Mittag, Mitternacht, Mittlerer Mittag, Mittlerer Tag

[444] Mittag, Mitternacht, Mittlerer Mittag, Mittlerer Tag. Mittag ist in einem bestimmten Beobachtungsort in dem Augenblick, in dem die Sonne auf ihrer scheinbaren Tagesbahn den Meridian des Beobachtungsorts passiert; man nennt diesen Moment strenger den wahren Mittag und die untere Kulmination der Sonne die wahre Mitternacht; dagegen bezeichnet man mit »mittlerer Mittag« u.s.w. den Moment, in dem eine gedachte Sonne durch den Meridian geht.

Die Einführung der mittleren Sonne ist deshalb notwendig, weil sich mit Verfeinerung der Uhren die wahre Zeit immer weniger als Uhrzeit eignete. Die wahre Zeit eines bestimmten Augenblicks ist der Stundenwinkel der »wirklichen« Sonne (der wahren Sonne, wie sie am Himmel erscheint). Die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Durchgängen der Sonne, der wahre Tag, ist aber im Laufe des Jahres periodisch veränderlich, weil die scheinbare Jahresbahn der Sonne nicht im Himmelsäquator, sondern in der gegen diesen geneigten Ekliptik liegt und zudem kein Kreis ist, sondern eine Ellipse, die nicht mit gleicher, sondern mit wechselnden Geschwindigkeiten durchlaufen wird. Die wahre Zeit eignet sich deshalb nicht als Uhrzeit für die gleichmäßig gehenden Räderuhren. Die mit Rücksicht hierauf eingeführte »mittlere« Sonne ist ein gedachter Punkt des Himmelsäquators, nicht der Ekliptik, der den Umkreis des Aequators im Lauf des Jahres mit gleichförmiger Geschwindigkeit von Werten nach Osten zurücklegt Diese fingierte mittlere Sonne geht also zu gewissen Zeiten des Jahres früher, zu andern später durch den Meridian des Beobachtungsorts als die wahre Sonne. Der Stundenwinkel der mittleren Sonne ist die mittlere Zeit (M.Z.); sie ist in einem bestimmten Augenblick im Lauf des Jahres bald größer, bald kleiner als der Stundenwinkel der wahren Sonne, die wahre Zeit (W.Z.), der Unterschied zwischen beiden ist die sogenannte Zeitgleichung Z mit dem Vorzeichen: Z = (M.Z.)(W.Z.). Jede Zeitmessung mit Hilfe der Sonne, sei es ein Meridiandurchgang oder seien es Sonnenhöhen u.s.w., liefert (W.Z.), und man hat also erst mit Hilfe von Z auf (M.Z.) überzugehen. Ueber den Betrag der Zeitgleichung s.d.; ihre extremen Werte erreichen rund + 16 Minuten (gegen Mitte Februar) und – 16 Minuten (Anfang November). Mittlerer Tag ist der konstante Zeitraum zwischen zwei aufeinander folgenden Meridiandurchgängen der mittleren Sonne. Da die mittlere Sonne sich auf dem Aequator (gleichförmig, s. oben) um rund 1° im Tag gegen Osten bewegt, so ist der mittlere Tag etwas länger als ein Sterntag, d.h. als der sehr nahe konstante Zeitraum zwischen zwei aufeinander folgenden Kulminationen ein und desselben Sterns, und zwar um rund 4 Minuten. Genau ist für 1900 gültig 1 mittlerer Tag = (365·2421)/(366·2421) Sterntagen.[444]

Die mittlere Zeit wird bürgerlich und astronomisch etwas verschieden gezählt. Während der bürgerliche Tag um Mitternacht beginnt, wird der Anfang des astronomischen mittleren Tages auf den mittleren Mittag angesetzt, um nicht während der Nacht, der Hauptbeobachtungszeit des Astronomen, das Datum ändern zu müssen; außerdem pflegt der Astronom die Stunden von. 1–24 durchzuzählen, um nicht der lästigen Unterscheidung zwischen Vormittag und Nachmittag zu bedürfen. – Es ist daher


bürgerlich 24. August 1907 nachmittags 4h = astronomisch 1907 August 24. 4h

bürgerlich 25. August 1907 vormittags 10h = astronomisch 1907 August 24. 22h;

astronomisch August 26., 10h = bürgerlich 26., August 10h abends;

astronomisch August 26., 13h = bürgerlich 27., August 1h morgens.


Ueber den Unterschied der mittleren Zeiten verschiedener Orte auf der Erdoberfläche infolge des Längenunterschieds vgl. Bogen- und Zeitmaß, Geographische Koordinaten, Mittagsunterschied.

Seit der durch die Bedürfnisse des Bahnbetriebs und Telegraphenverkehrs veranlaßten Einführung sogenannter Normalzeiten oder Einheitszeiten für die einzelnen Länder oder Landesteile ist auch die M.Z. nicht mehr unsre Uhrzeit, der Uhrmittag ist nicht mehr der mittlere Mittag. Im gleichen absoluten Augenblick, z.B. in dem Augenblick eines auf dem elektrischen Telegraphen in A nach B, C, D ... abgegebenen Signals (von der Stromzeit u.s.w. abgesehen) haben die Orte B, C, D ... andre mittlere Zeiten als A, und zwar zeigt die richtig gehende M.Z.-Uhr von K nahezu so viel mal 3 Minuten 56 Sekunden {mehr/weniger}, als K in geographischer Länge um Grade {östlich/westlich} von A liegt. Die »Einheitszeiten« (Normalzeiten, Landeszeiten, Regionalzeiten) haben diese Unterschiede aufgehoben und bewirkt, daß die Uhren aller Orte der vereinheitlichten Region im gleichen absoluten Augenblick auch dieselbe Angabe machen sollen. Die Einheitszeit des Deutschen Reiches, als bürgerliche Zeit seit 1. April 1893 gesetzlich eingeführt, ist die M.Z. des Meridians 15° östlich von Greenwich, die sogenannte mitteleuropäische Zeit (M.E.Z.); gegen die M.Z. des östlichsten Punkts des Deutschen Reiches (nächste Stadt: Schirwindt N.N.E, von Eydtkuhnen) ist diese Einheitszeit um 311/2 Minuten zurück, gegen die M.Z. des westlichsten Punkts des Reichs (Dörfer: Redingen, nordwestlich von Diedenhofen, Vionville, weltlich von Metz) ist sie um 361/2 Minuten vor, und zwischen diesen Extremen bewegen sich also die für alle Orte eines und desselben Meridians konstanten Unterschiede zwischen unsrer jetzigen gesetzlichen einheitlichen Uhrzeit (M.E.Z.) und den mittleren Ortszeiten. – Ueber den Uebergang von Mittlerer Zeit auf Sternzeit und umgekehrt s. Zeit, Zeitzählung.

Ambronn.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 444-445.
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