Zwischenzeit

[1287] Zwischenzeit. (Dramatische Dichtkunst)

Die Zeit, die im Drama zwischen zwey Aufzügen verstreicht, und während welcher der Zuschauer nichts von der Handlung sieht. Es würde für einen großen Fehler gehalten werden, wenn zwischen zwey Auftritten eine Lüke, oder Zwischenzeit bliebe.1 Darum ist es eine durchgehens angenommene Regel, daß während einem Aufzug, die Schaubühne nie soll leer gelassen werden. Hingegen bleibet sie zwischen zwey Aufzügen allemal eine Zeitlang leer.

In den griechischen Schauspiehlen geschah dieses nicht. Die Zwischenzeit, in der die Handlung würklich still stund, war von dem Chor ausgefüllt, und dieser unterhielte den Zuschauer mit Gegenständen, die zur Handlung gehörten. Beym neuen Aufzug wurde die Handlung gerade da fortgesezt, wo sie am Ende des vorhergehenden geblieben war, und der Zuschauer durfte sich den Zwang nicht anthun, sich einzubilden, daß zwischen dem Schluß des vorhergehenden, und dem Anfang des neuen Aufzuges, eine beträchtlichere Zeit verflossen sey, als würklich geschieht. Vielweniger wurde diese Zwischenzeit von dem Dichter zu einem Theil der Handlung hinter dem Vorhang angewendet.

Die beträchtlichen Zwischenzeiten, die sich die neuern Dichter nicht selten erlauben, geben ihnen zwar die Bequämlichkeit manches hinter dem Vorhang geschehen zu lassen, wodurch die Vorstellung selbst sehr abgekürzt wird. Aber selten geschieht es mit Vortheil für das Ganze. Währender Zwischenzeit beschäftiget sich der Zuschauer meistentheils mit ganz fremden, das Schauspiehl gar nicht angehenden Gegenständen, und dieses kann nicht wol ohne Schaden der Würkung geschehen. Geschieht inzwischen etwas wichtiges in der Handlung selbst, so hört man beym Anfang des neuen Aufzuges die Sach erzählen, die man lieber gesehen hätte, oder man muß gar erst aus dem, was izt geschieht, errathen, was in der Zwischenzeit vorgefallen ist.

Es scheinet demnach, daß auch in diesem Stük die Einrichtung des griechischen Schauspiehls der unsrigen vorzuziehen sey. Die Schaubühne wurd nicht nur nie leer, sondern man sah auch zwischen zwey Handlungen, wenigstens im Trauerspiehl, nichts fremdes, und so wurd der Zuschauer in einer ununterbrochenen Aufmerksamkeit auf die Handlung unterhalten.

Die ungeschikteste Anwendung der Zwischenzeit aber geschah ehedem durch die Zwischenspiehle, oder Intermezzi, die eine besondere, die Haupthandlung gar nicht angehende, meistens poßirliche Handlung vorstellten. Aber nicht viel besser sind in unsern Operen die Ballette zwischen den Aufzügen.

1S. Lüke.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1287.
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