46. Das Wichtigste

[196] Mong Dsï sprach: »Der Weise macht mit seinem Wissen vor nichts halt; aber er wendet sich zunächst seinen Pflichten zu. Der Gütige macht mit seiner Liebe vor nichts halt; aber zunächst steht ihm die Anhänglichkeit an die Würdigen als Pflicht vor Augen. Die Weisheit Yau's und Schun's selbst erstreckte sich nicht auf alle Dinge, aber sie taten zunächst ihre ersten Pflichten. Selbst die Güte eines Yau und Schun erstreckte sich nicht auf alle Menschen gleichmäßig, aber sie waren zunächst an die Würdigen anhänglich. Die dreijährige Trauerzeit nicht aushalten, aber genaue Untersuchungen über die Halbtrauer anstellen, die Suppe unmäßig hinunterschlürfen, aber sich überlegen, wann man das Fleisch nicht mit den Zähnen zerkleinern darf: das heißt Wichtiges und Unwichtiges nicht unterscheiden.«25

Fußnoten

1 Vgl. Lun Yü VIII, 9.


2 Zu diesem Abschnitt über das Wandern vergleiche die ähnliche Umdeutung des Begriffs in Liä Dsï IV, 7 und das erste Buch des Dschuang Dsï, das den Titel trägt: »Wandern in Muße«.


3 König Wen steht hier als Beispiel für einen Heiligen auf dem Thron. Wenn von oben her der Wind so weht, daß es Mode wird, sich für ideale Dinge zu interessieren, dann ist jedermann dabei. Der höhere Mensch aber findet die Kraft zu einer solchen Erhebung in sich selbst.


4 Han, We und Dschau waren die drei Adelsgeschlechter, in die der Staat Dsin sich auflöste und die für ihren Reichtum sprichwörtlich waren.


5 Der erste Absatz ist ohne weiteres verständlich. Der zweite Absatz wird darauf bezogen, daß um einer Abschreckung der andern willen Hinrichtungen stattfinden, daß aber selbst die Hingerichteten mit ihrem Los zufrieden sind, wenn die allgemeine Stimmung dem Herrscher mit überwältigender Mehrheit recht gibt.


6 Die Sage von Schun in den Bergen bezieht sich wohl auf seinen Aufenthalt auf dem Li-Berge.


7 Vgl. dazu die Freuden des Kung Dsï in Lun Yü I, 1.


8 Vgl. dazu Buch I, A, 3 und Buch IV, A, 13, wo auch das Nähere über Be-I und Tai Gung zu finden ist.


9 Der Abschnitt hat drei Teile. Erstens die unvergleichlich überragende Bedeutung der Wahrheit. Zweitens die Prüfung dieser Wahrheit. Drittens der Weg zur Wahrheit ist stufenweiser Fortschritt.


10 Der Räuber Dschï ist eine sagenhafte Gestalt, die auch bei Dschuang Dsï häufig erwähnt wird. Er soll auf eine historische Gestalt aus dem Staate Tsin zurückgehen.


11 Yang-Dschu ist der in Liä Dsï VII und sonst oft genannte skeptische Pessimist. Mong Dsï hat ihm die Namen geprägt, unter denen er in der chinesischen Geschichte geht, ebenso wie seinem Antipoden Mo Di, dem Mann der allgemeinen gleichmäßigen Menschenliebe. Vgl. III, A, 5 und II, B, 9. Mo Di hatte sich den Großen Yü zum Vorbild genommen, von dem es hieß, daß er sich die Haare an den Beinen abgescheuert habe, während er die Wasserläufe geordnet – in ähnlicher Weise wie Mong Dsï in Schun sein Ideal verehrt. Über den dritten Philosophen Dsï Mo ist weiter nichts bekannt, als daß er aus Lu stammte. Er scheint eine Art elektrischer Vermittlungsphilosophie vertreten zu haben. Vielleicht zeigt sich nirgends besser als hier, wie weit der konfuzianische Weg von Maß und Mitte von einer bloß mechanischen bürgerlichen Mittelmäßigkeit entfernt ist. Der zentrale Punkt ist das Urteil, das immer das trifft, was unter Erwägung der Lage am Platz ist.


12 Wer frei werden kann von dem Durst nach Gütern, der erlangt Zufriedenheit und Freiheit, auch wenn er an Besitz andern Menschen nicht gleichkommt.


13 Über Liu-Hia Hui vgl. II, A, 9; V, B, 6; VI, B, 6.


14 Das Gut, von dem die Rede ist, ist die zur Ausübung der Weltherrschaft nötige Gesinnung. Sie war angeboren bei den ganz großen Herrschern des Altertums, erworben bei den großen Herrschern des chinesischen Mittelalters und geborgt bei den fünf Bundeshäuptern. Doch wußten diese konsequent zu heucheln, so daß niemand hinter ihre Schliche kam.


15 Über I-Yin vgl. V, A, 6. Die Worte des I-Yin, die Gung-Sun Tschou hier zitiert, stammen aus dem Schu Ging IV, V, 1. 9.


16 Vgl. Schï Ging I, IX Ode 6.


17 Ping Diän war ein Sohn des Königs von Tsi.


18 Tschen Dschung Dsï ist der wunderliche Heilige von III, B, 10, wo das Nähere über ihn zu finden ist.


19 Tau Ying ist ein Schüler des Mong Dsï, über den nichts Näheres bekannt ist.


20 Fan ist ein Ort im Westen von Schantung. Nach Dschau Ki soll es eine Apanage der spätgeborenen Prinzen von Tsi gewesen sein.


21 Über die Bedeutung dieses Abschnittes sind manche Ansichten unter den Kommentaren im Umlauf. Tschong Dsï sagt: Der Heilige erst ist ein völliger Mensch und vermag die leiblichen Anlagen zu erfüllen. Der Mensch entsteht aus der zentralen Kraft von Himmel und Erde und unterscheidet sich dadurch von den übrigen Geschöpfen. Wer Mensch ist, muß daher die menschliche Vernunft zu völligen Darstellung bringen. Dann erst verdient er den Namen eines Menschen. Alle Menschen haben diese Anlagen, aber unbewußt. Die Weisen suchen sie zu verwirklichen, aber es gelingt ihnen nicht völlig. Erst der Heilige vermag seine Leiblichkeit zu voller Darstellung zu bringen.


22 Die vorgeschriebene Trauerzeit für Eltern waren 27 Monate. Vgl. auch die Ansicht des Kung Dsï über die Sache in Lun Yü XVII, 21.


23 Gong von Tong war der Bruder des Fürsten von Tong. Vgl. VI, B, 2.


24 Diese Abstufungen macht Mong Dsï im Gegensatz zu Mo Dï, in dessen allgemeinem Philanthropismus die feinen Unterschiede verschwanden, sodaß die Liebe ein allgemeiner aber dünner Schleier war, der sich über die Menschheit deckte.


25 Die Gleichnisse beziehen sich auf Trauerregeln und Eßregeln. Von den Trauerregeln war die wichtigste die der dreijährigen (genauer 27 Monate dauernden) Trauerzeit für die nächsten Angehörigen. Die »Halbtrauer« (siau gung, eine Trauerzeit von fünf Monaten, und sï, eine Trauerzeit von drei Monaten) kam ihr gegenüber an Wichtigkeit nicht in Betracht. Ähnlich verhält es sich mit den Eßregeln, die in Li Gi VIII, 29, 10 bezeichnet sind. Die erste ist eine allgemeine Anstandsregel, die gieriges Essen verbietet, die zweite eine Spezialregel, die sich darauf bezog, in welchen Fällen man das Fleisch mit den Händen, in welchen man es mit den Zähnen zerkleinerte.

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 196.
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