Chamäleon

* Er ist ein wahres Chamäleon.Eiselein, 106.

Ein unzuverlässiger, seine Ansichten nach den Umständen wechselnder, den Verhältnissen Rechnung tragender, sein Thun nach persönlichem Vortheil bemessender Mensch. Wer ihn bezahlt, und zwar am besten, der hat ihn. Die Engländer haben das Sprichwort: The Vicar of Bray will be Vicar of Bray still. (Bohn II, 197.) Der Vicar von Bray, einem Dorfe in der Grafschaft Berkshire, verwaltete das dortige Pfarramt unter dem Könige Heinrich VIII., unter Eduard VI., unter der Königin Maria, unter Elisabeth; er war römisch-katholisch, protestantisch, wieder katholisch abermals protestantisch; er predigte stets den Glauben, [529] zu dem sich die Regierung bekannte. Als man ihm deshalb Vorwürfe machte und ihn einen Ueberläufer nannte, erwiderte er: »Das bin ich nicht; ich habe stets au meinem Grundsatz festgehalten: zu leben und zu sterben als Vicar von Bray.« Findet sich in Deutschland nicht reiche Gelegenheit zur Anwendung des englischen Sprichworts: Der Vicar von Bray will Vicar von Bray bleiben? Man lese den Roman von Wilibald Alexis, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, der den Freiherrn von Stein in Betreff solcher »Vicare« ausrufen lässt: »Sie wollen Minister bleiben, Geheimräthe und weiter nichts.«

Lat.: Chamaeleonte mutabilior. (Seybold, 74.)


[Zusätze und Ergänzungen]

Ein gesehenes Chamäleon ist ein verlorenes Chamäleon.

Das harmlose Thier hat nämlich zahllose Feinde; sobald es bemerkt wird, ist es die Beute derselben. Zu seinem Schutze besitzt es die Eigenthümlichkeit des Farbenwechsels. Graugrünlich ist die Grundfärbung, und in dieser sind äussere Einflüsse oder Gemüthsbewegungen im Stande, alle möglichen Abstufungen von orange bis schwarz hervorzurufen. Die Mannichfaltigkeit des Farbenwechsels ist daher sehr gross. Die Möglichkeit dieser Farbenveränderung liegt in dem Umstande, dass in der Haut zwei Pigmentschichten von verschiedener Farbe über einander gelagert sind, von denen je nach den Leidenschaften oder Lebenszuständen des Thieres die untere bräunlich schwarze, stärker oder schwächer in die obere, weisslich gelbe, hinein oder gänzlich hinter derselben zurücktritt.

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 5. Leipzig 1880, Sp. 1097.
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