Anstand, der

[377] Der Anstand, des -es, plur. inusit. von dem Verbo anstehen.

1. Das Anstehen, und zwar, 1) in der eigentlichen Bedeutung des Verbi. In diesem Sinne bedeutet auf den Anstand gehen, bey den Jägern, sich an einen bequemen Ort stellen und auf Wildbret warten. S. auch weiter unter Num. 4. 2) In der figürlichen Bedeutung, für Aufschub, Unterbrechung eines Geschäftes. Anstand begehren. Die Sache leidet keinen weitern Anstand, keinen Verzug. Der Sache noch einigen Anstand gönnen. Ohne Anstand, sogleich. Keinen Anstand nehmen, etwas zu thun. Bewundere den Mann, der bey Thermopylä fiel, und nicht Anstand nahm, für das Vaterland zu sterben, Dusch; wo es aber für den warmen bildlichen Styl zu matt ist. Anstand der Gerichte, ist in Oberdeutschland auch für die so genannten Vacanzen oder Ferien üblich, und Anstand, für Waffenstillstand, kommt so wohl in Renners Niedersächsischen Chronik, als auch bey dem Logau vor. In einer Urkunde von 1462 bey dem Haltaus h. v. findet sich in dieser Bedeutung auch der Plural, die Anstände, der aber sonst nicht üblich ist. Die R.A. bey dem Opitz, Anstand mit etwas machen, mach Anstand mit den Winden, ist im Hochdeutschen gleichfalls nicht gewöhnlich.

2. Dasjenige, was einen Anstand in dieser letztern Bedeutung verursacht, Zweifel, Bedenklichkeit. Etwas in Anstand ziehen. Eine Sache außer Anstand setzen. Einen Anstand über etwas haben. Anstand in etwas nehmen, Bedenken tragen. Es ergeben sich Anstände, bedenkliche Umstände.

3. Dasjenige, was anstehet, so fern dieses Verbum das Schickliche in dem äußern Betragen ausdruckt, das Verhältniß des äußern Betragens mit den innern Vollkommenheiten, die man hat, oder doch vermöge seines Standes und Berufes, und der jedesmahligen Umstände haben sollte. Ein guter, ein schlechter Anstand. Er tanzt mit einem vortrefflichen Anstande. Der Redner hat einen schlechten Anstand. In seiner Kleidung herrscht ein unverbesserlicher Anstand. Welch edler Anstand herrscht in seiner jungen Miene! Weiße. In engerer Bedeutung, der gute Anstand. Er hat den rechten Anstand, der sich für einen Hofmann schickt.


Sie ward mit Anstand stolz und frey,

Haged.


Der schwarzen Augen schlauer Scherz,


Der Anstand lockender Geberden,

Bezauberten ein jedes Herz,

Haged.


Der Anstand, Franz. Air, ist ein Theil des Wohlstandes, S. dieses Wort.

4. Der Ort, wo man sich an- oder hinstellet, doch nur bey den Jägern, wo es einen bequemen Ort anzeiget, wo der Jäger das Wildbret erwartet. Auf den Anstand gehen. Ein Stück Wild auf dem Anstande schießen. Ingleichen der Ort, wo man stehen bleibt, wenn man nach einem gewissen Ziele schießet; in welcher Bedeutung man wohl auch zuweilen den Plural die Anstände höret.

Anm. Frisch führet Anstand auch in der Bedeutung einer anständigen Gelegenheit an; ich habe einen guten Anstand gefunden. Allein diese Bedeutung wird wohl nur in einigen besondern Gegenden üblich seyn, Hochdeutsch ist sie wenigstens nicht. Anastantida wird in Boxhorns Glossen durch Standhaftigkeit,[377] Beständigkeit erkläret. Anstand in der dritten Bedeutung, ist von den neuern Schriftstellern eingeführet worden, das Franz. Air auszudrucken. Gottsched tadelte es, und wollte dafür Anständigkeit gebraucht haben; allein man darf nur beyde Wörter mit einander vergleichen, so wird man überzeugt werden, daß er die wahre Bedeutung des erstern nicht einmahl gekannt hat.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 377-378.
Lizenz:
Faksimiles:
377 | 378
Kategorien: