33. Der erbärmliche Gatte

[133] Es war einmal ein Mann in Tsi, der hatte eine Frau und eine Nebenfrau, die waren immer zu Hause. Wenn ihr Gatte ausging, so kam er immer nach Hause satt von Wein und Fleisch. Wenn seine Frau ihn fragte, mit wem er gegessen und getrunken, so waren es lauter reiche und vornehme Leute. Eines Tages sprach die Frau zur Nebenfrau: »Wenn unser Gatte ausgeht, so kommt er immer satt von Wein und Fleisch zurück, und wenn man ihn fragt, mit wem er gegessen und getrunken, so sind es lauter reiche und vornehme Leute, und doch ist noch nie einer von den angesehenen Leuten zu uns gekommen. Ich will einmal sehen, wo unser Gatte hingeht.«[133]

So stand sie frühe auf und schlich heimlich dem Gatten nach, wohin er gehe. In der ganzen Stadt war niemand, der stehen geblieben wäre und mit ihm geplaudert hätte. Schließlich ging er auf den Anger im Osten vor der Stadt, wo zwischen den Gräbern Leute Opfer darbrachten. Die bettelte er um die Überreste an. Hatte er noch nicht genug, so blickte er sich um und ging zu einem andern. Das war die Art, wie er sich satt aß.

Seine Frau kehrte heim und erzählte es der Nebenfrau und sprach: »Zu unserem Gatten haben wir unser Leben lang hinaufgesehen, und nun macht er's so!« Dann schalt sie mit der Nebenfrau zusammen auf ihren Gatten, und sie weinten zusammen mitten im Hof. Der Gatte aber, der noch von nichts wußte, kam frohen Mutes von draußen zurück und war hochmütig gegen Frau und Nebenfrau.

Wenn man von einem höheren Standpunkt aus die Menschen betrachtet: Wie selten sind doch die Menschen, die in ihrem Streben nach Reichtum und Ehre, Vorteil und Erfolg sich so benehmen, daß ihre Frauen und Nebenfrauen nicht vor Scham über sie zusammen weinen müßten!

Fußnoten

1 Über Dsï Tschan oder Gung-Sun Kiau, den Kanzler von Dschong, vgl. Lun Yü V, 15; Liä Dsï VI, 4; VII, 8; Dschuang Dsï V, 2. In Gia Yü (Schulgespräche) IV, 4, wird die hier vorausgesetzte Geschichte von Kung Dsï erzählt. Dsï Yu fragte den Meister über Dsï Tschans Gnädigkeit. Der antwortete, er liebte das Volk, wie eine Mutter ihre Kinder liebt, aber er vermochte die Leute nicht zu erziehen. Er setzte im Winter die Leute, die er beim Durchwaten des Flusses vor Kälte zittern sah, in seinem eigenen Wagen über, aber er sorgte nicht für ihre Belehrung. Mong Dsï führt hier offenbar den Gedanken weiter aus. Die Geschichte wird auch sonst berichtet.


2 Der Sinn ist: Die Pflege der lebenden Eltern ist selbstverständlich. Dadurch, daß man die lebenden Eltern immer vor Augen hat, wird einem diese Pflicht von selbst erleichtert. Etwaige Versehen lassen sich zu Lebzeiten der Eltern auch immer wieder gut machen. Anders bei der Bestattung der Toten. Da liegt die ganze Verantwortung auf dem Sohn, auf den die toten Eltern hilflos angewiesen sind. Was dabei versäumt wird, bleibt dauernd als Stachel im Herzen.


3 Sü Dsï = Sü Pi, der an neunter Stelle genannte Jünger.


4 Die Stelle bezieht sich auf Lun Yü IX, 16, obwohl der Wortlaut abweicht.


5 Unter den Kommentaren herrscht viel Unklarheit, wer die drei Könige und was die vier Arbeiten seien. Dschau Ki faßt den Abschnitt: die drei Könige = die drei Dynastien (Hia, Yin, Dschou). Dagegen spricht, daß die Dschoudynastie damals ja eben erst begründet war. Die vier Arbeiten wären dann die von Yü bis König Wu genannten. Eine andere, wohl plausiblere Erklärung faßt die drei Könige als die Herrscher von Himmel, Erde und Menschen (san tsai) und die vier Arbeiten als die während der vier Jahreszeiten zu leistenden Arbeiten. Demnach wäre der Sinn: Er suchte die Kräfte der unsichtbaren und sichtbaren Welt mit den Menschen in Einklang zu bringen, um Gedeihen und Segen für das Volk zu erreichen.


6 Vor Ungeduld brennend es auszuführen.


7 Der Sinn ist: Mit dem Verfall der Dschoudynastie infolge der Verlegung der Hauptstadt nach Lo Yang im Osten war die Sammlung der Preislieder im Schï Ging abgeschlossen. Nun kommt die Periode des »Frühlings und Herbsts« 722-481, die in den verschiedenen im Text genannten Geschichtswerken aufgezeichnet ist. Es ist die Zeit der sogenannten fünf Hegemonen, deren bedeutendste der Herzog Huan von Tsi und Herzog Wen von Dsi waren. In dieser Zeit gab es keine königliche Autorität mehr. Der ungekrönte König, der in dieser Zeit Recht und Unrecht nach königlichem Maßstab zumaß, war Konfuzius in seinen Frühlings- und Herbstannalen. Was das historische Material anlangt, so schließt er sich an die gegebenen Annalen der anderen Staaten ziemlich übereinstimmend an; was von ihm stammt, ist die Feststellung des Sinns der Ereignisse. Durch Abweichungen im Ausdruck, die er gelegentlich vornimmt, wird über die Handlungsweise der einzelnen Träger der Geschichte ein moralisches Urteil gefällt, das seinen Eindruck auf die Zeitgenossen nicht verfehlt hat.


8 Die »anderen« sind die Schüler des Dsï Sï, des Enkels von Kung, wonach Mong selbst die vierte Generation nach Kung repräsentieren würde.


9 Über die schöne Si Schï, vgl. Dschuang Dsï XIV, 4.


10 Der Gedankengang von Mong Dsï mutet ganz modern an. Außer dem Regelmäßigen nimmt er ein Wandelbares (Li in dem in J-Ging gebrauchten Sinne) an. Die hier gegebene Ausführung ist zugleich eine Verteidigung gegen die taoistische Verachtung des Wissens. Mong Dsï hält dieser Verachtung, deren relative Berechtigung er bei den sophistischen Spitzfindigkeiten der Zeit vollkommen anerkennt, ein anderes Ideal des Wissens, das sozusagen dem Natürlichen, der Linie des geringsten Widerstandes folgt, entgegen. Damit kommt er dem Tao sehr nahe.


11 Dieser Wang Huan ist der Feind des Mong Dsï in Tsi. Der Vorgang fällt wohl in die Nähe von II, B, 6. Die Argumentation des Mong Dsï ist, daß anläßlich der Beileidsbezeugung, die auf Befehl des Königs erfolgte, Hofzeremoniell zu herrschen habe, weshalb keine Privatunterhaltungen statthaft seien. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem ganzen Hergang wieder um einen geschickt maskierten Hieb Mong Dsïs gegen seinen Feind. Vielleicht ist es nicht ganz zufällig, daß gerade die Regeln über das Verhalten zu Feinden sich unmittelbar anschließen.


12 Über den Großen Yü und Dsi (Hou Dsi) spricht der Jünger Nan Gung Go in Lun Yü XIV, 6. Über Yüs Einfachheit redet Kung lobend in Lun Yü VIII, 21. Keine der Stellen stimmt mit den hier zitierten Stellen überein. Die Schilderung des Lebens des Yän Hui findet sich mit einigen textlichen Abweichungen in Lun Yü VI, 9. Das Gleichnis von den beiden Schlägereien ist so zu deuten, daß Yü und Hou Dsi, die durch ihre Stellung verpflichtet waren, für das Volk zu sorgen, im Rechte waren, als sie alles andere über ihrer Arbeit vergaßen. Yän Hui aber, der kein Amt hatte, hatte durch aufgedrungene Hilfe in einem Fall, der ihn nichts anging, nur Mißtrauen erregt. Vgl. dazu Lun Yü VII, 10.


13 Gung-Du-Dsï vgl. III, B, 9.


14 Kuang Dschang vgl. III, B, 10.


15 Schen-Yu Hing war ein Schüler des Meisters Dsong. Er erklärt die Flucht des Meisters für etwas, das seiner allgemeinen Überzeugung entspreche, eine Anschauung, in der er von Mong Dsï korrigiert wird.


16 Dsï Sï = Kung Gi, der Enkel Kungs und Schüler Dsongs, hat angeblich das Buch von Maß und Mitte (Dschung Yung) verfaßt. Er war in We (östlich) eine Zeitlang Beamter.


17 Tschu Dsï war ein Beamter im Staate Tsi.


18 Wan Dschang ist der als dreizehnter genannte Jünger.

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 133-134.
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