Dalai Lama

[156] Dalai Lama (Lam. Rel.), eines der beiden Oberhäupter der Tübetanischen Hierarchie, welche sich in Gelbmützen und Rothmützen theilt, deren ersteren der D. L. als ein wahrer Papst vorsteht, während die andern ein gleich mächtiges (oder unmächtiges) Haupt im Bogdo Lama haben. Er ist eine Offenbarung, eine beständige, nie aufhörende Verkörperung Gottes, und zwar des ersten der geschaffenen Götter, des Chomschim Bodhissadoa. Sein Geist ist stets der nämliche nur seinen Körper wechselt er, wenn er altert, um einen andern zu beziehen, welcher an gewissen Zeichen seinen Priestern kenntlich ist. Er geniesst der höchsten Verehrung, denn selbst der Kaiser von China, unter dessen Hoheit Tübet steht, kniet vor ihm nieder. Ausser den Fürsten und Priestern sieht ihn Niemand, diesen aber erscheint er, auf einem Altar mit unterschlagenen Beinen sitzend, unbeweglich, ein sichtbarer Gott. Obwohl er der Anbetung Aller sich erfreut, obwohl selbst seine Excremente als Ausflüsse der Gottheit betrachtet, mit Gold aufgewogen, wie ein heiliger Talisman auf der Brust getragen, für die Kranken als sicher helfende Arzneien gebraucht werden (diess sind jedoch wahrscheinlich Fabeln, von den Missionären verbreitet), so ist er doch seiner frühern, Alles zerschmetternden Macht in irdischen Angelegenheiten völlig beraubt. In dem grossen Kloster, welches er auf dem Berge Puddala, nahe an der Gränze von China, bewohnt, sind, so wie in den beiden Schlössern bei Chassa, welche er abwechselnd zum Aufenthalte wählt, immer mehrere tausend chinesische Soldaten, die ihn bewachen, so dass er eigentlich nur ein vornehmer Staatsgefangener, mit etwas mehr Freiheit als der Dairi ist. Dennoch bleibt sein göttliches Ansehen unverändert, und der chinesische Kaiser hält mit ungeheuren Kosten einen Nuntius des D. C. an seinem Hofe zu Peking, dem er solche Ehrfurcht bezeugt, wie dem Grosslama selbst. Der Name dieses Fürsten der Kirche bedeutet »die sehr grosse Mutter der Seelen«.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 156.
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