Gewissen, das

[669] Das Gewissen, des -s, plur. inus. außer in Einem Falle die Gewissen, von dem Zeitworte wissen. 1. Überhaupt, das Bewußtseyn einer Sache. Sie werden kommen mit dem Gewissen ihrer Sünden, Weish. 4, 20. So vermuthlich auch Ebr. 10, 2: Sonst hätte das Opfer aufgehört, wo die so am Gottesdienst sind, kein Gewissen mehr hätten von den Sünden. Ich glaube in meinem Gewissen, er hat alle mir mögliche Zweifel aufgesucht. Doch in dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen größten Theils veraltet. 2. In engerer Bedeutung. 1) Das gewisse Bewußtseyn einer eigenen Handlung; in welchem Verstande es in den Rechten der Wissenschaft oder dem Wohlbewußt, d.i. der wahrscheinlichen Kenntniß von der Handlung eines andern, entgegen gesetzet wird. Jemanden auf sein Gewissen fragen. 2) In noch engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, in der Sittenlehre, das Bewußtseyn des Verhältnisses seiner Handlungen gegen das Gesetz, die Überzeugung von der rechtmäßigen oder unrechtmäßigen Beschaffenheit seiner Handlungen. (a) Eigentlich. Das vorher gehende Gewissen, diese Überzeugung vor der Handlung, das nachfolgende, nach der Handlung. Das gute Gewissen, die Überzeugung von der Rechtmäßigkeit einer begangenen Handlung, im Gegensatze des bösen Gewissens. Mit gutem Gewissen kann ich solches nicht bejahen, auch in weiterer Bedeutung von der Überzeugung der Wahrheit einer Sache. Etwas um des Gewissens willlen leiden oder unterlassen, sich nach vorher gehenden Gewissen verhalten. Wider sein gewissen handeln, wider seine Überzeugung von der Sittlichkeit einer Handlung. Das irrende Gewissen, ein Urtheil des Gewissens, welches entweder aus unrichtigen Vordersätzen, oder aus unrichtiger Verbindung wahrer Sätze herfließt, im Gegensatze des richtigen. Sein Gewissen beflecken, wider sein Gewissen handeln. Nach seinem Gewissen handeln, Bestimmungsgründe aus der Vorschrift des Gesetzes hernehmen. Eines Gewissen regieren. Gewissens halber zu etwas verbunden seyn. Ich gebe dir das auf dein Gewissen, ich werde sehen, ob du darin wider deine eigene Überzeugung handeln wirst. Sagen sie mir es auf ihr Gewissen. Einem etwas in sein Gewissen schieben, in engerer Bedeutung, in den Rechten, ihm darüber einen Eid antragen. Einem die Freyheit seines Gewissens lassen, die Freyheit, nach seinem Gewissen zu handeln. Wenn das Gewissen als in mehrern Menschen befindlich angenommen wird, so kann auch der Plural gebaucht werden. Die Gewissen zwingen. Wenn alle Gewissen[669] so ruhig wären, als meines. (b) In engerer Bedeutung, das Bewußtseyn der Unrechtmäßigkeit einer Handlung, und die Folgen dieses Bewußtseyns. Schlägt ihnen das Gewissen schon? Ein Mensch ohne Gewissen. Das nagende Gewissen, der anhaltende Stand der Unlust über begangenes Unrecht. Mein Gewissen beißt mich nicht, im gemeinen Leben, ich bin mir keiner bösen Handlung bewußt. Ein weites Gewissen haben, viele unrechtmäßige Handlungen für rechtmäßig halten. Einem das Gewissen rühren. (c) Bedenklichkeit über die Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit einer Handlung. Sich worüber ein Gewissen machen, es für verbothen halten. Andern ein Gewissen machen, ihnen eine Sache als verbothen vorstellen. Ich mache mir über Kleinigkeiten kein Gewissen, Gell. Ich mache mir ein Gewissen, das geringste anzunehmen, halte es für unerlaubt. (b) Figürlich, die Erkenntniß der Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit seines ganzen sittlichen Zustandes. Ein schlafendes Gewissen, wenn diese Erkenntniß ohne merkliche Wirkung bleibt. Das Gewissen einschläfern. Das Gewissen wacht auf, wenn ein Mensch die Unrechtmäßigkeit seines Zustandes empfindet. Sein Gewissen beschweren.

Anm. Bey dem Notker in der engern moralischen Bedeutung Keuuizze, Geuuizzedo, Sinuuizza, Inuuizzeda, in den Monseeischen Glossen Miteuizin, im Schwabensp. Geuuizzende, in dem 1501 zu Rom gedruckten Deutsch-Italiänischen Vocabulario Gewisni, im Schwed. Samwete; alles nach dem Latein. Conscientia und Griech. συνειδƞσις. In der weitesten Bedeutung für das Wissen, Bewußtseyn, lautet es im 9ten Jahrhunderte Geuuizei, und bey dem Notker Chiuuizs. In dem Schwabenspiegel wird das gute Gewissen auch der gute Sinn genannt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 669-670.
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