Vermessungswesen

[123] Vermessungswesen (survey; travaux de mesurage; operazioni topografiche). Der Eisenbahnbau, der seiner wirtschaftlichen Bedeutung nach an der Spitze des Bauingenieurwesens steht, bedarf zur Lösung aller seiner Aufgaben in ausgiebigstem Maße des V. Bedenkt man, daß zu jedem Bau und zur Erhaltung einer Eisenbahnstrecke allgemeine und ausführliche Vorarbeiten, Bauabsteckungen, Grundwertsfeststellungen, Schlußaufnahmen und dauernde Überwachung des Bahngrundeigentums erforderlich sind, diese jedoch ohne vermessungstechnische Unterlagen unmöglich wären, so ist ohneweiters klar, daß dem V. im Rahmen des Eisenbahnwesens eine bedeutungsvolle Stellung zufällt. Es ist auch einleuchtend, daß zur Durchführung der verschiedenartigen geodätischen Arbeiten ein geschultes Personal nötig ist, falls diese verantwortungsvollen Arbeiten fachgemäß nach einheitlichem Gesichtspunkte durch geführt werden und dauernden Wert behalten sollen.

Es hat sich seit langer Zeit die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß für allgemeine Vorarbeiten zufolge der Unübersichtlichkeit der Bodengestaltung in der Natur die richtigste Linienführung nur mit Hilfe von topographischen Karten und Plänen studiert und ermittelt werden kann; gute Pläne ermöglichen die Beweisführung, daß die vorgeschlagene Linie die bauwürdigste ist. Sichere geodätische Unterlagen bewahren den trassierenden Ingenieur vor Täuschungen und Verschwendung des Materials.

Die ausführlichen Vorarbeiten ermöglichen die definitive Legung der Trasse, die Festlegung der Erdbewegung, sichere Bestimmung der Größe der einzulösenden Parzellenteile u.s.w. Hierbei sollte nicht übersehen werden, daß es von großer Wichtigkeit ist, bei Festlegung und Führung der Höhenkurven ihren natürlichen Verlauf im Terrain genauestens zu studieren und festzuhalten, denn nur ein morphologisch richtig bearbeiteter Schichtenplan kann eine wertvolle Unterlage für eingehende Bodenuntersuchungen behufs Ausarbeitung des Detailprojekts bilden und vermag so die Baulinie wirtschaftlich zu führen.

Alle diese Arbeiten erfordern die Beherrschung des V. in weitem Umfange: Die Durchführung der Horizontal- und Höhenaufnahmen, numerische Aufnahmen mit dem Theodolite oder graphische Aufnahmen mit dem Meßtische, die Tachymetrie, Nivellements, die Verwendung des Barometers zur Höhenmessung bei größeren Höhenunterschieden; bei diesen Arbeiten kommen die verschiedensten Instrumente: Theodolite, Universalinstrumente, Tachymeter, Nivellierinstrumente, Barometer u.s.w. zur Verwendung, weshalb die sichere Kenntnis der genauen Einrichtung, der Rektifikation und des Gebrauches dieser Instrumente vom geodätisch tätigen Ingenieur vorausgesetzt werden muß.

In neuerer Zeit hat die Photogrammetrie, insbesondere jedoch die Stereophotogrammetrie oder die automatische Ermittlung des Schichtenplans aus Photographien, die Stereoautogrammetrie, sich mit Erfolg in den Dienst des Eisenbahnwesens gestellt.

Die Instrumente für die Kartierung der Aufnahme und Flächenmessung, die Planimeter, können nicht umgangen werden, sie sind für die planliche Darstellung und bei der Flächenermittlung für die Einlösungen wohl unerläßlich.

Nach der genauen Ausmittlung der günstigsten Linie folgt das Abstecken, das Übertragen der Trasse in die Natur. Auf Grund dieser ausgesteckten Baulinie erfolgt die Aufnahme ihres genauen Längenschnitts und zahlreicher Querschnitte in nicht zu großer Entfernung von der Achse der Trasse, um den Bahnkörper darin festzulegen und alle andern Arbeiten auf dieser Grundlage zu erledigen.

Daß da Absteckungen von verschiedenartigen Profilen, Nivellements, Detailabsteckungen von Objekten, von Durchlässen, Brücken, Über- und Unterführungen u.s.w. durchzuführen sind, liegt auf der Hand und bringt den Ingenieur in innigste Beziehung zum V.

Besonders der Tunnelbau erheischt sorgfältige und präzise Messungen zwecks Richtunggebung und Höhenangabe, ja die Absteckung langer, in einer Vertikalebene liegender Eisenbahntunnels gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Geodäsie, da hierbei die Erdkrümmung nicht vernachlässigt werden darf und auch Kenntnisse der Grundlagen der Landesaufnahme nicht entbehrt werden können.

Die Arbeiten für den Grunderwerb, die Einlösungen, nach Fertigstellung des Eisenbahnkörpers die Schlußaufnahme, die Vermarkung des Eisenbahnbesitzes und in der Folge die Überwachung des Eisenbahneigentums, schließlich nach Aufnahme des Betriebes die vom Bahnerhaltungsdienste auszuführenden Oberbauarbeiten, die Überwachung der Lage von Schienen und Schwellen erfordern die dauernde Betätigung eines vermessungskundigen Personals.

Wenn man in Österreich und der Schweiz mit Vorliebe die geodätischen Vorarbeiten von[123] Ingenieuren ausführen läßt, so ist dies vom bautechnischen Standpunkte von großem Vorteile. Der Ingenieur studiert schon bei der Aufnahme das Gelände seiner Trasse, nimmt alles das auf, was er braucht. Geschieht es hingegen, daß Geometer, ohne im Eisenbahnbaue erfahren zu sein, geodätische Vorarbeiten machen, so werden nicht selten Unterlagen geliefert, die nicht befriedigen, weil der Vermessende nicht die Aufnahme auf jene Einzelheiten erstreckt, die gerade für den vorliegenden Zweck maßgebend und vielleicht entscheidend sein können.

Die Schlußaufnahme, die Vermarkung der Grenzen des Baues und die Überwachung des Eisenbahneigentums können ruhig in den Händen der Geometer bleiben. (Vgl. die Einzelartikel Abgrenzung und Bahnabsteckungen, Barometer, Höhenmeß- und Horizontalaufnahmen, Längenschnitt, Nivellierinstrumente, Photogrammetrie, Stereophotogrammetrie, Querprofil, Tachymetrie, Universal-Nivellierinstrument, Vertikalaufnahmen, Vorarbeiten, Winkelmessungen).

Doležal.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 123-124.
Lizenz:
Faksimiles:
123 | 124
Kategorien: