Tag, der

[517] Der Tag, des -es, plur. die -e. 1. Die Anwesenheit des Sonnenlichtes über der Oberfläche der Erdkugel, und zuweilen auch dieses Licht selbst; beydes ohne Plural und im Gegensatze der Nacht. Der Tag bricht an. Mit anbrechendem Tage. Es wird Tag. Es ist noch nicht Tag. Es ist schon heller Tag. Vor Tage aufstehen. Noch bey Tage zu Bette gehen. In den Tag hinein schlafen, bis an den hellen Tag schlafen. Daher vermuthlich auch die im gemeinen Leben üblichen R.A. wo in den Tag hinein, so viel als unbesonnen, ohne Überlegung bedeutet. Siehe aber auch die gleich folgende veraltete Bedeutung der freyen Luft. In[517] den Tag hinein leben. Man gibt die Herzen jetzo nicht so in den Tag hinein weg, Less. In den Tag hinein schwatzen.


Die Welt lebt in den Tag – begehret nichts zu wissen

Von Zucht und Frömmigkeit,

Opitz.


Etwas bey Tage besehen. Ich habe zu früh Tag gemacht, Less. bin zu früh aufgestanden. Der Tag scheint durch die Ritze, das Sonnenlicht. In einigen Provinzen gebraucht man dieses Wort in mehrern Fällen für das Licht des Tages. Einem den Tag benehmen. Einem in dem Tage stehen, im Lichten. Gehe mir aus dem Tage. Welche R.A. doch im Hochdeutschen ungewöhnlich sind. Doch sagt man daselbst im figürlichen Verstande: Es liegt am Tage, oder ist am Tage, es ist klar, deutlich. Seine Unschuld liegt am Tage. Alsdann ist ja unser Betrug am Tage. Etwas an den Tag bringen, eine verborgene Sache klar und deutlich machen. Himmel, bringe es an den Tag, wer ein Betrüger ist, Gell. An den Tag kommen, bekannt werden, von geheimen, verborgenen Dingen. Dein Betrug wird schon an den Tag kommen. Etwas an den Tag oder zu Tage legen, es äußern. Seine Gesinnung zu Tage legen. Er legte bald sein Mißvergnügen, bald seinen Beyfall an den Tag, Gell. In einigen Oberdeutschen Gegenden wurde es ehedem häufig für die freye Luft, den Luftraum gebraucht. Ein Rüstbaum lag noch in den Tag frey hinaus, Theuerd. Kap. 28. Herr, so trett auf disen plock do, unnd mest (messet) hinaus in freyen tag anderhalb schuch, in der wag, (im Gleichgewichte,) eben das. Tewrdank sich bald aus seiner Kraft schwang mit den süssen in den tag, durch dasselb er gewann die Wag eben das. Kap. 56. Figürlich gebrauchen die Bergleute dieses Wort häufig von der Oberfläche der Erde, im Gegensatze der Grube. Erz am Tage antreffen, auf oder nahe unter der Oberfläche. Etwas zu Tage ausfördern, es aus der Grube auf die Oberfläche schaffen. Das Wasser fließt zu Tage aus. Hundert Lachter unter Tage, unter der Oberfläche der Erde. Eine Ortung zu Tage bringen, bey den Markscheidern, einen in der Grube angenommenen Punct in einer seigern oder senkrechten Linie am Tage, d.i. auf der Oberfläche angeben. Und so in tausend Fällen mehr. S. auch einige der folgenden Zusammensetzungen.

2. Diejenige Zeit, da die Eine Hälfte der Erdkugel von der Sonne erleuchtet wird. Plur. die Tage, im Oberd. die Täge.

(1) Eigentlich. (a) Im engsten Verstande, die Zeit von Morgen bis zum Anbruche der Nacht, die Zeit, wenn die Sonne über unserm Horizonte sichtbar ist; im Gegensatze der Nacht. Der kürzeste Tag. Der längste Tag. Ein trüber, heller, warmer Tag. Den Tag mit etwas zubringen. Tag und Nacht arbeiten. Die Zeit, wenn Tag und Nacht gleich sind, die Tag- und Nachtgleiche. Es ist noch hoch am Tage, der Tag geht so bald noch nicht zu Ende. Es ist schon hoch am Tage, es ist schon lange Tag gewesen. Der Tag gehet zu Ende. Der Tag neiget sich, in der höhern Schreibart.

Und gleichwohl neigt sich schon der kurze Tag, Weiße.

Des Tages nur Ein Mahl essen. Den Tag vorher, oder Tages vorher; den Tag hernach, Tages hernach. Von Tag zu Tage warten, von einem Tage zum andern. Tag für Tag, (nicht vor,) alle Tage, einen Tag wie den andern.


Du weißt, daß Tag für Tag dein alter Vater keift,

Rost.


Tag vor (für) Tag, muß ich es sehen,

Opitz.


Guten Tag! der gewöhnliche Gruß, wenn man einander am Tage begegnet. Jemanden einen guten Tag biethen, ihn mit dieser Formel grüßen. Einen Tag zu etwas zu bestimmen, setzen. Sich einen guten Tag machen, einen Tag seinem Vergnügen anwenden. Gute Tage haben. Müßige Tage haben. Morgen des Tages, im gemeinen Leben, nachdrücklich für morgen[518] schlechthin, nicht morgendes Tages. Morgen des Tages sagte ich ihr den Dienst auf, Weiße. Tag und Nacht, wird oft für ununterbrochen, unaufhörlich gebraucht. Tag und Nacht sitzen und studieren. Tag und Nacht ist auch eine im gemeinen Leben übliche Benennung verschiedener Pflanzen, S. Glaskraut und Kuhweitzen. Ein Kleid auf alle Tage, ein Alltagskleid, im Gegensatze eines Sonntags- oder Feyertagskleides, S. All. (b) Da der Tag eigentlich die zu Geschäften bestimmte Zeit ist, so wird er auch sehr häufig von der ganzen Zeit gebraucht, in welche sich die Erdkugel Ein Mahl um ihre Achse drehet, so daß er alsdann auch die Nacht mit in sich begreift, und eigentlich für Tag und Nacht, oder eine Zeit von 24 Stunden stehet. In einigen nördlichen Gegenden gebraucht man das Wort Nacht auf eben dieselbe Art. Wenig Tage hernach. Vor drey Tagen. In ein paar Tagen. Es ist nun der dreyzehnte Tag. Acht Tage, eine gewöhnliche Benennung einer Woche, ob sie gleich eigentlich nur aus sieben Tagen bestehet, dagegen vierzehn Tage, eine Zeit von zwey Wochen bezeichnet. In acht Tagen, vor acht Tagen, nach acht Tagen. Heute vor acht Tagen. Morgen über acht, über vierzehn Tage. Gestern vor vierzehn Tagen. Nächster Tage, d.i. nächstens. Dieser Tagen, richtiger dieser Tage, d.i. neulich, vor wenig Tagen. Er war dieser Tage hier. Gestrigen Tages, wofür doch im Hochdeutschen gestern oder am gestrigen Tage üblicher ist. Jahr und Tag, in den Rechten, Ein Jahr und 45 Tage. Das Biblische welches Tages, für wenn, oder an welchem Tage, ist im Hochdeutschen noch weniger gangbar.

(2) Figürlich. (a) Ein zu einem gewissen feyerlichen Geschäfte bestimmter Tag. Im gemeinen Leben, besonders Oberdeutschlandes, wird jemandes Nahmens- oder Geburtstag häufig dessen Tag genannt. In den Gerichten bedeutete es ehedem häufig den Tag oder die Zeit, da jemand vor Gericht beschieden war. Ingleichen eine auf einen gewissen Tag bestimmte feyerliche Versammlung. Einen Tag halten, sich feyerlich versammlen. In dieser Bedeutung ist es nur noch in den Zusammensetzungen Kreistag, Landtag, Reichstag, Wahltag, Churfürstentag, Städtetag, Grafentag u.s.f. üblich, eine Versammlung der Kreis-Land-Reichsstände u.s.f. zu bezeichnen. (b) Die Lebenszeit eines Menschen, indem der Tag die merklichste Abtheilung der Zeit ist, in welchem Verstande es doch nur im Plural allein gebraucht wird. Meine Tage, oder häufiger mein Tage, ein im gemeinen Leben sehr üblicher Ausdruck für in meinem Leben. Das habe ich mein Tage nicht gesehen, in meinem Leben nicht. Da denn mein Tage auch häufig für jemahls, und mein Tage nicht, für niemahls gebraucht wird. Das ist der unverschämteste Mensch, den ich mein Tage gesehen habe. Das habe ich mein Tage nicht gewußt. Es ist mein Tage nicht gut, wenn die Kinder wissen, daß die Ältern Geld haben. Ich kann das Tanzen mein Tage nicht leiden. So weiß man doch mein Tage den Morgen nicht was den Abend geschehen wird, Weiße. In unsern Tagen, zu unserer Zeit. Die Tage Mosis, des Messiä, zu ihrer Lebenszeit. In seinen besten Tagen seyn, wofür man doch im Hochdeutschen lieber sagt, in seinen besten Jahren, in seinem besten Lebensalter. In meinen alten Tagen, in meinem höhern Alter. Was ihn angetrieben hat auf seine alten Tage (in seinem hohen Alter) noch zu heirathen. Werden sie mir auf meine alten Tage, oder in meinen alten Tagen nicht noch eine Freude machen? Besonders kommt es in der Deutschen Bibel in dieser Bedeutung häufig vor. Deine Tage sind aus, ich will deiner Tage viel machen u.s.f. Ingleichen in der höhern und dichterischen Schreibart der Hochdeutschen. So flossen meine Tage still und ruhig dahin. Seine Tage beschließen, sterben.


[519] Zwar will ich mich jugendlich

Meiner Tage freuen,

Weiße.


Eine Tugend, die ehedessen meine Tage heiter, wie die Tage des Frühlings machte.


Heil uns, daß unser Morgen in die Tage

Des einzigen Monarchen fiel!

Raml.


Murre nicht, wenn Zevs unter deine Hand voll Tage auch trübe Stunden mischet, Geßn. Im Frühlinge meiner Tage habt ihr Musen nie mich unerhört gelassen, eben ders. (c) Zuweilen auch für eine unbestimmte Zeit überhaupt, so wie das Hebr. Jamim. Heut zu Tage, oder heutiges Tages, zu unsern Zeiten. Nächster Tage, nächstens, in wenig Tagen. Besonders in der höhern Schreibart und im Plural. Die Tage der Zukunft, die künftige Zeit. O, daß es dir gefalle, wenn meine Muse dir singt, wie in der Jugend der Tage (in dem ersten Alter der Welt) ein Hirt die Gartenkunst erfand, Geßner.


Ein Brandmahl wird er euch, worauf in späten Tagen

Ein beßrer Enkel flucht,

Raml.


Anm. Im Isidor Dagh, bey dem Kero Tac, bey dem Ottfried Dag, im Nieders. Dag, im Angels. Daga, bey den alten Schweden und im Dänischen Dag, und mit andern Endlauten bey den Krainerischen Wenden Dan, im Friesischen Dy, im Irländischen Dia, im Englischen Day, im Lat. Dies, und in einigen R.A. diu. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Begriff des Lichtes in diesem Worte der erste und herrschende ist, so daß es zu dem Geschlechte des Arabischen daa, er hat geleuchtet, gerechnet werden muß. S. Tagen. Auf ähnliche Art scheinen das Hebr. ים und Griech. ἡμερά, mit unserm Schemen (Schein) und Schimmer verwandt zu seyn.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 517-520.
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