentlichen übereinstimmende Beobachtungen vor; insbesondere haben Holtz und Goebel in dieser Beziehung unsere Kunde wesentlich erweitert. Am liebsten horstet der Zwergadler in Laubwäldern, wenn es möglich, in der Nähe größerer Flüsse, ohne jedoch Nadelwaldungen gänzlich zu verschmähen. Im kaiserlichen Thiergarten unweit Schönbrunn horsten alljährlich ein oder zwei Paare. Lázár fand in Siebenbürgen niemals einen Horst in den Bergen und bezweifelt daher, daß der Zwergadler während der Brutzeit bis zu erheblichen Höhen emporsteigt; Sewertzow dagegen berichtet daß dieser Adler im Tian-Schan Gebirge noch in einer Höhe von zweitausend Meter über dem Meere brütet. Da auch er nur im Nothfalle einen eigenen Horst erbaut, ist der Standort des letzteren ziemlich verschieden, je nachdem der eine oder der andere Nesterbauer für ihn arbeitete, und demgemäß kann es geschehen, daß man auf einem geringen Umkreise mehrere Pärchen horstend findet. Wie der Schreiadler benutzt er alle passenden Horste seines Gebietes, nach den Beobachtungen von Holtz solche des Seeadlers, des Bussards, Milans und Kolkrabens, nach Goebels Erfahrungen unter Umständen sogar den Horst eines Reihers, und begnügt sich, höchstens ein wenig nachzubessern. In Spanien steht, nach Beobachtungen meines Bruders, der Horst vorzugsweise auf Ulmen und Kiefern und zwar regelmäßig auf den Spitzenzweigen eines weit hinausragenden Astes, welcher von einem darüber liegenden bedeckt wird; im südlichen Rußland fanden Holtz und Goebel die Horste auf verschiedenen Laubbäumen, Linden, Eichen, Weißbuchen und dergleichen, in einer durchschnittlichen Höhe von zwölf Meter über dem Boden, häufiger in Stammgabeln als auf Nebenzweigen. Die äußere Weite des Horstes betrug siebzig, die innere vierzig, die äußere Tiefe sechzig, die innere achtzehn Centimeter. Trockene Aeste und Zweige bildeten den Unterbau, Lindenbast, Gras, Mistelzweige, Laub und Wolle die innere Auskleidung. Die von meinem Bruder und Lázár untersuchten Horste waren regelmäßig mit grünen Blättern ausgeputzt. Im Anfange des Mai pflegt das aus zwei Eiern bestehende Gelege vollzählig zu sein. Die Eier haben einen Längsdurchmesser von durchschnittlich sechsundfunfzig, höchstens neunundfunfzig, mindestens zweiundfunfzig, und einen Querdurchmesser von durchschnittlich fünfundvierzig, höchstens siebenundvierzig, mindestens dreiundvierzig Millimeter; ihre Gestalt schwankt von der reinen Ei- bis zur spitzbirnenförmigen und sehr rundlichen Form; die Schale ist bald stärker, bald schwächer, das Korn gröber oder feiner, die Zeichnung ebenfalls verschieden. Gewöhnlich sind sie auf gelblichem oder weißgrünlichem Grunde mit kleinen rostgelben oder rostrothen Punkten und Flecken unregelmäßig gezeichnet. Alle Beobachter, welche den Zwergadler während seines Brutgeschäftes kennen lernten, sind seines Lobes voll. Das Paar ist außerordentlich zärtlich: Wodzicki sah eines auf dem Horste stehen und sich nach Taubenart schnäbeln. Während das Weibchen brütet, sitzt das Männchen stundenlang auf demselben Baume, ja es löst die Gattin auch einigemal des Tages, das heißt nicht bloß in den Mittagsstunden, im Brüten ab. Nach Wodzicki ist es bezeichnend für den Zwergadler, wie er seinen Horst besteigt. Er setzt sich weit von demselben auf den Ast, bückt den Kopf hernieder, bläst den Kropf auf und schreitet langsam wie eine Taube gegen den Horst zu, bis er endlich auf dessen Rand kommt. Dabei läßt er ein wohltönendes, flötenartiges »Kei kei kei« hören. Angesichts des den Horst bedrohenden Menschen benimmt er sich verschieden. In der Regel sitzt er sehr fest und läßt sich erst durch längeres Klopfen aufscheuchen, kommt auch, wenn er endlich abgeflogen war, während der Wegnahme der Eier öfters besorgt heran, setzt sich hin und wieder in die Wipfel benachbarter Bäume und vergißt dann oft[635] seine Sicherheit; manchmal bricht er auch in klängliches Geschrei aus: niemals aber wagt er, so viel bis jetzt beobachtet worden, einen Angriff auf den Menschen. Anders beträgt er sich, sobald ein fremdartiger Raubvogel in Sicht kommt, gleichviel ob es sich um einen Adler oder um einen Falken handelt. Seinen Verwandten gegenüber ist er immer kühn; während der Brutzeit aber greift er mit bewunderungswürdigem Muthe und ersichtlichem Ingrimm alle größeren Raubvögel an, welche in der Nähe seines Horstes vorüberfliegen. »Ein Paar Zwergadler«, erzählt Wodzicki, »hatte unweit des Horstes eines Seeadlers den seinigen gegründet und wußte sich den großen Räubern gegenüber eine so hohe Achtung zu verschaffen, daß die Seeadler schließlich sich nie nach der Seite hin wagten, wo die Zwergadler hausten. Die sich täglich vor meinen Augen wiederholenden Kämpfe waren sehr anziehend. Ich sah ihnen oft stundenlang zu, weil ich die Erziehung des im Horste der Seeadler sitzenden Jungen beobachten wollte. Sobald sich der große Verwandte in die Nähe der Zwergadler wagte, ertönte sogleich der wehmüthige Ruf ›Koch koch‹ des einen Gatten; der andere kam herbei, und mit Wuth verfolgten nun beide den Seeadler, stießen auf ihn nach Art der Krähen, gingen mit Schnabel und Klauen ihm zu Leibe und zeigten sich dabei so gewandt, daß der Seeadler sich gar nicht vertheidigen konnte. Später, als das Weibchen brütete, versah das Männchen allein diesen Wachdienst. Milane und Habichte wurden in gleicher Weise verjagt.« Ebenso wie beide Zwergadler sich in das Brutgeschäft theilen, tragen sie auch den Jungen gemeinschaftlich Nahrung zu. Letztere entschlüpfen nach etwa vierwöchentlicher Brutzeit, gewöhnlich in der zweiten Hälfte des Juni, dem Eie und zwar in einem aus langem, seidenweichem Flaume von lichter, auf dem Kopfe gilblicher Färbung bestehenden Kleide, erhalten aber bald das beschriebene Nestgefieder. Doch geht auch ihre Entwickelung verhältnismäßig langsam vor sich, so daß sie kaum vor Ende August den Horst verlassen können. Da, wo dem Vogel nicht nachgestellt wird, treiben sich die Alten mit den Jungen ungescheut vor dem Menschen in der Nähe ihres Horstes umher; sobald aber die Eltern Nachstellung merken, ändern sie ihr Betragen vollständig. »Bei meinen Ausflügen am Olymp, Ende August«, sagt Krüper, »bemerkte ich einen Zwergadler, welchem nach einigen Tagen ein junger Vogel folgte. Oft stellte ich beiden nach, um den Jungen zu erlegen. Er aber wurde von der Mutter mit solcher Vorsicht geleitet, daß eine Annäherung unmöglich war. Ende September verschwanden beide; sie hatten ihre Wanderung nach südlichen Gegenden begonnen.«

Gegen den Uhu zeigt der Zwergadler tödtlichen Haß. »Ich wollte«, schreibt mir Lázár, »Schreiadler schießen, stellte meinen Uhu deshalb auf einer abgemäheten Wiese auf und zog mich wartend hinter einen Heuhaufen zurück. Da sah ich einen kleinen braunen Raubvogel heranziehen mit solcher Eile, daß ich kaum Zeit hatte, mein Gewehr zu ergreifen. Der Zwergadler, als welchen ich den Raubvogel bald erkannte, stieß mit voller Gewalt auf den Uhu. Das Gewehr knallte, aber mein Vogel flog unbeschädigt davon. Doch entfernte er sich nicht, sondern erhob sich nur in eine Höhe von etwa anderthalbhundert Meter und kreiste hier wohl über eine halbe Stunde über dem Uhu. Endlich stieß er abermals herunter und kam in vollkommen gerechte Schußnähe; mich aber hatte das Jagdfieber ergriffen; ich feuerte und – schoß zum zweiten Male vorbei. Als sich jetzt der Adler entfernte, hatte ich alle Hoffnung verloren; allein nach zehn Minuten kam er nochmals zurück, kreiste wiederum und stieß zum dritten Male hernieder. Jetzt streckte ich ihn zu Boden.«

Die Jagd des Zwergadlers bietet, wie aus dem vorhergehenden zu ersehen, wenig Schwierigkeiten, so lange er noch keine Verfolgung erfahren hat. Die treue Anhänglichkeit des Paares wird oft beiden Gatten verderblich: ich habe die gepaarten Paare fast regelmäßig erlegen können. Ob man ihn ebenso wie andere seiner Verwandten fangen kann, vermag ich nicht zu sagen.

Jung dem Neste entnommene Zwergadler werden bei geeigneter Pflege ebenso zahm wie andere Adler auch. Ich habe nur ein einziges Mal eine Gesellschaft dieser anmuthigen Vögel in der Gefangenschaft gesehen, aber nicht länger beobachten können, und will daher nur erwähnen, [636] daß mein Bruder und Lázár, welche sich länger mit derartigen Pfleglingen beschäftigen konnten, sie übereinstimmend als höchst anmuthige, zierliche Vögel bezeichnen und ihre Klugheit wie leichte Zähmbarkeit rühmend hervorheben.

In Spanien wird der Zwergadler zuweilen in eigenthümlicher Weise abgerichtet. Ein geistreicher Kopf ist auf den Gedanken verfallen, die Vögel als Glücksbringer zu benutzen. Zu diesem Zwecke stellt er sich mit einem durch Raubvögel herausgeputzten Kasten auf einem belebten Platze auf und ladet die Vorübergehenden ein, sich durch die Vögel Glücksnummern zum Lottospiel offenbaren zu lassen. Die Raubvögel, und unter ihnen auch unsere Zwergadler, sind abgerichtet, aus einem Haufen Nummern, welche der betreffende Glücksritter ihnen vorhält, einzelne mit dem Schnabel herauszulesen und diese somit zu wählen. Man scheint der Ansicht zu sein, daß durch solches Verfahren das Glück im eigentlichen Sinne des Wortes vom Himmel herniedergebracht werde.

Ein unserem Stein- oder Goldadler ebenbürtiger Raubvogel Australiens steht den eigentlichen Edelad lern in Gestalt und Färbung sehr nahe, unterscheidet sich aber durch seinen gestreckten, aber doch kräftigen Schnabel, langen, stark abgestuften Schwanz und die langen Federn am Hinterhalse von ihnen und ist deshalb zum Vertreter einer Untersippe erhoben worden, welche Kaup, deren Schöpfer, Bussardfalkenadler (Uroaëtus) genannt hat.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 631-637.
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