Glücksrad

1. Das Glücksrad geht vmb.Franck, I, 80a; Henisch, 1657, 22; Petri, II, 62; Gruter, I, 11; Sailer, 211; Simrock, 3749.

»Das glück ist ein freund der vnbleiblichen ding vnd kan nit still stehn, sonder das glücks rad fürt ein auff den andern ab.«

Frz.: La roue de la fortune n'est pas tousjours une. (Leroux, II, 246.)


2. Das Glücksrad kehret sich bald vmb.Lehmann, 832, 59.

In Venetien sagt man: Des Glückes Rad geht Tag und Nacht, einer seufzt, der andere lacht. Die Kroaten: Wie sich die Kugel dreht, so springt das Geschick der Welt. Die Czechen: Das Rad dreht sich rings herum; und der Leute Sachen drehen sich mit dem Rade. (Reinsberg II, 102.)

Mhd.: Hiut ist er arm, der ê was rîch, daz glücke rat louft ungelîch. (Boner.) (Zingerle, 68.)

Böhm.: Kolo se dokola točí. – Lidske vĕci se v kole točí. (Čelakovský, 150.)

Dän.: Lykkens hiul er ustadigt. – Lykke-hiulet løber snart om. (Prov. dan., 404.)

Lat.: Fortuna volubilis errat. – Rota saepe rotat. (Pistor., I, 78.) – Versatur celeri sors levis orbe rotae. (Tiberius.) (Kruse, 1172.)


3. Fängt das Glücksrad an zu drehen, so bleibt es nicht stehen.

Dän.: Naar hiulet begynder først at hælde, er det snart ude med lykken. (Prov. dan., 402.)


4. Glücksrad treit vier Mann: der eine steigt auf, der andere steigt ab, der dritte ist oben, der vierte unten.

Bildende Kunst und Dichtkunst der alten Welt gaben den Gottheiten des Geschicks, der Tyche, der Fortuna, der Nemesis als Symbol ein Rad bei, oder auch eine Kugel. In Bildwerken liegen diese neben den Füssen der Göttin oder ihr unter den Füssen, und sie schwebt darauf, oder die Kugel ihr auch auf dem Haupte. Dichter und Redner späterer Zeit fügen dazu noch die andere Vorstellung, dass Fortuna die Menschen auf ihr Rad setze und sie mit dessen Umschwunge auf- und niedersteigen lasse, eine Vorstellung, die in den Sprichwörtern Boden gewonnen hat, aber ungeachtet ihrer Anschaulichkeit von der bildenden Kunst verschmäht worden ist. Die Vorstellung von einem Rade des Glücks pflanzte sich aus der alten Welt in die mittelalterliche fort. Ihre Entlehnung aber aus einer fremden Vorzeit gibt sich besonders dadurch zu erkennen, dass unsere Dichter hierbei nur selten den heimischen Eigennamen des Glücks, das Wort Sölde, gebrauchen, gewöhnlicher das leblose Abstractum Glück, wo nicht gar das lateinische Fortuna. Mit besonderer Vorliebe ergriff man das Bild von den auf das Glücksrad gesetzten oder gestiegenen und mit ihm auf und ab geführten Menschen. Das Glücksrad ging über in die Sage (vgl. Grimm, Sagen, I, 286 u. 437). Die Baumeister wussten das Glücksrad gut zu bildhauerischem Schmucke zu verwenden und brauchten es öfter als Einfassung der runden Giebelfenster über den Portalen der Kirchen. Da das Glück die Welt regiert, so brachte man das Rad desselben auch noch in Bezug auf den Kreislauf und den Wechsel in dem Weltall. Wie man sonst schon gewohnt war, die Wandelbarkeit des Glücks mit den Mondphasen zu vergleichen, ja als abhängig davon zu betrachten (vgl. Schmeller, IV, 22, und Grimm, Myth., 671 fg.), so nun auch das Glücksrad dem Rade des Mondes. In der Zusammenstellung des Glücks mit dem Monde liegt auch der Grund, aus welchem das Glücksrad in der wirklichen Ausführung wie in der Beschreibung der Dichter mit vier Personen besetzt zu sein pflegt; die Zahl entspricht den vier Mondvierteln. Seit dem 12. Jahrhundert gewann die Vorstellung, dass die Erde eine Kugel sei', immer mehr Geltung und somit empfahl sich auch das andere Sinnbild, das die antike Kunst der Glücksgöttin gibt, die Kugel, den Dichtern, obgleich es nie so geläufig worden ist, als das Rad, da sie nicht in gleich malerischer und abenteuerlicher Weise mit klimmenden und stürzenden Menschen zu besetzen war, wie das Glücksrad. Die Dichter nennen die Kugel des Glücks bald einen Ball, bald eine Scheibe. Scheibe gilt im Alt- und Mittelhochdeutschen wie noch jetzt in Mundarten auch für den Begriff der Kugel und den des Cylinders. (Vgl. den mit zahlreichen Belegstellen aus der Literatur des Mittelalters versehenen [1780] Artikel von Wilh. Wackernagel: Das Glücksrad und die Kugel des Glücks in Haupt's Zeitschrift, VI, 134-149, und Grimm, Myth., 826.)

Dän.: Det er besværligt at stige op paa lykkens hiul, men besværligere siden at falde ned. (Prov. dan., 403.)


5. Wem das Glücksrad steht, der glaubt nicht, dass es sich dreht.

Die Russen: Man spottet so lange über das Glücksross, als man selbst nicht darauf reitet. (Altmann, VI, 490.)


*6. Das Glücksrad festhalten.

Mhd.: Swer hiute sitzet ûf dem rade, der sîget morne drunder. (Troj. Krieg.) – Hie sigen diu mit dem rade nîder, sô stîgen diu andern ûf wider: sus gie ez umbe an der stat. Daz was des gelückes rat. (Wigalois.) – Fortûna die ist sô getân: ir schîbe lâzet si umbegân; si hilft den armen, sô si wile, den rîchen hât ze spile; umbeloufet ir rat, dicke vellet, der dâ vaste saz. (Alexanderlied.) (Zingerle, 56 u. 57.)

Frz.: Il a attaché un clou à la roue de la fortune.


[Zusätze und Ergänzungen]

7. Das Glücksrad ist simpel und rund, stürzt den bald, der oben stund.Ayrer, III, 1512, 14.


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 1. Leipzig 1867.
Lizenz:
Kategorien: