Linie, die

[2075] Die Līnie, (dreysylbig,) plur. die -n, überhaupt, eine jede Ausdehnung in die Länge, wo doch dieses Wort in verschiedenen Einschränkungen üblich ist. 1. In der Mathematik ist es eine Ausdehnung in die Länge ohne Breite und Dicke, oder welche doch ohne Breite und Dicke gedacht wird. Besonders eine sichtbare Länge dieser Art, so wohl als die äußerste Gränze einer Fläche betrachtet, als auch an und für sich allein, eine gezeichnete Linie; im gemeinen Leben zuweilen auch ein Strich. Eine gerade Linie. Eine krumme Linie. Eine Linie ziehen, eine gerade Linie vermittelst des Lineales. Eine Zirkellinie, welche in allen Puncten gleich weit von dem Mittelpuncte entfernt ist. Eine Schlangenlinie, Eyerlinie u.s.f. Die Grundlinie, worauf eine Fläche stehet. In der Mathematik, Geographie und den verwandten Wissenschaften gibt es sehr viele Arten von Linien. Im engsten Verstande heißt in der Seefahrt der Äquator die Linie. Die Linie passiren, durch diejenige Gegend des Weltmeeres segeln, in welche in der Erdbeschreibung der Äquator gesetzt wird. 2. In engerer Bedeutung wird die äußerste Gränze mehrerer der Länge nach neben einander befindlicher Dinge eine Linie genannt. Die Häuser stehen in gerader Linie neben einander. Auch die der Länge nach neben einander befindlichen Dinge Einer Art bekommen zuweilen den Nahmen der Linie. So werden die neben einander stehenden Wörter eine Linie genannt, welche sonst auch eine Zeile heißen. Auch die in zwey oder drey Gliedern neben einander stehenden Soldaten, ingleichen die in einer Schlachtordnung neben oder hinter einander gestellten Schiffe heißen eine Linie. Linie machen, sich in die Ordnung zum Gefechte stellen. Daher ist ein Schiff von der Linie, oder ein Linienschiff, ein Schiff, welches groß und stark genug ist, um mit in die Linie zum Gefechte gestellet zu werden, wozu wenigstens ein Schiff von funfzig Kanonen erfordert wird. In noch engerer Bedeutung bedeutet es zuweilen so viel als eine gerade Linie; die Reihe. Die Bäume stehen alle in Einer Linie. Die Häuser alle nach der Linie bauen. Dahin gehöret auch die in den Geschlechts-Registern übliche Bedeutung die auf- und neben einander folgenden Abkömmlinge von einem gemeinschaftlichen Stammvater zu bezeichnen; die Geschlechtslinie. In gerader Linie von jemanden abstammen. Die aufsteigende Linie, absteigende Linie, Seitenlinie, Nebenlinie u.s.f. 3. Führen auch verschiedene lange Körper oder körperliche Dinge den Nahmen der Linien. 1) In der Physiognomie und Chiromantie werden die Falten im Gesichte und an den Händen Linien genannt. 2) In dem Festungsbaue sind die Linien in die Länge sich erstreckende Brustwehren mit Gräben. Dahin gehören die Circumvallations-Linien, die Communications-Linien, die Contravallations-Linien u.s.f. 3) Auch ein langes dünnes Seil, welches im gemeinen Leben unter dem Nahmen einer Leine bekannt ist, besonders das Lenkseil, wird in der anständigern Sprechart oft eine Linie genannt. Endlich, 4. ist die Linie auch ein Längenmaß der kleinsten Art, indem es den zehenten Theil eines Zolles ausmacht, der von andern ein Gran genannt wir.

Anm. Dieses Wort ist freylich zunächst aus dem Lat. Linea entlehnet, allein auch dieses kann seine Verwandtschaft mit unserm Leine, Lang u.s.f. nicht verläugnen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 2075.
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